12.12.2008

Ein Herz für Anleger

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Ein Herz für Anleger

Im Steuerparadies Jersey ist die Welt in Ordnung von Olivier Muller-Cyran

Steueroasen austrocknen? „Stimmt, hab ich mal im Radio gehört. Sarkozy scheint da ja einiges vorzuhaben. Aber falls Sie hier jemanden finden, der ihm das abkauft, möchte ich den gern kennenlernen!“ Hektisch lachend drückt der smarte Angestellte seine Kippe aus, dreht sich um und verschwindet in einem der Büropaläste.

An der Marmorfront des Gebäudes blitzen rund fünfzig blankpolierte Messingschilder: Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater, Wirtschaftsanwälte, Verwalter von Briefkastenfirmen. Alle Professionen, die Hilfsdienste für Steuerflucht anbieten, haben sich entlang der Strandpromenade von Saint Helier niedergelassen. In der Hauptstadt von Jersey stehen die Fassaden der Geldhäuser dicht an dicht vor malerischer Kulisse mit Meer und dunstverhangenen Klippen. Von den 90 000 Einwohnern der kleinen Kanalinsel arbeiten mehr als 12 000 im Finanzsektor, ein Viertel der aktiven Bevölkerung.

Wer geglaubt hat, der französische Präsident habe mit seiner „Schockrede“ vom 15. Oktober1 in den Steueroasen Angst und Schrecken verbreitet, sieht sich hier getäuscht. Über Sarkozys Forderung, „die Grauzonen der Finanzwelt zu beseitigen“, war in der Lokalpresse nichts zu lesen. Die Jersey Evening Post, einzige Tageszeitung auf der Insel, machte tags darauf mit der schwachen Vorstellung der heimischen Athleten bei den Commonwealth-Jugendspielen in Indien auf. Ist das schlichte Ignoranz oder Gelassenheit aufgrund realistischer Einschätzung der Verhältnisse?

„Bailiwick of Jersey“ ist der offizielle Name der formell unabhängigen, aber als Kronbesitz (crown dependency) dem Vereinigten Königreich zugehörigen Kanalinsel, die 20 Kilometer vor der französischen Küste liegt. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist weltweit das dritthöchste nach dem von Luxemburg und den Bermudas. Nach Angaben des Finanzanalysten Martin Sullivan überstieg das Gesamtanlagevolumen auf Jersey 2006 erstmals 500 Milliarden Pfund (625 Milliarden Euro).2 Aber das ist natürlich nur ein Bruchteil der 11 500 Milliarden Dollar (9 200 Milliarden Euro), die die Reichsten der Welt in den Steuerparadiesen angehäuft haben.3

Zwischen diesen Steuerparadiesen herrscht ein verbissener Wettbewerb, in dem sich Jersey bislang gut behaupten kann. Bis 2007 wurden die Gewinne ausländischer Unternehmen schon ungewöhnlich gering besteuert. Als dann die Isle of Man als größte regionale Konkurrentin von Jersey die Besteuerung ausländischer Gesellschaften ganz abschaffte, zog Jersey sofort nach. Heute zahlen die multinationalen Konzerne keinen Cent mehr; nur die einheimischen Finanzdienstleister unterliegen noch einer zehnprozentigen Einkommensteuer.

Inzwischen lockt die Insel mit weiteren Erleichterungen speziell Hedgefonds an. Seit dem 1. Januar 2008 kann jeder, der mindestens eine Million Dollar mitbringt, mittels einer maßgeschneiderten Mantelgesellschaft auf den Risikomärkten spekulieren. Dafür ist weder eine Genehmigung nötig, noch wird die neue Gesellschaft in irgendeiner Weise kontrolliert.

Hochbetrieb im Tourismusbüro für Milliardäre

Mit dieser Neuerung habe man „auf die Nachfrage spekulativer Fonds und anderer Anbieter alternativer Geldanlagen reagiert, die ein unreglementiertes Finanzprodukt wünschten“, erläutert ein Sprecher von Jersey Finance Limited, einer halbstaatlichen Gesellschaft, die Investoren die Geldanlage auf der Insel schmackhaft machen sollen. Das „Tourismusbüro für Milliardäre“, wie es hier scherzhaft genannt wird, ist stolz auf seine Bilanz: Im Zeitraum Februar bis Oktober wurden bereits 24 Mantelgesellschaften gegründet. Der Börsencrash mag den Hedgefonds den Ruf ruiniert und die Gewinne geschmälert haben, doch auf Jersey scheinen sie sich nach wie vor wohlzufühlen.

