12.09.2008

Ein Herz für den Kongo

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Ein Herz für den Kongo

Die westlichen Experten kommen mit guten Absichten und machen vieles nur schlimmer von Michel Galy

Dreißig Kinder aus dem Viertel Ngaba in Kinshasa leben in einer Barackensiedlung, die ärmlich ist, aber einen freundlichen Eindruck macht. Das Klassenzimmer misst drei auf zehn Meter, der Schlafsaal ist kaum größer als ein Handtuch, die Einrichtung zusammengezimmert. Und über dem Ganzen ein Blechdach. Betreut wird die Einrichtung von zwei Erziehern ohne Ausbildung, als Träger fungiert das Aufnahmezentrum für Kinder und mittellose Mütter, das Budget ist miserabel. Aber den Waisenkindern, die hier herumtoben, geht es viel besser als den Kindern aus der Nachbarschaft, die in noch größerem Elend leben.

Was hat diese winzige christliche, karitative Organisation mit den weltweit bekannten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gemein, die in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) sehr stark vertreten sind? Im Grunde gar nichts. Und genau das ist das Problem. Die großen NGOs aus dem Westen, die sich speziell um Waisenkinder kümmern, halten solche ehrenamtlichen Einrichtungen für „humanitäre Abenteurer“. Das klingt heute allerdings reichlich paradox – nach dem Skandal um die Arche de Zoé (siehe Text unten rechts) und angesichts der Geschichte der internationalen humanitären Bewegung, die ja selbst ein Produkt totaler Improvisation im Gefolge der Biafra-Katastrophe war.

Schon seit einigen Jahren reagiert man in humanitären Kreisen auf Kritik mit einer Flucht nach vorn, indem man sich unter dem Banner der „Professionalität“ auf technische Spezialisierung verlegt. In Frankreich zwingen „Berufsschulen“ wie die berühmte Bioforce1 den jungen Auszubildenden ein höllisches Ausbildungstempo auf, das auf schnelle Einsatzfähigkeit zielt. Doch dafür zahlt man, wie auch die einsichtigen Vertreter dieses Systems zugeben, einen hohen Preis: eine zugespitzte Hierarchisierung, die das lokale Personal immer mehr an den Rand drängt, und eine zunehmende Distanz zur einheimischen Gesellschaft.

Das zeigt sich bereits im Habitus2 der fremden Helfer. Natürlich ist es angenehm, wenn nach der Landung der Nachtmaschine ein klimatisierter Geländewagen wartet, wenn man von einem perfekten Chauffeur abgeholt und durch den Zoll geschleust und anschließend nach Gombe in das Prachtviertel von Utex Africa kutschiert wird, also in die ehemalige weiße Kolonialstadt, in der die großen NGOs, die Büros der Vereinten Nationen und die Botschaften residieren. Dass man hier das UNO-Hochkommissariat für die Flüchtlinge (UNHCR) und die Mission der Vereinten Nationen im Kongo (Monuc)3 zum Nachbarn hat, ist sicher kein unschuldiger Zufall, so lobenswert die Bemühungen der humanitären Helfer auch sein mögen, Distanz zu solchen Einflüssen zu halten.

Das Straßenbild in Utex Africa wird von Geländewagen in den Farben der verschiedenen NGOs bestimmt.4 Die verschwinden irgendwann hinter den verschlossenen Toren der NGO-Enklaven, wo sich die jungen Freiwilligen aus dem Westen drängen, die Kinshasas verarmte Bevölkerung mit Lebensmitteln, Zuwendung, Jobs und Statuten versorgen. Aber deren humanitäre Träumerei bekommt einen bitteren Beigeschmack, wenn man sich auf der anderen Seite der unsichtbaren Barriere befindet. Schnell werden die kongolesischen Gesprächspartner zum „von einer motorisierten Kavallerie beherrschten Fußvolk“ degradiert, wie es der Leiter einer französischen Hilfsorganisation formuliert. Auf die Einheimischen, die an den Türen der NGOs aushängende Jobanzeigen studieren, den Staub der Fahrzeuge schlucken oder sich mit Schlamm bespritzen lassen, machen diese romantischen jungen Weißen mit ihren bunten T-Shirts und ihren Halstüchern einen zwiespältigen Eindruck.

