14.11.2008

Die Grünen Eminenzen am Amazonas

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Die Grünen Eminenzen am Amazonas

Die nachhaltige Nutzung des Regenwalds verbessert vor allem das Image der Konzerne von Jacques Denis

Eine Lichtung mitten in den riesigen Regenwäldern Brasiliens. Ein paar hundert Meter entfernt beginnt der Amazonas, der hier an seinem Oberlauf noch Solimões heißt, seinen langen mäandernden Weg Richtung Atlantik. Im April ist der Boden noch feucht, und die Stechmücken sind unersättlich. Ein gefällter Baum deutet darauf hin, dass wir uns einem Sägewerk nähern. „Wir kennzeichnen jeden Stamm, sobald er einen Durchmesser von 25 Zentimetern erreicht hat“, erklärt Antonio, ein Holzfäller aus Assumpção. „Wenn sie 50 Zentimeter dick sind, werden einige gefällt – aber nie mehr als drei pro Hektar und das auch nur alle 25 Jahre.“

Eine Kreissäge zerlegt die Stämme in Bretter – hauptsächlich ist es Holz der Sorten Mulatero und Coração de negro, das derzeit von Möbeltischlern stark nachgefragt wird. Jean-François Kiebler arbeitet vor Ort für die französische Hilfsorganisation Groupe de recherche et d’echanges technologiques (Gret).1 Der Ökonom leitet seit mehr als zwei Jahren deren Projekt Floresta Viva und versucht in Zusammenarbeit mit lokalen Behörden die Bevölkerung in kleinteilige Strukturen einer nachhaltigen Waldwirtschaft einzubinden. „Wenn wir der Artenvielfalt gerecht werden wollen“, sagt Kiebler, „müssen wir auch die Nachfrage vielfältiger gestalten.“

Assumpção ist eine Flugstunde und dann noch eineinhalb Stunden mit dem Boot von Manaus, der Hauptstadt des größten brasilianischen Bundesstaates Amazonas, entfernt. Am Rand von Mamirauá, dem 1996 eingerichteten ältesten Naturschutzgebiet in diesem Bundesstaat, liegen an die 20 Dörfer. Unter der Leitung des Biologen und Ökologen José Márcio Corrêa Ayres soll auch hier eine Forstwirtschaft entstehen, die „im Rahmen nachhaltiger Nutzung Lebensraum für Menschen schafft“.2

Auf den ersten Blick scheint die Aufgabe kaum lösbar: Es gibt keine Abholzlizenzen, kein vollständiges Grundbuch und etliche Eigentumskonflikte. Der Begeisterung tut das keinen Abbruch: „Arbeiten, um zu wachsen“, steht auf dem Spruchband an einer Schule in Assumpção, die als Versammlungsort dient. Die Vertreter und Aktivisten der ribeirinhos (so werden die Anwohner des Amazonasgebiets genannt, die Indigene und Nachfahren europäischer Einwanderer sind) besprechen, wie es weitergehen soll. Wie kann man nicht nur den Regenwald erhalten, sondern auch die eigene Lebensgrundlage? Wie lässt sich die Produktion optimieren und die Schulbildung in den Gemeinden verbessern?

Die Arbeit der Initiative kann immerhin an eine engagierte Umweltschutzpolitik in Manaus anknüpfen. Der Bundesstaat Amazonas ist etwa viermal so groß wie Deutschland und hat die Rodung seiner Regenwälder bisher auf 2 Prozent des Territoriums beschränkt. Schutzgebiete und Reservate für die indianische Bevölkerung machen insgesamt 40 Prozent der Fläche aus. In den benachbarten Bundesstaaten Pará und Rondônia dagegen sind nach Schätzungen bereits 20 Prozent der Regenwälder vernichtet.

