11.05.2023

Kohle, Gips und graues Gold

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Kohle, Gips und graues Gold

Die Zementproduktion hat den Nigerianer Aliko Dangote zum reichsten Mann Afrikas gemacht

von Jean-Christophe Servant

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Obajana, Bundesstaat Kogi, im Herzen Nigerias: Die Nacht bricht herein und im Zementwerk, gesichert mit Stacheldraht und Wachttürmen, gehen die Lichter an. Die angrenzende Township versinkt in Dunkelheit. Zwei Welten, getrennt nur durch eine Straße, auf der sich die Sattelschlepper stauen.

„Obwohl er mit unserer Stadt riesige Gewinne macht, hat unser Nachbar noch nichts für uns getan“, erklärt der Schlosser Godwin Agada, der seit 20 Jahren in der Wellblechsiedlung wohnt. „Das Wasser hier kann man nicht mehr trinken, und immer mehr Leute leiden an Asthma. Sie haben zwar zwei Brunnen für uns gebohrt, aber trotzdem fressen wir hier nur Staub. Wir warten immer noch auf den Fortschritt, den uns die Firma Dangote versprochen hat.“

In Afrika ist der Widerstand gegen multinationale Konzerne aus dem Westen oder aus China nichts Besonderes. Doch in Kogi richtet sich der Protest gegen ein Schlüsselunternehmen nicht nur der nigerianischen, sondern der gesamten afrikanischen Wirtschaft:1 Die 1977 gegründete Firma Dangote Cement PLC ist eines der beiden größten börsennotierten Unternehmen Nige­rias (Jahresumsatz etwa 2 Milliarden US-Dollar). Die Zementproduktion ist das Herzstück eines Firmenkonglomerats, an dessen Spitze der 66-jährige Unternehmer und Mäzen Aliko Dangote steht. Er ist der reichste Mann Afrikas; laut Milliardärs-Index der Agentur Bloomberg besitzt er ein Vermögen von 19,6 Milliarden US-Dollar (Stand Ja­nuar 2023).

Der „Prinz von Kano“ (seine Heimatstadt im Norden Nigerias) leitet Firmen in der Lebensmittelindustrie (Mehl, Salz, Teigwaren, Getränke und Verpackungen), im Immobiliensektor und in der Hafenlogistik. Am 24. Januar 2023 wurde seine erste Ölraffinerie in Ibeju Lekki eingeweiht, in der Benzin, Kerosin, Diesel und Polypropylen hergestellt werden sollen. Doch über 85 Prozent seiner Einkünfte zieht der Magnat immer noch aus dem „grauen Gold“ Zement.

Dangote besitzt vier von zehn Zementwerken in Nigeria (siehe Karte); sein Werk in Obajana ist das größte Afrikas. 2003 hat er das Werk mitsamt den Kalksteinbrüchen dem Bundesstaat Kogi abgekauft und nach einer Grundsanierung 2008 wiedereröffnet. Der ehemalige Staatsbetrieb verfügt heute über fünf Fertigungsstrecken. Die Modernisierung und Erweiterung der Anlage plus einer Flotte von 1000 Lkws wurde teilweise mit Krediten über 220 Millionen US-Dollar von der Weltbank und der Europäischen Investitionsbank mitfinanziert. In einem 4,5 Hektar großen Labyrinth aus Rohren, Kaminen, Klinkeröfen und Silos werden jedes Jahr bis zu 13,25 Millionen Tonnen Baustoffe hergestellt. Das ist etwa ein Fünftel der gesamten Zementproduktion der Dangote-Gruppe, die vom Senegal bis Südafrika in zehn Ländern des Kontinents aktiv ist.

