08.12.2022

Anadolu in Mogadischu

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Anadolu in Mogadischu

Wie ausländische Sender und Nachrichtenagenturen die Medienlandschaft in Afrika beherrschen wollen

von André-Michel Essoungou

Leunora Salihu, Wellenlänge, 2019, Keramik, Glasur, Holz, Grafit, 135 × 214 × 25 cm
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Es war der erste Mediengipfel für die Türkei und Afrika. Am 25. Mai 2022 trafen sich Di­plo­ma­t:in­nen und Jour­na­lis­t:in­nen aus 45 Ländern in Istanbul, um „das Bild beider Seiten und ihre bilaterale Zusammenarbeit zu verbessern“. Laut Fahrettin Altun, Sprecher von Präsident Erdogan, sei nämlich die Türkei eines der Länder, die „am meisten unter Diffamierungen und Lügenkampagnen zu leiden haben“. Auf dem Gipfel kündigte er an, „in kürzester Zeit“ eine digitale Plattform für das frankofone Afrika zu schaffen, die mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Türkei (TRT) verbunden sein soll.

Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu unterhält bereits Regionalbüros in Addis-Abeba (Äthiopien) und Abuja (Nigeria) und Kor­re­spon­den­t:in­nen in weiteren Ländern. Mit der Eröffnung von Büros in Khartum (Sudan), Mogadischu (Somalia) und Johannesburg (Südafrika) baut sie ihre Präsenz weiter aus.

Seit 2014 sendet TRT schon Programme auf Hausa in West-Zentralafrika und auf Swahili in Ostafrika. Nun soll das Angebot unter dem Label „TRT Afrika“ erweitert werden. Türkische Privatsender sind mit Unterstützung der Regierung ebenfalls in Afrika aktiv. Seit 2017 überträgt Natural TV über Satellit populäre Serien in 18 Länder des subsaharischen Afrikas, darunter Benin, Burkina Faso, Senegal, Nigeria und Ghana.

Die wachsende mediale Präsenz geht Hand in Hand mit der Intensivierung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen. Innerhalb von 20 Jahren hat sich das Handelsvolumen zwischen der Türkei und dem afrikanischen Kontinent von 5 Milliarden auf 25 Milliarden US-Dollar pro Jahr gesteigert. Turkish Airlines fliegt mittlerweile 62 afrikanische Flughäfen an, mehr als jede andere ausländische Airline. Bei Rüstungsgütern und in der Bauindustrie ist die Türkei zu einem privilegierten Partner Afrikas geworden. Heute gibt es 43 türkische Botschaften in Afrika, 2000 waren es noch 12. Die türkische „Agentur für Zusammenarbeit und Koordination“ ist in 22 afrikanischen Ländern aktiv. Seit 2003 hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf 58 Reisen 32 afrikanischen Staaten einen Besuch abgestattet.

Nach dem Vorbild Pekings und Moskaus setzt Ankara auf Kommunikationsstrategien, um angesichts „sich verschärfender Rivalitäten zwischen etablierten und aufstrebenden Mächten“ selbst zu punkten, bemerkt John Calabrese vom Middle East Institute in Washington. Die türkischen Bemühungen, „in Afrika Marktanteile zu erobern, Einfluss auszuüben und Status und Ansehen zu gewinnen, seien Ausdruck dieses Wettbewerbs“.1 Die Regierung Erdoğan nutzt die klassischen außenpolitischen Instrumente, um international an Einfluss zu gewinnen, dabei spielen Medien eine zentrale Rolle.

Chinas UKW-Strategie

Staaten hätten, je nach Epoche und Stand der Technologie, immer die Mittel der Kommunikation genutzt, um sich in internationalen Rivalitäten um Politik, Wirtschaft oder Kultur zu behaupten, schreibt der Politologe Phi­lippe Boulanger.2 Medien seien für die Staaten Mittel zum Zweck, „und das oberste Ziel ist es, die öffentliche Meinung im Ausland zu ihren Gunsten zu beeinflussen. In autoritären Regimen folgt das Verhältnis zwischen Medien und Macht derselben politischen Linie. Bei demokratischen Regimen erscheint das subtiler.“

Die meist mit öffentlichen Geldern finanzierten Medien seien ein wichtiges Element von Soft Power, fährt Boulanger fort. Seit der Jahrtausendwende habe sich diese Tendenz verstärkt, es gehe darum, „eine Machtposition zu demonstrieren“, ob sie nun „bereits errungen oder erst im Entstehen ist“.