Am Oberlauf des Amazonas und seiner Zuflüsse ist der Wald für die Bevölkerung eine unverzichtbare Ressource, obwohl die Erträge aus dem Holzeinschlag nur die aus Landwirtschaft und Fischerei ergänzen. „Wir brauchen verstärkte Kontrollen“, sagt Israel, der Vorsitzende einer Bürgervereinigung, „sonst können wir mit unserem legal geschlagenen Holz nicht mit den illegalen Holzfällern konkurrieren.“

Doch die Mittel der staatlichen Umweltbehörde Ibama und des Instituts für Umweltschutz im Bundesstaat Amazonas (Ipaam) reichen trotz der zuletzt kräftigen Etaterhöhungen bei weitem nicht aus, um eine wirksame Überwachung zu ermöglichen.

Außerdem ist es sowieso „unmöglich, einen Förster hinter jeden Baum zu stellen“, sagt auch Kiebler. „Ohne aktive Mitwirkung der Bevölkerung vor Ort geht es nicht.“ Darüber hinaus glaubt der französische Ökonom, dass man die Bewirtschaftung des Regenwalds nicht verhindern kann. „Eine bestehende Nachfrage lässt sich nicht einfach bremsen. Man kann nur versuchen, sie so zu steuern, dass die nachhaltige Nutzung begünstigt wird.“

Aber kann man den Regenwald nutzen, ohne ihn zu zerstören? An dieser Frage scheiden sich die Geister in Manaus, dem neuralgischen Zentrum des Amazonas. Hier leben 2 Millionen Menschen, mehr als die Hälfte aller Einwohner dieses Bundesstaats. Seit vor 40 Jahren unter der brasilianischen Militärdiktatur eine Freihandelszone als Ausgleich für die daniederliegende Kautschukindustrie in Manaus geschaffen wurde, erlebt die Stadt ein kontinuierliches Wachstum der Wirtschaft wie ihrer Bevölkerung. Zu einer flächendeckenden und nachhaltigen Entwicklung hat die Zona Franca bisher allerdings nur wenig beigetragen.

Der Gouverneur, der es allen recht machen will

Gouverneur des Bundesstaates Amazonas ist Eduardo Braga. Er gehört der Partei Demokratische Bewegung Brasiliens (PMBD) an und ist ein Bündnispartner von Präsident Luiz Inácio da Silva. Gewählt wurde er 2002 mit dem Versprechen eines „verantwortungsvollen Umweltschutzes für alle“. Im Juni 2003 erklärte er gegenüber der Tageszeitung Folha de São Paulo: „Wenn es uns nicht gelingt, die Wirtschaft der Region in eine landesweite Entwicklung zu integrieren, machen wir uns angreifbar. Dann kann es passieren, dass Weltkonzerne unsere Wälder aufkaufen und unsere natürlichen Reichtümer ausbeuten.“ Dennoch will Eduardo Braga zugleich auch ausländisches Investitionskapital anlocken.

Unmittelbar nach seinem Amtsantritt gründete Braga ein Staatssekretariat für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung, ein zweites für Wissenschaft und Technik sowie eine Behörde für Forstwirtschaft. Dem Modell von Lula da Silva folgend begann er, Interessengruppen und Expertengremien einzubinden, darunter auch den einflussreichen Gewerkschaftsverband Grupo de Trabalho amazonense (GTA). Dem ehemaligen Gewerkschafter der Kautschuksammler (seringeros) Francisco Ademar Cruz übertrug der Gouverneur die Aufsicht über die Nutzung sämtlicher natürlicher Ressourcen in den Regenwäldern mit Ausnahme des Holzes.

Das Vorzeigeprojekt der politischen und semantischen Erneuerung im Amazonasgebiet war die Einrichtung einer „grünen Freihandelszone“ im Jahr 2003. Sie verfolgt das Ziel, „die gemischte Wald-, Weide- und Landwirtschaft ebenso zu erhalten wie die Fischerei, und zwar in einer ökologisch angemessenen, sozial gerechten und wirtschaftlich tragfähigen Art und Weise“.

