13.02.2009

Glaube, Kriege, keine Hoffnung

zurück

Glaube, Kriege, keine Hoffnung

Überlegungen eines besorgten Historikers aus Israel von Tom Segev

Golda Meir pflegte zu sagen, sie hasse die Araber, weil sie die Israelis dazu brächten, sie zu hassen.1 Der jüngste Angriff Israels auf den Gazastreifen scheint nicht nur derselben Selbstgerechtigkeit zu entspringen, sondern auch demselben hasserfüllten Pessimismus. Golda Meir glaubte nie an einen Frieden mit den Arabern. Und die meisten Israelis von heute haben diesen Glauben auch nicht mehr.

Der Militärschlag gegen Gaza war eine erwartete und quasi unvermeidbare Operation. Das Timing schien perfekt. Von der Hamas aus dem Gazastreifen abgefeuerte Raketen schlugen in Städten im Süden Israels ein. Die Öffentlichkeit drängte die Regierung zum Handeln, während die für den 10. Februar angesetzten Parlamentswahlen näher rückten. Israel konnte die letzten Tage der Bush-Regierung ausnutzen, die Nachweihnachtszeit dämpfte das Interesse der internationalen Gemeinschaft, und der klare Himmel über Gaza ermöglichte pausenlose Luftangriffe.

Die genauen Ziele der Operation waren recht vage definiert. Aber Israel ging fest davon aus, dass man den Palästinensern, wie schon so oft, eine harte Lehre erteilen würde. Seit es die zionistische Bewegung gibt, bildet sie sich ein, Gerechtigkeit, Fortschritt und aufgeklärte Vernunft zu verkörpern, während die Araber nur ein primitiver und gewalttätiger Haufen seien. Man musste also den Arabern das wahre Wesen des zionistischen Traums begreiflich machen sowie vor allem die unbeirrbare Entschlossenheit und Kraft der Israelis, diesen auch wahrzumachen.

Sogenannte Arabisten der zionistischen Organisation und später der israelischen Regierung versuchten rastlos und immer wieder, „gemäßigte“ Kräfte in der arabischen Welt zu unterstützen und insbesondere die Palästinenser dazu zu bringen, ihre nationalen Bestrebungen aufzugeben. Da man dieses Konzept mittels Versprechungen und Drohungen, Bestechung und Erpressung verfolgte, sprach man von einer „Zuckerbrot-und-Peitsche-Politik“.

In dieser ganzen langen Zeit gab es etliche Palästinenser, die sich von Israel bestechen ließen, aber nur wenige lieferten dafür die erwartete „Mäßigung“. Die israelische Seite wiederum ging immer wieder repressiv gegen die palästinensische Zivilbevölkerung vor und erwartete gleichwohl, dass diese gegen ihre Führung rebelliert und sie durch „gemäßigtere“ Kräfte ersetzt. Diese Politik hat nie funktioniert. Sie ist auch in Gaza gescheitert.

Als die Hamas-Leute 2007 nach einem kurzen, heftigen Kampf mit ihren säkularen Rivalen von der Fatah die Macht im Gazastreifen übernahmen, verhängte Israel eine Blockade. Damit trieb sie 1,5 Millionen Palästinenser an den Rand einer humanitären Katastrophe und zerstörte für eine ganze Generation die Chancen auf ein lebenswertes Leben. Die Hamas wurde dadurch nur gestärkt.

Um es klar zu sagen: Israelische Städte mit Raketen anzugreifen, ist genauso grausam wie ein Angriff auf Gaza. Und Israel hat wie jedes andere Land der Welt die Pflicht, seine Bürger zu verteidigen. Die unmittelbare Verantwortung für die jüngsten Ereignisse liegt im Grunde in Kairo, denn erst die Korruption und Unfähigkeit der ägyptischen Seite machte es der Hamas möglich, ihre Raketen nach Gaza zu schmuggeln.

Die Hamas ist freilich nicht nur eine terroristische Organisation, sondern auch eine nationale und religiöse Bewegung, die eine Mehrheit der Menschen im Gazastreifen hinter sich hat. Der Versuch Israels, diese Bewegung wegzubomben, hatte wenig Aussicht auf Erfolg. Drei Wochen nach dem Beginn der israelischen Militäroperationen war die Hamas angeschlagen, aber nicht am Ende.

Trotz schrecklicher Verluste an Menschenleben – darunter ganze Familien und hunderte von Kindern – kapitulierte die Hamas nicht. Das hat die Zahl der Opfer natürlich erhöht, zugleich aber wahrscheinlich zur Entstehung eines Mythos vom heldenhaften Widerstand beigetragen.

Tatsächlich kann die Hamas heute einen Großteil der historischen Mythologie Israels für sich reklamieren, bis hin zum Mythos des Kampfes der Wenigen gegen die Vielen, der Schwachen gegen die Starken, von David gegen Goliath. Im heutigen Gaza spricht David Arabisch.

Der jüngste israelische Angriff auf Gaza hat wieder einmal hunderte Reporter aus aller Welt in die Region gebracht. Viele von ihnen fragen sich, warum sich Israelis und Palästinenser nicht einfach dazu durchringen, das Land aufzuteilen. Tatsächlich unterstützt die israelische Führung eine Zweistaatenlösung, die in Israel früher nur die extreme Linke befürwortet hat. Und die Führung der Palästinenser, wenn auch nicht die Hamas, hat sich entschlossen, diese Lösung zu akzeptieren. Dem Anschein nach müssen nur noch die Details eines entsprechenden Abkommens ausgearbeitet werden.

Doch das Problem ist leider viel komplizierter. Denn der Konflikt geht nicht nur um Land und Wasser und gegenseitige Anerkennung. Er geht auch um die nationale Identität. Israelis wie Palästinenser definieren sich über das „Heilige Land“ – und zwar das ganze. Jeder territoriale Kompromiss würde beide Seiten zwingen, einen Teil ihrer Identität aufzugeben.