Der mediale Wettkampf um Afrika ist die Folge eines internationalen Runs auf die Region; es ist der Dritte dieser Art in der Geschichte. Der erste fand zwischen 1880 und 1914 statt, bis 90 Prozent des afrikanischen Territoriums kolonisiert waren. Der zweite Ansturm fand in der Zeit des Kalten Kriegs statt, als die Machtblöcke die Staaten zwangen, sich für eine Seite zu entscheiden.

Der aktuelle Ansturm ist deshalb bemerkenswert, weil die Schwellenländer ganz vorn dabei sind. Zwischen 2010 und 2016 wurden in Afrika über 320 Botschaften eröffnet, ein Zuwachs wie nirgendwo sonst auf der Welt. Brasilien weihte zwischen 2003 und 2018 in 29 Staaten diplomatische Vertretungen ein, die meisten südlich der Sahara. Auch im Handel wurden die Karten neu gemischt. 2018 löste Indien Frankreich als einen der drei wichtigsten Handelspartner des afrikanischen Kontinents ab, die beiden anderen sind China und die USA. China hat seit 2014 Militärabkommen mit 45 afrikanischen Ländern geschlossen, Russland mit 19.

Chinas Strategie der medialen Einflussnahme scheint seit den ersten Afrikareisen von Hu Jintao vor 20 Jahren von höchster Stelle geplant zu sein. Hus Nachfolger Xi Jinping erklärte 2016, China müsse „international einflussreiche Mediengiganten schaffen, um China dem Rest der Welt besser zu präsentieren“.3 Vor allem die USA beobachten diese Entwicklung mit Besorgnis.4

Begonnen hat sie allerdings schon sehr viel früher. Bereits Ende der 1950er Jahre begannen chinesische Medien in Afrika Fuß zu fassen: 1956 ging Radio Peking in Ägypten und 1958 in Ghana auf Sendung und bekundete in seinen Programmen offen Sympathien für die Befreiungsbewegungen. Ab 1966 und mit dem Beginn der Kulturrevolution in China gestaltete sich die Einflussnahme etwas diskreter. Das blieb die gesamte Zeit des Kalten Kriegs hindurch so, bis Peking 2006 zum „Jahr Afrikas“ erklärte.

Von da an intensivierte sich die Einflussnahme. Am 27. Februar 2006 weihte Radio China International (RCI), Nachfolger von Radio Peking, seinen ersten Auslandsrundfunksender im kenianischen Nairobi ein5 und sendete auf Mandarin, Englisch und Swahili, das von rund 200 Millionen Menschen in der Region der Afrikanischen Großen Seen gesprochen wird. Danach nahm China die Sahelregion ins Visier, RCI installierte UKW-Sender in Senegal, Mauretanien und Niger.

Xinhua (Neues China), die offi­ziel­le Nachrichtenagentur der Pekinger Regierung, unterhält mittlerweile 31 Büros auf dem afrikanischen Kontinent, das sind 7 mehr als 2010. Das Personal dafür hat sie von Paris nach Nairobi verlegt. 2012 zog China Global Television Network (CGTN), der Auslandsableger des größten staatlichen Fernsehsenders China Central Television (CCTV), ebenfalls in die kenianische Hauptstadt. Und China Daily, die auflagenstärkste chinesische Zeitung in englischer Sprache, ging nach Johannesburg in Südafrika.

Die Zusammenarbeit zwischen chinesischen Sendern und afrikanischen Medien läuft hauptsächlich über Xinhua, deren Inhalte Dutzende Me­dien auf dem afrikanischen Kontinent übernehmen, und über CGTN, dessen Programme die staatlichen Fernsehsender in Kenia, Liberia und Südafrika ausstrahlen.

Russlands Sputnik-Mission

Es ist die Umsetzung dessen, was man in Peking blumig als „ein Boot leihen, um aufs Meer zu fahren“ bezeichnet. Diese Metapher, die dem RCI-Direktor Wang Gengnian zugeschrieben wird, soll wohl ausdrücken, dass Peking so pragmatisch wie opportunistisch lokale Betreiber benutzt, um für die kostenlos zur Verfügung gestellten Inhalte maximale Verbreitung zu generieren.

