14.11.2003

Guinea-Bissau

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Guinea-Bissau

MIT dem Staatsstreich vom 14. September 2003 hat das Militär von Guinea-Bissau eine provisorische Regierung installiert. Der Putsch ist die jüngste Station in einem langwierigen Verfallsprozess, den das westafrikanische Land seit seiner Unabhängigkeit 1973 durchlaufen hat. Damals hatte man die schönsten Zukunftshoffnungen, heute gehört Guinea-Bissau zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt (Least Developed Countries).

In den 1970er-Jahren standen die Völker der ganzen Region unter dem Einfluss von Amilcar Cabral und dessen „Partei für die Unabhängigkeit von Guinea und Kap Verde“ (PAIGC). Guinea-Bissau hatte sich nicht gescheut, dem Ausland die Stirn zu bieten und ein Entwicklungsmodell zu verfolgen, das sich an den Interessen des eigenen Volkes und nicht der neokolonialistischen Mächte orientierte.

Ein solches Projekt, das die Herrscherfiguren in den benachbarten Ländern als ein gefährliches Beispiel betrachteten, musste zum Scheitern gebracht werden.1 Vollstreckt wurde die vorsätzliche Zerstörung der revolutionären Ideale durch eine Gruppe um Premierminister João Bernardo „Nino“ Vieira, der als prominenter ehemaliger Befreiungskämpfer bei der Bevölkerung in hohem Ansehen stand. 1980 stürzte er den ersten guinesischen Staatspräsidenten Luis Cabral (den Bruder des PAIGC-Chefs) und übernahm selbst die Macht. Die Entdeckung eines Massengrabes – Zeugnis eines Massakers, das kapverdischen Nachbarn zugeschrieben wurde – gab ihm die Gelegenheit, den Hass innerhalb der Bevölkerung zu schüren und somit seine eigene Macht zu festigen.

Der einstige Freiheitskämpfer „Nino“ Vieira wurde also zu einem Putschisten, der das Land mit gewaltsamen Methoden unterdrückte. 1998 zettelte er sogar einen Bürgerkrieg an, um zu verhindern, dass ein Parteiausschuss der PAIGC seine Rolle als Waffenlieferant für die Rebellen der Casamance (im Süden Senegals) untersuchen konnte. „Die Macht von Nino Vieira beruhte einzig und allein auf der Angst“, erinnert sich Antonio, ehemals Mitglied der PAIGC: „Nur ganz wenige haben es gewagt, eine eigene Meinung zu vertreten. Es brauchte dich nur irgendjemand anzuschwärzen, und schon musstest du um dein Leben fürchten. In den Gefängnissen wurde gefoltert. Und viele von denen, die wieder freikamen, sind für den Rest ihres Lebens zu Invaliden geworden.“

Guinea-Bissao war ein Land, das nach der Unabhängigkeit die besten Voraussetzungen zu haben schien. Viele Menschen kehrten aus der portugiesischen Diaspora ins Land zurück. Ganz spontan kamen auch qualifizierte Leute wie Chirurgen, Lehrer und Ingenieure, die im Ausland ihre Karriere aufgaben, um das eigene Land aufbauen zu helfen. Ein neues Schulsystem ermöglichte eine Ausbildung für alle. Die Schulbücher waren gratis, auch genügend Lehrkräfte waren vorhanden. Antonio leitete damals mit 22 Jahren bereits eine Schule: „Wir hatten es geschafft, viel mehr Mädchen als bisher in die Schulen aufzunehmen. Wir hatten das alte portugiesische Schuljahr durch einen Ablauf ersetzt, der dem Zyklus unserer Agrargesellschaft besser entsprach. Doch noch bevor alle Neuerungen umgesetzt werden konnten, organisierte Vieira 1980 seinen Putsch, und alles war wieder wie zuvor.“ Damals wurde auch die freie Marktwirtschaft eingeführt. 1991 erfolgte der nächste Schritt mit der Abschaffung des Artikels 4 der Verfassung, der die Partei zum Lenkungsorgan der Gesellschaft machte. Die folgenden Haushaltskürzungen gingen ganz zu Lasten der Sozial- und Bildungsausgaben. Damit wurden alle Bemühungen zunichte gemacht, ein konsistentes Bildungssystem mit neuen pädagogischen Ansätzen auf die Beine zu stellen. „Die Weltbank und der IWF waren der Meinung, dass der Staat nicht mehr für die Bildung zuständig sein könne“, klagen Antonio und Maria (ebenfalls eine PAIGC-Anhängerin der ersten Stunde). „Und das alles, um den staatlichen Haushalt zu stabilisieren, was aber nie gelungen ist.“

Ein Vorfall aus dem Jahr 1987 veranschaulicht am besten das chaotische und stümperhafte Vorgehen der Regierung. Damals hatte das Ministerium für natürliche Ressourcen einheimische Geologen beauftragt, die Bodenbeschaffenheit auf einer der küstennahen Bissagos-Inseln zu analysieren. Tatsächlich jedoch hatte die Regierung schon zuvor einen 260-Millionen-Dollar-Vertrag abgeschlossen, der es einer französischen Firma gestattet, auf diesen Inseln ihren Sondermüll zu entsorgen. Eine Woche später wusste es die ganze Welt, ein französischer Entwicklungshelfer hatte das Geheimnis ausgeplaudert. Präsident Vieira nahm gerade an einem Treffen der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) in Lagos teil. Um sich vor seinen Kollegen nicht zu blamieren, musste er das Projekt stornieren. „Da wir industrielle Erzeugnisse importieren, schien es uns nur normal zu sein, im Gegenzug auch dieses Geschäft zu akzeptieren“, versuchte er nachträglich das Geschäft zu rechtfertigen.

Im Mai 1999 wurde Vieira von seinem langjährigen Waffenbruder General Ansumane Mané abgesetzt. Dank der Vermittlung Frankreichs und Portugals fand er Zuflucht in Gambia. Ansumane Mané wurde bei einem Umsturzversuch im November 2000 getötet. Sein Nachfolger, Coumba Yala, erwies sich als unfähig, das Land zu führen. Guinea-Bissau versank immer tiefer im Elend und im allgemeinen Chaos. Nach dem neuerlichen Staatsstreich am 14. September wurde Yala unter Hausarrest gestellt. Die neuen Machthaber versicherten gegenüber der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (Ecowas), dass sie freie Wahlen organisieren wollen. Fürs Erste haben sie eine provisorische Zivilregierung eingesetzt, die von M. Artur Sanha geführt wird. Angeblich sollen dieses Mal alle Kräfte der Gesellschaft am Übergang beteiligt werden.

Fußnoten: 1 Siehe Istvan Felkaï, „Tenir la promesse faite aux paysans“, Le Monde diplomatique, April 1983. 2 Siehe Jean-Claude Marut, „Raubzüge in der Casamance“, Le Monde diplomatique, Oktober 1998.

Le Monde diplomatique vom 14.11.2003