07.09.2023

In den Straßen von Tehrangeles

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In den Straßen von Tehrangeles

Zu Besuch bei der iranischen Diaspora in Südkalifornien

von Cédric Gouverneur

1. Oktober 2022: Freedom Rally für Iran in Downtown Los Angeles JILL CONNELLY/zuma press wire/picture alliance
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Auf den ersten Blick gleicht der Westwood Boulevard im Zentrum von Los Angeles den anderen schnurgeraden Straßen, die die Riesenstadt in Quadrate teilen. Er beginnt gleich südlich des Campus der University of California (Ucla) und des angesagten Westwood Village mit dem Turm des Fox Theaters, eines Jugendstil-Kinos, das man aus Quentin Tarantinos Film „Es war einmal in Hollywood“ (2019) kennt.

Jenseits der Rochester Avenue glaubt man sich jedoch eher nach Teheran versetzt. Die meisten Ladenschilder sind auf Farsi. Es gibt Teppichhändler und Buchläden, die Bücher auf Farsi und Kalligrafien anbieten. Andere Geschäfte verkaufen türkisblaue Keramik, Teeservice, Wasserpfeifen und Takht-e nard, das iranische Backgammon. Reisebüros bieten ihre Dienste an: Wer aus den USA nach Iran will, muss Zwischenstopps einlegen, weil die beiden Länder seit der Islamischen Revolution von 1979 keine diplomatischen Beziehungen mehr unterhalten. Die Restaurants heißen „Taste of Tehran“ oder „Persian Gulf“. Auf der Straße hört man fast nur Farsi. Sogar der Eingang zur Tiefgarage ist zweisprachig beschriftet.

Iranian Americans leben überall in den USA. Manche meiner Gesprächspartner sind in North Carolina oder Kentucky aufgewachsen, bevor sie sich in Los Angeles niederließen. Doch wie es der in Iran geborene Kevan Harris, Soziologe an der UCLA, zusammenfasst: „Es gibt zwar zahlreiche Chinatowns in den USA, aber nur ein Tehr­angeles.“

Hier und da sieht man die iranische Trikolore mit dem Sonnenlöwen, dem Emblem der 1979 gestürzten Monarchie, oder auch ein Porträt von Schah Mohammad Reza Pahlavi (1919–1980). An Laternen und Ampeln hängen türkisblaue Plakate mit der Aufschrift „Woman, Life, Freedom“.1 Zu Nowruz, dem persischen Neujahrsfest, wurden sie von der Kulturstiftung Farhang aufgehängt. Auch das Porträt der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini, die am 16. September 2022 in Teheran in Polizeigewahrsam starb, ist allgegenwärtig.

Die Verwaltung von District 5 will die Kreuzung Westwood Boulevard und Rochester Avenue in Woman Life Freedom Square umbenennen. An der Kreuzung Wilkins Avenue weist eine Plakette darauf hin, dass man sich am Persian Squarebefindet, dem Zentrum von Tehr­angeles. In den Restaurants gibt es kabab koobideh mit Safran­reis. Hier, fern der Islamischen Republik mit ihren Verboten, trinken die Ira­no­ame­ri­ka­ne­r:in­nen Wein dazu, natürlich kalifornischen. Auch im Ramadan sind Cafés und Restaurants hier tagsüber voll, keine Frau trägt ein Kopftuch, und Bärte sieht man nur bei Hipstern. „Ramadan?“, fragt ein Händler, der ungenannt bleiben möchte, und lacht. „Die meisten hier wissen nicht mal, wann Ramadan ist!“

Nach einer Umfrage der Public Affairs Al­liance of Iranian Americans (PAAIA) bezeichnen sich nur 27 Prozent der Ira­no­ame­ri­ka­ne­r:in­nen als Muslime, 32 Prozent als Agnostiker oder Atheis­ten, weitere 25 Prozent gehören Minderheiten an: Juden, Christen, Armenier, Assyrer, Ba­hai2 , Zoroastrier. Während unseres Aufenthalts sehen wir nur ein einziges Kopftuch, das sehr lässig von einer älteren Dame getragen wird. Die einzigen Religiösen, denen wir in Westwood begegnen, sind zwei Evangelikale, die Schilder schwenken, auf denen sie die Liebe Christi preisen und Sünder zur Reue aufrufen.