Der medialen Präsenz Chinas in Afrika könne man kaum entgehen, schreibt der Medienwissenschaftler Da­ni Madrid-Morales: „Wenn Sie in Maputo, der Hauptstadt Mosambiks, in einen Minibus steigen, sehen Sie wahrscheinlich während der gesamten Fahrt an den Hauswänden der kleinen Läden, die Satellitenschüsseln und TV-Setup-Boxen für digitales Fernsehen verkaufen, die Logos von StarTimes, einer privaten chinesischen Telekommunikationsgesellschaft.“6

Wer den Sitz der Afrikanischen ­Union in Addis-Abeba besucht, ein von chinesischen Unternehmen gebautes und 2012 fertiggestelltes Gebäude, wird unweigerlich feststellen, dass die Fernsehgeräte oft auf CGTN eingestellt sind. Und wer ein Exemplar von Cape Times oder Sunday Independent kauft, zwei Zeitungen, die in Südafrika eine große Leserschaft haben, wird sehr wahrscheinlich einen Artikel lesen, der von Xinhua stammt.

Immer mehr chinesische Seifenopern werden von afrikanischen Schauspielern in China für ein afrikanisches Publikum nachgespielt, damit man auf die sonst allgegenwärtigen Untertitel verzichten kann. Und Jour­na­lis­t:in­nen, Pres­se­spre­che­r:in­nen, Fern­seh­tech­ni­ke­r:in­nen und andere Medienprofis werden von chinesischen Institutionen zu Schulungen nach Peking eingeladen.

Wie auch im Fall der Türkei folgt diese entschlossene Medienoffensive auf einen beeindruckenden wirtschaftlichen Aufstieg Chinas auf dem afrikanischen Kontinent. Zwischen 2016 und 2020 trat China hier als größter Kapitalinvestor auf, gefolgt von Russland7 , einem weiteren wichtigen Akteur im medialen Kampf um Afrika.

Russland verstärkte seine Präsenz auf dem Kontinent mithilfe der Nachrichtenagentur Tass sowie der Sender RT (bis 2009 Russia Today) und Sputnik. Auf dem ersten Russland-Afrika-Gipfel 2019 in Sotschi, an dem 43 afrikanische Staatschefs teilnahmen, wurde hervorgehoben, wie wichtig es sei, die Dominanz des westlichen Diskurses in den Medien zu bekämpfen. Der Tass-Generaldirektor Sergei Michailow schlug bei dieser Gelegenheit vor, „eine andere Perspektive auf die Welt und die internationalen Fragen“ zum Ausdruck zu bringen, um sich von der Sicht der westlichen Medien abzugrenzen.

Das erinnert sehr an die Argumente, mit denen der französische Präsident Jacques Chirac 2006 die Gründung von France 24 rechtfertigte. Am 5. Dezember 2006 sagte Chirac auf France Info, es gehe darum, „die Werte Frankreichs und seine Vision der Welt in die Welt hinauszutragen“ und einen „französischen Blick auf die internationalen Ereignisse zu vermitteln“.

Es geht also nicht um eine andere Art von Journalismus, sondern darum, in anderen Ländern „die Welt so erzählen, wie die politisch Verantwortlichen in Moskau, Ankara, Peking oder eben Paris wollen, dass sie gesehen wird. Das Zielpublikum soll aus politischen und ökonomischen Gründen dazu gebracht werden, eine fremde Sichtweise zu übernehmen.

Russland fokussierte seine Aktivitäten zunächst auf Senegal, Nigeria und Äthiopien und wandte sich danach Angola, Madagaskar, Tansania und Guinea zu. Auch hier wurden Jour­na­lis­t:in­nen eingeladen, um in Moskau an Schulungen teilzunehmen. Abkommen über die Ausstrahlung russischer Inhalte durch afrikanische Medien wurden unterzeichnet, nach dem Vorbild der Verträge von 2015 bis 2018 zwischen dem Sender Sputnik und den staatlichen Fernsehsendern in Ägypten, Algerien, Marokko, Südafrika und der Demokratischen Republik Kongo.

Russland verfügt zwar über geringere finanzielle Ressourcen als China, ist aber aktiver in den sozialen Me­dien und scheint dort auch erfolgreicher zu sein als seine Rivalen. Es setzt alle Manipulationstechniken ein – Lügen, aus dem Zusammenhang gerissene Informationen, zweifelhafte und nicht überprüfbare Quellen sowie wahre Informationen, die ausgegraben und gezielt publiziert werden, um Schaden anzurichten.

