09.05.2008

Salben, Pillen, Mehl

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Salben, Pillen, Mehl

Die Regierung Evo Morales weiß, dass sie, um die Kokapflanze vor der Welt zu rehabilitieren, zunächst beweisen muss, dass sie den Drogenhandel wirksam bekämpfen kann“, sagt Jorge Alvarado. Zurzeit ist er Chef der diplomatischen Mission Boliviens in Venezuela. Zuvor hatte er – nach den sogenannten Wasserkriegen1 – den politisch heiklen Posten an der Spitze des Wasserwerks von Cochabamba inne. Nun soll er die internationale Aufklärungskampagne in Sachen Kokapflanze betreuen und die Expertenkommission zur Drogenabhängigkeit der WHO dazu bewegen, dass sie bei ihrem Treffen 2008 den Status der Pflanze einer Revision unterzieht. Eine solche Überprüfung würde vielleicht zur Folge haben, dass Koka aus der Tabelle 1 des Einheitsabkommens der UN-Suchtstoffkommission gestrichen wird.

„Wir haben ein einfaches Ziel. Wir möchten so viel produzieren, wie wir traditionell selbst verbrauchen, das wären etwa 60 Prozent der gegenwärtigen Produktion. Darüber hinaus wollen wir produzieren, was wir für die Herstellung von Nahrungsmitteln und Medikamenten auf Kokabasis benötigen“, erklärt Alvarado.

Während die Vorgängerregierungen unter der seit 1988 geltenden restriktiven Gesetzeslage die Anbauflächen für Koka im Land auf 12 000 Hektar reduzieren wollten, hat sich die Regierung Morales eine schwierige Aufgabe vorgenommen: Sie will den Kokaanbau zum Vehikel der wirtschaftlichen Entwicklung machen. Dabei hat sie nicht nur den Binnenmarkt im Auge, sondern auch einen internationalen Markt, der viel mehr legales Koka aufnehmen könnte, als derzeit exportiert wird. Da die aktuelle Anbaufläche von 27 500 Hektar möglicherweise als zu groß erachtet wird, will die bolivianische Regierung die legale Anbaufläche auf 20 000 Hektar reduzieren.

Die Strategie im Kampf gegen den Drogenhandel hat sich unter diesen Vorzeichen radikal verändert. Es geht nicht mehr darum, die Größe der Anbaufläche zu reduzieren, sondern darum, die Produktion (der Drogenvorstufe) Kokain-Chlorhydrat zu unterbinden.

Zu diesem Zweck müssten neben dem Ertrag von 12 000 Hektar, der für den traditionellen Konsum bestimmt ist, der Ertrag von 8 000 Hektar anderweitig genutzt werden: Für die industrielle Verarbeitung zu Tee, Mehl, Kosmetikprodukten (Zahnpasta, Shampoo), Medikamenten (Sirup, Salbe, Tee), Dünger und Nährstoffen für die Viehzucht – wertvolle Endprodukte, die die Abkehr vom Drogenhandel ermöglichen können.

Venezuela unterstützt diese Politik: Ende 2006 meldete die bolivianische Nachrichtenagentur ABI, Venezuela sei bereit, sämtliche Produkte, die in den Fabriken zur Kokaverwertung erzeugt werden, aufzukaufen, falls diese nicht vom nationalen Markt aufgenommen werden können. Präsident Hugo Chávez verstieg sich zu der solidarisch gemeinten Behauptung, er kaue jeden Morgen Kokablätter, um in Form zu bleiben. Daraufhin beschuldigte ihn die stets sensible Opposition, „den Drogenkonsum zu rechtfertigen“ und selbst ein „Drogensüchtiger“ zu sein.2

Die bolivianische Regierung setzt auf die Mitarbeit der Cocalero-Verbände, um die „freiwillige Verringerung“ der Anbauflächen zu gewährleisten. Die Verhandlungen, bei denen Evo Morales selbst eine maßgebliche Rolle spielte, waren erfolgreich. „Es ist gelungen, die Anbaufläche um 8 000 Hektar zu reduzieren“, berichtet Alvarado. „Nie zuvor hat es eine solche Reduktion gegeben. Die Gewerkschaftsorganisationen wissen, dass dies der einzige Weg ist, die Kokaproduktion zu erhalten.“

Für die Regierung liegt der Schlüssel zur Bekämpfung des Drogenhandels in der sozialen Kontrolle, die die Gewerkschaftsverbände ausüben. Um den illegalen Aktivitäten ein Ende zu machen, will sie verschiedene Methoden kombiniert einsetzen: neben der friedlichen Verkleinerung der Anbaufläche die Beschlagnahme von Kokain und Kokainpaste3 sowie die verstärkte Bekämpfung der Einfuhr von chemischen Substanzen, die für die Herstellung von Kokain notwendig sind.

Jetzt muss nur noch bestimmt werden, wie viel Koka nötig ist, um den Bedarf für die traditionelle Verwendung und die industrielle Nutzung zu decken. „Um die Höhe der Nachfrage auf dem Binnenmarkt wie auf dem internationalen Markt zu ermitteln, ist eine Studie unumgänglich“, unterstreicht Alvarado. „Allerdings ist dafür die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft erforderlich, und das schließt auch die Vereinigten Staaten ein.“ Johanna Levy

Fußnoten: 1 Ursache des ersten „Wasserkrieges“ (1999–2000) waren die massiven Preiserhöhungen der Gesellschaft Aguas del Tunari, einer Tochter des multinationalen US-Konzerns Bechtel. Als Folge kündigte die Regierung Hugo Banzer den Konzessionsvertrag über die Wasserversorgung der Stadt für 40 Jahre und hob den Erlass Nummer 2029 auf, der Wasser zu einer Ware machte. 2 Der private Fernsehsender Globovisión hat die Kampagne auf seine Weise illustriert und Bilder ausgestrahlt, die Präsident Chávez mit einem Päckchen weißen Puders zeigen. Es handelte sich um Bilder, die bei der Einweihung einer Molkerei aufgenommen waren. Das Päckchen enthielt Milchpulver. 3 Zwischen dem 1. Januar und dem 3. August 2006 wurden in Bolivien 8 343 Kilo beschlagnahmt, gegenüber 6 312 Kilo im gleichen Zeitraum 2005; 2006 wurden 4 070 Kokainlabors zerstört, das sind 50 Prozent mehr als 2005.

Le Monde diplomatique vom 09.05.2008, von Johanna Levy