Die eigentliche Spezialität der Insel ist allerdings das Geschäft mit Offshore-Gesellschaften. Diese Gesellschaftsform bietet alle Annehmlichkeiten, die das Anlegerherz begehrt: Da die Firma unter einem fiktiven Namen eingetragen wird, können Eigner nebst Gatten und Erben ihr persönliches Vermögen vor dem Zugriff des Staats schützen. Formal gehört ihnen das Geld nicht mehr, aber faktisch genießen sie ihren Reichtum, ohne einen Cent davon abgeben zu müssen.

Es muss schon einiges schieflaufen, damit die Behörden Anlegern auf die Schliche kommen. Das gelang der britischen Justiz allerdings im Juli 2004, als bei einem Fußballspieler von Arsenal London im Zuge seines Scheidungsverfahrens verdächtige Überweisungen an eine Gesellschaft auf Jersey ans Licht kamen. Die Gesellschaft stand im Verdacht, Prämienzahlungen für Trainer und Spieler gewaschen zu haben, unter anderem für den französischen Fußballstar Thierry Henry.

„Es kommt selten vor, dass ein Kunde erwischt wird“, erklärt ein Kenner der örtlichen Verhältnisse, der anonym bleiben möchte. „Die Inselbehörden unterstützen doch diese Transaktionen. Und die Offshore-Gesellschaften haben nicht nur den Vorteil, dass sie quasi unkontrollierbar sind; sie sind noch nicht mal von den Entwicklungen des Marktes abhängig. Krise hin oder her: Es gibt immer genug reiche Leute, die für ihr Geld einen sicheren Hafen suchen.“

Bleibt die Frage, ob dieses System solide genug ist, um den angekündigten „neuen Kapitalismus“ zu überleben. Könnte das Paradies der reichen Leute untergehen, wenn wahr werden sollte, was der französische Ministerpräsident François Fillon am 14. Oktober lautstark in der Nationalversammlung verkündet hat: „Schwarze Löcher wie die Offshore-Gesellschaften darf es nicht mehr geben.“

Chief Minister Frank Walker, der Regierungschef von Jersey, nahm dazu keine Stellung. Der frühere Bankvorstand von Barclay’s und ehemalige Besitzer der Jersey Evening Post, die 2005 an einen britischen Teilhaber veräußert wurde, leitet ein Kabinett mit zehn Mitgliedern, von denen sechs Multimillionäre sind. Im Rampenlicht steht dabei vor allem der Senator und Geschäftsmann Philip Ozouf, Minister für Wirtschaftsentwicklung und Absolvent der European Business School in London.

Ozouf ist der Erfinder der „Goods and Services Tax“ (GST), einer Steuer von 3 Prozent, die seit 2008 auf alle Waren und Dienstleistungen (außer Finanzdienstleistungen) erhoben wird. Diese Abgabe soll die Verluste durch die neu eingeführte Steuerbefreiung für ausländische Gesellschaften ausgleichen, die ein Loch von jährlich 100 Millionen Pfund (116 Millionen Euro) in den Staatshaushalt gerissen hat. Die GST wird im Übrigen auf alle Produkte des täglichen Bedarfs wie Medikamente oder Schreibwaren erhoben, nicht aber auf den Dieseltreibstoff für Motorjachten. Die Superreichen reagieren ziemlich empfindlich, wenn es um ihre eigene Kaufkraft geht.

Die Bewohner von Jersey, die zuvor nie Mehrwertsteuer entrichten mussten, verstehen beim Thema GST allerdings auch keinen Spaß. Wer nicht zur Offshore-Finanzindustrie oder zur politischen Klasse gehört, hat allen Grund zu schimpfen. „Die neue Steuer? Eine Sauerei! Das ist typisch für diese Insel, wo die kleinen Leute für die Stinkreichen zahlen sollen“, entrüstet sich eine Händlerin im historischen Zentrum von Saint-Helier. Und setzt gleich hinzu: „Aber erwähnen Sie meinen Namen nicht, ich will keine Probleme kriegen.“

Die meisten Unzufriedenen haben Angst, sich öffentlich zu äußern. Auf Jersey gibt es weder eine organisierte Opposition noch mutige, unabhängige Medien. Gewerkschaften sind nur im Krankenhaus und bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben aktiv. Die einzige Arbeitnehmervertretung ist der britischen Gewerkschaft Unite angeschlossen. Aber sie ist Repressalien ausgesetzt und unterliegt Gesetzen, die einer Bananenrepublik alle Ehre machen würden.