Neue Städte, klimatisierte Apartments für die obere Mittelklasse, massiv gemauerte Wohnblöcke in den Randbezirken der großen Metropolen, aber auch Häfen, Brücken und Staudämme – der afrikanische Zementmarkt ist seit Beginn dieses Jahrhunderts im Schnitt um 5 Prozent pro Jahr gewachsen. In Nigeria stieg die Zementnachfrage zwischen September 2020 und April 2021 explosionsartig um 40 Prozent.2 Zwischen 2000 und 2009 verzeichnete die Zementindustrie ein Wachstum von 400 Prozent.3

Die Aussichten sind weiterhin vielversprechend – trotz der Wirtschaftskrise infolge der Coronapandemie und des Kriegs in der Ukraine. Im weltweiten Vergleich verbrauchen die Länder Subsahara-Afrikas zwar viel weniger Zement. Laut dem jüngsten Global Cement Report lag der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch 2021 weltweit bei 591 Kilogramm und in Subsahara-Afrika bei 120 Kilogramm pro Kopf.4 Doch das heißt nicht, dass Dangote keine guten Geschäfte macht. Schließlich kon­trol­liert er die gesamte Wertschöpfungskette und erzielt gute Preise (in Nigeria kostet Zement fast doppelt so viel wie auf dem Weltmarkt).

„Dangote verkörpert den afrikanischen Traum“, erklärt die Geografin und Urbanistin Armelle Choplin von der Universität Genf. „Sein Reichtum, seine Familie und sein Erfolg rufen Res­pekt und Bewunderung hervor, aber auch Neid und Eifersucht. Junge Afrikaner träumen heutzutage davon, Fußballstar zu werden – oder Ze­ment­her­steller. In den 1980er Jahren galt der Hochschulabsolvent als Verkörperung des Erfolgs, jetzt ist es der Unternehmer.“5

Entlang des stark urbanisierten Korridors zwischen Lagos und der ghanaischen Hauptstadt Accra reiht sich Bauhof an Bauhof. Alle verkaufen sie die 50-Kilogramm-Säcke von Dangotes 3X-Zement. Die „Dangote-Methode“ mit ihren „sieben Pfeilern nachhaltiger Entwicklung“, wie es in den Broschüren des Multis heißt, erfährt große Anerkennung in der Geschäftswelt: Dangote Cement bekam kürzlich erneut den afrikanischen „Preis für Nachhaltigkeit, Unternehmertum und Verantwortung“.6 Der Milliardär erzählt gern, sein Konzern unternehme „alle Anstrengungen, seine Kriterien für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen auszurichten“.7 Die soziale Realität vor Ort im Bundesstaat Kogi will allerdings nicht recht zu diesen Worten passen.

Am Morgen des 5. Oktober 2022 versammelten sich nach einem Aufruf des Gouverneurs von Kogi, Yahaya Bello, mehrere hundert Menschen am Eingang des Zementwerks, darunter Angehörige der bundesstaatlichen Bürgerwehr Kogi State Vigilante, Vertreter der örtlichen Behörden und Bewohner der Township.

Aufgestiegen unter Diktator Abacha

Laut einem Gerichtsbeschluss sollte die Fabrik wegen Unregelmäßigkeiten beim Kauf geschlossen werden. Die Menge forderte nur, dass diese Anordnung auch umgesetzt wird. Nach einer angespannten Diskussion mit dem Werkschutz blockierten die De­mons­tran­t:in­nen die Lkw-Zufahrt. Die Besetzung dauerte 48 Stunden. Schließlich schickte die Bundesregierung in Abuja ihre Spezialkräfte, die in Lokoja stationiert sind. Nach dem massiven Polizeieinsatz nahm das Zementwerk seinen Betrieb wieder auf.

Der politische und juristische Streit sei damit jedoch noch nicht beendet, sagt Prinz Mustapha Audu. Der 40-jährige Geschäftsmann ist wie Bello Mitglied des APC (All Progressives Congress), dem auch der scheidende Präsident Muhammadu Buharo und dessen designierter Nachfolger Bola Tinubu, der am 29. Mai vereidigt wird, angehören. Mustaphas Vater Abubakar Audu (1947–2015) war der erste demokratisch gewählte Gouverneur von Kogi, der 1992 das damals noch staatliche Zementwerk Obajana aufgebaut hat. Unter der Militärdiktatur von Sani Abacha (1993–1998), der seine eigenen Leute als Gouverneure einsetzte, kamen die Arbeiten zum Erliegen und wurden erst 1999 mit der Wiedereinführung der Demokratie und Audus Rückkehr ins Amt vollendet.