Auf dem Friedhof von Westwood, einen Block ostwärts, liegen hunderte Ira­no­ame­ri­ka­ne­r:in­nen, aber nur die wenigsten Gräber sind nach Mekka ausgerichtet. Auf der Stele des 2000 verstorbenen Dichters Nader Naderpour liest man den Hinweis, dass die Rückführung seiner sterblichen Überreste erfolgen wird, sobald die verfluchte Islamische Republik gefallen sei. Im September soll auf diesem Friedhof, auf dem auch Farrah Fawcett und Marilyn Monroe begraben sind, ein Denkmal für Jina Mahsa Amini errichtet werden.

Ira­no­ame­ri­ka­ne­r:in­nen, die praktizierende Muslime sind, wohnen in Orange County im Süden der Stadt. Im September 2018 haben sich hier ein paar Dutzend strenggläubige Schiiten zum Aschura-Fest, dem Todestag des Märtyrers Hussein, Enkel des Propheten Mohammed, öffentlich gegeißelt. „Nichtgläubige Iraner haben sie ausgebuht und gerufen, sie würden der Gemeinschaft Schande machen“, erinnert sich die Journalistin Nilofaar Mansouri. Sie war 2009 während der Grünen Bewegung in Iran festgenommen worden und ist jetzt in Los Angeles Korrespondentin der oppositionellen Medienplattform Iran International.

Roozbeh ist immer noch ein Fan von Mohammad Mossadegh

Religiosität ist aber keineswegs mit der Treue zum Regime der Islamischen Republik gleichzusetzen. Auch vor der schiitischen Moschee an der Motor Avenue, ein paar Kilometer von Westwood entfernt, hängt ein Transparent mit dem Slogan „Woman, Life, Freedom“. Die Gemeinde hat nicht auf unsere Interviewanfrage reagiert.

Fast die Hälfte der Ira­no­ame­ri­ka­ne­r:in­nen hat nach Angaben der PAAIA Angehörige in Iran, manche fliegen sogar in den Ferien hin, oder taten dies zumindest bis September 2022. Alle, mit denen wir gesprochen haben, halten eine Reise nach Iran inzwischen für zu gefährlich, weil die Behörden eine doppelte Staatsbürgerschaft nicht anerkennen.

„Schreibt bloß nicht unsere Namen, wir haben noch Familie in Iran“, bitten uns zwei Händler in Westwood, einer Mitte 40, der andere um die 70. John und James haben wie viele Ira­no­ame­ri­ka­ne­r:in­nen ihre Vornamen anglisiert. „Das können sich die Leute besser merken“, erklären sie uns. „Viele Amerikaner chinesischer Herkunft machen dasselbe.“ Haben sie schon mal Rassismus erlebt? „Nur während der Geiselkrise“, sagt James, der Ältere. „Damals haben wir uns als Italiener oder Latinos ausgegeben.“ Im November 1979 war die US-Botschaft in Teheran gestürmt und das Personal 444 Tage als Geiseln genommen worden.