Es sind die Tricks, die auch in der Werbebranche angewandt werden und die durch soziale Medien eine besondere Brisanz bekommen. Damit ist es Moskau in der Zentralafrikanischen Republik und in Mali gelungen, mit geringen Kosten die lange Zeit unangefochtene Dominanz französischer Medien zu brechen. Jedem Schritt, den Paris unternimmt, wird der Stempel Kolo­nia­lis­mus beziehungsweise Neokolonialismus aufgedrückt – wie etwa der französischen, auf ein UN-Mandat gestützten Mission „Sangaris“ von 2013 bis 2016, die in der Zentralafrikanischen Republik zwar die Massaker beenden, aber das Land nicht dauerhaft befrieden konnte.8

Frankreichs Digitalarmee

Verbreitet wurde das Narrativ eines arroganten Frankreichs, das nur darauf bedacht sei, seine Pfründen zu schützen. Gleichzeitig empörten Vergewaltigungsvorwürfe gegen französische Soldaten eine Bevölkerung, die in einem endlosen Krieg gefangen war. Paris hielt mit aller Kraft dagegen und veröffentlichte seinerseits Enthüllungen über Verbrechen der russischen Söldnertruppe Wagner, die von der Regierung der Zentralafrikanischen Re­pu­blik angeheuert worden war.

Auf beiden Seiten marschierten digitale Armeen mit ihren Computern auf und lieferten sich einen modernen Krieg der Worte, in dem der Kreml einige Längen Vorsprung hatte. Die US-amerikanische Denkfabrik Africa Center for Strategic Studies kam in einer Analyse zu dem Schluss: „Russland ist ein Pionier der Desinformation mit dem Ziel, die afrikanische Politik zu beeinflussen, und die russischen Methoden werden mittlerweile von anderen Akteuren nachgeahmt.“9

In der Zentralafrikanischen Republik erheben beide Seiten extrem schwerwiegende Anschuldigungen: Ver­ge­wal­ti­gungs­vor­wür­fe gegen französische Soldaten, gestützt durch journalistische Recherchen, allerdings nicht von Gerichten bestätigt, auf der einen Seite; Vorwürfe von Kriegsverbrechen (Massaker, Vergewaltigungen, Folter), begangen von Angehörigen der Gruppe Wagner und dokumentiert in mehreren Berichten an den UN-Generalsekretär10 , auf der anderen Seite.

„Die Welt hat sich verändert“, sagte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron in einer Rede vor Bot­schaf­te­r:in­nen am 2. September 2022, „und unser Land wird oft angegriffen. Es wird in der Öffentlichkeit durch die sozialen Netzwerke und durch Manipulationen angegriffen. Der afrikanische Kontinent ist das perfekte Labor dafür.“ Und er fügte hinzu, Frankreich müsse sich „sehr viel aggressiver, sehr viel engagierter bei diesem Thema“ zeigen.

Seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine wird auch der Propagandakrieg immer erbitterter geführt. Russland orchestriert gezielt eine antiwestliche Kampagne. Seit Ende Februar erheben RT und andere Me­dien etwa Rassismusvorwürfe gegen Europa und skandalisierten die Behandlung afrikanischer Studierender, die wegen des Kriegs in der Ukraine festsaßen und ihrem Schicksal überlassen worden seien.11

Die Proteste westlicher Länder, die vor solchen Methoden ebenfalls nicht zurückschrecken, kann man nicht anders als heuchlerisch bezeichnen. Seit über zehn Jahren gibt es auf Facebook und Twitter diskret aus den USA und Großbritannien gesteuerte Propa­gan­da­kam­pagnen gegen Russland. Auf diese Weise wird laut den Untersuchungen von For­sche­r:in­nen der Stanford University und des auf Social Media spezialisierten Analyseunternehmens Graphika ein Bild von Russland und China entworfen, das sie als böswillige und imperialistische Mächte in Afrika entlarvt.12

Die For­sche­r:in­nen fanden heraus, wie auf unzähligen eigens eingerichteten Fake Accounts bei Facebook, Instagram und Twitter systematisch verbreitet wurde, dass der Geschäftsmann Jewgeni Prigoschin die treibende Kraft sei hinter einer großen russischen Militärkampagne in der Zentralafrikanischen Republik, in Mali und in Syrien. Und es wurde zum Protest aufgerufen gegen die sich hier offenbarenden „imperialen Ambitionen“ Russlands. Andere Fake-Accounts knöpften sich die chinesische Regierung vor. In den meisten Posts ging es um die brutale Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang.

