12.06.2009

Reichtum und Armut der Islamischen Republik

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Reichtum und Armut der Islamischen Republik

Im Iran ist in den letzten 20 Jahren ein staatlich geförderter Monopolkapitalismus entstanden von Ramine Motamed-Nejad

Bei der iranischen Präsidentenwahl im Juni 2009 standen innenpolitische und wirtschaftliche Probleme im Mittelpunkt. Das war auch das letzte Mal der Fall: Die Wahlen von 2005 hatten die „Reformer“ verloren, weil sie in der Amtszeit von Präsident Chatami keine Lösungen für die sozialen Probleme des Landes gefunden hatten. Damals trat Mahmud Ahmadinedschad mit dem Versprechen an, „das Ölgeld an die Menschen auszuzahlen“. Vier Jahre danach können die Wähler die Bilanz seiner Wirtschaftspolitik ziehen.

Seit dem Ende des iranisch-irakischen Kriegs (1988) hat sich das Verhältnis der iranischen Gesellschaft und ihrer politischen Klasse zum Geld radikal gewandelt; gleichzeitig verloren die bis dahin dominierenden moralischen und insbesondere die religiösen Werte erheblich an Einfluss. Als Hauptgrund für diese Entwicklung konstatierte der Soziologe Faramarz Rafi-Pour schon 1998 die Entstehung einer kleinen Schicht, die keine Scheu mehr hatte, „ihren Reichtum zu zeigen“.1 In den frühen 1990er-Jahren förderte Präsident Rafsandschani diese Tendenz, als er iranische Geschäftsleute im Ausland zur Rückkehr aufforderte, um ihren Beitrag zum Aufbau des Landes zu leisten.

Die Mehrheit der Bevölkerung am anderen Ende des sozialen Spektrums erlebte ein Jahrzehnt der Krisen, das ihre Kaufkraft schwächte und ihre finanziellen Probleme verschärfte. Dass die Massen verarmten, während einige wenige mit ihrem Reichtum protzten, brachte Faramarz Rafi-Pour zu dem Fazit: „Die materiellen Werte und der Reichtum als Wert haben triumphiert.“

Das Bedürfnis nach Luxus konnte sich dank der Wirtschaftsreformen, die Präsident Rafsandschani im Januar 1990 mit der Privatisierung der Staatsbetriebe und der Liberalisierung des Außenhandels begonnen hatte, ausleben. Was die Privatisierungen betrifft, so werden in der Presse, aber auch in Berichten staatlicher Kommissionen seit zwanzig Jahren „Unregelmäßigkeiten“ und „mangelhafte Transparenz“ gerügt. Zu den Profiteuren dieser „Eigentumsübertragungen“ gehören vor allem die Leiter der ehemaligen Staatsunternehmen, die sich zur neuen Wirtschaftselite entwickelt haben.

Nach dem Bericht einer Parlamentskommission von 1994 wurden die Anteilscheine für mehr als fünfzig Industrieunternehmen deren Direktoren zu „Vorzugspreisen“ überlassen, und zwar unter Missachtung der gesetzlichen Bestimmungen. Finanziert wurde der Kauf dieser Anteile auch noch über Darlehen der „Gesellschaft für Investitionen in die nationale Industrie“, also mit öffentlichen Geldern. Diese Praxis wurde auch unter den Präsidenten Mohammed Chatami und Ahmadinedschad fortgesetzt.

Eine zweite Quelle für private Profite eröffnete die Liberalisierung des Außenhandels. Die ermöglichte hohe Gewinnmargen nicht nur im legalen Wirtschaftssektor, sondern auch in der Schattenwirtschaft, die vom Schmuggel dominiert wird. In der iranischen Presse werden diese Kreise seit einigen Jahren auch als „Mafia“ bezeichnet. Gemeint sind die Wirtschaftscliquen, die den illegalen Import und die Vermarktung von Lebensmitteln, Fertigwaren und Drogen kontrollieren oder sich darauf verlegt haben, unterschlagene Öl- und Gasmengen ins Ausland zu verkaufen.