John erinnert sich nicht daran, aufgrund seiner Herkunft schon einmal diskriminiert worden zu sein: „Hier ist Los Angeles, da kommen alle von anderswo. Es gibt sogar ein äthiopisches Viertel. Die Leute sind offen. Im Süden bei den Rednecks wäre es anders.“

John ist 1979 im Alter von sieben Monaten in die USA gekommen. „Meine Eltern haben mich auf ein Pferd gebunden, und kurdische Schleuser haben uns über die Berge gebracht. Ein paar Monate vor dem Sturz des Schahs hat ein Amerikaner meinen Vater gewarnt, dass die Mullahs die Macht übernehmen würden. Aber mein Vater wollte es nicht glauben.“ Andere Iraner haben es vorher kommen sehen und sind schon 1976 oder 1977 emigriert. „Sie haben hier investiert. Heute ist ihr Land das 20-Fache wert, sie sind sehr reich geworden.“

Zuwanderer aus Iran gelten in den USA als sozial erfolgreich: Viele arbeiten im Immobi­lien­sektor, als Ingenieure oder Informatiker, oft als Unternehmerinnen. Dara Khosrowshahi, der Gründer von Uber, Pierre Omidyar, der in Paris aufgewachsene Gründer von Ebay, und Bijan Pakzad, der 2011 verstorbene Modemacher, sind gern genannte Beispiele. „Ich war bei Hochzeiten, die 300 000 Dollar gekostet haben“, erzählt John, ergänzt aber: „Man darf nicht übertreiben. Mit dem, was ‚Shahs of Sunset‘ zeigt, haben wir nichts zu tun.“ Die Reality-Serie lief von 2012 bis 2021 bei Bravo und setzte den Reichtum von Ira­no­ame­ri­ka­ne­r:in­nen in Beverly Hills in Szene.

Nicht wenige aus der iranischen Diaspora leben im Reichenviertel Beverly Hills. Von 2007 bis 2013 gab es dort sogar einen iranischstämmigen Bürgermeister, Jimmy Delshad. Er wurde 1939 in Shiraz in eine jüdischen Familie geboren und verließ Iran als 20-Jähriger mit seinen Brüdern. „Wir lebten in Minnesota. Um unser Studium zu finanzieren, haben wir eine Band gegründet, The Delshad Trio, und bei Hochzeiten gespielt. Ich habe die Santur gespielt“, erinnert er sich lächelnd. „Als ich nach Los Angeles kam, wohnten hier nur sehr wenige iranische Familien.“

Abgesehen von einer Handvoll Händler, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Chicago niedergelassen hatten, gab es bis zum Sturz des Schahs in den Vereinigten Staaten nur wenige Einwanderer aus Iran. Während nach der Islamischen Revolution viele flüchteten, kehrten viele junge Leute, die vor 1979 zum Studium in die USA gekommen waren, nach Hause zurück, weil sie auf eine demokratische Entwicklung hofften. „Wir waren für Freiheit und Gleichheit zurückgekommen und wurden verhaftet“, seufzt Farih, der anonym bleiben möchte. „Chomeini hat die Revolution geklaut.“

Der Soziologe Kevan Harris formuliert es so: „Nach der Islamischen Revolution ist die iranische Linke mit einem mächtigen Kater aufgewacht. Für sie war der Schah eine Marionette der Imperialisten. Und dann standen sie mit Chomeini da.“ Wer die Repressionen überlebte, kam lieber wieder in die USA zurück. Es folgten weitere Einwanderungswellen von Oppositionellen: religiöse und ethnische Minderheiten, Eltern, die ihre Kinder während des Kriegs gegen den Irak (1980–1988) vor dem Wehrdienst bewahren wollten, Deserteure, Aufständische der Unruhen von 1999, 2009 und schließlich von 2022.

Bahman, ein redseliger Mietwagenchauffeur, hat im Krieg gegen den Irak gekämpft. Er erzählt uns, dass er desertiert sei, als ihn das Regime in die Militärpolizei stecken wollte. Das sind diejenigen, „die auf Demonstranten schießen“. Auf seinem Handy zeigt er uns Videostills, auf denen er neben Filmstars zu sehen ist. „Ich bin Statist in Hollywood. Das war mein Traum!“ Ein Taxifahrer gesteht bitter, er sei „einer der Schwachköpfe gewesen, die die Islamische Revolution mitgemacht haben. Ich bin abgehauen, als ich gesehen habe, in welche Richtung sich das entwickelt: Unterdrückung und Korruption.“