Virgilio Viana ist Biologe mit Harvard-Diplom, Spezialist für nachhaltige Entwicklung und so etwas wie die grüne Eminenz des Gouverneurs. Seinen Angaben nach ist es zwischen 2003 und 2007 bereits gelungen, die fortschreitende Entwaldung um 67 Prozent einzudämmen. Während die Wirtschaft im Bundesstaat Amazonas jährlich um 9 Prozent wuchs, wurden die Naturschutzgebiete um 135 Prozent ausgeweitet. Fortschritte gab es in dieser Zeit laut Viana auch bei der Armutsbekämpfung, Umweltsanierung und Schulbildung sowie beim Ausbau der Infrastruktur. Die amtlichen Statistiken verweisen auf 10 000 Hektar Schutzgebiete, 1 000 neue Waldwirtschaftspläne, mehr als 60 000 neu geschaffene Arbeitsplätze und über 100 000 subventionierte Klein- und Kleinstbauern. Finanziert wird das alles mithilfe einer Wirtschaft, deren eigentlicher Konjunkturmotor immer noch die Freihandelszone Manaus ist.

Nach dem Vorbild der Bolsa Família, des von Präsident da Silva eingeführten Mindesteinkommens, entwickelte sich die Bolsa Floresta in der grünen Freihandelszone zu einer der wichtigsten sozial- und umweltpolitischen Maßnahmen. Ihr Ziel ist es, die örtliche Bevölkerung in deren eigenem Interesse am Schutz des Regenwalds zu beteiligen. 4 000 Familien erhielten bei der letzten Zählung dafür 50 Reales (umgerechnet 20 Euro) im Monat, angesichts der niedrigen Lebenshaltungskosten eine beträchtliche Summe. Ende dieses Jahres sollen es mehr als doppelt so viele Familien sein.

Das Vorgehen der Regierung und die Arbeit der lokalen Naturschutzbehörden stoßen auf breite Zustimmung. Gerade die wichtigste oder zumindest spektakulärste Maßnahme aber – die Familienbeihilfe im Rahmen der Bolsa Floresta – steht in der Kritik, weil sie, wie manche meinen, eine neue Schicht von Transferabhängigen schafft. „Das ist Klientelpolitik, nur eben angepasst an das 21. Jahrhundert“, sagt etwa die Journalistin Carolina Ramos – eine Kritik, die Virgilio Viana energisch zurückweist.

Investitionen in eine grüne Zone

Nach seiner Überzeugung ist die Bolsa Floresta „das erste Sozialprogramm Brasiliens, das die Honorierung von Umweltaufgaben vorsieht, und zwar als direkte Zahlung an die Bevölkerung“. Sie bremse die Entwaldung und den mit ihr verbundenen Ausstoß von Treibhausgasen. Zugleich verbessere sie die Lebensbedingungen der Menschen in den Waldgebieten. „Die Bolsa Floresta entspricht den Millenniumszielen und UNO-Empfehlungen für die tropischen Feuchtgebiete. Der UNO-Sonderberater Jeffrey Sachs hat sie als ein nachahmenswertes Beispiel bezeichnet und ausdrücklich begrüßt.“

Um ihre Maßnahmen zu finanzieren, hat die Regierung von Amazonas einen entsprechenden Rechtsrahmen und neue steuerliche Anreize geschaffen. Am 5. Juni 2007 beschloss sie ein Gesetz zu Klimawandel, Naturschutz und nachhaltiger Entwicklung, das sich in der Formulierung eng am Kioto-Protokoll orientiert. Um private Investoren anzulocken, schufen die Behörden die „Freunde des Klimas und der Wälder des Amazonas“. Damit sollen die teilnehmenden Firmen ihr Engagement für das Klima und für die Reduktion der Treibhausgase öffentlichkeitswirksam unter Beweis stellen können.

Es geht also darum, Investitionen in die Freihandelszone in die neue grüne Zone umzuleiten. Diesem Ziel dient auch ein Projekt, das Virgilio Viana besonders am Herzen liegt: die für das Nichtabholzen vergebenen Kohlenstoffkredite3 oder „virtuellen“ Waldparzellen. Deren Wert bemisst der Biologe daran, was der Erhalt dieser Waldstücke zum Klimaschutz beiträgt. Bei der Klimakonferenz in Montreal 2005 setzte er ihn auf 70 Millionen Euro an und stellte diese Summe der „internationalen Gemeinschaft“ von Staaten und Konzernen einstweilen fiktiv in Rechnung.4