Gesetzlich geregelte Arbeitszeiten, Abfindungen, Arbeitslosenversicherung? Fehlanzeige. Das Streikrecht ist drastisch eingeschränkt. „Von Demokratie kann hier nicht die Rede sein“, meint der Gründer von „Time4Change“, einer der wenigen Oppositionsgruppen auf der Insel. Le Cornu ist selbst Jurist in einem Finanzunternehmen. „Das Fehlen sozialer und politischer Freiheiten kommt dem Finanzsektor zugute, der uns im Griff hält und die Gesetze diktiert. Deshalb haben die Menschen Angst. Außerdem haben hier selbst die Ärmeren immer irgendwelche Bekannten unter den Finanzleuten. Und schließlich gibt es noch eine kulturelle Besonderheit: Die Jerseyer sind ursprünglich Bauern, sie haben nie ein Klassenbewusstsein oder eine Gewerkschaftstradition entwickelt wie die Leute in Großbritannien.“

Trotz dieser – für die Regierung – paradiesischen Zustände ist es den Politikern nicht gelungen, der Bevölkerung die Notwendigkeit dieser Steuerreform nahezubringen. In vielen Schaufenstern hängen Schilder mit der trotzigen Aufschrift: „Bei uns zahlen Sie keine GST“. Die Händler begnügen sich lieber mit schmaleren Gewinnmargen, als dass sie das Steuersäckel mit dem Geld ihrer Kunden füllen. Für eine Petition gegen die neue Steuer wurden 19 000 Unterschriften gesammelt, ein historisches Ereignis in diesem Land unter der Käseglocke.

Die lokalen Medien – mehr als die Jersey Evening Post, den Regionalsender der BBC und einen privaten Fernsehkanal gibt es ohnehin nicht – nehmen von diesen Protesten indes kaum Notiz. „Seit der Finanzsektor in den Mahlstrom der Krise geraten ist, kann Jersey mit seinen Vorzügen Sicherheit, Beständigkeit und Stabilität besonders punkten“, schrieb Christine Hebert in der Jersey Evening Post vom 21. Oktober unter dem Titel „Stabile Werte in einer Welt im Wandel“. Solcher Weisheit folgend hielt die Regierung natürlich an der Warensteuer fest.

Andererseits gibt es immer wieder Querköpfe, die sich gegen solche Gesetze auflehnen. Neil McMurray war früher Fischer. Seit er bei der Arbeit eine Hand verloren hat, ist er Hausmann und schreibt lebendige Reportagen, die er in seinem Blog veröffentlicht. Vor kurzem verfolgte er Minister Ozouf mit der Kamera, um ihm eine Erklärung über die verhasste Steuer zu entlocken. Die Szene ist wirklich witzig: Der Minister flüchtet von einem überfüllten Saal in den nächsten, wobei er so tut, als würde er seinen Verfolger nicht bemerken, der ihm unablässig hinterherruft: „Herr Ozouf, nur ein Wort über die GST, hallo, Herr Ozouf?“4

„Als ich noch Fischer war“, erklärt der Notfallreporter McMurray, „war ich neun Monate im Jahr draußen auf dem Meer. Was hier passierte, war mir egal. Seit ich wieder an Land lebe, sind mir die Augen aufgegangen. Unsere Regierung macht, was sie will. Die Armen wählen nicht, sie sind viel zu frustriert. Nur die Reichen stimmen ab und sorgen dafür, dass ihresgleichen an der Macht bleibt.“

In den Augen McMurrays dreht sich alles nur ums Geld: „Die Jungen ziehen weg, weil es außer Banken nichts gibt. Die Finanzwelt ist eine Monokultur, die alles andere plattmacht: Landwirtschaft, Fischerei, sogar den Tourismus. Die Leute sind wütend, aber sie haben Angst. Das ist ein echtes Problem. Der Kameramann, der mir beim Drehen geholfen hat, fühlte sich bedroht. Da hat er lieber aufgehört.“

