07.05.2015

Ausfegen in Burkina Faso

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Ausfegen in Burkina Faso

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Wir müssen uns einmischen. Unser Publikum will, dass wir in seinem Namen sprechen“, erklärt der Rapper Serge Bambara alias Smockey. Vor zwei Jahren hat sich der Musiker, der im „Land des aufrechten Menschen“, wie Burkina Faso übersetzt heißt, Songs gegen Korruption in der Politik schreibt1 , mit dem Reggae-Sänger Sams’K Le Jah zusammengetan. Sie gründeten eine Bürgerinitiative, die sie „Le Balai citoyen“ (Der Bürgerbesen) tauften. Im Juni 2013 wurde Le Balai citoyen offiziell als Verein registriert. Die Organisation wurde zu einer der treibenden Kräfte bei den Protesten gegen Präsident Blaise Compaoré, der nach 27 langen Jahren an der Macht am 31. Oktober 2014 schließlich zum Rücktritt gezwungen wurde.2

„Unsere Zahl ist unsere Macht“ ist einer der bekanntesten Slogans der Gruppe. Wie viele Mitglieder bei dem Verein tatsächlich mitmachen, weiß man zwar nicht so genau, aber er ist mit landesweit 100 Klubhäusern – 60 davon in der Hauptstadt Ouagadougou – gut organisiert. Laut Vereinsvorschriften braucht es mindestens zehn eingeschriebene Mitglieder, um einen „cibal“ zu gründen, einen Klub von „citoyens balayeurs“ (Bürger-Straßenfeger).

Die Vereinsstatuten hat der 43-jährige Anwalt Guy Hervé Kam verfasst. Der ehemalige Richter ist in Aktivistenkreisen gut bekannt, da er bereits als Leiter des Zentrums für Juristische Ethik (CEJ) eine Petition mit auf den Weg gebracht hatte, die den berühmten Verfassungsartikel 37 unanfechtbar machen sollte, nach dem ein Präsident nicht länger als zwei Amtszeiten hintereinander amtieren darf. Kams Auftreten an der Seite der Musiker verschaffte dem Verein zusätzliche Legitimität. Sein Verhandlungsgeschick war vor allem nach dem Sturz Compaorés gefragt, als sich Le Balai citoyen plötzlich in der Rolle des Vermittlers zwischen Militär, Oppositionsparteien und Bevölkerung wiederfand.

Ende Oktober 2014 stand das Land am Rande des Chaos, doch Kam und seine Leute bewahrten die Ruhe: „Wir haben die Offiziere aufgefordert, einen einzigen Sprecher zu bestimmen, der den Übergangsprozess leiten kann. Sobald sie sich auf einen Vertreter geeinigt hätten, würden wir ihn unterstützen“, erzählt Kam. Die Armee ernannte General Yacouba Isaac Zida, einen ehemaligen Waffenbruder von Compaoré. „Unsere nächste Forderung war, dass er keine Entscheidung ohne die Zustimmung der Parteien und Bürgerinitiativen treffen dürfe. Wir wollten, dass sich alle an einen Tisch setzen, um den Übergangsprozess zu gestalten. Aber die Parteien haben sich geweigert.“

Mehrere Parteien riefen am 2. November sogar zu Protestmärschen auf. Es kam zu Zusammenstößen, in der Hauptstadt fielen Schüsse, zwei Zivilisten starben. Doch dann einigte man sich schließlich doch noch auf einen Kompromiss: Der 72-jährige Michel Kafando, ehemaliger Außenminister (1982–1983) und UN-Botschafter (1998–2011), wurde Interimspräsident und General Zida Ministerpräsident.

Die Militärs hätten von dem allgemeinen Chaos profitiert, meint Kam. „Wenn die Politiker noch am 31. Oktober dem runden Tisch zugestimmt hätten, dann hätten wir vielleicht noch ein Abkommen zwischen den Parteien erzielen können, und jemand anderes wäre Ministerpräsident geworden. Wir haben Zida nur genommen, weil es keine Alternative gab. Rückblickend denke ich aber, dass das gar nicht so schlecht war. Vielleicht sind uns dadurch neue Gewaltausbrüche erspart geblieben. Es hat uns zumindest eine Atempause verschafft, um die nächsten Wahlen in einer ruhigen und sicheren Atmosphäre vorbereiten zu können.“

Trotz allem kann man nur von einer eingeschränkten Sicherheit sprechen: Seit Februar 2015 droht ein offener Konflikt zwischen der Armee und der ehemaligen Leibgarde Compaorés das Land erneut ins Chaos zu stürzen.

