07.04.2022

Frankreichs Rückzug aus Mali

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Frankreichs Rückzug aus Mali

Ein Scheitern, das nicht so heißen darf

von Romain Mielcarek

Französische Soldaten in Nordmali, September 2021 FRÉDÉRIC SPEICH/picture alliance/dpA/MAXPPP
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Wir lernen sozusagen, die Amerikaner in der Koalition zu sein“, erklärte General Pierre Schill, Stabschef der französischen Landstreitkräfte, am 31. Januar 2022 bei einem Pressegespräch. Er bezog sich dabei auf die französische Intervention in der Sahelzone. Der Vergleich war ungeschickt. Erst wenige Monate zuvor waren die USA aus Afghanistan abgezogen und die Taliban hatten wieder die Macht übernommen. Aber der Satz sagt viel darüber aus, was bei dem französischen Einsatz in der Subregion auf dem Spiel stand.

Zwei Wochen später, am 17. Februar 2022, erfolgte die offizielle Ankündigung, dass Frankreichs Truppen aus Mali abziehen würden. Seit Januar 2013 waren hier diverse französische Operationen gegen al-Qaida und den IS im Einsatz gewesen: erst „Serval“, dann „Epervier“ (Sperber) und zuletzt „Barkhane“ (Düne). Im Lauf der Jahre holten sich die Franzosen aus mehreren europäischen Ländern Hilfe. Dazu zählten etwa die „Task Force Takuba“ mit Spe­zial­einheiten aus 12 Ländern, und Bataillone der G5 Sahel, in der Mali, Burkina Faso, Mauretanien, Niger und Tschad ihre Sicherheitszusammenarbeit koordinieren.

Heute, acht Jahre später, ist die Bilanz düster: Bei Operationen unter französischer Führung sollen mindestens 2800 Dschihadisten getötet worden sein, die Franzosen selbst haben 58 Soldaten verloren.1 Die Verluste der afrikanischen Truppen dürften weit höher liegen: Sie verzeichneten vermutlich hunderte Tote und Verwundete. Die genaue Zahl ist unbekannt, denn es gibt keine offizielle Angaben. Die zivilen Opfer in den betroffenen Ländern sollen sich auf mehrere Tausend belaufen.

Seit dem Staatsstreich von August 2020, bei dem Präsident Ibrahim Boubacar Keïta, ein Vertrauter Frankreichs, gestürzt wurde, befindet sich Mali in einer schweren politischen Krise.2 Trotz dieses ersten Donnerschlags war es im Rahmen von „Barkhane“ möglich, die Zusammenarbeit mit den sogenannten Übergangsbehörden fortzusetzen. Die Operationen gingen weiter und die Kooperation mit den malischen Streitkräften wurde fortgeführt.

Doch die Situation verschlechterte sich, als Oberst Assimi Goïta, der Vizepräsident der Übergangsregierung, im August 2021 einen weiteren Putsch organisierte, um die Macht vollständig zu übernehmen. Als Erstes setzte er die Vorbereitung der Wahlen aus, die im Februar 2022 hätten stattfinden sollen. Die öffentliche Bühne überließ Goïta, dessen Ziele unklar bleiben, ­seinem Ministerpräsidenten Choguel Kokalla Maïga und seinem Außenminister Abdoulaye Diop, die beide gegenüber Paris sehr kritische Töne anschlagen.

Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) verurteilte den Staatsstreich und verhängte scharfe Sanktionen gegen das Land. Die Militärregierung rückte von ihren europäischen Verbündeten ab, insbesondere von Frankreich, und stellte damit die Verteidigungsabkommen infrage, die französischen Militärs erlaubten, sich frei im Land zu bewegen. Dass sich Söldner der russischen paramilitärischen Gruppe Wagner im Land aufhielten, die berüchtigt ist für ihre Übergriffe auf die Zivilbevölkerung3 , bestritt die Junta zunächst. Schließlich bestätigte sie doch die Anwesenheit der Wagner-Truppe, mit der die Europäer keinesfalls kooperieren wollen.