Damals habe sein Vater für Machbarkeitsstudien und Prospektion in Oba­ja­na schon 12 Millionen D-Mark aus Deutschland akquiriert, berichtet Audu. Nach der Entdeckung gigantischer Kalksteinvorkommen machte sich der Gouverneur auf die Suche nach nigerianischen Partnern. Das Zementwerk sei eines seiner erfolgreichsten und wichtigsten Projekte gewesen, erzählt der Sohn.

Abubakar Audus Wahl fiel auf Aliko Dangote. Im Juli 2002 wurde ein Vertrag geschlossen und im Februar 2003 bestätigt. 90 Prozent der Anteile sollten dem Dangote-Konzern und 10 Prozent dem nigerianischen Staat gehören. „Es war nie die Rede davon, dass Dangote Cement das Werk zu 100 Prozent übernehmen sollte“, sagt Mustapha Audu. „Doch genau das geschah während der Amtszeit von Ibrahim Idriss, dem Nachfolger meines Vaters, der im April 2003 gewählt wurde und der Partei des damaligen Präsidenten Olusegun Obasanjo angehörte, der Demokratischen Volkspartei.“

Inzwischen streiten sich der Bundesstaat Kogi und Dangote Cement vor Gericht, der Fall liegt jetzt bei der nächsthöheren Instanz. Doch auch dort werde nichts herauskommen, meint Audu: „Dangote wird gewinnen, und Gouverneur Bello muss zurück­rudern.“ Der Streit werde trotzdem Spuren hinterlassen, denn „ohne Kogi wäre Dangote niemals der reichste Mann Afrikas geworden“.

Doch Audu ist überzeugt, dass es ihm dank seines gesellschaftlichen Status und seiner politischen Prominenz gelingen werde, den Dangote-Konzern zur Rechenschaft zu ziehen. Vor drei Jahren hatte er bereits öffentlich die Umweltverschmutzung durch die im Zementwerk verfeuerte Kohle angeprangert. 32,6 Prozent des gesamten Energieverbrauchs von Dangote fließen in die Zementherstellung in Oba­ja­na. Die dafür benötigte Kohle wird seit 2016 im 180 Kilometer entfernten ­Ankpa abgebaut.

Die Stiftung Mona-Audu, die Mustaphas Ehefrau Prinzessin Zarah Mustapha Audu leitet, kündigte 2020 eine Klage gegen die Dangote-Gruppe an, im Namen der Gemeinden Okada und Odagbo, wo viele Bewohner wegen des Kohletagebaus an Atemwegs- und Augenerkrankungen leiden. „Zuerst hat man uns bedroht“, erzählt Audu, „manche meinten, ich würde meine Karriere als Unternehmer aufs Spiel setzen. Andere sagten, es gehöre sich nicht, schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit zu waschen.“

Erst als Sanusi Lamido Sanusi, der frühere Emir von Kano und ehemalige Direktor der nigerianischen Zen­tral­bank, in den Streit eingriff, erklärte sich Dangote Cement bereit, den Betroffenen insgesamt 270 000 US-Dollar Schadenersatz zu zahlen. „Ein Schweigegeld“, sagt Audu. Die Menschen dort hätten schließlich noch nie so viel Geld gesehen.

Vom 458 Meter hohen Mount Patta hat man einen guten Blick auf Lokoja, die rasant wachsende Hauptstadt des Bundesstaats Kogi. Der Berg liegt am Zusammenfluss von Niger und Benue und ist ein historischer Ort. Hier taufte 1914 die Journalistin Flora Shaw die neue britische Kolonie, die damals von ihrem Ehemann Lord Frederick Hugard regiert wurde, auf den Namen Nigeria. Bis 1919 war Lokoja Hauptstadt des neuen Territoriums, das durch die Vereinigung zweier britischer Protektorate im Norden und im Süden des Landes entstanden war.

