11.11.2021

Ortega – Revolutionär, Opportunist, Autokrat

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Ortega – Revolutionär, Opportunist, Autokrat

Bei der Präsidentenwahl in Nicaragua am 7. November war die Beteiligung sensationell niedrig und die Opposition ausgeschaltet. Mit der Inhaftierung alter Weggefährten und politischer Gegner sicherte Ortega seine vierte Amtszeit. Trotzdem hat er innerhalb der internationalen Linken immer noch Unterstützer.

von Gabriel Hetland

Leon, 19. Juli 1979: erste Pressekonferenz der provisorischen Regierung, v. l. n. r.: Ernesto Cardenal, Moisés Morales, Daniel Ortega, Sergio Ramírez, Violeta Barrios de Chamorro, Alfonso Robelo Callejas, Tomás Borge ullstein bild
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Von den einen wird Ortega noch immer als revolutionärer Antiimperialist gefeiert, der Washington die Stirn biete und „sich für die Armen starkmacht“. Das behauptete jedenfalls der nicaraguanische Außenminister Denis Moncada bei einer Solidaritätsveranstaltung für Nicaragua Ende September in der Holyrood Episcopal Church / ­Iglesia Santa Cruz in New York.

Für andere dagegen sind Daniel Ortega und Rosario Murillo, seine Ehefrau und Vizepräsidentin, ein autoritäres Herrscherpaar, das für brutale Repression und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist und die Demokratie in Nicaragua auf dem Gewissen hat. Sie halten das Regime Ortega/Murillo für eine dynastische Diktatur,1 die die sandinistische Revolution von 1979 verraten hat.

Ortegas Ruf als Revolutionär geht zurück auf die 1970er Jahre, auf seine Führungsrolle im Kampf gegen die von den USA gestützte Diktatur der Somozas, die 1979 mit dem Sieg der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) endete.

Mit der fünfköpfigen Revolutionsjunta, der auch Ortega angehörte, kam damals eine neue, kreative Regierung ans Ruder, die zahlreiche soziale und politische Rechte durchsetzte und die Lage der armen und seit Langem notleidenden Bevölkerungsmehrheit erheblich verbesserte.

Doch die USA setzten dieser Regierung erbitterten Widerstand entgegen und unterstützten den Kampf der sogenannten Contra-Rebellen mit hunderten Millionen Dollar, auch durch geheime, illegale Geldflüsse.2 Nach einem Jahrzehnt Bürgerkrieg verlor die FSLN 1990 die Wahlen. Eine konservative Regierung unter Violeta Chamorro kam an die Macht und verfolgte 16 Jahre lang eine Politik der neoliberalen Reformen.

Mit dem Wahlsieg von 2006 kehrte Ortega triumphal ins Präsidentenamt zurück. Seine Anhänger schildern diese zweite Phase seiner Herrschaft (von 2007 bis heute) als durchaus erfolgreich und werten sie als weiteren schlagenden Beweis seiner revolutionären Führungsqualitäten. In diesem Sinne würdigt etwa die Graswurzel-Aktivistin Yorlis Gabriela Luna die Leistungen Ortegas bis 20183 – also bis zu dem Jahr, in dem die massiven Proteste gegen Sozialabbau in vielen Städten Nicaraguas vom Regime blutig niedergeschlagen wurden. Ortega und seine Gefolgschaft bezeichneten diese Massenproteste als „weichen Putschversuch“.

Zu den Errungenschaften der Regierungszeit Ortegas, die seine Kritiker bestreiten und/oder anders bewerten, zählt Yorlis Luna ein Jahrzehnt stetigen Wirtschaftswachstums, das dazu beigetragen habe, die Armut im Land um 30 Prozent zu verringern; außerdem Nicaraguas vergleichsweise niedrige Mordrate – übrigens die niedrigste in ganz Mittelamerika, das ansonsten zu den gewalttätigsten Weltregionen zählt, in denen kein bewaffneter ­Konflikt herrscht; die kostenlose Grund- und höhere Schulbildung sowie freie medizinische Versorgung für Menschen mit geringen Einkommen; und den Bau von „grundlegenden Infra­strukturen wie Brücken, Trinkwasser- und Abwasserleitungen, die es bis dahin in Nicaragua nicht gegeben hatte“.

