11.07.2008

Kaviar und Spiele

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Kaviar und Spiele

von Richard A. Keiser

Minnesota, USA. Die Wähler dieses Bundesstaats im Norden der USA haben der Nation einige der progressivsten politischen Köpfe beschert – wie Hubert Humphrey, Walter Mondale und Paul Wellstone. Zudem hat der Staat einige der umfassendsten Programme zur Gesundheitsversorgung und Armutsbekämpfung initiiert. Aber nun wird in Minnesota, wie in manchen anderen Bundesstaaten auch, ein neues Baseballstadion gebaut, das mehr Luxuslogen für die Reichen und weniger Plätze für das übrige Publikum bietet. Das bestehende Stadion war noch gar nicht alt, es wurde 1982 eingeweiht. Aber es bot nur 250 Plätze für die Führungsriege der Unternehmen und andere Leute, die ihre Kunden unterhalten wollen.

Die Klubräume, Logen und Lounges im neuen Stadion werden 3 000 wohlhabenden Sportfreunden Platz und Komfort bieten. 15 000 Fans weniger passen hinein, und fast die gesamte Einbuße an Sitzplätzen geht auf Kosten der billigeren oberen Ränge. Die Tendenz zur subtilen Klassensegregation, mit der sich die Oberschicht von den, wie sie finden, Hooligans und Rüpeln auf den billigen Plätzen abgrenzt, wird immer deutlicher. Wenn der Profisport früher einmal dazu beitragen sollte, die Nation zusammenzuschweißen und Klassengegensätze zu überwinden, ist er heute immer stärker dafür da, den Bedürfnissen der oberen Einkommensklasse entgegenzukommen.

Viele dieser neuen Stadien werden in Stadtteilen errichtet, die ohnehin bereits intensiv polizeilich überwacht werden und den lokalen und transnationalen Eliten vorbehalten sind – „Touristenblasen“ ist ein häufig dafür benutzter Ausdruck.1 Petco Park in San Diego grenzt an das Gaslamp Quarter, ein bereits bestehendes Vergnügungs- und Touristenviertel. Das prachtvolle Stadion der Baltimore Orioles namens Camden Yards ist nur zehn Minuten zu Fuß vom Inner Harbor entfernt, der glänzenden Fassade, hinter der die Stadt ihren Verfall versteckt. Diese Touristenblasen funktionieren wie Gated Communities des Amüsements; sie trennen Geschäftsleute und Touristen von den übrigen Einwohnern, die in einer Stadt mit heruntergekommenen Wohnungen, zerfallenden Schulen und stetig wachsender Armut leben und arbeiten. Ökonomen sind sich da ausnahmsweise einig: Die neuen Sportarenen tragen kaum zur wirtschaftlichen Entwicklung der verarmten Städte bei.2 Sie bieten neuen Zirkus und eine sichere Umgebung für die Bestverdienenden.

Innerhalb der Stadien werden weitere Barrieren errichtet, um die Oberschicht vor den unteren, auch den mittleren Klassen zu schützen. Eine der führenden Baseballzeitungen des Landes schreibt, diese Stadien würden gebaut, „um den Konzernhäuptlingen entgegenzukommen, die sich ein Spiel nur dann anschauen, wenn sie sich nicht mit den Leuten gemein machen müssen, die eigentlich zum Baseball gehen“.3 Private Logen und Lounges schützen die Herren in den Hugo-Boss-Anzügen vor der Begegnung mit der Plebs, und sie verfügen auch über ein eigenes Angebot an gehobener Gastronomie und andere Extras.

Zu den schönen Traditionen der Amerikaner gehörte einst, dass man sich für ein Baseballspiel billige Karten besorgte und auf die teureren Plätze unten am Spielfeld umzog, falls welche frei waren. Mein älterer Bruder und ich spähten immer zuerst die leeren Plätze aus, unten entlang der ersten und dritten Base Line, und nach ungefähr drei Innings sausten wir hinunter zu diesen Sitzen, die wir uns im Leben nicht hätten leisten können. Das war absolut üblich. Falls doch noch jemand mit Karten für die Plätze auftauchte, trollten wir uns ohne viel Aufhebens.

In den neuen Stadien werden die Übergänge zwischen den Sektionen bewacht. Man muss eine Eintrittskarte vorweisen, um in die Bereiche mit den voll klimatisierten Lounges mit Plasmabildschirmen zu gelangen. Dort gibt es geräumige Toiletten ohne Warteschlangen, ein deutlich hochwertigeres Angebot an Speisen und sogar eigene Parkplätze mit Privateingängen zum Stadion. Die besten Plätze vorn am Spielfeld bleiben oft leer.

Das Einzige, was sich eine vierköpfige Familie noch leisten kann, die nicht mehr als 100 Dollar für ein Spiel ausgeben will, sind die hinteren Ränge. Bei einer ganzen Reihe dieser neuen Stadien dürfen die Fans nicht einmal mehr eigenen Proviant mitbringen. Am Eingang werden die Taschen kontrolliert, um alle mitgebrachten Lebensmittel zu beschlagnahmen. Wenn man die Kosten für Essen und Trinken sowie die Parkgebühren (in Milwaukee sind es 15 Dollar!) mitrechnet, kommt eine Familie – ohne Souvenirs wie Basecaps und Bälle – leicht auf 200 Dollar. Dass aus Sicherheitsgründen keine Flaschen zugelassen sind, lässt sich ja nachvollziehen, aber früher brachten Familien normalerweise ihre eigenen Sandwiches und Brathähnchen mit ins Stadion. Die wenigen Spielstätten, die heute noch das Mitbringen von Essen erlauben, beschränken deren Konsum auf bestimmte Bereiche, die als Familienpicknickzonen ausgewiesen sind.