In dieser angespannten Situation versucht Le Balai citoyen die Wächterrolle zu übernehmen. Die Aktivisten überwachen die Fortschritte im Übergangsprozess und prüfen die Integrität der Minister. Im Januar machte die Bewegung gegen den Transportminister Moumouni Dieguimdé mobil, der sich nach Recherchen des Magazins Le Reporter mit erfundenen Universitätsabschlüssen geschmückt und verheimlicht hatte, dass er in den USA wegen Urkundenfälschung zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden war; kurz darauf trat der Minister zurück. „Wir verlangen von unseren Politikern integres Verhalten“, erklärt Smockey. „Wir wollen, dass sich unsere Regierung von Grund auf saniert, in der Hoffnung, dass Burkina Faso ein Vorbild für andere afrikanische Länder wird.“

Sams’K und Smockey haben bereits Anfragen von Aktivisten aus dem Niger und aus Gabun erhalten, die Bürgerinitiativen nach dem Vorbild des Balai citoyen gründen wollen. „Die müssen wir unbedingt unterstützen“, erklärt der Rapper. „Als wir Le Balai gründeten, haben die Leute sofort begriffen, was wir vorhaben, weil sie schon die Bewegung ‚Y en a marre‘ (Wir haben die Nase voll) aus dem Senegal kannten, das hat uns enorm geholfen.“

Le Balai citoyen gehört inzwischen zu der afrikaweiten Plattform „Tournons la page“ (Lasst uns neu anfangen),3 die auf dem gesamten Kontinent für Regierungswechsel und Demokratie kämpft. „In Togo haben junge Leute sogar ohne unsere Hilfe einen Balai citoyen gegründet“, erzählt Smockey zufrieden. „Natürlich können wir nicht für einen Verein bürgen, von dem wir nicht genau wissen, wer dahintersteckt, aber wir wollen spontane Initiativen unterstützen, die nicht aus der etablierten Parteipolitik kommen.“

Der Balai aus Burkina Faso kämpft wie jede Bewegung, die zu schnell gewachsen ist, mit dem Problem, dass der Ruhm, den sie in ganz Afrika genießt, darüber hinwegtäuscht, dass sie im eigenen Land noch nicht so fest im Sattel sitzt. Zudem gibt es Meinungsverschiedenheiten über bestimmte Vorgehensweisen und die gesamte Stoßrichtung des Vereins. So wurde Alexandre Diakité, der ehemalige Leiter des Regionalclubs von Bobo-Dioulasso, der zweitgrößten Stadt des Landes, aus dem Verein rausgeworfen, weil er ohne Zustimmung der Bewegung für den Nationalen Übergangsrat (CNT) kandidiert hatte.

Kam hält es für einen Fehler, wenn Aktivisten Regierungsposten annehmen: „Das würde uns diskreditieren und unsere Botschaft verwässern; wir müssten uns die ganze Zeit rechtfertigen, um unseren Sympathiebonus nicht zu verlieren. Wir können die Vergabe von Posten an bestimmte Leute nur kritisieren, weil wir nicht in der Regierung sind, und wir können nur gegen die viel zu hohen Gehälter der CNT-Mitglieder protestieren, weil wir selbst nicht vom Staat bezahlt werden.“

Die Herausforderung für die Anhänger des Balai besteht jetzt darin, dafür zu sorgen, dass die nächsten Präsidentschaftswahlen demokratisch und transparent ablaufen. Der Balai fordert gerade die Millionen Demonstranten, die im vergangenen Herbst auf die Straße gegangen sind, dazu auf, sich in die Wählerlisten einzuschreiben. Doch dazu muss man lesen und schreiben können, und das können in Burkina Faso nur 28 Prozent der Bevölkerung.3

Darüber hinaus will der Verein die Rolle der religiösen und traditionellen Führer kritisch unter die Lupe nehmen. In der Mossi-Kultur auf dem burkinesischen Zentralplateau haben diese oft entscheidenden Einfluss auf das Wahlergebnis.4 Das wusste auch der frühere Präsident Compaoré: Nachdem er im Jahr 2011 einige von ihnen ermutigt hatte, für die Nationalversammlung zu kandidieren, wollte er ihnen Geld und Privilegien anbieten, um sich ihre Unterstützung zu sichern. Le Balai citoyen will den Einfluss dieser traditionellen Eliten einschränken. So soll es in Zukunft verboten werden, von Beamten oder Politikern Geschenke anzunehmen.