Allerdings räumen auch Ortegas linke Unterstützer ein, dass allein diese Leistungen Nicaragua noch nicht zu einem sozialistischen oder gar revolutionären Staat machen. Sie betonen jedoch, dass der Präsident es geschafft habe, in einer schwierigen historischen Situation große Erfolge zu erringen. Deshalb seien die Kompromisse, die er mit dem privaten Unternehmertum, mit den bürgerlichen Konservativen, mit ehemaligen Contras und mit der katholischen Kirche geschlossen hat, unumgänglich gewesen. Nach dieser Lesart ist Ortega ein pragmatischer Revolutionär. Dank seines politischen Geschicks genössen die Armen und die gesamte Arbeiterklasse Nicaraguas sehr viel mehr Wohltaten, als sie sonst hätten erhoffen können.

Seit der Zäsur vom April 2018 haben sich vor allem zwei Dinge nicht geändert, die die Behauptung, Ortega sei revolutionär, irgendwie zu stützen vermögen: Das eine ist seine linke Rhetorik und das andere das zunehmend spannungsgeladene Verhältnis zu den USA. Ortega selbst bezeichnet sich stets nicht nur als Revolutionär und Sozialist, sondern auch als Antiimperialist. Vor dem Hintergrund einer über 150-jährigen Geschichte, in der sich die USA in die inneren Angelegenheiten Nicaraguas eingemischt haben, ist das immer noch ein wirkungsvolles Etikett, zumal im Hinblick auf den Bürgerkrieg der 1980er Jahre.

Pakt mit Kirche und ­Privatwirtschaft

Außerdem behaupten Ortega und seine Gefolgsleute, dass die Proteste von 2018 von den USA organisiert worden seien, um einen Regimewechsel in Nicaragua zu erzwingen. Washington gehe gegen Nicaragua genauso vor, wie es die revolutionären Regierungen von Kuba, Venezuela und Bolivien bekämpft habe.

Seit 2018 hat sich in der Tat das Verhältnis der USA zu Nicaragua verschlechtert. Im Dezember trat der Nicaragua Investment Conditionality Act (Nica Act) in Kraft. Das Gesetz aus dem Jahr 2016 war zuvor nicht durch den Senat gekommen, aber nach der Niederschlagung der Proteste wurde es in beiden Kongresskammern angenommen. Es gestattet der US-Regierung, die Kreditvergabe internationaler Finanzinstitutionen wie der Weltbank an die nicaraguanische Regierung zu blockieren. Es gibt allerdings Hinweise, dass solche Kredite trotzdem vergeben wurden.

Mit dem Renacer Act (Reinforcing Nicaragua’s Adherence to Conditions for Electoral Reform), der im Juli 2021 den US-Senat passierte, sollen noch striktere Sanktionen gegen das Ortega/Murillo-Regime durchgesetzt werden. Für die Parteigänger Ortegas unter der internationalen Linken laufen diese Maßnahmen auf einen „neuen Contra-Krieg“ hinaus.

Einige Argumente, die Ortega eine revolutionäre Bilanz bescheinigen, sind nicht von der Hand zu weisen: Ungeachtet all ihrer Fehler muss man der sandinistischen Revolution von 1979 zugutehalten, dass sie dem nicaraguanischen Volk ein bis dahin ungekanntes Maß an sozialen, wirtschaftlichen und politischen Freiheiten gebracht hat. Und Daniel Ortega setzte nach seiner Rückkehr ins Präsidentenamt 2007 wichtige Programme um, die die Lage der Armen tatsächlich verbessert ­haben.

Dadurch konnte er sich eine gesellschaftliche und politische Basis aufbauen, die die zweite Phase seiner Präsidentschaft bis heute trägt. Es ist auch unbestreitbar, dass die USA sich seit jeher jeglichen revolutionären, oft genug auch nur in Ansätzen reformerischen Veränderungen in Lateinamerika widersetzt haben und rechtsgerichtete Kräfte in der Region – und eben auch in Nicaragua – unterstützen.

Dennoch halten die zentralen Behauptungen der These vom Revolu­tio­när im Präsidentenamt einer näheren Überprüfung nicht stand. Die Vorwürfe vonseiten der Linken gegen das Regime Ortega/Murillo sind gewichtig – und sie vermögen zu überzeugen. Die meisten kritischen Stimmen setzen schon bei den 1990er Jahren an, als Ortega an der Spitze der FSLN eine mächtige und schlagkräftige Oppositionsstruktur unter seinem persönlichen Kommando gegen die frei gewählte und von den USA unterstützte Regierung unter Violeta Chamorro schuf.