Ein Jahrhundert ist es nicht mehr die britische Kolonialverwaltung, sondern Dangote, dessen Schatten über allem schwebt. Er versteht sich als „Familienunternehmer und Monopolkapitalist“, schreibt die nigerianische Philosophin Saheedat Adetayo, die als Doktorandin an der Universität Ibadan forscht. Ein Modell, das der Kor­rup­tion Tür und Tor öffne, „um den staatlichen Reichtum im Interesse weniger Privatpersonen umzuleiten, was wohlhabenden Unternehmern unfaire Vorteile gegenüber anderen verschafft, die nicht über diesen fragwürdigen Zugang zu staatlichen Geldern und staatlichem Schutz verfügen.“8

Aliko Dangote stammt aus einer alten Haussa-Händlerfamilie aus dem Norden des Landes. Einer seiner Vorfahren, Alhassan Dantata (1877–1955), war mit dem Handel von Erdnüssen zum reichsten Afrikaner der Kolonialzeit aufgestiegen. Dangote begann seine Karriere unter dem Regime von General Shehu-Shagari (1979–1983), von dem er Importlizenzen für Zement erwarb, und beschleunigte seinen Aufstieg unter Diktator Sani Abacha (1993–1998). Ende der 1990er Jahre entdeckte er auf einer Geschäftsreise nach Brasilien die Bedeutung der verarbeitenden Industrie für die Wertschöpfung.9

Es war der Auftakt zu einer strategischen Wende vom Import zur lokalen Produktion. Die politische Situation war günstig für Dangote, da die Rückkehr zur Demokratie unter den Vorzeichen des Neoliberalismus mit der Privatisierung vieler Staatsbetriebe einherging. Präsident Olusegun Obasanjo (1999–2007), den Dangote vor seiner Wiederwahl 2003 finanziell unterstützt hatte, erließ schließlich ein maßgeschneidertes Gesetz für den Milliardär. Bis heute profitiert der „Zementbaron“ von Steuererleichterungen für nigerianische „Pionierunternehmen“. Laut Ade­ta­yo zögerte er auch nicht, „diesen Status nach Erweiterungen mehrmals für dasselbe Zementwerk in Anspruch zu nehmen“.

Ungeachtet ihrer jeweiligen Parteizugehörigkeit konnten die Nachfolger Oba­sanjos auf Dangotes Finanzspritzen im Wahlkampf zählen. Aliko Dangote war sogar Sonderwirtschaftsberater von Präsident Goodluck Jonathan (2010–2015). Er gehört zu den wichtigsten privaten Arbeitgebern in Afrika – allein in der Zementindustrie beschäftigt er 19 561 Menschen – und achtet stets auf gute Kontakte zu hohen Po­li­ti­ke­r:in­nen und Institutionen. Daher war der Milliardär auch bei der Amtseinführung des neuen kenianischen Präsidenten William Ruto Ende August 2022 zugegen.

Zudem hat Dangote zusammen mit Südafrikas Ex-Präsidenten Thabo Mbeki die Initiative „AfroChampions“ ins Leben gerufen, die „bis 2030 mindestens eine Billion US-Dollar an Investi­tio­nen mobilisieren will, um die Umsetzung der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone zu beschleunigen“.10 Die Initiative wird von der Afrikanischen Union (AU) und der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) unterstützt.

Dangotes Konkurrenten, vor allem europäische Zementhersteller wie Vicat, Holcim (früher LafargeHolcim) und HeidelbergCement, kritisieren die enge Verbundenheit des Milliardärs mit der nigerianischen Politprominenz und seinen privilegierten Zugang zu Afrikas Präsidentenpalästen. 2014 beschuldigte der französische Konzern Vicat den Magnaten, von der senegalesischen Regierung bevorzugt worden zu sein.11 Zur selben Zeit verdächtigte ihn eine Lafarge-Tochterfirma, Zement aus Nigeria nach Kamerun geschmuggelt zu haben, um dort die Preise zu drücken. In Nigeria sorgt der Machtkampf zwischen Aliko Dangote und seinem ebenfalls milliardenschweren Konkurrenten Abdulsamad Rabiu, dem Chef des BUA-Konzerns, regelmäßig für Schlagzeilen.

Das Zementgeschäft sei eine in sich geschlossene Welt, meint die Genfer Forscherin Armelle Choplin. Und Dangotes Konkurrenten hätten meist auch keine reine Weste. 2020 beschuldigte die sambische Kartell- und Verbraucherschutzbehörde den französisch-schweizerischen Konzern La­farge­Holcim, gemeinsam mit der sambischen Filiale von Dangote und zwei weiteren Konkurrenten ein Zementkartell errichtet zu haben. Die Produzenten hätten die Preise aufeinander abgestimmt und die wachsenden Märkte in Zentral- und Südafrika untereinander aufgeteilt, so dass Dangote Cement den Norden Sambias, die Demokratische Republik Kongo und die Region der Großen Seen beliefern konnte.

