03.04.2009

Zucker in den Tank

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Zucker in den Tank

José Walter Bautista Vidal erfand 1975 als Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft und Technologie das „Programa Pró-Alcóol“. „Alles begann mit der Ölkrise“, erzählt Bautista Vidal, der an der Universität Stanford in Physik promoviert hat. In den USA konnte er sich damals einen eigenen Eindruck vom desolaten Zustand der Ölfirmen verschaffen. Kaum war er zum Staatssekretär ernannt worden, setzte er seine Idee vom Ethanol als Energieträger um. Die Militärdiktatur unter Präsident Ernesto Geisel (1974 bis 1979) verordnete den Einsatz von Ethanol als Treibstoff und setzte Produktionsmengen und Preise fest.

Ab 1975 konnte man an den brasilianischen Zapfsäulen mit Biosprit auftanken. Der alte Ottomotor musste nur geringfügig umgebaut werden, was jede Werkstatt billig umsetzen konnte. 1979 wurde das erste reine Alkoholauto entwickelt – der Fiat 147. Er fuhr einwandfrei, lediglich beim Starten gab es manchmal Probleme. Umgerechnet 6 Milliarden US-Dollar investierte der Staat zwischen 1976 und 1989 in die Zucker- und Ethanolindustrie.

Einen Rückschlag erlitt das Ethanolprogramm in den 1990er-Jahren. Der Ölpreis war inzwischen wieder gesunken und der Weltmarktpreis für Zucker stark angestiegen. Für die Zuckerrohrproduzenten war es nun rentabler, Zucker statt Ethanol zu produzieren. An den Tankstellen wurde der Biosprit knapp. Das erschütterte das Vertrauen der brasilianischen Kunden in den heimischen Treibstoff. Doch statt sich vom Ethanol abzuwenden, subventionierte die Regierung unter Präsident Fernando Henrique Cardoso (1995 bis 2002) technologische Neuerungen in der Autoindustrie. 2003 stellte VW do Brasil den Flex-Fuel-Motor vor, der sowohl Ethanol als auch Normalbenzin sowie jegliche Mischungen aus beiden Treibstoffen akzeptiert. Das Vertrauen der Autofahrer konnte zurückgewonnen werden. Im Jahr 2007 waren 86 Prozent der neuzugelassenen Autos in Brasilien mit einem Flex-Fuel-Motor ausgestattet.

Inzwischen kommt der Ethanolsektor weitgehend ohne staatliche Subventionen aus. Die meisten Brasilianer unterstützen das Ethanolprogramm. Fast jeder Autofahrer, der sich einen neuen Wagen kauft, will Treibstoff aus Brasilien tanken. „Die Produktion von Ethanol liegt heute in den Händen der großen Unternehmen, die zum Teil zehn Fabriken besitzen“, sagt José Bautista Vidal. „Doch wir müssen auch die Kleinbauern in die Ethanolproduktion einbeziehen. Eine staatliche Institution für erneuerbare Energien könnte dies umsetzen. Im Bereich der Biodieselherstellung funktioniert das schon. Kleinbauern stellen in Kooperativen mit ihrer eigenen Destillerie Biodiesel aus verschiedenen Pflanzen her.“

Laut Bautista Vidal bewirtschaften in Brasilien 5 Millionen Kleinbauern ihren eigenen Acker. „Viele verdienen nichts mit ihrer Ernte und arbeiten deshalb auf den Zuckerrohrplantagen in São Paulo. Die Kleinbauern zusammen könnten jährlich zehnmal mehr Ethanol herstellen als die Großproduzenten. Sie bräuchten lediglich eine kleine Destillerie und einen Abnehmer.“

Bautista Vidal rechnet weiter: Jeder Kleinbauer könnte mit der Herstellung von Zellulose-Ethanol mindestens drei Arbeiter bezahlen. Insgesamt könnten dadurch 15 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden. „Was fehlt, um das zu verwirklichen, sind Investitionen und, wie gesagt, eine staatliche Institution, die sich ausschließlich um die erneuerbaren Energien kümmert“, sagt er. „Getúlio Vargas hat als Präsident Brasiliens in den 1930er-Jahren die Energiekonzerne Petrobras, die Eletrobrás und zahlreiche staatliche Banken gegründet. Und was macht unser Präsident Lula da Silva? Gar nichts.“

Doch die brasilianische Regierung legt Wert auf ihr internationales Renommee. Dass Menschenrechtsorganisationen wie Misereor und Brot für die Welt die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen kritisieren und Umweltschützer wie Greenpeace und Friends of the Earth1 gegen die Zerstörung des Regenwalds protestieren, kann ihr nicht egal sein. Auch die Weltbank warnt vor den Risiken der Förderung von Biokraftstoffen: steigende Lebensmittelpreise, Kampf um Land- und Wasserflächen, die irreversible Schädigung bislang intakter Ökosysteme und indirekte CO2-Emissionen durch die Gewinnung zusätzlichen Ackerlands.2

Die Europäische Union will sicherstellen, dass die Biokraftstoffe in den europäischen Tanks unbedenklich sind. Sie hat im Dezember 2008 als Teil der Richtlinie für Erneuerbare Energien beschlossen, Kriterien für die Nachhaltigkeit von Bioenergie aufzustellen. Hersteller und Händler in Brasilien und anderen Herkunftsländern wie Argentinien, Indonesien und Malaysia sollen die Nachhaltigkeit ihres Agrarsprits mit Zertifikaten unter Beweis stellen. Wie aber die Treibhausgaseffekte genau ausfallen, ist bislang nicht geklärt und Gegenstand laufender Gespräche der EU mit Wissenschaftlern.

Die Regierung da Silva hat inzwischen eine starke Allianz aus den Ministerien, staatlichen Unternehmen und Verbänden geschmiedet, mit dem Ziel, Brasilien international als grünen Energielieferanten zu etablieren. So arbeitet die staatliche Exportagentur Apex seit Februar 2008 eng mit dem Verband der Zuckerrohrindustrie Unica international zusammen. Gemeinsame Niederlassungen entstanden in Washington und Brüssel, eine weitere ist in Ostasien geplant. Das staatliche Agrarinstitut Empraba hat im April 2008 ein Büro in Ghana eröffnet. Und die Entwicklungsbank Banco Nacional de Desenvolvimento Econômico e Social (BNDES) finanziert die Internationalisierung von Unternehmen und Technologien, beispielsweise den Aufbau einer Ethanolproduktion in Ghana.3

Regina Câmara und Nicole Walter

Fußnoten: 1 Friends of the Earth International ist mit 2 Millionen Mitgliedern eines der größten internationalen NGO-Netzwerke für den Umweltschutz. 2 Vgl. Augusto de la Torre, Pablo Fajnzylber und John Nash, „Low Carbon, High Growth. Latin American Responses to Climate Change“, herausgegeben von der Weltbank 2009. 3 Das brasilianische Unternehmen Constran S/A baut für Northern Sugar Resources in Ghana die Produktionsanlagen für Ethanol, das an das schwedische Unternehmen Sekab (Svensk Etanolkemi AB) exportiert wird. Von den insgesamt 306 Millionen US-Dollar werden 260 Millionen US-Dollar von BNDES finanziert.

Regina Câmara in Brasília und Nicole Walter in Berlin sind Journalistinnen.

© Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 03.04.2009, von Regina Câmara und Nicole Walter