Fred blieb keine andere Wahl, als zu gehen: „Nach 2009 war es für mich als Bahai unmöglich, in Iran Arbeit zu finden.“ Parisa ist vor 20 Jahren geflohen. „In den ersten Monaten meines Exils in der Türkei habe ich mich nicht getraut, den Hi­dschab abzulegen. So sehr hatte ich die Unterdrückung verinnerlicht“, erinnert sie sich. Reza, um die 40, ist vor zehn Jahren in die USA gekommen: „Ich habe 1999 und 2009 demonstriert … Ich bin nicht gläubig, meine Eltern waren es auch nicht. Die Islamische Republik ist von der Realität im Land völlig entkoppelt.“

Die zu Anfang weitgehend monarchistisch gesinnte iranoamerikanische Gemeinschaft ist über vier Jahrzehnte vielfältiger geworden. Nach einer Meinungsumfrage der PAAIA sind nur noch 12 Prozent Anhänger einer Restauration.3 „Es hängt davon ab, wen man als Monarchisten ansieht“, relativiert Kevan Harris, „solche, die die Monarchie nostalgisch verklären, oder solche, die tatsächlich vom Pahlavi-Regime profitiert haben.“

Der 60-jährige Eric, dessen Onkel von den Schergen des Schahs getötet wurde, sagt, er habe den Monarchen trotzdem geschätzt. „Er liebte sein Land und sein Volk. Ich wünsche mir seinen Sohn auf den Thron.“ Dieser Sohn, Reza Pahlavi, geboren 1960, lebt in Maryland an der US-Ostküste. Und er ist einer konstitutionellen Monarchie nicht abgeneigt. Eric hat im September 2022 aus Empörung über die Ermordung eines nahen Verwandten nach einer Demonstration seinen iranischen Pass verbrannt. Nasrin Rahimieh, frühere Direktorin des Fachbereichs für persische Studien an der Universität in Irvine, südlich von Los Angeles, erinnert sich sehr gut an die Zeit der Monarchie. „Das Schahregime hat das Volk zum Aufstand getrieben. Ich war damals ein Kind, aber ich vergesse nicht, dass wir außerhalb der Wohnung nichts sagen durften, dass Angst die Gesellschaft beherrschte. Menschen verschwanden. Wenn sie wieder auftauchten, waren sie von der Folter gebrochen.“

Sie erinnert auch an die Misswirtschaft, die Megalomanie und die absurden Feierlichkeiten zum 2500. Jahrestag der Monarchie 1971 in Persepolis. „Es war wie ein gigantischer Historienschinken!“ Dabei sei die Kontinuität der Monarchie ein Mythos: „2500 Jahre lang haben sich die Dynastien gegenseitig massakriert. Auch der Schah war der Sohn eines Putschisten.“ Dieser Reza Khan war der Anführer einer Kosakenbrigade, der 1921 mit Hilfe der Briten putschte, 1925 den Schah absetzte und selbst den Thron bestieg.

60 Prozent der Ira­no­ame­ri­ka­ne­r:in­nen wünschen sich eine parlamentarische Republik, nur 12 Prozent wollen eine reformierte Islamische Republik. Derartige Hoffnungen wurden 2005 allerdings hinweggefegt, als der konservative Mahmud Ahmadinedschad auf den Reformpräsidenten Mohammed Chatami folgte. „Wahlen sind der letzte Baustein der Demokratie, nicht der erste“, resümiert Roozbeh Farahanipour, Präsident der Handelskammer von Westwood.