Seinen Posten als Staatssekretär hat Virgilio Viana unterdessen aufgegeben, um sich ganz dem Aufbau von Amazonas Sustentável („nachhaltiges Amazonas“) zu widmen. Diese Stiftung soll in Zukunft Geld für den Erhalt der Urwälder sammeln. Zu Beginn wurde sie mit je 20 Millionen Reales (8,3 Millionen Euro) vom Bundesstaat Amazonas und von der brasilianischen Privatbank Bradesco finanziert. Bradesco hat auch zugesagt, fünf Jahre lang jeweils weitere 4,14 Millionen Euro in Form von Anteilen an Unternehmen, Pensions- oder Investitionsfonds beizusteuern.

Und es gibt bereits weitere Investoren: Am 7. April verpflichtete sich Bill Marriott, der Chef der gleichnamigen Hotelkette, im seit Juni 2006 bestehenden Schutzgebiet von Juma 2 Millionen Dollar zu investieren. Der italienische Unterwäschehersteller Yamamay hat 50 000 Euro gespendet und angekündigt, demnächst in Manaus und anderen Städten Brasiliens Läden zu eröffnen. Braga und Viana waren in letzter Zeit offenbar viel auf Dienstreisen – vielleicht ein Hinweis darauf, dass das erst der Anfang ist.

Befragt nach den möglichen Risiken einer Privatisierung des Urwalds, verweist Viana auf den gemeinnützigen Status der Stiftung. „Die Investitionen dienen ausschließlich der Bereitstellung umweltverträglicher Dienstleistungen und Produkte in den Naturschutzgebieten. Die Gewinne werden vor Ort reinvestiert.“ Die Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers sollen dafür sorgen, dass das so bleibt.

Silva Mesquita war in den 1990er-Jahren eine Integrationsfigur des Pan-Amazonas-Sozialforums. Seit 2005 unterstützt sie als Unterstaatssekretärin die Ziele von Amazonas Sustentàvel. „Auch Bill Marriott hat ein Interesse am Erhalt des weltgrößten tropischen Regenwalds und an der Reduzierung der Treibhausgase. Es ist doch richtig, dass der Bundesstaat Amazonas einen Teil seiner Investitionen in den Schutz der Wälder zurückbekommt.“

Bei solchen Aussagen fällt freilich unter den Tisch, dass Marriott und andere Firmen wohl vor allem spenden, um ihr Image aufzupolieren. Deutlich wurde das zuletzt beim Festival des ökologischen Films, das Gouverneur Braga 2007 mit den Hauptsponsoren Coca-Cola und Nissan ins Leben gerufen hat. Coca-Cola warb dort mit dem umweltpolitischen Engagement für seine „Light“-Produkte, während Nissan seine neuen „umweltschonenden“ Autos mit Allradantrieb anpries.

„Der Schutz des Regenwalds wird zu einem neuen Geschäftsfeld“, kritisiert Ademir Ramos, Professor für politische Anthropologie an der staatlichen Universität in Manaus. Der Wald, so Ramos, werde zu Geld gemacht, doch die Aufgabe seines Erhalts lasse sich nicht auf eine Strategie der Vermarktung reduzieren. Seiner Ansicht nach sind die Umweltschützer zu „modernen Aposteln“ geworden, die sich von einem „der Globalisierung angepassten ökologischen Katechismus“ inspirieren lassen. Dazu passt, dass sich Amazonas Sustentável auf einen breiten Konsens der Eliten stützen kann. In ihrem Stiftungsrat sitzen Parlamentarier, Gewerkschafter, Wissenschaftler und Unternehmer.