Im Rückblick wird man den jüngsten Gewaltausbruch höchstwahrscheinlich als weiteren Schritt auf dem langen Marsch in den Wahnsinn wahrnehmen, der 1967 begonnen hat. Kurz nach dem Sechstagekrieg erwog die israelische Regierung die Möglichkeit, hunderttausende Palästinenser aus dem Gazastreifen ins weniger als drei Autostunden entfernte Westjordanland umzusiedeln. Wäre es damals so gekommen, wäre die heutige Situation womöglich weit weniger unauflösbar.

Aber die Pläne blieben in der Schublade, weil einige der mächtigsten Leute in der israelischen Regierung, darunter Menachem Begin und Mosche Dajan, das gesamte Westjordanland exklusiv für jüdische Siedlungen reservieren wollten. Dies war wahrscheinlich der schwerste Fehler in der Geschichte des Landes. Da heute fast 300 000 Israelis im Westjordanland und weitere 200 000 im vormals arabischen Teil von Jerusalem leben, ist es nahezu unmöglich geworden, beiderseits akzeptable Grenzen zu ziehen und einen Frieden zu erreichen.

Aber das Riesenproblem, dass die Israelis zum Abzug aus dem Westjordanland und zur Teilung Jerusalems bereit sein müssen, ist nicht das einzige. Es gibt auch die Forderung der anderen Seite nach dem „Recht auf Rückkehr“ in das heutige Israel, und zwar für alle palästinensischen Flüchtlinge, die während der Kämpfe von 1948/49 aus ihrer Heimat geflohen sind oder vertrieben wurden. Viele von ihnen und ihre Nachkommen leben heute im Gazastreifen.

Zudem wurde dieser irrationale Konflikt in den letzten Jahren mit dem Aufstieg der Hamas und der wachsenden Militanz einiger jüdischer Siedlergruppen zunehmend religiös aufgeladen. Das machte eine Lösung noch schwieriger. Für islamische wie für jüdische Fundamentalisten ist der Anspruch auf das Land zum Bestandteil ihres Glaubens geworden, und dieser Glaube zählt für sie mehr als Menschenleben.

Was bedeutet das? Während viele Menschen in Israel wie in Europa und anderen Teilen der Welt müßige moralistische Diskussionen über die Frage führen, welche Seite recht und welche unrecht hat, haben immer mehr Israelis aufgehört, an den Frieden zu glauben. Sie wissen, dass Israel ohne Frieden womöglich nicht überleben kann, aber mit jedem Krieg haben sie ein Stück von ihrem Optimismus eingebüßt. Das gilt auch für mich.

Ich gehöre zu der Generation von Israelis, die an den Frieden geglaubt hat. Am Ende des Sechstagekriegs von 1967 war ich 23 und hatte keinen Zweifel, dass vierzig Jahre später der israelisch-arabische Krieg zu Ende sein würde. Heute glaube ich nicht mehr an eine Lösung des Konflikts. Die Positionen beider Seiten sind inzwischen einfach zu weit auseinander.

Wohl aber glaube ich an ein besseres Konfliktmanagement – wozu auch Gespräche mit der Hamas gehören. Die meisten Regierungen verkünden, sie würden nie mit terroristischen Organisationen verhandeln, aber am Ende tun sie es dann doch. Wir hatten eine ähnliche Erfahrung. Vor vielen Jahren weigerte sich Israel, mit der PLO Jassir Arafats zu sprechen. Und israelische Friedensaktivisten, die es taten, wanderten dafür ins Gefängnis. Doch am Ende sahen wir 1993 den Handschlag zwischen Arafat, Ministerpräsident Jitzhak Rabin und Außenminister Schimon Peres vor dem Weißen Haus in Washington.

Die sogenannten Oslo-Vereinbarungen zwischen Israel und den Palästinensern sind in erster Linie deshalb gescheitert, weil man sie zum Eckstein einer dauerhaften Friedensregelung machen wollte, statt auf ihrer Basis schrittweise ein konkretes Problem nach dem anderen zu lösen. Unter George W. Bush wurde eine weitere diplomatische Fiktion geboren: der sogenannte Friedensprozess. Nach dieser „Roadmap“ zum Frieden hätte der israelisch-palästinensische Konflikt spätestens Ende 2008 gelöst sein sollen.

In Wirklichkeit hat es einen solchen „Prozess“ gar nicht gegeben. Stattdessen ging die Unterdrückung der Palästinenser verschärft weiter, selbst nachdem Israel 2005 mehrere tausend Siedler aus dem Gazastreifen zurückgeholt hatte. Dafür wurden nur noch mehr Siedlungen im Westjordanland hochgezogen.

Viele Israelis setzen jetzt große Hoffnungen auf Barack Obama, einen erklärten Freund Israels. Die neue Regierung in Washington könnte nützlicher und erfolgreicher als die alte sein, wenn sie sich auf den Versuch beschränken würde, den Konflikt beherrschbar zu machen. Sie sollte sich also auf ein begrenztes, aber sehr dringliches Ziel konzentrieren: das Leben für Israelis wie für Palästinenser erträglicher zu machen.

Fußnote: 1 Golda Meir (1898–1978) war eine zentrale Figur der Mapai, der späteren Arbeitspartei, und Ministerpräsidentin Israels von 1969 bis 1974, also auch während des Jom-Kippur-Kriegs von 1973.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke

Tom Segev gehört zu Israels Neuen Historikern und ist Autor unter anderem von „1967: Israels zweite Geburt“, München (Siedler) 2007.

Le Monde diplomatique vom 13.02.2009, von Tom Segev