Ob er davon gehört habe, dass die französische Regierung den Steuerparadiesen den Kampf angesagt hat? „Wer‘s glaubt, wird selig. Ich setze lieber darauf, dass die Finanzwelt durch die Krise endgültig einstürzt. Selbst wenn das eine Menge Leute arbeitslos machen würde, einschließlich meiner Frau. Aber danach sieht es ja im Moment nicht aus.“

Auch ich versuche, Kontakt mit Herrn Ozouf aufzunehmen. Er lehnt ab und verweist mich an seinen Sprecher Geoff Cook. Der war früher Finanzdirektor bei der Bank HSBC. Wie sagte Neil McMurray? „Auf Jersey gehören Politiker und Finanzleute zur selben Zunft.“

Geoff Cook empfängt uns in einem der Salons in der vierten Etage des Bürobaus der Firma Jersey Finance Limited, deren Generaldirektor er seit kurzem ist. Die Wurschtigkeit dieses Mannes wäre beunruhigend, wüsste man nicht, dass er eigentlich ein Freund klarer Worte ist. So hatte er am 16. September in einem Interview mit der Jersey Evening Post den Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers begrüßt, während in aller Welt die Börsianer in Panik ausbrachen. „Unter bestimmten Aspekten ist das eine gute Sache“, hatte Cook damals argumentiert: „Schwache Spieler müssen das Feld räumen, nur so kann man das System befreien.“

Das Finanzsystem befreien? Ob es der französische Staatspräsident nicht anders gemeint hat? „Das ist ein Missverständnis“, meint der oberste Imagepfleger der Insel. „Erstens ist Jersey kein Steuerparadies, sondern ein steuerlich neutrales Territorium. Das ist nicht dasselbe. Zweitens gibt es ein Informationsaustauschabkommen mit den USA, Deutschland und den Niederlanden, demnächst auch mit den nordischen Ländern und Frankreich.

Jeder hat schließlich ein Recht auf Privatsphäre

Was das bedeutet, erläutert Cook so: „Wenn einer der Vertragspartner einen Staatsbürger im Verdacht hat, Gelder an der Steuer vorbei nach Jersey umzuleiten, kann er im konkreten Fall um Auskunft bitten. Natürlich muss die Anfrage begründet sein. Jeder hat schließlich ein Recht auf Privatsphäre, das gilt für unsere Kunden genauso wie für alle anderen. Wenn wir dann das Gefühl haben, dass hier ein ernsthaftes Problem vorliegt, sind wir natürlich gerne zur Kooperation bereit.“

In der Tat hat die OECD im Jahr 2002 Jersey von der schwarzen Liste der Finanzparadiese gestrichen, zusammen mit 26 subtropischen Steueroasen wie den Bahamas, den Cook-Inseln oder Panama. Auf der Liste stehen seitdem nur noch drei Länder (Andorra, Liechtenstein und Monaco).5 Der IWF publizierte ebenfalls 2002 einen Bericht, in dem Jersey für seine „nahezu“ hundertprozentige Einhaltung der „internationalen Normen auf dem Finanzsektor und bei der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung“ gelobt wurde. „Und dennoch“, ereifert sich Cook, „behaupten manche immer noch, dass der Finanzmarkt bei uns nicht reguliert sei. Das stimmt einfach nicht. Wir haben sogar unsere eigene, unabhängige Regulierungsbehörde, die Jersey Financial Services Commission.“

Das lässt sich nicht bestreiten. Der Vorsitzende dieser Kommission heißt Geoffrey Colin Powell, der seit nunmehr drei Jahrzehnten sein Geld mit der Offshore-Finanzindustrie macht. Powell ist einer der engsten Mitarbeiter von Premierminister Frank Walker und neuerdings auch sein Außenhandelsberater.

Am Ende bringt Geoff Cook ein wahrhaft gewichtiges Argument: Weshalb sollte Frankreich ein „schwarzes Loch“ verschwinden lassen, mit dem es gerade einen Kooperationsvertrag vereinbart? In diesem Vertrag geht es um eine freundschaftliche Zusammenarbeit auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens und Vertraulichkeit. Das Abkommen soll in den nächsten Monaten unter Dach und Fach sein.