Stiftungen und nachhaltige Rhetorik

Dazu passt auch, dass der Stiftungsrat ausgerechnet Luiz Fernando Furlan zum Vorsitzenden gewählt hat. Furlan war Entwicklungsminister in der ersten Amtszeit von Lula da Silva, galt als „König der Legebatterien“ und hat beste Verbindungen zu großindustriellen Kreisen. Nach seiner Ernennung erklärte er: „Ich bin ein ehemaliger Unternehmer und Ingenieur von Beruf. Ich bin kein Umweltschützer. Ich bin dazu da, die Stiftung auszubauen, weltweit Kontakte zu knüpfen und allen Brasilianern zu zeigen, dass hier ein Bundesstaat mit gutem Beispiel vorangeht.“5

Aus Sicht des Öko-Aktivisten Carlos César Durigan hat Amazonas Sustentável eine zweifelhafte Vorbildfunktion, wenn die Stiftung den beteiligten Unternehmen gestattet, ihr Image zu verbessern und mittelfristig enorme Profite zu erwirtschaften. Zwar habe Virgilio Viana bei seinem Ausscheiden aus dem Amt des Staatssekretärs die Bewohner des Regenwalds als dessen eigentliche Beschützer gelobt. Aber „diese Leute erhalten in Wahrheit nur die Almosen der Bolsa Floresta, während die Stiftung mit den Millionen hantiert.“ Er erhebt den Vorwurf, dass die Abläufe bei Amazonas Sustentável „äußerst undurchsichtig“ seien.

Paulo Adario, der Greenpeace-Vertreter in Manaus, ist eine Symbolfigur der brasilianischen Umweltbewegung. Er gibt sich pragmatisch. „Wir müssen dieselben Waffen einsetzen wie unsere Gegner“, sagt er. „In einem Land mit so großen demografischen und sozioökonomischen Problemen wie Brasilien ist die entscheidende Frage, woher das Geld zum Schutz der tropischen Wälder kommen soll.“ Solange Armut herrsche, gebe es für Umweltschutz kaum Spielraum. „Um zu erkennen, was hier wirklich zählt, braucht man nur die Bedeutung der Ministerien für Industrie oder Landwirtschaft mit der des Umweltministeriums zu vergleichen.“ Dieses Missverhältnis war sicher auch der Grund, warum die Umweltministerin Marina Silva, eine zentrale Führungsfigur der Gewerkschaften und der Arbeiter im Amazonasgebiet, Anfang Mai zurücktrat. Sie war verantwortlich für ein Regierungsprogramm der nachhaltigen Entwicklung im Amazonas – das jedoch über bloße Absichtserklärungen nie hinauskam.

Unterstützt durch andere NGOs gelang es Greenpeace, in Brasilien das Programm „Null Abholzung“ ins Leben zu rufen. 416 Millionen Euro aus nationalen wie internationalen Quellen sollen bis 2015 pro Jahr für Infrastrukturmaßnahmen aufgebracht werden, die einen effektiven Schutz vor illegalen Rodungen erst möglich machen. Notwendig sind vor allem viel mehr Kontrollen am Oberlauf des Amazonas sowie neue wirtschaftliche Perspektiven der nachhaltigen Nutzung am Unterlauf. Um die Finanzierung zu sichern, ist es laut Paulo Adario „im Prinzip keine schlechte Idee, von der internationalen Gemeinschaft so etwas wie Ausgleichszahlungen zu verlangen.“ Um zu verhindern, dass die Wälder der armen Länder an die reichen verschleudert werden, schlägt er eine Zuteilung nach Quoten vor. Das soll Geld einbringen, zugleich aber dem „Öko-Ablass der Konzerne“ einen Riegel vorschieben.

Deutlich skeptischer äußert sich der amerikanische Biologe Charles Clement. Er gehört seit 30 Jahren dem brasilianischen Institut für die Erforschung des Amazonas (Inpa) an. Clement setzt sich dafür ein, das Streben nach Wirtschaftswachstum im Regenwald ganz aufzugeben, weil er es für unrealistisch oder gar für reine Heuchelei hält. „So zynisch das auch klingt: Das Einzige, was sich im Amazonasgebiet nachhaltig entwickelt, ist die Rhetorik“, sagt er. Dem Gouverneur Eduardo Braga wirft Clement vor, wider besseres Wissen Illusionen zu wecken.