Er ist Zoroastrier und bezeichnet sich als Anhänger Mohammad Mossadeghs – den er „Mossy“ nennt. Mossadegh war Ministerpräsident des Iran und wurde 1953 durch einen von der CIA angezettelten Staatsstreich gestürzt, weil er die Anglo-Iranian Oil Company verstaatlicht hatte. 1999 war Farahanipour einer der Anführer bei Studentenprotesten. „Ich wurde verhaftet und gefoltert“, erzählt er. „Dann gegen Kaution freigelassen. Kurz vor meinem Prozess hat eine Zeitung aus Versehen bereits mein Todesurteil veröffentlicht! Dieser Schnitzer hat mir das Leben gerettet. Ich bin im Laderaum eines Autobusses in die Türkei geflohen.“

Im Mai 2000 kam er nach Westwood. „Man borgte mir 300 Dollar, gab mir ein Zimmer über einem Lebensmittelladen und einen Aushilfsjob.“ Nun hat Farahanipour gerade sein drittes Restaurant auf dem Westwood Boulevard eröffnet: diesmal ein typisch amerikanisches Diner, geschmückt mit Hollywood-Devotionalien.

Der unermüdliche Oppositionelle war im Sommer 2009 sogar noch einmal illegal in Iran, um die Grüne Bewegung zu unterstützen. „Ich war mit einem Satellitentelefon in den Bergen und musste umkehren, bevor ich Teheran erreicht hatte. Zu gefährlich.“ Er zeigt uns einen Versammlungssaal, in dem Porträts von „Mossy“ und Mahatma Gandhi hängen. „Hier treffen sich die iranischen Oppositionellen aller Fraktionen, wir arbeiten für den Sturz der Islamischen Republik. Das könnt ihr ruhig schreiben, mir machen sie keine Angst“, versichert er.

Es gibt nämlich auch iranisch-amerikanische Re­gime­an­hän­ge­r:innen, 7 Prozent nach der Erhebung des PAAIA. Im Oktober 2022 haben sie sein Restaurant Persian Gulf verwüstet, wo ein Tisch an die Märtyrer der Woman-Life-Freedom-Bewegung erinnert. Immer wieder zieht die iranische Presse über ihn her. „Sie haben mir sogar Vorwürfe gemacht, weil ich ein griechisches Restaurant eröffnet habe. Für sie ist das der Beweis, dass ich Iran hasse, weil Persien und Griechenland in der Antike Feinde waren!“ Er lacht. Auf dem Tisch seines Versammlungssaals wartet eine Flasche Champagner auf ihre Stunde. „Die ak­tuel­le Protestbewegung ist das letzte Kapitel des Islamischen Regimes. Aber manchmal sind letzte Kapitel lang …“

Agenten des Regimes haben versucht, die ira­no­amerikanische Journalistin Masih Ali­ne­dschad, die sehr aktiv in den Medien und den sozialen Netzen ist, in New York zu entführen. Manche Leute in Westwood sind überzeugt, dass es auch unter ihnen Spione gibt. Auf der anderen Seite gibt es in Los Angeles auch Veteranen der Savak, der für ihre Brutalität berüchtigten politischen Polizei des Schahs.

Im Februar 2023 sorgte die Teilnahme eines früheren Savak-Offiziers bei einer Unterstützungsdemonstration für die Woman-Life-Freedom-Bewegung in der Community für Empörung. „Das ist ein Generationenproblem“, meint die Journalistin Nilofaar Mansouri. „Für manche alten Monarchisten hat die Savak gegen den Terrorismus gekämpft. Für meine Generation gibt es keinen Unterschied zwischen der Unterdrückung durch die Savak und der Unterdrückung durch die Islamische Republik. Das Regime hat das Foto des Savak-Mannes auf der Demonstration benutzt, um unseren Protest zu diskreditieren.“

Die iranoamerikanische Community ist sich einig in ihrer Unterstützung der Protestbewegung, zerfleischt sich aber bei der Bewertung der monarchistischen Vergangenheit und bei der Frage der Sanktionen. Wer ihre teilweise Rücknahme fordert, gilt gleich als Unterstützer der Islamischen Republik und zieht wüste Beschimpfungen in den sozialen Netzen auf sich.