Bamako setzt lieber auf die Gruppe Wagner

Die Zusammenarbeit funktionierte nicht mehr: „Es kam vor, dass die malischen Streitkräfte die französischen Verbindungsoffiziere in den Einsatzzentren aufforderten, den Raum zu verlassen, damit sie ihre Operationen mit Wagner absprechen konnten“, berichtete uns ein hochrangiger französischer Militär. Am 24. Januar 2022 folgte der nächste Schlag gegen Frankreich, das große Erwartungen an die Unterstützung durch „Takuba“ geknüpft hatte: Die Regierung in Bamako entschied, dass die dänischen Spezialkräfte, die gerade in Gao angekommen waren, nun doch nicht willkommen seien.

Der Ton zwischen Frankreich und Mali wurde immer schärfer. Der französische Außenminister Jean-Yves Le ­Drian sprach am 1. Februar 2022 vor dem Pariser Parlament von der „Illegitimität“ einer „unverantwortlichen“ Junta. Am 28. Februar forderte der malische Außenminister in Radio France Internationale mehr „Respekt“ von seinem ehemaligen Verbündeten. Am 31. Januar wies die malische Regierung den französischen Botschafter aus.

Daraufhin machte das Gerücht die Runde, die Operation „Barkhane“ werde beendet. Am 17. Februar gab Präsident Macron das Ende offiziell bekannt. Parallel werden auch die Truppen der Operation „Takuba“ und das kanadische Truppenkontingent abgezogen, aber in erster Linie handelt es sich um einen französischen Rückzug. Seit 2013 und der „mutigen Entscheidung von Präsident François Hollande, auf Ersuchen der malischen und der regionalen Verantwortlichen in Mali zu intervenieren“, habe Frankreich eine wichtige Rolle bei der „internationalen Mobilisierung zugunsten der Sahelzone gespielt“, sagte Macron.

„Wir können nicht weiter militärisch engagiert bleiben, wenn wir weder die Strategie noch die heimlichen Ziele der Verantwortlichen vor Ort teilen“, betonte Frankreichs Präsident. Er bezeichnete die Truppenverlegung allerdings als „Reorganisation“ und vermied sorgfältig das Wort „Rückzug“. Weiterhin betonte er, dass sich al-Qaida und IS-nahe Gruppen mittlerweile schon bis in die Länder am Golf von Guinea ausdehnen würden. Deswegen müssten die französischen Streitkräfte in der Region dauerhaft präsent bleiben. Der riesige Militärflughafen von Niamey in Niger soll zum neuen Drehkreuz für „Barkhane“ werden.

Die malische Übergangsregierung wiederum kritisierte eine Reihe „einseitiger“ Entscheidungen und „wiederholte Verstöße gegen die Verteidigungsabkommen“. Dann „lud“ sie Frankreich „ein, unverzüglich die Truppen von ‚Barkhane‘ und ‚Takuba‘ abzuziehen, unter der Aufsicht der malischen Behörden“. Beide, Frankreich wie Mali, sind darum bemüht, den Bruch als für sich vorteilhaft darzustellen. Die malischen Verantwortlichen feierten die wiedergewonnene Souveränität und räumten den Franzosen vier bis sechs Monate ein, um ihre Truppen abzuziehen.

In Paris weigert man sich hartnäckig, von Scheitern zu sprechen. „Die den Armeen gesetzten Ziele wurden erreicht“, versichert Oberst Pascal Ianni, Sprecher des französischen Generalstabs. Dann erinnert er daran, dass Nordmali 2013 von Dschihadisten besetzt gewesen war und die regulären Truppen die Flucht ergriffen hatten. Man werfe „Barkhane“ vor, der Operation sei es nicht gelungen, den Terrorismus auszumerzen, sagt Ianni. „Aber die Wurzeln des Terrorismus haben nichts mit den Sicherheitsproblemen zu tun. Die jungen Leute schließen sich bewaffneten Gruppen an, weil sie keine Zukunftsperspektive haben, weil es Spannungen zwischen den Gemeinschaften gibt, aber nicht weil französische Truppen in der Region sind.“