Einige können es gar nicht abwarten. Am 5. November reiste deshalb eine Delegation aus Jersey unter der Leitung von Chief Minister Frank Walker nach Paris, um die Vertragsverhandlungen zu beschleunigen. Hier wurde die Delegation von Senator Jean-François Le Grand von der Regierungspartei UMP empfangen, der als Präsident des Generalrats im Département Manche seit langem für die Interessen der Kanalinsel eintritt. Höhepunkt des Besuchs war ein Gespräch mit Senatspräsident Gérard Larcher, der zusagte, allen französischen Abgeordneten und Senatoren ein Schreiben des Chief Ministers zuzuleiten. Darin heißt es, Jersey sei „ein gut reguliertes Finanzzentrum, das sich an internationale Regeln hält“.6

Frank Walker ist ein Verkaufsprofi, der weiß, wie man die französischen Abgeordneten um den kleinen Finger wickelt. Da genügt es, ein wenig mit den Geldbündeln zu wedeln, die auf der Insel deponiert sind. „Die Banken auf Jersey sind die solventesten der Welt. Sie sind deshalb wichtige Liquiditätsquellen“ – zumal in einer Zeit, da sich auf dem alten Kontinent das Fehlen solchen Eigenkapitals „schmerzlich bemerkbar macht“. Walker preist die Vorzüge seiner Insel an wie ein Zuckerbäcker, der einem ausgehungerten Kunden seine Sahneschnitten unter die Nase hält. Es sei durchaus denkbar, meint der starke Mann von Jersey, dass Frankreich der Insel in naher Zukunft dankbar sein werde für seinen „wertvollen Beitrag zur wirtschaftlichen Gesundheit Europas insgesamt“.

Das Sparschwein-Argument ist auch deshalb ernst zu nehmen, weil wichtige französische Banken mit Töchtern auf der Insel vertreten sind. Wie etwa die Société Générale, besser bekannt unter dem Namen SG Private Banking, oder BNP-Paribas. Letztere führe von ihrem Haus in der Rue Lamotte im Zentrum von Saint Helier „absolut ehrliche Transaktionen“ durch, wie Geoff Cook betont. Dabei geht es natürlich nicht um Kredite für Einbauküchen. Hinter vorgehaltener Hand erzählt ein BNP-Mitarbeiter am Tresen einer trendigen Bar, dass sein Unternehmen eher mit der Finanzierung von Erdölprojekten in Südostasien befasst sei. Von der BNP-Pressestelle ist dafür allerdings keine Bestätigung zu erhalten.

Für die Reichsten ist der Steuerrabatt am größten

Auch die nichtfranzösischen Unternehmen auf Jersey pflegen in der Regel gute Beziehungen zu Paris. Zum Beispiel PricewaterhouseCoopers und Deloitte, zwei multinationale Audit-Unternehmen, also Wirtschafts- und Unternehmensprüfer. Beide sind dank ihrer Expertise in Sachen Steuerflucht auf der Insel sehr präsent. Auch der französische Staat gehört zu ihren Kunden. Beide Unternehmen wurden mit der „Allgemeine Überprüfung der Politiken der öffentlichen Hand“ (RGPP) betraut, einem Reformprojekt der Regierung Sarkozy. Dabei sollen sie jedes Ministerium darauf untersuchen, welche und wie viele Stellen dort gestrichen werden können.7

„Es stimmt“, erklärt Geoff Cook, „dass bei uns die Reichen weniger Steuern zahlen als die Armen. Aber das rührt von einer kulturellen Differenz. Bei Ihnen denken die Leute, dass die Reichen nur wegen ihrer Steuern wichtig sind. Hier haben sie andere Möglichkeiten, sich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, zum Beispiel, indem sie wohltätige Dinge tun.“

Mit großem Eifer erläutert der Marketingchef von Jersey das Steuersystem der Insel: Alle zahlen 20 Prozent, außer die ganz Reichen. Für die gilt ein Staffelrabatt, der sich mit der Größe des Vermögens erhöht: „Die Reichsten zahlen 20 Prozent auf die erste halbe Million, und dann schrittweise immer weniger.“ Das heißt, dass sie für einen Teil ihrer Anlagen gar nichts mehr zahlen.

Um noch mehr Milliardäre auf dieses Fleckchen Erde zu locken, hat sich die Regierung von Jersey eine neue Steuerklasse einfallen lassen. Die „1 (k) 1“ ermöglicht es den liebsten Bürgern des Landes, ihren Steuersatz direkt mit den Finanzbehörden auszuhandeln. Mit den meisten einigt man sich auf 0 Prozent. Die zahlen dafür eine Jahrespauschale von 100 000 Pfund (116 000 Euro). Außerdem müssen sie sich „verpflichten, ihrem Aufnahmeland etwas Gutes zu tun, indem sie für gemeinnützige Zwecke spenden“, erläutert Geoff Cook mit sichtlichem Stolz.