Kann man die humanitären Helfer mit ihren eigenen Riten, Codes und weltweiten Netzwerken als das sehen, was die Soziologen eine „Parallelgesellschaft“ nennen? Nachdem einige Maschinen der nationalen kongolesischen Fluggesellschaften abgestürzt sind, kann jeder ausländische Helfer, der die beiden Städte Goma und Bukavu an der Grenze zu Ruanda besuchen will, die Flugzeuge des europäischen humanitären Hilfsprogramms ECHO und der Monuc benutzen. Angesichts der Tatsache, dass es in diesem riesigen Land kein Straßennetz gibt, kann man den Groll der Einheimischen durchaus verstehen. In Goma und Bukavu, wo sich die Flüchtlingslager befinden, die humanitäre Helfer aus aller Welt anziehen, schießen inmitten einer üppigen Landschaft die Luxushotels und UNO-Residenzen so rasch aus dem Boden, dass bereits eine lokale Mafia entstanden ist, die sich um die Beute reißt.

Mit Laptop und Satellitenschüssel

Nichts Neues unter dem weiten Himmel Afrikas? Wie heute die humanitären Helfer, so traten zu kolonialen Zeiten auch schon die „Beamten für Eingeborenenangelegenheiten“ auf, nur dass die damals wenigstens mit den Sitten und Gebräuchen vertraut waren und die lokalen Sprachen beherrschten, nachdem sie die berühmte Kolonialschule Efom besucht hatten. Letzteres gilt heute weder für die einheimischen, aber fern der eigenen Heimat eingesetzten Funktionsträger– im Kongo gibt es mehr als 300 verschiedene ethnische Gruppen – noch für die Mitglieder der UNO-Stäbe. Im Übrigen beherrschen viele Beamte und selbst Mitarbeiter von Monuc nicht einmal die Amtssprache Französisch.

Viele Fehlschläge sind durch diese sprachliche und kulturelle Kluft zu erklären. Man denke nur an die Mitarbeiter der Arche de Zoé, die mangels Ausbildung mit den Resultaten ihrer Pseudoumfragen über das Verwandtschaftssystem im Tschad nichts anzufangen wussten. Und in einer Stadt wie Kinshasa, die für ihre musikalische Vitalität und ihre (für das subsaharische Afrika einmalige) Vielfalt privater Radio- und Fernsehsender bekannt ist, muss es wirklich nicht sein, dass die Ausländer immer nur CNN und die Satellitenprogramme ihrer Herkunftsländer sehen – auch wenn ein gewisses Heimweh verständlich ist.

Außerdem gewinnt man den Eindruck, dass die neuen Technologien unter anderem die Funktion haben, den kulturellen Abgrund zwischen den Afrikanern aus dem Dorf und den jungen Experten der globalisierten Welt sichtbar zu machen. Letztere brechen mit ihren Laptops und Satellitenschüsseln, mit ihren supermodernen Fahrzeugen und knisternden „Sicherheits“-Funkgeräten in den Busch auf, wo sie sich stolz erzählen, dass sie Netzverbindung mit ihrer Pariser NGO-Zentrale haben. Die Riesenkluft zwischen den beiden Welten muss den Bewohnern eines Flüchtlingslagers oder den meisten Einwohnern einer afrikanischen Metropole unanständig vorkommen.

Die einsichtigsten unter den humanitären Helfern wissen das durchaus und stellen ihre Praktiken infrage, für die sie sich verantwortlich fühlen, ohne daran Schuld zu tragen – sie werden von einer institutionellen Entwicklung mitgezogen, die sie nicht kontrollieren. Aus den kleinen NGOs der 1970er-Jahre sind gewaltige staatenübergreifende Apparate geworden. Das gilt zum Beispiel für Handicap International (HI). Die Organisation wurde 1982 von zwei französischen Ärzten gegründet. Heute verfügt HI über Sektionen in acht Ländern und ist in sechzig Staaten präsent. Die Organisation beschäftigt rund 200 Mitarbeiter in ihrer Zentrale und 200 im Außendienst, dazu 4.000 Einheimische in den Einsatzländern (ein für die Branche übliches Zahlenverhältnis), die für etwas mehr als 72 Millionen Euro 240 Projekte betreuen.

Der Arzt Almouner Talibo, Leiter von Médecins du Monde in Kinshasa, ist sich der Malaise durchaus bewusst, schildert die Entwicklung aber so, als habe sie sich hinter dem Rücken der Helfer, ja praktisch ohne deren Wissen abgespielt. Endgültig vorbei sind für ihn die Zeiten, da der allseits geachtete „french doctor“ mit seinem Medikamentenkoffer im Katastrophengebiet eintraf. Heute kommt die humanitäre Hilfe in Gestalt einer beneideten wie bewunderten Großapparatur, die zur verlockenden Beute wie zum potenziellen Sündenbock prädestiniert ist. Deshalb seien die NGOs von Kinshasa im Interesse ihrer Sicherheit der Versuchung erlegen, nach Gombe umzusiedeln.