In dieser Schattenwirtschaft mischen nicht nur die „großen Basaris“ mit. „Direkt und massiv“ beteiligt sind auch Politiker und Institutionen des Regimes, wobei die Einnahmen der persönlichen Bereicherung, aber auch der Finanzierung politischer Aktivitäten dienen.2 Aus diesen Kreisen erwächst den alten Händlereliten, die noch in den 1980er-Jahren den Ton angaben, eine neue Konkurrenz.

Auch die dominierenden Kapitalgesellschaften sind noch voll im Rennen. Sie haben große Mischkonzerne aufgebaut, die industrielle, finanzielle und Handelsaktivitäten kombinieren. Sie können sich meist aus Eigenmitteln finanzieren, nutzen aber auch gern die finanziellen Sonderkonditionen, die ihnen staatliche und halbstaatliche Institutionen nach wie vor bieten. Und während ihnen öffentlichen Aufträge sichere Profite garantieren, versuchen sie ständig, sich ihren Zahlungsverpflichtungen zu entziehen.

Dieses System ist weder Staatskapitalismus – denn der Staat hat sich aus vielen Wirtschaftszweigen zurückgezogen – noch freie Marktwirtschaft. Die wirtschaftlichen Hauptakteure sind vor allem bemüht, die ganzen staatlichen Regelungen und Restriktionen zu umgehen und keine neuen Konkurrenten hochkommen zu lassen. Man könnte das Ganze daher als Monopolkapitalismus bezeichnen.

Dieser Wandel lässt sich an zwei Beispielen illustrieren. Da gibt es zum einen die großen, meist nach der Islamischen Revolution von 1979 gegründeten Stiftungen, die offiziell nur karitative Aufgaben wahrnehmen. So konnte die Stiftung für die Opfer des Iran-Irak-Kriegs, die schon während dieses Konflikts unter anderem Waffengeschäfte betrieb, nach dem Krieg ihre Aktivitäten kräftig ausweiten. Heute besitzt sie tausende Firmen in Landwirtschaft, Handel und Industrie, in der Tourismus- und sogar in der Luftfahrtbranche.

Die revolutionären Stiftungen zahlen keine Steuern

Den organisatorischen Rahmen für dieses riesige Konglomerat bildet das Finanz- und Kreditinstitut der Stiftung, das eine gigantische Wirtschaftsmacht darstellt. Da sich dieses Institut nicht als „Bank“ bezeichnet, unterliegt es auch nicht den restriktiven Vorschriften der iranischen Zentralbank. Darüber hinaus weigert es sich, irgendwelche Steuern abzuführen. Präsident Mohammed Chatami hatte sich während seiner Amtszeit (1997 bis 2005) vergeblich bemüht, die staatlichen Forderungen durchzusetzen.

Das zweite Beispiel für den Aufstieg großer Wirtschaftsmächte ist der Industriekonzern Iran Khodro, an dem der Staat 40 Prozent der Anteile hält. Als größter Autoproduzent des Nahen Ostens stellt Khodro zusammen mit dem Konkurrenten Saipa auf dem iranischen Automarkt praktisch ein Duopol dar (bei 65 Prozent Marktanteil für Iran Khodro und 35 Prozent für Saipa). Nach Aufhebung der Einfuhrbeschränkungen für Autos schloss Iran Khodro Kooperationsverträge mit einer Reihe ausländischer Unternehmen, die am expandierenden iranischen Markt natürlich sehr interessiert waren.3

Bei diesen Abkommen ging es Khodro darum, seine Vormachtstellung durch Technologietransfers abzusichern, die dazu beitragen, die Qualität der eigenen Fahrzeuge und damit ihre Exportfähigkeit zu verbessern.