Schon die Unterzeichnung des Atomabkommen 2015 (aus dem sich die USA unter Donald Trump dann 2018 zurückgezogen haben) hatte große Diskussionen ausgelöst, erinnert sich Morad Ghorban, Direktor des PAAIA: „Viele waren für das Abkommen in der Hoffnung, es werde die Islamische Republik dazu bringen, sich anders zu verhalten, sich zu normalisieren.“

Aktuell wird die Zahl der US-Bürgerinnen und -Bürger iranischer Herkunft auf mindestens eine halbe Million geschätzt. „Nach den letzten Zählungen sind es 498 000“, präzisiert Ghorban. „Doch auf den Fragebögen kann man „Iranian“ gar nicht ankreuzen. Wahrscheinlich sind wir zwischen einer und anderthalb Millionen.“ Fest steht jedenfalls, dass die enge Gemeinschaft in Los Angeles weitgehend unter sich bleiben kann. „Ihr habt sicher gemerkt, dass manche Iranoamerikaner kaum Englisch sprechen, oder?“, fragt uns Reza. „Sie brauchen es nicht. Mit Farsi kommen sie bestens durchs Leben.“

Alle warten auf das Ende der Islamischen Republik

Die Ältesten, die 1979 gekommen sind, sind nicht die Einzigen, die fast ausschließlich ihre Muttersprache benutzen. Die 40-jährige Parisa Farhadi, Redakteurin des Radiosenders Voice of America in Farsi, hat Iran vor 20 Jahren verlassen. „Einmal habe ich mit einer amerikanischen Bekannten gegessen, die ich lange nicht gesehen hatte“, erzählt sie. „Da ist mir aufgefallen, dass ich seit vier Jahren kein richtiges Gespräch mehr auf Englisch geführt hatte! Mein ganzes berufliches und soziales Leben findet auf Farsi statt.“

Reza beobachtet eine Spaltung innerhalb der Community. „Die von 1979 konservieren meiner Meinung nach mit ihren Schahporträts und der ganzen Siebzigerfolklore eine eingefrorene Vi­sion des Iran. Ich bin in einem anderen Iran aufgewachsen. Das ist nicht nur eine Generationenfrage. Die Leute in meinem Alter, deren Eltern 1979 hergekommen sind, sind mit Hollywood-Blockbustern groß geworden, während ich in meiner Jugend in Teheran mit meinen Freunden heimlich Filme von Pedro Almodóvar oder Emir Kusturica getauscht habe.“

„Die von 1979“ haben auch lange gebraucht, ehe sie sich in das demokratische Leben der USA eingebracht haben. Delshad, der frühere Bürgermeister von Beverly Hills, erinnert sich an seinen ersten Wahlkampf: „Die Iranoamerikaner haben sich nicht in die Wählerlisten eingetragen. Sie hatten noch so eine Koffermentalität, sie dachten, sie würden eines Tages nach Iran zurückkehren. Ich habe ihnen erklärt, selbst wenn die Islamische Republik fallen sollte, würden ihre amerikanischen Kinder nicht in Iran leben wollen. Und dass sie deshalb hier wählen müssen.“

Er selbst hat sich in seinen Anfängen in der nahe gelegenen Synagoge engagiert, „um Aschkenasim und Sephardim zu versöhnen“. Kurz nach dem 11. September fragte er einmal auf der Straße nach dem Weg, und jemand sagte zu ihm, er solle „nach Hause zurückgehen“, erzählt er. „Da habe ich mich in die Politik gestürzt, um das Bild der Einwanderer aus dem Nahen Osten zu ändern.“

Das Bild der iranoamerikanischen Diaspora in den USA hat sich auch durch den gegenwärtigen Aufstand in Iran gewandelt, stellt Ghorban fest: „Die amerikanische Öffentlichkeit sieht, dass sich die Iranerinnen mutig auflehnen und dass wir sie unterstützen, also nicht hinter dem Regime der Islamischen Republik stehen.“ Die US-Medien berichten über die Solidaritätsdemos der iranoamerikanischen Gemeinschaft in Los Angeles. Im Februar 2023 wurde die Protestbewegung der großen amerikanischen Öffentlichkeit bekannt, weil der iranische Sänger Shervin Hajipour für seine Protesthymne „Baraye“ einen Grammy erhielt.