Nicht zuletzt muss die Organisation aufpassen, dass es Compaoré von seinem Exil in der Elfenbeinküste aus nicht noch gelingt, bei der Präsidentschaftswahl im Oktober einen seiner alten Getreuen an die Macht zu hieven. Hervé Kam ist zwar so realistisch, zuzugeben, dass man nicht alle rauswerfen kann, die mit Compaoré zusammengearbeitet haben. Doch man müsse einen Unterschied machen „zwischen einfachen Mitläufern und denjenigen, die ihm geholfen haben, sich so lange an der Macht zu halten“.

Den Balai-Aktivisten ist natürlich vollkommen klar, dass man ein Regime, dass 27 Jahre überlebt hat, nicht in ein paar Monaten abschaffen kann. Aber sie arbeiten daran, die alten Seilschaften aufzulösen und zu verhindern, dass ein Militär den Posten des Präsidenten bekommt. David Commeillas

Fußnoten: 1 Siehe etwa „Votez pour moi“ (Stimmt für mich) auf der gleichnamigen EP (Abazon, 2005), siehe auch den Auszug in der nebenstehenden Spalte; und „À qui profite le crime?“ (Wem nutzt das Verbrechen?), unveröffentlichte Single (Abazon, 2007). 2 Siehe Anne Frintz, „Land der Unbestechlichen“, Le Monde diplomatique, Dezember 2014. 3 9 Prozent der Burkiner sind Mossi. 4 Statistiken der Unicef von 2008 bis 2012 (die letzten Zahlen sind online verfügbar): www.unicef.org. Aus dem Französischen von Sabine Jainski David Commeillas ist Journalist.

Votez pour moi

Mesdames et messieurs, je vous prie d’approcher.

Bien que ce soit la période des vaches maigres,

Je ne vous mangerai pas.

Un, deux, trois, votez pour moi, sur la croix, je serai droit.

Quatre, cinq, six, plus de justice, je punirai tous mes complices.

Sept, huit, neuf, remets tout à neuf, je promets, même si c’est du bluff.

Dix, onze, douze, avant qu’on en découse, je vous mets tous dans la bouse. […]

Vous croyez en Dieu, eh bien moi aussi.

Vous êtes chrétien ou musulman, eh bien moi aussi.

Je vous fais remarquer qu’on cherche tous le paradis.

Et que, par conséquent, on fait partie du même clan.

Votez pour moi et vous ne le regretterez pas.

Vous ne me sentirez pas, vous ne me remarquerez pas.

Je me ferai discret quand je ponctionnerai l’Etat.

Je ferai mieux en un an que Mobutu en dix mandats. […]

Wählen Sie mich

Meine Damen und Herren, bitte treten Sie näher.

Es sind zwar die Zeiten der mageren Kühe,

aber ich werd Sie schon nicht fressen.

Eins, zwei, drei, wählen Sie mich, machen Sie Ihr Kreuz bei mir, ich bin ein ehrlicher Mann.

Vier, fünf, sechs, es ist vorbei mit der Gerechtigkeit, meinen Komplizen geht’s an den Kragen.

Sieben, acht, neun, alles wird ganz neu, ich versprech’s, auch wenn’s nur ein Bluff ist.

Zehn, elf, zwölf, bevor hier einer was kapiert, hab ich euch alle abserviert. […]

Sie glauben an Gott, ich auch.

Sie sind Christ oder Muslim, ich auch.

Wir sind alle auf der Suche nach dem Paradies.

Und gehören deshalb zum selben Clan.

Stimmen Sie für mich, Sie werden es nicht bereuen.

Sie werden mich nicht sehen, mich nicht bemerken.

Ich werde sehr diskret den Staat schröpfen.

In einem Jahr werd ich mehr einfahrn als Mobutu in zehn Jahr’n.1 […]

Smockey (Serge Bambara)

Fußnote: 1 Joseph-Désiré Mobutu herrschte von 1965 bis 1997 über Zaire, das nach seinem Sturz wieder in Demokratische Republik Kongo umbenannt wurde. Übersetzung: Sabine Jainski Serge Bambara alias Smockey, Sohn eines Burkiners und einer Französin, ist mehrfach ausgezeichneter HipHop-Künstler, Schauspieler und politi-scher Aktivist in Ouagadougou. „Votez pour moi“ (der Videoclip zu dem kompletten Song ist auf YouTube abrufbar) entstand anlässlich der Präsidenschaftswahlen von 2005.

Le Monde diplomatique vom 07.05.2015, von David Commeillas