Die Vorwürfe, auf die Ianni eingeht, bekommt man im ganzen Land zu hören, vor allem im Süden, weit weg von den Kampfgebieten. In den letzten Monaten kam es vermehrt zu Protestak­tio­nen gegen die Operation „Bark­hane“ und Frankreich: Ende November 2021 wurde sogar ein französischer Militärkonvoi an der Grenze zwischen Niger und Burkina Faso mehrere Tage von der lokalen Bevölkerung blockiert. Hinzu kommt die russische Propaganda, die mit ihren manipulativen Filmen und Nachrichten die Spannungen verschärft. Man muss unweigerlich feststellen: Nach acht Jahren Präsenz ist es Frankreich nicht gelungen, Sicherheit und Frieden in die Sahelregion zu bringen.

Nach Angaben der US-amerikanischen NGO Armed Conflict and Event Data Project (Acled) kamen seit 2013 in Niger 5622 Zivilpersonen bei Gewalttaten ums Leben, in Burkina Faso 8201 und in Mali sogar 12 143. Die Gewalt hat immer weiter zugenommen und 2020 einen Höhepunkt erreicht. Die französischen Truppen haben zwar IS-nahen Gruppen schwere Schläge zugefügt, aber andere Gruppen in Gebieten, die sie nicht vollständig kontrollieren können, agieren ungehindert weiter.

Blauhelme ärgern sich über die Franzosen

„Es ist nicht zu bestreiten, dass dies ein Misserfolg ist“, sagt der Konfliktforscher Yvan Guichaoua. „Frankreichs Plan war, im Land zu bleiben. Sie wollten den Rückzug nicht. Aber die Aggressivität der Militärregierung erklärt nicht alles.“ Von Anfang an gab es da diesen Widerspruch: „Frankreich versicherte, den Menschen in Mali helfen zu wollen, und traf gleichzeitig Entscheidungen, die nicht zu den Erwartungen der Bevölkerung und den Fähigkeiten des Regimes passten.“

Guichaoua erinnert beispielsweise daran, wie Paris darauf bestand, dass bereits im September 2013 Wahlen stattfinden sollten, obwohl die Bedingungen dafür noch nicht erfüllt waren.

Frankreich spricht im Sahel von einer Dreifachstrategie: Diplomatie, Entwicklung, Verteidigung. Es geht um die Jagd nach Dschihadisten, aber auch um Ausbildung und Unterstützung von Operationen malischer Soldaten. Letztere sind jedoch oft machtlos, vor allem im Norden des Landes. Dort „sind die Terroristen zu Hause“, klagt ein französischer Offizier, der malische Soldaten begleitet hat. „Es geht ihnen wie uns: Sie operieren auf fremdem Gebiet. Die Menschen, die man in Frankreich Terroristen nennt, sind in Wahrheit Nomaden, Bauern. Sie werden nur von Ideologen mobilisiert. Ihre Motivation ist unterschiedlich: Mal ist es das Geld, mal der soziale Status.“

Die derzeitigen Machthaber in Bamako wollen sich offenbar weder an das Kriegsrecht noch an die internationalen humanitären Regeln halten. „Die Militärregierung will sich davon nicht einschränken lassen“, sagt ein französischer Beobachter, der anonym bleiben möchte. Teils habe das auch mit rassistischen Einstellungen zu tun. „Die Nationalisten in Bamako verachten die Fulbe, Araber und Tuareg und sind schnell mit der Bezeichnung Terroristen bei der Hand.“ Am 15. März deckte die NGO Human Rights Watch Gräueltaten malischer Militärs auf. Sie hatten an Bevölkerungsgruppen Rache nehmen wollen, denen sie Kollabora­tion mit den Dschihadisten vorwarfen.4