Wirklich überraschend ist das alles nicht: Schließlich sind die ehemaligen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich Pioniere der medialen Einflussnahme. Großbritannien gründete 1930 den World Service der British Broadcasting Corporation (BBC) und Paris 1931 den Kurzwellensender Poste Colonial. Damit stellten beide Mächte sicher, dass die Wohltaten ihrer im­pe­ria­lis­ti­schen Politik hinreichend bekannt gemacht wurden. Der Zweite Weltkrieg zwang Frankreich und Großbritannien, ihre Ressourcen und Aufmerksamkeit zurück nach Europa zu verlagern. Erst in den 1970er Jahren engagierten sie sich wieder in Afrika.

Der Auslandsdienst des staatlichen Hörfunks in Frankreich, der zuerst Paris-Mondial hieß und ab 1975 Radio France International, deckte hauptsächlich die ehemaligen Kolo­nien in West- und Zentralafrika ab. Der BBC World Service strahlte verstärkt in Süd-, Ost- und Westafrika aus. Die USA wiederum förderten Voice of America, einen 1963 gegründeten Radiosender, dessen Name Programm ist.

Da sie in Afrika damals nur mit den Staatsmedien konkurrierten, die meist gezwungen waren, sich an die offiziellen Sprachregelungen zu halten, öffneten die drei internationalen Sender den Menschen auf dem Kontinent ein Fenster zur Welt. Fernsehen war ein seltener Luxus und das Internet noch in weiter Ferne.

Mit der demokratischen Öffnung in vielen Staaten Afrikas in den 1990er Jahren konnten die drei großen internationalen Radiosender ihre Präsenz ausbauen. BBC, RFI und Voice of America kolonisierten die UKW-Frequenzen der afrikanischen Städte und Dörfer. Das geht aus Hörerbefragungen hervor, bei denen diese Sender in zahlreichen Regionen als die wichtigsten genannt werden.

In den großen Städten der sieben frankofonen Länder Afrikas – Abi­djan, Kinshasa, Ouagadougou, Dakar, Bamako, Douala, Yaoundé, Libreville und Brazzaville – ist RFI mit 64 Prozent der von Fach- und Führungskräften am meisten gehörte Sender. France 24 ist der wichtigste ausländische Fernsehsender im frankofonen Afrika und gehört zu den zehn Sendern mit der größten Reichweite.13

In den Räumen von RFI schärfen die Redaktionen den jungen Nach­wuchs­mo­de­ra­to­r:in­nen der Nachrichtensendungen ein, dass sie sich vorstellen sollen, ihre Worte richteten sich an „Madame Ouédraogo, eine imaginäre Händlerin auf dem Markt von Ouagadoudou“, der Hauptstadt von Burkina Faso.

Seit 2006 werden RFI und andere internationale französische Medien, mittlerweile zusammengeschlossen zu France Médias Monde (FMM), von France 24 und Canal Plus unterstützt und nehmen einen herausragenden Platz im audiovisuellen Raum Afrikas ein. RFI behauptet sich weiterhin unter den fünf Radiosendern, die in den Hauptstädten des frankofonen Afrika täglich am meisten gehört werden. Bei einer Umfrage gaben 86,6 Prozent der Befragten an, den Sender zu kennen, und 39,5 Prozent sagten, sie würden ihn jede Woche einschalten.

Bezeichnend ist, dass die Kandidatinnen und Kandidaten, die bei Wahlen in den frankofonen Ländern antreten, sich lieber bei diesen Sendern als in den lokalen Medien zu Wort melden. Die Berichterstattung über die beliebtesten Sportereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft, die Olympischen Spiele oder den Afrika-Cup übernehmen die französischen Auslands­me­dien, was ihnen beispiellose Sichtbarkeit und einmaligen Einfluss verschafft.

BBC und RFI ist daran gelegen, nicht von neuen Wettbewerbern, allen voran chinesischen, in den Hintergrund gedrängt zu werden; deshalb senden sie Programme in lokalen afrikanischen Sprachen. Seit 2010 sendet RFI Swahili-Programme in Zentral- und Ostafrika. 2015 startete es ein neues Programm in der Mandingsprache für Mali, Burkina Faso, Guinea, Senegal und sogar Liberia und Sierra Leone. Zur gleichen Zeit verlegte die BBC ihre französischsprachige Afrika­redak­tion von London nach Dakar und sendet seither auch in Igbo, Pidgin und Yoruba aus dem nigerianischen Lagos.