Aber von welcher Sicherheit ist hier die Rede? In Monrovia (Liberia) kam es vor, dass Afrikaner aus Sicherheitsgründen nicht ins Gebäude von Hilfsorganisationen eingelassen wurden. Und zahlreiche NGOs fordern ihre Mitarbeiter nachdrücklich auf, „gemischte Partnerbeziehungen“ zu vermeiden. Die Organisationen, deren Mitarbeiter den umgekehrten Weg gehen und bewusst unter Einheimischen leben, sind in der Minderzahl. Für erfahrene Helfer wie Rony Brauman ist aber gerade dieses Sich-Einlassen, die sogenannte Inkulturation, eine Voraussetzung dafür, dass die Einheimischen die Helfer und ihre Projekte überhaupt akzeptieren.

Wettlauf der Helfer um Kredite

Dabei fristen zahlreiche einheimische NGOs, die sich entwicklungspolitisch betätigen, ein kümmerliches Dasein. Da es ihnen an Anerkennung fehlt, entwickeln sie mitunter einen heftigen Groll gegen westliche Hilfsorganisationen, die ebenso mächtig wie von gutem Gewissen durchdrungen und für Kritik unempfänglich sind. Georgette Bieble, Leiterin von Cause Commune, einer Frauen-NGO in Kinshasa, macht dieser Zustand sehr zu schaffen. Die ausländischen Hilfsorganisationen erlebt sie häufig als „sehr herablassend“. Sie hat eine Soziologie der Hilfsorganisationen entwickelt, mitsamt einer kritischen Analyse des typischen Helferjargons, der sich rasch entschlüsseln lässt. Da gerät die „Suche nach lokalen Partnern“ rasch zur Unterwerfung.

Mit bitterer Ironie beschreibt Georgette, wie Zwietracht zwischen den kongolesischen NGOs erzeugt wird, die sich um ausländische Kredite bewerben. Besonders schlimm findet sie die abschätzigen Wertungen über die lokalen NGOs, die „uns vorschnell mit Räuberbanden gleichsetzen, mit Dieben, die nichts anderes im Sinn haben, als sich zu verewigen“, wie sie sich ausdrückt. Angesichts dieses Verhaltens ist sie bereit, „notfalls dreißig Jahre daran zu setzen, um autonom zu werden“.

Während die humanitäre Berufung sich häufig fast als Priesteramt stilisiert, ist es zum Wohltätigkeitsbusiness nie allzu weit. Das gilt auch für die Aktivitäten der mundele, der Weißen von Kinshasa. Die zählen für die Einheimischen zu den unzähligen „coops“ (wie man in Kinshasa trickreiche Geschäftemacherei nennt5) , mit denen eine ausgehungerte, auf sich allein gestellte Bevölkerung um ihr Überleben kämpft. Leon Matangila, Anthropologe an der Universität von Kinshasa, meint dazu: „Im Kongo gibt es drei Wege zu raschem Reichtum: Politik, Religion und NGO.“ Die fortschreitende „NGOifizierung“ deformiert die sozialen Beziehungen und bringt eine Lebensweise hervor, die sich auf das Anzapfen von ausländischen Geldquellen verlegt. So entstehen betrügerische oder rein fiktive sogenannte Aktentaschen-NGOs, die sich flexibel jedwedem Bedürfnis der Geldgeber anpassen. Der Soziologe Marco Giovannoni formuliert es so: „Das Geld der [internationalen] NGOs und gewisser Projekte“ haben „die Dynamik der sozialen Aktivitäten in Kinshasa pervertiert“ und „die Zivilgesellschaft zerstört“.6

Wie in anderen Ländern sind die Beziehungen zum Staat komplex: Während die internationalen NGOs in der Mobutu-Ära die fehlende Kooperation mit dem Staat ersetzten, kooperieren sie heute mittels vielfältiger Verträge mit den Verwaltungsapparaten, nachdem sie vorab ihre Einsatzregionen und ihr Aktionsprogramm festgelegt haben. Giovanni stellt allerdings auch fest: „Das Ressentiment der Funktionäre, denen es nicht gelungen ist, bei einer NGO unterzukommen, macht sie zu entschlossenen Gegnern, die alles tun, um deren Projekte zu behindern oder zu sabotieren.“7

Aber den in der DR Kongo etablierten Hilfsorganisationen drohe eine sehr viel schwerer wiegende Fehlentwicklung, die einen geopolitischen Hintergrund habe: die Bevorzugung des Ostens, die vor allem auf Kosten der Hauptstadt geht. Seit dem Völkermord an den Tutsi in Ruanda im Jahr 1994 und den beiden kongolesischen Kriegen, denen zwischen drei und fünf Millionen Menschen zum Opfer gefallen sein sollen8 , ist der Osten des Landes an der Grenze zu Ruanda ein Spannungsherd. Zahlreiche bewaffnete Gruppen (wie die des Generals Laurent Kunda) drangsalieren die Menschen, die deshalb in Scharen aus der Region fliehen.