Wie unterschiedlich die Umweltpolitik von Manaus wahrgenommen wird, zeigten die Schlagzeilen zweier großer Tageszeitungen anlässlich der Verleihung eines Preises von 30 000 Euro an die Stiftung Amazonas Sustentável am 14. April dieses Jahres: A Crítica feierte auf der Titelseite Eduardo Braga für sein vorbildliches umweltpolitisches Engagement. Und Diário do Amazonas berichtete, dass der Bundesstaat verstärkt in die Rinderzucht auf ehemaligem Waldland investieren werde. Zwei Tage später ging aus einer Kurzmeldung in den Nachrichten hervor, dass Eduardo Bragas Wahlkampf von der brasilianischen Agrarlobby mitfinanziert wurde. „Braga ist eben ein Spiegel der Politik in diesem Land“, sagt Carlos César Durigan. „Einerseits schafft er Schutzgebiete, andererseits lässt er zu, dass im Regenwald Weideland für die Viehzucht entsteht.“6

Auch für Ana Paulinha Aguiar Soares ist klar, dass sich die privaten Investoren von ihrem Engagement für den Regenwald einen „Öko-Ablass“ erhoffen. In ihren Augen liegt das Problem jedoch viel tiefer. Die Geografin an der staatlichen Universität in Manaus und Sympathisantin der Landlosenbewegung MST hat untersucht, wie sich staatliche Stellen und private Unternehmen beim Raubbau am Regenwald gegenseitig in die Hände spielen.

Im Zuge ihrer Nachforschungen stieß sie auf das Sägewerk Gethal, das im Oktober 2005 mitsamt seinen Wäldern vom schwedischstämmigen Multimillionär Johan Eliasch gekauft wurde. Eliasch ist nicht nur Besitzer des Sportausrüsters Head und ehemaliger stellvertretender Schatzmeister der britischen Konservativen, sondern inzwischen auch der „grüne“ Berater des Labour-Premiers Gordon Brown und wichtigste Geldgeber der NGO Cool Earth.

Die 160 000 Hektar Regenwald im Amazonasgebiet hat Eliasch angeblich nur gekauft, um dem Wald besseren Schutz angedeihen zu lassen. Trotzdem drängte er auf eine Änderung des Kioto-Protokolls: Besitzer intakter Wälder (und solcher, die inzwischen wieder aufgeforstet werden) sollten zum Ausgleich handelbare Emissionsrechte erhalten – peinlich für Eliasch, dass er Anfang Juni dieses Jahres von den brasilianischen Behörden der illegalen Rodung von 230 000 Bäumen auf seinem Land überführt wurde.

„Das Geschäft mit den Klimaschutz läuft darauf hinaus, den Wald an internationale Konzerne zu verkaufen“, sagt Soares. „Unter dem Vorwand des Engagements für den Regenwald kaufen private Firmen Land. Was das für die Bewohner und ihre Sozialstrukturen bedeutet, interessiert niemanden.“

Ein Mäzen, der ganz Amazonien verkaufen würde

Am 25. Mai dieses Jahres hat Eliasch in der Tageszeitung O Globo vorgeschlagen, man solle ganz Amazonien für 50 Milliarden Dollar verkaufen. Der brasilianische Umweltminister Carlos Minc reagierte empört – anders als vermutlich Eduardo Braga und andere Politiker. Schließlich hatte Eliasch schon 2006 bekundet, dass Braga ihm eine „wertvolle Hilfe“ gewesen sei, wie sich überhaupt sämtliche brasilianischen Politiker äußerst zuvorkommend und verständig gezeigt hätten.7

Die staatliche Landreformbehörde Incra teilte kürzlich mit, dass sich bereits 5,5 Millionen Hektar amazonischer Regenwälder in ausländischem Besitz befinden. Zugleich besteht der Schutz des Waldes in großen Landesteilen ohnehin nur auf dem Papier, und die illegalen Rodungen gehen weiter.