Doch im Gegensatz zu seinen Konkurrenten, die zu erheblichen Strafzahlungen verurteilt wurden, gelang es dem nigerianischen Unternehmen laut einem Bericht der UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz (Unctad), „im Rahmen einer Kronzeugenregelung eine hundertprozentige Immunität gegen Geldbußen und Strafverfolgung zu erlangen“.12

Ehrengast im Élysée-Palast

Ähnliche Nachsicht erfährt der Zementbaron in westlichen Geschäfts- und Diplomatenkreisen, die ihre Marktpräsenz in der zweitgrößten Volkswirtschaft des afrikanischen Kontinents ausbauen möchten. Im Januar 2019 zählte Aliko Dangote zu den Ehrengästen des Gipfels „Choose France“, der mit über 150 Che­f:in­nen französischer und ausländischer Firmen sowie multinationaler Konzerne im Schloss Versailles stattfand. Zwei Jahre später, Ende September 2021, nahm der Magnat am Galadinner zum Abschluss des Kultur- und Wirtschaftsfestivals Africa2020 teil, das der Élysée-Palast organisiert hatte.

Natürlich ist Dangote auch Mitglied des französisch-nigerianischen Wirtschaftsrats, in dem neben den CEOs der 15 bedeutendsten französischen Unternehmen (wie TotalEnergies, das Schifffahrts- und Logistikunternehmen CMA-CGM und Dassault Aviation) die „sechs wichtigsten Industriellen Nigerias, die auch zu den Reichsten in ganz Afrika gehören“, sitzen.13 Vorsitzender des Wirtschaftsrats ist Abdulsamad Ra­biu vom BUA-Konzern. Ein weiteres Mitglied ist Anthony Elumelu, Banker und Gründer der Heirs Holding. Elumelu hat das Konzept vom „Afrikapitalismus“ erfunden, demzufolge die Privatwirtschaft der wichtigste Motor für wirtschaftlichen Wandel in Afrika sei.

Die Straße, die zu Dangotes Kohlegruben in Ankpa führt, ist gesäumt von Checkpoints und Fahrzeugwracks, auf denen noch das Konzernlogo zu erkennen ist: Die Firmenlaster verursachen in Kogi jede Menge Unfälle. 2020 zählten sie in Onupi bis zu 100 Lastwagen pro Tag. Heute sind die Schaufelradbagger verschwunden und von den einst 300 Bergleuten, die hier beschäftigt waren, sind nur noch 5 übrig. Einer von ihnen, ein Ingenieur, wundert sich über unseren Besuch und erklärt, dass der Abbau wegen mangelnder Rentabilität eingestellt worden sei.

Der 28-jährige Mohammed Zubeidu Omale alias Orator, ein beliebter Gast bei Hochzeitsfeiern und sonstigen gesellschaftlichen Ereignissen in Ankpa, hat eine andere Erklärung: „Geschlossen wegen Ärger mit der Jugend.“

Dangote hatte Entwicklungsabkommen mit den Dörfern rund um seinen Tagebau getroffen. Die traditionellen Clanchefs bekamen Geschenke, meist Zementsäcke, doch für die Jugend fiel außer ein paar Stipendien nichts ab. Krater mit verseuchtem Wasser und weggesprengte Hügelkuppen: Der Tagebau Onupi hat eine mehrere Hektar große Narbe in eine ansonsten üppige Vegetation geschlagen. Hinzu kommen die unsichtbaren, aber giftigen Hinterlassenschaft in Form von saurem Regen und verschmutztem Grundwasser.