Die medialen Ambitionen Chinas, Frankreichs, Russlands und Großbritanniens scheinen den politischen Wünschen und den Wirtschaftsinteressen ihrer jeweiligen Regierungen zu folgen, zu dienen und sie weiterzutragen.

Präsident Macron hat das mit einer gewissen Freimütigkeit zugegeben und damit bei Beschäftigten von France Médias Monde einen Aufschrei der Empörung hervorgerufen.14

„Wir müssen mit Verbündeten, mit Partnern Frankreichs in der öffentlichen Meinung zusammenarbeiten“, sagte der französische Staatschef am 2. September auf dem erwähnten Botschafterempfang in Paris. „Nicht nur, um Falschinformationen eindeutig entgegenzutreten, sondern auch um sie sehr klar und so schnell wie möglich zu stoppen und unser Handeln ins richtige Licht zu rücken. In dieser Hinsicht müssen wir das Netzwerk France Médias Monde sehr viel besser nutzen. Es ist unbedingt von zentraler Bedeutung und muss eine Trumpfkarte für uns sein.“15

Investitionen mit dem Ziel, Einfluss auf die Bevölkerung zu nehmen, bringen jedoch nicht unbedingt die erhofften Resultate. Afrikas Medienlandschaften haben sich durch die explo­sions­artige Ausbreitung der sozialen Medien strukturell stark verändert. So ist etwa Chinas Image mitnichten so glatt und positiv, wie es die strategischen Köpfe in Peking vermutlich gern hätten. Und in der Sahelregion scheint trotz der Omnipräsenz von RFI eine anti­französische Stimmung ziemlich ausgeprägt zu sein.16

1 John Calabrese, „Building in Africa: Turkey’s,third way' in China’s shadow“, Middle East Institute, Washington, D. C., 11. Oktober 2022; mei.edu/publications/building-africa-turkeys-third-way-chinas-shadow.

2 Philippe Boulanger, „Géopolitique des médias: acteurs, rivalités et conflits“, Paris (Armand Colin) 2014.

3 „China’s Xi urges state media to boost global in­fluence“, Reuters, 19. Februar 2016.

4 „What is the influence of Chinese media in West Africa“, Council on Foreign relations, Washington, D. C., 14. September 2021; „China ramps up efforts to control media narratives in Africa“, Africa Defense Forum, 18. Januar 2022.

5 Siehe Pierre Luther, „Genehm und gratis“, LMd, April 2011.

6 Siehe Dani Madrid-Morales, „Sino-african Media Cooperation: An Overview of a Longstanding Asym­me­tric Relationship“, in: „How China, Turkey, and Russia influence the media in Africa“, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin 2021.

7 Siehe „EY attractiveness report Afrika“, Johannesburg, 22. November 2021.

8 „More-troll Kombat, French and Russian influence operations go head to head targeting audiences in Africa“, Graphika und The Stanford Internet Observatory, 15. Dezember 2020.

9 Siehe Africa Center for Strategic Studies, „Mapping disinformation in Africa“, Washington, D. C., 26. April 2022.

10 Siehe zum Beispiel „Central African Republique: Abuses by Russia-Linked Forces“, Bericht von Human Rights Watch, 3. Mai 2022.

11 Siehe Mary Blankenship und Aloysius Uche Ordu, „Russia’s narratives about its invasion of Ukraine are lingering in Africa“, The Brookings Institution, Washington, D. C., 27. Juni 2022.

12 „Unheard Voice: Evaluating five years of pro-Western covert influence operations“, Graphika und Stanford Internet Observatory, 24. August 2022.

13 „RFI et France 24 suivies par plus de 60 % de la population en Afrique francophone“, La lettre Pro de la radio, 19. September 2022, sowie „BBC news in Africa in­creases reach to 132 million people a week“, 23. Juli 2020.

14 Siehe „Non, M. Macron, FMM n’est pas le porte-voix de l’Élysée. Nous ne céderons jamais une once de notre indépendance“, Afrique TV, 3. September 2022.

15 Rede im Wortlaut auf elysee.fr.

16 Siehe „How popular is China in Africa“, The Conversation, 17. November 2020; und Fanny Pigeaud, „Wut auf Paris in Françafrique“, LMd, März 2020.

Aus dem Französischen von Ursel Schäfer

André-Michel Essougou ist Publizist und war Korrespondent in Nordamerika und in Afrika für RFI und BBC.

Le Monde diplomatique vom 08.12.2022, von André-Michel Essoungou