Der französische Konzern PSA Peugeot Citroën hatte schon 1992 ein Lizenzabkommen über die Fertigung seines Modells 405 im Iran geschlossen (das Auto ist heute zu 60 Prozent ein iranisches Produkt), und die Kooperation mit Iran Khodro verlängerte sich im März 2001 um eine weitere Periode, als man die Produktion der Modelle 206 und 307 vereinbarte (mit zunächst geringeren iranischen Fertigungsanteilen). Auch Renault ist inzwischen mit den beiden iranischen Autoherstellern im Geschäft. Für das Modell Logan (im Iran „Tondar“ genannt) wurde ein Joint Venture (Renault Pars) gegründet, an dem Renault 51 Prozent Anteile hält, während 49 Prozent Iran Khodro und Saipa gehören (die in diesem Fall gemeinsam auftreten).

Dass Iran Khodro versucht, sich als Anbieter auf dem Weltmarkt zu positionieren, zeigen die Verträge mit dem algerischen Unternehmen Famoval über die Herstellung von Busfahrzeugen und die Gründung von Fabrikationsstätten für das Modell Samande (eine Variante des Peugeot 405) in Venezuela, Syrien, Weißrussland und Senegal. Dieses Auto wird heute bereits nach Algerien, Ägypten, Saudi-Arabien, nach Russland, Armenien, Bulgarien, Rumänien, in die Türkei und in die Ukraine exportiert.

Finanzierungs- und Liquiditätsprobleme treten nicht mehr auf, denn 2000 konnte Iran Khodro ein eigenes Geldinstitut („Parsian“) gründen.4 Parsian hat sich seitdem zur größten Geschäftsbank im Iran entwickelt, die 60 Prozent der Einlagen und Kredite von Privatkunden verwaltet.

Der iranische Präsident Ahmadinedschad hat nach seiner Amtsübernahme im Juli 2005 einige Privatbanken wegen „zweifelhafter“ Darlehensvergabe kritisiert, ohne allerdings seine Drohung, eine Liste der begünstigten Kreditnehmer zu veröffentlichen, wahrzumachen. Die Kritik zielte damals vor allem auf die Parsian-Bank, aber im Grunde wollte die Regierung alle Privatbanken zwingen, ihre Sollzinsen (also ihre Gewinnspanne) herabzusetzen. Im Oktober 2006 spitzte sich dieser Konflikt weiter zu, als die Regierung und die Zentralbank die Abberufung des Präsidenten der Parsian-Bank beschlossen. Doch als sämtliche Privatbanken gegen diese Entscheidung Sturm liefen, musste Präsident Ahmadinedschad sie zurücknehmen – eine schwere Niederlage.

Die Regierung versuchte weiterhin, Kredite in die Realwirtschaft zu lenken, zugleich wurden aber bestimmte Bereiche der Spekulation (vor allem das Immobiliengeschäft) immer interessanter. Die privaten, aber auch die staatlichen Banken begannen – statt Industrieunternehmen zu finanzieren – hohe Hypothekendarlehen zu vergeben und selbst in Immobilien zu investieren.

Auf diese Weise hat sich seit 2005 eine ungeheure Immobilienblase aufgebaut.5 Die platzte im Mai/Juni 2008, als die Regierung dem gesamten Bankensystem die Vergabe neuer Kredite untersagte, einschließlich bereits bewilligter Immobilienkredite, die noch nicht ausgezahlt worden waren. Die Folge war ein drastischer Rückgang der Wohnungsnachfrage. Die von privaten und öffentlichen Banken frisch erworbenen Immobilien verloren erheblich an Wert. Zudem mussten manche öffentliche Institutionen und der Staat feststellen, dass sie – wie viele Immobilienhändler – auf einem Haufen fauler Kredite saßen.

Diese Krise hat vor allem zwei gravierende Folgen. Zum einen können die Banken der Wirtschaft keine neuen Finanzierungshilfen geben – von Dezember 2007 bis Dezember 2008 schrumpfte die Kreditsumme um 67 Prozent.6 Das drückt die Nachfrage nach Investitions- und Konsumgütern und damit die industrielle Produktion. Damit drohen viele Unternehmen in die Krise zu rutschen, weil sie ihre Kapazitäten nicht mehr auslasten können.