Kein Wunder, dass das Wort „Regulierung“ bei Kennern des Systems nur ein Grinsen auslöst. „Wen interessieren hier schon Steuergesetze? Berater und Anwälte finden immer einen Weg, um sie zu umgehen“, erklärte 2004 ein Steuerberater von Moore Stephens, einer der größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften weltweit.

„Jeder, der in diesem Bereich schon mal gearbeitet hat, weiß doch, mit welcher Akribie ganze Schwärme von Juristen jede neue staatliche Kontrollmaßnahme so lange unter die Lupe nehmen, bis sie alle Schwächen und Schlupflöcher gefunden haben“, sagt John Christensen, der früher im Finanzsektor von Jersey tätig war.

Der Mann kennt sich aus: „Selbst wenn die Steuerbehörden einer verdächtigen Zahlung auf die Spur kommen, haben die Offshore-Unternehmen immer noch einen Vorsprung. Beim ersten Alarmzeichen leiten ihre Dienstleister die Gelder auf ein neues Geheimkonto um. Und schon ist die Gefahr gebannt. Wir nennen das die Fluchtklausel. Natürlich lassen sich die Fluchthelfer ihre Arbeit teuer bezahlen. Aber das ist billig im Vergleich zu den Summen, die auf diese Weise vor dem Fiskus gerettet werden können.“8

Soll das Schlupfloch Jersey wirklich „gestopft“ werden? Wohnungsbauminister Terry Le Main glaubt nicht daran. Er selbst hat kein allzu großes Vermögen angehäuft, aber das stammt wenigstens aus einem Wirtschaftszweig, in dem mit reellen Gütern gehandelt wird: mit Gebrauchtwagen. Da lässt sich zwar nicht so viel Geld machen wie mit den Offshore-Gesellschaften, aber schlecht scheinen seine Geschäfte nicht zu laufen. Auf der Insel von dreizehn mal sieben Kilometern Fläche fahren auffällig viele quietschbunt lackierte Rennautos herum.

Der rund siebzigjährige Minister hat keinen Zweifel daran, dass die Beziehungen zwischen Jersey und Frankreich die Krise überdauern werden: „In Wirklichkeit geht es den Franzosen doch gar nicht um die Steuerparadiese. Was sie ärgert, ist, dass sie selbst keine Geschäfte machen können, ohne einen Haufen Steuern zu zahlen. In Frankreich werden die Unternehmen von den Gewerkschaften kontrolliert. Sarkozy will damit jetzt Schluss machen. Deshalt stehen wir voll und ganz hinter seinen Reformvorschlägen.“

Fußnoten: 1 So Le Monde, 17. Oktober 2008. 2 Siehe The Guardian, „Stear Clean of those Channel Island ‚havens‘“, 11. Oktober 2008. 3 Schätzung, die die NGO Tax Justice Network in ihrem Bericht „The Price of Offshore“ (London, März 2005) veröffentlicht hat. Die Autoren dieser Studie haben errechnet, dass eine Steuer von 30 Prozent allein auf die Zinsen dieses enormen Betrags jährliche Einnahmen von 255 Milliarden Dollar bringen würde. Das ist fast dreimal so viel wie die weltweiten Entwicklungshilfezahlungen. 4 voiceforchildren.blogpost.com/2008/10/came ra-shy.htlm. 5 Die Organisation Transparency geht von rund 50 solcher „unkooperativer Steueroasen“ aus. Deshalb soll die OECD ihre Liste erweitern. 6 „French Friendship ‚led to Paris‘“, Jersey Evening Post, 6. November 2008. Auch auf der Regierungswebsite der Kanalinsel ist zu lesen: „Jersey unterstützt und begünstigt keine illegalen Praktiken der Steuerflucht oder Geldwäsche und hat das auch noch nie getan.“ 7 Vgl. „Au congrès des coupeurs de tête“, Le Plan B, Nr. 15, Oktober/November 2008; zitiert nach John Christensen, in: „A Game as old as Empire“, hg. von Stephen Hiatt, San Francisco (Bertt-Koehler) 2007. 8 John Christensen, siehe Anm. 7.

Aus dem Französischen von Veronika Kabis Olivier Muller-Cyran ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 12.12.2008, von Olivier Muller-Cyran