Diese Situation erklärt zum Teil den privilegierten Status der NGOs und der internationalen Institutionen in dieser Provinz. In Kinshasa löst sie indessen zwiespältige Gefühle aus: Während die politischen Machthaber, die seit dem Sturz Mobutus etablierten militärischen Kader, mit der internationalen Hilfe bestens leben können, regt sich in der Hauptstadt zugleich ein kritischer, fordernder Nationalismus, der von einer unterschwelligen Abneigung gegen den aus dem Osten des Landes stammenden Präsidenten Joseph Kabila herrührt. In der aufsässigen und mit rund zehn Millionen Einwohnern übervölkerten Megalopolis wirft man dem Staatschef vor, sein Regime und die internationalen Helfer bevorzugten die „ausländischen Flüchtlinge“ aus dem Osten gegenüber den Kinshasaern aus dem Westen und den in der Hauptstadt konzentrierten kongolesischen Binnenflüchtlingen.

Man sieht zwar ein, dass humanitäre Hilfe häufig in Grenzregionen nötig wird, in denen der örtliche Staat schwach ist oder überhaupt versagt, aber man fragt sich, ob sie auch das Mandat hat, den lokalen Verwaltungsapparat zu ersetzen? Solche Fragen kommen auch aus der staatlichen Bürokratie, deren fast machtlose Funktionäre sich über das Ungleichgewicht der Hilfsmissionen wundern.

Auch in anderen afrikanischen Ländern gibt es eine solche ungleichmäßige Behandlung verschiedener Provinzen. In der Elfenbeinküste zum Beispiel hatten die NGOs vor dem Bürgerkrieg (2002 bis 2007) das Land in „Lehen“ aufgeteilt: Der Norden gehörte der deutschen GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit), die hier vor allem die primäre Gesundheitsversorgung aufbaute, der Süden deren französischen Kollegen. Auch in Madagaskar haben ausländische NGOs, die das Kreditwesen aufbauen, das Land untereinander aufgeteilt.

Die NGOs konzentrieren sich häufig in leicht zugänglichen Gebieten entlang der Hauptverkehrsadern und vernachlässigen bergige oder abgelegene ländliche Regionen und Waldgebiete. In Madagaskar sind die NGOs vor allem auf der Hochebene im Landesinneren, rund um die Hauptstadt Tananarive vertreten, während die Problemregionen eher an der Küste liegen. In anderen Ländern drängeln sich die Organisationen alle in denselben Dörfern, Zonen, Vierteln. Am schlimmsten sind reiche und mächtige NGOs wie World Vision9 , die jede Abstimmung mit anderen Organisationen oder Regierungen verweigern. Sie intervenieren, wo und wie es ihnen passt, wofür der Einsatz in der Südprovinz von Sierra Leone das deutlichste Beispiel ist.10

Was gibt ihnen das Recht zu einem solchen Verhalten? Angesichts so vieler akuter ethnoregionaler Rivalitäten haben die Optionen der NGOs, die sich an den Entscheidungen der Geldgeber orientieren und damit große Projekte bevorzugen, in aller Regel gravierende politische Konsequenzen.

Dass die NGOs die eigentlichen Akteure der internationalen Beziehungen geworden sind, weil sie sich dank vorteilhafter lokaler Vereinbarungen mit dem Gastland immer größere Privilegien sichern können, wird auch bei den Vereinten Nationen, bei der EU und in manchen militärischen Hauptquartieren registriert. Hier ist man inzwischen sehr bemüht, die Aktivitäten der internationalen NGOs zu kanalisieren oder gar zu kontrollieren. Die UNO versucht dies mithilfe des Unocha (United Nations Office for the Coordination of Human Affairs), das seit 1991 existiert. Die vom Unocha geplanten Reformen sehen vor, dass sich die NGOs künftig unter der Leitung eines Dachverbands abstimmen müssen, was scharfe Konkurrenz ebenso eindämmen würde wie redundante Projekte. Derartige Pläne versetzen die kleine Welt der Entwicklungshelfer jeglicher Provenienz bereits in helle Aufregung. Denn ihre so hoch geschätzte Unabhängigkeit wird künftig einen Preis haben: Verzicht auf Subventionen! Ob dieser Zwang funktioniert, wird im Einzelfall von der Finanzierungsstruktur der jeweiligen Organisation abhängen. Eine Organisation wie Ärzte ohne Grenzen, die ausschließlich von privaten Spenden lebt, hat bereits beschlossen, sich abzukoppeln.