Die Franzosen empören sich schnell, wenn man ihnen Neokolo­nia­lismus oder Arroganz vorwirft. Doch hinter den Kulissen kritisieren sie, dass die lokalen Verantwortlichen im Norden nicht in der Lage seien, die Kontrolle des Staates wiederherzustellen. Paris beteuert, man richte sich nach den Wünschen der lokalen Bevölkerung. „Afrika den Afrikanern ist nicht nur ein Schlagwort oder eine Mode“, sagte Luc Hallade, der französische Botschafter in Ouagadougou, bei einer Pressekonferenz am 11. März. „Es gibt von unserer Seite eine echte Bereitschaft, den Entscheidungen zu folgen, die auf regionaler Ebene von den afrikanischen Organisationen getroffen werden.“

Doch solche Worte können viele Regierungen in der Region nicht überzeugen. Frankreichs Vorwurf, die malische Regierung sei illegitim, habe einige westafrikanische Politiker aufgebracht, die ansonsten die Putschisten abgelehnt hätten, meint ein Franzose, der die Verhandlungen zwischen den neuen Machthabern in Bamako und Paris verfolgt hat.

Frankreichs aggressives Auftreten in Mali kontrastiert in der Tat mit dem Wohlwollen gegenüber den Militärs, die im Januar 2022 in Burkina Faso die Macht übernommen haben. Und es fragt sich, warum Präsident Macron so positiv über den neuen Präsidenten des Tschad, Mahamat Déby, spricht, der im April 2021 ebenfalls einen Staatsstreich inszeniert hat. Die Vermutung liegt nahe, dass die französische Unterstützung für Diktatoren davon abhängt, ob diese die Pariser Interessen mittragen.

Die Franzosen haben den Ruf, arrogant zu sein. Selbst bei der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (Minusma), deren Rolle von Paris heruntergespielt werde, ärgere man sich über die Franzosen. „Sie erwecken den Eindruck, die Blauhelme wollten sich in den französischen Lagern festsetzen, obwohl es in Wahrheit umgekehrt ist“, sagt ein Verantwortlicher der inter­nationalen Truppe. Man dürfe nicht unterschätzen, wie viel Sicherheit ‚Barkhane‘ vermittle, „aber man darf es auch nicht überschätzen. Wir sind immer ohne Hilfe zurechtgekommen.“

Als Emmanuel Macron den Rückzug von „Barkhane“ ankündigte, würdigte er ausführlich die französischen Soldaten, die im Kampf gegen den Terrorismus getötet worden waren. Die zahlreichen afrikanischen Soldaten oder die 146 Blauhelme, die ebenfalls gefallen waren, erwähnte er mit keinem Wort.

Und was wird aus den Menschen in Mali, während Paris und Bamako einen PR-Krieg führen? Alle Aufmerksamkeit konzentriere sich allein auf den Abzug der französischen Truppen, die russische Wagner-Truppe, Militärputsche und diplomatische Streitereien, beklagte das „Bürgerbündnis für den Sahel“ am 16. Februar in einem offenen Brief. „Die Bedürfnisse der Zivilbevölkerung, sind dabei völlig in den Hintergrund geraten.“5

1 Anthony Fouchard, „Au Sahel, l’armée française a tué au moins 2800 djihadistes“, Mediapart, 16. Februar 2022.

2 Anne-Cécile Robert, „Putsch in Mali – Menetekel für Westafrika“, LMd, Oktober 2020.

3 „République centrafricaine: le groupe russe Wagner harcèle et intimide les civils, dénoncent des experts de l’ONU“, ONU Info, New York, 27. Oktober 2021.

4 „Mali: New Wave of executions of civilians“, Human Rights Watch, 15. März 2022.

5 „A l’heure des redéploiements militaires, un sursaut civil est plus urgent que jamais au Sahel“, Coalition citoyenne pour le Sahel, 16. Februar 2022.

Aus dem Französischen von Ursel Schäfer

Romain Mielcarek ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 07.04.2022, von Romain Mielcarek