Die Bundesregierung in Brasília ist inzwischen dem Beispiel von Manaus gefolgt: Im Dezember 2007, just zum Ende der Klimakonferenz von Bali8 beschloss sie die Gründung eines eigenen Fonds zum Schutz des Amazonas.9 Am 1. August unterzeichnete Lula in Rio ein Dekret, mit dem der neue Amazonasfonds seine Arbeit aufnahm. Er könnte bis 2021 ein Volumen von umgerechnet 14,7 Milliarden Euro verwalten. Aufgelegt wird er von Brasiliens staatlicher Entwicklungsbank BNDES. Mit den für 2009 noch auf 700 Millionen Euro beschränkten Mitteln sollen Projekte für den Erhalt und die nachhaltige Entwicklung des Regenwalds finanziert werden. Eduardo de Mello, der den Fonds bei der BNDES verwaltet, beteuerte: Spender würden weder mit Steuererleichterungen noch mit Emissionsrechten belohnt. Dennoch soll es unter Staaten und Unternehmen bereits zahlreiche Interessenten geben.

„Wenn man den Kampf gegen den Klimawandel auf die CO2-Emissionen beschränkt, ergibt man sich einer unwissenschaftlichen, ideologisch geprägten und ökonomisierenden Denkweise“, sagt die Pariser Entwicklungssoziologin Florence Pinton. Sie glaubt, Wissenschaftlern und Politiker verschleierten mit ihrem Gerede von ökologischer Innovation nur, dass die Vermarktung des Regenwalds weiter voranschreitet.10 Tatsächlich sieht es so aus, als entledigten sich die privaten Interessenten häufig der lästigen Umweltschutzanliegen zugunsten ihrer Profite. „Wir leben in einer Welt der anarchischen Liberalisierung,“ so Pinton, „und wir geben dem Kapitalismus gerade die Werkzeuge an die Hand, mit denen er den tropischen Regenwald bis in die entlegensten Winkel erobern kann.“

Fußnoten: 1 Gret hat Niederlassungen in 18 Ländern. Ihr Jahresbudget von 1,8 Milionen Euro stammt zu vier Fünfteln aus EU-Mitteln. Siehe www.gret.org. 2 Das rund eine Million Hektar große Schutzgebiet ist Teil der künftigen ökologischen Korridore in Amazonas. 3 Ein Kohlenstoffkredit entspräche der Emission von einer Tonne Kohlendioxid. Danach könnte ein Entwicklungsland Guthaben erwerben, indem es durch den Schutz seiner Wälder Emissionen vermeidet oder bindet. Umgekehrt könnten Industrieländer vor allem in Europa, wo die Emissionsrechte bereits kontingentiert sind, diese über den Umweg von „Ausgleichszahlungen“ unter Umständen weiter erhöhen. 4  Vgl. Leah Temper und Joan Marínez Alier, „Das Öl soll in der Erde bleiben“, Le Monde diplomatique, Mai 2008. 5 Amazonas em Tempo, Manaus, 23. Dezember 2007. 6 Der Bundesstaat Amazonas hat nicht nur mit dem Widerstand der Agrarlobbys aus dem Süden Brasiliens zu kämpfen. Strittig ist etwa auch die Frage, welche Verkehrsverbindung zwischen Manaus und Porto Velho entstehen soll. Eine Straße erfordert großflächige Abholzung, die Eisenbahn wäre dagegen teurer. Von der Schiffbarmachung der Flüsse ist nicht die Rede. Im Rahmen eines Wachstumspakts zwischen Manaus und der Bundesregierung sind außerdem große Wasserkraftwerke mit verheerenden Folgen für Fauna und Flora geplant – wie man aus den Erfahrungen mit dem Staudamm von Balbina lernen könnte. 7 amazonie.wordpress.com/2006/10/31/privati ser-la-foret-amazonienne-facile. 8 Die Bali-Konferenz fand vom 3. bis zum 14. Dezember 2007 statt. Ihr Ziel war ein neues weltweites Anschlussabkommen zur Reduktion der Treibhausgase, das die 2012 auslaufenden Vereinbarungen von Kioto fortführen soll. 9 Wegen der Brandrodungen, die 75 Prozent der CO2-Emissionen Brasiliens ausmachen, ist das Land heute der viertgrößte CO2-Emittent der Welt. 10 Siehe auch Florence Pinton, Catherine Aubertin und Valérie Boisvert, „Les Marchés de la biodiversité“, Paris (IRD éditions) 2007.

Aus dem Französischen von Herwig Engelmann

Jacques Denis ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 14.11.2008, von Jacques Denis