Die größten Kritiker aber sind oft die humanitären Helfer selbst11 , die sich seit Biafra in Selbstkritik ergehen (und sich dabei fortlaufend fraktionieren).

Um die Aktivierung lokaler Kräfte geht es auch bei den sogenannten Substitutionsprogrammen. Damit sollen sinnvoll arbeitende lokale NGOs ermittelt, weiter qualifiziert oder sogar erst geschaffen werden. In der Region Kivu zum Beispiel läuft im Gesundheitssektor ein innovatives, aber nach Bekunden seiner Schöpfer auch fragiles Experiment mit kongolesischen Organisationen.12

Bei diesem Experiment zeigt sich überdies, dass das einheimische Projekt wieder in der Versenkung verschwindet, sobald der Geldgeber sich zurückzieht. Doch solche Einwände fallen angesichts des dringenden Handlungsbedarfs kaum ins Gewicht, antworten die kritisierten Hilfsorganisationen und tun die Zweifel als Populismus und fachliche Inkompetenz ab. Damit macht man es sich freilich zu leicht, wenn die Vorwürfe aus der Bevölkerung selbst kommen. Wenn die einheimischen Hilfsorganisationen auf Bescheidenheit und europäisch-afrikanisches Personal setzen, kann man von den westlichen NGOs dasselbe verlangen.

Fußnoten: 1 Der Verband Bioforce Développement wurde 1983 von Charles Mérieux gegründet. Als „Institut für Ausbildung, Orientierung und Sachkenntnis“ will es „die Relevanz der Solidaritätsaktionen steigern“. www.bioforce.asso.fr. 2 Der soziologische Begriff Habitus geht auf Pierre Bourdieu zurück und bezeichnet das Ensemble erworbener typischer Verhaltensweisen einer sozialen Gruppe. 3 Die Monuc entstand aufgrund der Resolution 1291 des Sicherheitsrates vom 30. November 1999 und soll das Waffenstillstandsabkommen von Lusaka überwachen. Die kostspieligste der 18 friedenswahrenden UNO-Missionen beaufsichtigt die Entwaffnung, Demobilisierung, Rückführung, Wiedereingliederung und Rehabilitation der Kriegführenden. 4 Innerhalb des Mikrokosmos der Helfer in Kinshasa machen sich längst „kongolisierte“ NGO-Mitarbeiter über den kostspieligen Geschmack der Neuankömmlinge lustig. 5 „Coop“ bedeutet ursprünglich Kooperation zwischen Überlebenspartnern, inzwischen aber einfach: „sich zu helfen wissen“, häufig auch im Sinne von „Tricksereien“ oder illegalen Beutezügen im Sinne einer erfolgreichen Jagd. Dazu Anastase Nzeza Bilakila, „La coop à Kinshasa. Survie et marchandage“, in: Theodore Trefon (Hg.), „Ordre et désordre à Kinshasa. Réponses populaires à la faillite de l’Etat“, Paris (L’Harmattan) 2004. 6 Siehe Marco Giovannoni et al., „Agir à la place – et en dépit – de l’Etat. ONG et associations de la société civile à Kinshasa“, in: „Ordre et désordre à Kinshasa“, siehe Anmerkung 5. 7 Ebenda. 8 Siehe Prosper Nobirabo, „Fragile gestation de la démocratie au Congo“, in: Le Monde diplomatique, Juni 2007. 9 World Vision ist eine 1950 in den USA gegründete christliche Vereinigung, die Patenschaften für Kinder übernimmt. 10 Siehe „Les espaces de la guerre en Afrique de l’Ouest“, in: Hérodote, Nr. 111, Paris, 4/2003. 11 Vgl. zum Beispiel das Protokoll des unter Mitwirkung von Rony Brauman veranstalteten Roundtable-Gesprächs zum Thema L’Arche de Zoé: „Zoé, l’équation fatale“, in: Humanitaire, Nr. 18, Paris, Frühjahr 2008. 12 Siehe Didier Cannet und Frédéric Jaquet, „De l’intervention en temps de crise à la reconstrucion“, in: Humanitaire, Nr. 16, Paris, Frühjahr 2007.

Aus dem Französischen von Barbara Schaden

Michel Galy ist Politologe und Herausgeber von „Guerres Nomades et sociétés ouest-africaines“, Paris (L’Harmattan) 2007.

Le Monde diplomatique vom 12.09.2008, von Michel Galy