Zum anderen waren die Banken nach den erheblichen Wertverlusten nicht mehr bereit oder in der Lage, ihre Schulden bei der Zentralbank zu begleichen. Von September 2007 bis September 2008 wuchsen die Außenstände der Zentralbank – und damit des Staats – um 106 Prozent.7 Und auch der produktive Teil der Wirtschaft wurde in Mitleidenschaft gezogen. Lieferanten – und viele Beschäftigte – konnten nicht mehr ausbezahlt werden.

Die Privatisierungen haben nur einige wenige reich gemacht. Dagegen haben viele Lohnabhängige ihren Arbeitsplatz verloren und ihre Einkommensquellen eingebüßt.8 Die neuen Besitzer der privatisierten Unternehmen betrieben nicht selten den Ausverkauf der Produktionsanlagen und meldeten Konkurs an; oder sie stellten die Zahlung der Gehälter ein und schickten die ganze Belegschaft nach Hause.

Auch die Inflationsrate ging noch einmal steil in die Höhe. Für 2008 lag sie offiziell bei 25 Prozent (nach anderen Schätzungen betrug sie mindestens 50 Prozent), ist aber im ersten Quartal 2009 bereits auf über 60 Prozent angestiegen.

Um den privaten Konsum zu fördern und den Unternehmen neue Absatzmärkte zu erschließen, verlegte sich die staatliche Wirtschaftspolitik seit September 2005 vor allem auf gezielte Maßnahmen zur Kreditvergabe – eine Reaktion auf die sinkenden Realeinkommen der Unterschichten, aber auch des Mittelstands. Wie breit angelegt diese Maßnahmen sind, lässt die lange Liste der staatlich abgesicherten neuen Kreditangebote erkennen, die zum Beispiel für Rentner und Landwirte, für Studenten, frisch verheiratete Paare und Wohnungseigentümer gelten.

Das ändert nichts daran, dass sich weite Teile der iranischen Gesellschaft schon infolge der ständig gesunkenen Realeinkommen immer weiter verschuldet haben. Wie viele Menschen sich aus der Schuldenfalle nicht mehr befreien konnten, zeigt die Zahl derer, die wegen Zahlungsrückständen im Gefängnis sitzen: Das sind derzeit 12 000 (während es in den letzten zehn Jahren insgesamt 20 000 waren).9

Die unnachgiebige Bestrafung der Ärmsten, die den egalitären Idealen der Islamischen Revolution widerspricht, steht in auffälligem Kontrast zur Behandlung der mächtigen Wirtschaftskonglomerate: Gegenüber denen zeigen sich die staatlichen Stellen unwillig – oder unfähig –, die ausstehenden Schulden einzutreiben.

Fußnoten: 1 Faramarz Rafi-Pour, „Entwicklung und Gegensatz. Versuch einer Analyse der Islamischen Revolution und der sozialen Probleme im Iran“ (Pers.), Teheran (Enteschar) 1998. 2 Fariba Adelkhah in ihrer Rezension von: Arang Keshavarzian, „Bazar and State in Iran. The Politics of the Tehran Marketplace“ (2007), in: Sociétés politiques comparées, Nr. 2, Paris, Februar 2008. 3 Die Zahl der verkauften Autos stieg von 2004 bis 2008 von 700 000 auf 1,2 Millionen. 4 Dem Unternehmen gehören 30 Prozent der Parsian-Anteile. Die Gründung privater Banken war seit dem Jahr 2000 zugelassen. 5 Die Immobilienpreise in Teheran stiegen in den letzten beiden Jahren um 200 Prozent. So die Angaben in der Zeitschrift Gosaresch, Nr. 204, Januar 2009. 6 Nach Angaben der Tageszeitung Sarmajeh, 23. April 2009. 7 Sarmajeh, 10. Januar 2009. 8 Nach den offiziellen Statistiken waren 2008 etwa 15 Prozent der Erwerbsbevölkerung arbeitslos. 9 Siehe Jam-e Jam, Teheran, 20. Dezember 2008. Aus dem Französischen von Edgar Peinelt

Ramine Motamed-Nejad ist Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität Paris I (Centre d’économie de la Sorbonne).

Le Monde diplomatique vom 12.06.2009, von Ramine Motamed-Nejad