Ibrahim Zepha war mit 50 Tonnen Steinkohle aus einer der Gruben von Dangote Cement nach Oba­jana unterwegs, als sein Laster am Straßenrand der A233 umkippte. Das geschah vor 12 Tagen. Seitdem wartet der Fahrer, der vor einem Jahr bei dem Multi angefangen hat, geduldig bei 37 Grad Hitze neben seinem verunglückten Laster. Die Kohle glänzt in der bleiernen Sonne. Zwei Räder fehlen schon. Sie wurden letzte Nacht direkt vor seinen Augen gestohlen. Er musste es einfach geschehen lassen. Dabei ist der nächste Checkpoint der Bundesarmee mit einem Unterstand aus sandgefüllten Dangote-Säcken nur einen Kilometer von der Unfallstelle entfernt.

Während Ibrahim die angebotene Zigarette raucht, fragt er sich, ob sein Arbeitgeber ihn vergessen hat. „Wie soll ich das regeln? Ich werde nie genug Geld haben, um die gestohlenen Räder zu ersetzen.“

Kohle, Kalkstein, Gips und „graues Gold“ – die Dangote-Güter werden hauptsächlich von Fahrern wie Ibrahim transportiert. Er ist Haussa und gehört keiner Gewerkschaft an. „Der Konzern hat uns in seinen Zementwerken nie zugelassen“, erklärt Ayuba Wabba, der 50-jährige Generalsekretär des Dachverbands Nigerian Labour Congress, in seinem Büro in der Hauptstadt Abu­ja. Selbst vor Drohungen gegen „Genossen, die sich organisieren wollen“, schrecke Dangote nicht zurück.

Ähnliche Behinderungen der Gewerkschaftsfreiheit gebe es auf der Baustelle der künftigen Raffinerie von Ibe­ju-­Lek­ki, 73 Kilometer von der Marina in Lagos entfernt, wo die Jacht des Milliardärs vor Anker liegt. Dabei hat Nigeria das Übereinkommen 98 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechts und des Rechts auf Kollektivverhandlungen ratifiziert. „Man stelle sich mal vor, jemand von der Arbeitsaufsicht käme zu Dangote“, witzelt Wabba.

Der Gewerkschafter macht sich außerdem Sorgen wegen der Rekrutierung indischer Führungskräfte, die als „besonders gewerkschaftsfeindlich“ gelten. Offiziell betrifft das nur 4 Prozent der Beschäftigten, doch diese treffen 98 Prozent der unternehmerischen Entscheidungen. Während der Coronapandemie, als der Lockdown die Wirtschaft im ganzen Land zum Erliegen brachte, gingen die Arbeiten an der Raffinerie von Ibeju-Lekki trotzdem weiter – dort schufteten mehrere hundert indische Bauarbeiter eines Subunternehmers ohne Masken. Bis zum Februar dieses Jahres war der Franzose Michel Puchercos, ein früherer La­farge-­Mana­ger, Geschäftsführer von Dangote Cement; er wurde jetzt von dem Inder Arvind Pathak abgelöst.

Die internationale Presse zeigt sich dem Milliardär gegenüber ebenso handzahm wie die westlichen Regierungen. Im März 2020 konnte man in der Wochenendbeilage der französischen Zeitung Les Échos lesen, Vorbilder des „afrikanischen Bill Gates“ seien „die großen amerikanischen Unternehmer und Mäzene John Rockefeller oder Andrew Carnegie“.14

Inzwischen scheint Dangote aber eher in die Fußstapfen indischer Milliardäre wie Mukesh Ambani zu treten, Boss des Mischkonzerns Reliance Industries und neuntreichster Mann der Welt, dessen Methoden als besonders unbarmherzig gelten.

Auch wenn gelegentlich erwähnt wird, dass Dangotes Name in den „Panama Papers“ auftaucht, sind die Por­träts solcher Industriellen häufig ausgesprochen wohlwollend, im letzten Dezember überschrieb das Magazin des französischen Figaro einen Beitrag zum Thema mit dem Titel: „Die Milliardäre, die Afrika aufbauen“.15

Niemand schreibt über die eklatanten Widersprüche zwischen Dangotes angeblichem Engagement für die Dekarbonisierung und dem Ausbau der Zementproduktion: Die Herstellung von Zement, des weltweit – noch vor Stahl und Plastik – meistproduzierten und -verwendeten Materials, ist für 4 bis 8 Prozent der globalen Treib­haus­gas­emis­sio­nen verantwortlich. Allein das Zementwerk Obajana stößt pro Jahr 6,1 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus.