Baseballstadien waren nie der soziale „Schmelztiegel“, den die Enthusiasten darin zu sehen glaubten. Aber ich entsinne mich deutlich, wie mir als Kind im Stadion von Philadelphia ungewohnte Gerüche in die Nase stiegen – es waren Speisen von Leuten, die ganz anders aussahen als ich. Zu solchen Erfahrungen wird man in den neuen Arenen nur noch selten Gelegenheit haben. Ich erinnere mich auch, wie die Fans in Philadelphia ihr Team anfeuerten, die gegnerischen Spieler beschimpften und die Entscheidungen des Schiedsrichters kritisierten. Es waren leidenschaftliche Fans, die manchmal Obszönitäten brüllten und oft zu viel tranken. Auf einer Website, die Informationen über die Ausstattung der verschiedenen Sportstätten anbietet, heißt es, das neue Stadion in Philadelphia scheine „eine bessere Sorte Fans anzuziehen“4 . Mit anderen Worten: Man ist diese Hooligans losgeworden.

Die heutigen Oberschichtmäzene des amerikanischen Sports unterscheiden sich radikal von den Fans früherer Tage, und die Stadien spiegeln es wider. Früher kamen die Fans, um das Spiel anzusehen und ihr Heimteam zu unterstützen. Die Baseballbegeisterten führten während des Spiels Buch über die Leistungen der einzelnen Spieler und diskutierten die Strategie. Footballfans zitierten Statistiken und benahmen sich, als wären sie an der Stelle des Quarterbacks und könnten die nächsten Spielzüge bestimmen.

Die Leute aus den Chefetagen, die zu den Spielen kommen, um ihre Kunden zu unterhalten und dabei zu Geschäftsabschlüssen zu gelangen, achten oft kaum auf das Geschehen unten auf dem Rasen. Und damit sich die Kunden nicht langweilen, sind die neuen Stadien zu Themenparks geworden, wo man eben nicht nur in geschützter Umgebung bei einem gepflegtem Essen das Spiel verfolgen, sondern auch noch viele andere Dinge tun kann. Die Loungebereiche sind als kleine Museen gestaltet, voller Memorabilien aus der Geschichte des Teams.

Außerdem gibt es interaktive Bereiche, wo die Herren, gegen Aufpreis, in „Schlagkäfigen“ versuchen können, Bälle zu treffen, die mit so hohen Geschwindigkeiten heranfliegen, dass selbst Profis ihre Schwierigkeiten damit hätten. Oder sie lassen die Geschwindigkeit des eigenen Wurfs messen. Das Recht, sich gelegentlich in Siegerposen zu werfen, und die kleinen Wettkämpfe am Rande helfen gegen die Langeweile während des Spiels. Vielleicht wird einmal ein neuer Emile Zola einen Roman schreiben mit dem Titel „Au Bonheur des Hommes“ („Das Glück der Männer“)5 , in dem die Betuchten im Sportpalast nach Fantasie und Leidenschaft suchen.

Die Kosten für den Bau dieser neuen Vergnügungspaläste der Reichen werden von allen Steuerzahlern berappt. Dabei wollten selbst jene Bürger, die sich für Baseball und ihre Mannschaft begeistern, die Zeche für ein neues Stadion nicht bezahlen. Und die gewählten Volksvertreter waren sich dessen sehr wohl bewusst. Die beiden führenden Tageszeitungen Minnesotas haben während der letzten zehn Jahre über zwanzigmal Meinungsumfragen durchgeführt, und keine davon ließ auch nur ansatzweise erkennen, dass die Steuerzahler bereit seien, eine neue Arena zu finanzieren. Sie erklärten sich zu Steuererhöhungen zugunsten der Gesundheitsversorgung, der Bildung, des Straßenbaus, ja sogar zur Renovierung des alten Stadions bereit, nicht aber zum Bau eines neuen.

Die Städte Minneapolis und St. Paul hielten Referenden ab, mit dem Ergebnis, dass die Wähler die Vorschläge der beiden Bürgermeister und des Teambesitzers (des reichsten Mannes im ganzen Bundesstaat) zur Finanzierung eines neuen Stadions aus Steuermitteln klar ablehnten. Die Wähler haben gemerkt, dass diese neuen Arenen Entertainment für einige wenige bieten, nicht mehr Brot und Spiele für die Massen. Denn es werden ja sehr viel mehr Menschen als Zuschauer ausgeschlossen als nur die Hooligans. Aber die gewählten Volksvertreter in Minnesota, wie die in vielen anderen Bundesstaaten auch, haben Mittel und Wege gefunden, das Votum ihres Wahlvolks zu umgehen. Parlament und Gouverneur von Minnesota haben der Einführung neuer Steuern zugestimmt.

Fußnoten: 1 Dennis R. Judd, Susan S. Fainstein (Hg.), „The Tourist City“, New Haven (Yale University Press), 1999. 2 Andrew Zimbalist und Roger G. Noll (Hg.), „Sports, Jobs and Taxes: The Economic Impact of Sports Teams and Stadiums“, Washington, D. C. (Brookings Institution) 1997. 3 Dave Kindred, „Theme parks wrong for baseball – new baseball parks – Column“, in: The Sporting News, 31. März 1997. 4 www.ballparkdigest.com. 5 Emile Zola, „Au Bonheur des Dames“ (1883), deutsch: „Das Paradies der Damen“, ist ein Roman über Struktur und Erfolg eines Kaufhauses – und den Ruin des Stadtviertels, in dem es liegt.

Aus dem Englischen von Robin Cackett

Richard A. Keiser ist Professor für Politische Wissenschaft am Carleton College in Minnesota.

Le Monde diplomatique vom 11.07.2008, von Richard A. Keiser