Während der Präsidentschaft von Donald Trump litt die iranoamerikanische Community unter dem 2017 erlassenen „Travel Ban“, der Bürgerinnen und Bürgern aus sieben muslimischen Staaten, darunter Iran, die Einreise in die USA fast unmöglich machte. „Dabei haben viele Ältere Trump gewählt, auch wenn sie es nicht öffentlich zugeben“, vermutet Reza. „Sie verachten Trump, den Kulturbanausen. Aber sie dachten, mit seiner Brutalität würde er das Regime vielleicht gewaltsam stürzen!“

Seine Generation habe hingegen die Demokraten gewählt. „Bei Trump gibt es zu viel, was an Ahmadinedschad erinnert.“ Nach Angaben der PAAIA befürworten nur 18 Prozent der Irano­ame­ri­ka­ne­r:in­nen eine Militärintervention aus dem Ausland, um das Regime zu stürzen. Sogar Farahanipour, der sein Restaurant Persian Gulf mit diversen Objekten aus dem Golfkrieg von 1991 schmückt, ist dagegen: „Kein Krieg bringt Demokratie.“

Narges Hamzianpour und Farid Kia betreiben eine Galerie am Wilshire Boulevard, sie vertreten vor allem iranische Künstler:innen. An einem Aprilabend zeigen sie großformatige Drucke von Protestfotos, die außer Landes gebracht wurden: Die Einnahmen aus dem Verkauf gehen an iranische Fotoreporter, die heimlich vom Aufstand berichten. Exi­li­ra­ne­r:in­nen aller Generationen sind gekommen, trinken ein Glas Wein und warten voller Zuversicht auf den Erfolg der Bewegung.

Mahi Mokhtari ist erst vor drei Jahren in die USA gekommen. Die junge Frau trägt das Por­trät ihres Bruders Mohammad als Tattoo auf dem Unterarm, der 2011 bei einer Demonstration getötet wurde. „Durch die sozialen Netzwerke ist es einfacher geworden, sich auszutauschen und der ganzen Welt von unserem Kampf zu erzählen“, sagt sie. Reza, Veteran der Demonstrationen von 1999 und 2009, stellt fest, dass die neue Generation viel mehr Schlagkraft hat: „Wir haben unter der Hand Videokassetten ausgetauscht, sie haben VPN, mit dem sie die Zensur umgehen und Videos auf Youtube posten können.“

Doch auch das Regime nutzt die modernen Technologien. Die Überwachungskameras, die in Teheran fast an jeder Straßenecke angebracht sind, setzen Gesichtserkennungssoftware ein, um die Frauen zu identifizieren, die gegen das Kopftuchverbot verstoßen.

1 „Frau, Leben, Freiheit“ lautet der zentrale Slogan der jüngsten Protestbewegung in Iran; siehe Mitra Keyvan, „Iran – die Mauer aus Angst ist gefallen“, LMd, November 2022.

2 Die Bahai lehren, dass der 12. Imam, den die Schiiten erwarten, in Person Husain-’Ali Nuris (1817–1892) zurückgekommen ist. In Iran werden die Bahai als Ketzer verfolgt; siehe: „Iran: Stop ruthless attacks on persecuted Baha’i religious minority“, Amnesty Interna­tio­nal, 24. August 2022.

3 „National public opinion survey of the Iranian American community“, PAAIA, 2023.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Cédric Gouverneur ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 07.09.2023, von Cédric Gouverneur