Jahman Anikulapo Oladejo, ehemaliger Chefredakteur der nigerianischen Ausgabe des Guardian, meint, die Nachsicht der Medien habe „vielleicht auch etwas mit den teuren Anzeigen der Dangote-Gruppe zu tun, die sie bei allen großen Nachrichtenkanälen schaltet, von al-Dschasira bis zur BBC“. Auch CNN International gehört dazu, wo der Konzern die bekannte Sendung „Face­time“ zur afrikanischen Wirtschaft sponsert.

Die Beziehungen des Milliardärs zur früheren Kolonialmacht Großbritannien werden von internationalen Medien leider kaum beleuchtet. Dabei sitzen zwei prominente Briten als „unabhängige Direktoren ohne Geschäftsbereich“ im Verwaltungsrat seiner Unternehmensgruppe: die Anwältin Cherie Blair, Gattin des früheren Labour-Premiers Tony Blair, und Mark Davis, Ex-Schatzmeister der konservativen Tories, der früher das britisch-schweizerische Bergbauunternehmen Xstrata geleitet hat.

Im nigerianischen Präsidentschaftswahlkampf 2023 soll Aliko Dangote, der als traditioneller APC-Anhänger gilt, die Kampagne des APC-Spitzenkandidaten Bola Tinubu ebenso unterstützt haben wie die Kampagnen der unterlegenen Konkurrenten. Doch diesmal wird Dangote sich auch gegenüber den kleinen Leuten großzügig zeigen müssen. „Wir sind alle stolz auf seinen Erfolg“, sagt Prinz Mustapha Audu. „Aber jetzt müssen wir es schaffen, dass Dangote, der Bundesstaat Kogi und dessen Bevölkerung gleichermaßen profitieren.“

1 Siehe Olivier Piot, „Zuallererst Afrikaner“, LMd, November 2017.

2 „Nigeria’s Cement Market“, Asoko Insight, 15. Januar 2023.

3 Romain Gelin, „Dangote, une multinationale africaine“, Mirador, 5. September 2017.

4 Inklusive China, das 2021 allein 1715 Kilo Zement pro Kopf verbraucht hat; ohne China lag der durchschnittliche globale Pro-Kopf-Verbrauch bei 302 Kilo, laut Global Cement Report, 14. Edition; siehe auch: CemBR Forecasts, „2021 in figures: Global cement data and insights“.

5 Siehe Armelle Choplin, „Matière grise de l’urbain. La vie du ciment en Afrique“, Genf (MétisPresses) 2020.

6 Chinedu Okafor, „More wins for Dangote as his company is named most responsible business of the year“, Business Insider Africa, 13. Dezember 2022.

7 Siehe den Bericht „Dangote Cement PLC/United Nations Global Compact“, März 2020.

8  Siehe Saheedat Adetayo, „The ethics of state capture: Dangote and the Nigerian State“, in: Nimi Wariboko, Toyin Falola und Saheedat Adetayo, „Palgrave Handbook of African Social Ethics“, London (Palgrave Macmillan) 2020.

9 Vgl. Zainab Ousmane, „The successful and failed policy choices of becoming Africa’s largest economy“, Africa Policy Research Institute, 28. Juli 2022.

10 Siehe „Trillion Investment Framework Presented at AfroChampions Boma“, Presseerklärung der Afrikanischen Union, 11. Oktober 2019.

11 „Sénégal: Vicat, vent debout contre Dangote“, Jeune Afrique, Paris, 20. Januar 2014.

12 „Summary of Cement Cartel Case in South Central Africa“, Unctad, 13. April 2020.

13 „Le Conseil d’Affaires France-Nigeria s’est réuni le 28 juin 2021 à Versailles“, Pressemitteilung des französischen Finanzministeriums, 7. Juli 2021.

14 Siehe Pierre de Gasquet, „Aliko Dangote, le Bill Gates africain“, Les Échos, Paris, 22. Mai 2020.

15 Vgl. Nadjet Cherigui, „Ces milliardaires qui bâtissent l’Afrique“, Le Figaro Magazine, 31. Dezember 2022.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Jean-Christophe Servant ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 11.05.2023, von Jean-Christophe Servant