Schon 1995 brachen eine Reihe von früheren Weggefährten mit Ortega, darunter sein ehemaliger Vizepräsident, der Schriftsteller Sergio Ramírez, die bekannte Ex-Guerillera und Gesundheitsministerin von 1985 bis 1990, Dora María Téllez, und Hugo Torres, der Ortega 1974 in einer Kommandoak­tion aus dem Gefängnis befreit hatte. Sie verließen die FSLN und gründeten zusammen mit einer Gruppe ehemaliger Sandinistas die MRS, die Bewegung der Sandinistischen Erneuerung (Movimiento de Renovación Sandinista).

Ein wichtiger Grund für den Bruch war Ortegas zunehmend autoritärer Führungsstil und der Eindruck, er driftet politisch immer mehr nach rechts.4 Einen weiteren Schlag erlitt Ortegas Ansehen 1998, als seine Stieftochter Zoil­amé­rica ihm öffentlich vorwarf, er habe sie 10 Jahre lang, seit ihrem 12. Lebensjahr, sexuell missbraucht. Auf die Unterstützung ihrer Mutter Rosario Murillo konnte sie dabei nicht zählen. Die hielt zu ihrem Mann.

Gegen Ortegas Sieg bei der Präsidentschaftswahl 2006 erhoben sich ebenfalls kritische Stimmen aus dem linken Lager: Kurz vor der Wahl war Ortega ein Bündnis mit der überaus konservativen katholischen Kirche Nicaraguas eingegangen und hatte mit dem bisherigen Präsidenten Arnoldo Alemán interne Absprachen getroffen. Die Bedeutung der Sozialprogramme, die Ortega nach 2007 umsetzte, sollte dennoch nicht unterschätzt werden, wenn auch seine Positionen mittlerweile Lichtjahre von jenen Grundsätzen entfernt waren, die er in den Anfängen der sandinistischen Revolution vertreten hatte.

Der US-amerikanische Lateinamerikanist William Robinson, der in den 1980er Jahren in Managua mit den Sandinistas zusammenarbeitete, weist etwa in seiner ausführlichen aktuellen Analyse5 darauf hin, dass Ortega bei seiner Rückkehr ins Amt „unbedingte Achtung des Privateigentums und uneingeschränkte Freiheit für das Kapital versprochen“ hatte. Der revolutionäre Präsident habe seither im Einvernehmen mit dem Obersten Rat der Privatwirtschaft (Consejo Superior de la Empresa Privada, Cosep) regiert, bis dieser sich 2018 von ihm abwandte.

Gleichzeitig, so Robinson, habe Ortega sich durchaus von seinen rechten Amtsvorgängerinnen Chamorro und Alemán unterschieden: „Nach seiner Rückkehr ins Amt verstaatlichte die Regierung das Gesundheits- und das Bildungssystem wieder, sie erhöhte die Sozialausgaben, investierte in die Infrastruktur und brachte weitere wohlfahrtsstaatliche Projekte auf den Weg.“ Die Ergebnisse seien bedeutsam, aber begrenzt gewesen: „Für die einkommensschwachen Menschen waren diese Sozialprogramme nach Jahren unablässiger Privatisierungen und anhaltender Sparpolitik wichtig und willkommen. Aber sie änderten nichts an dem im Kern neoliberalen Modell, das die drei Vorgängerregierungen installiert hatten.“

Robinson bestreitet außerdem, dass die Armut unter Ortega wirklich deutlich abgenommen hat, und führt Daten an, wonach die Armutsquote von 2009 bis 2014 nur um bescheidene 5,8 Prozent zurückgegangen, aber danach wieder angestiegen ist. Ein wesentlicher Grund für dieses Auf und Ab ist Nicaraguas Abhängigkeit von dem rohstoffreichen Venezuela, das aber selbst tief in der Krise steckt.

Gegen Ortega werden noch sehr viel mehr Vorwürfe erhoben. So gilt er weithin als Drahtzieher hinter einer Reihe äußerst kontroverser Entscheidungen der höchsten staatlichen Institutionen: 2008 verfügte die nationale Wahlkommission, dass die oppositionelle MRS aufzulösen sei. Und 2009 beschloss der oberste Gerichtshof, dass die Haftstrafe gegen den ehemaligen Staatspräsidenten Arnoldo Alemán, der wegen Veruntreuung von Staatsgeldern zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden war, nicht vollzogen werden soll. Derartige Vorgänge untermauern die Einschätzung von Ortega als einem korrupten, skrupellosen und machtgierigen Herrscher.

Doch die derzeit schwersten Vorwürfe gegen Ortega und seine Vizepräsidentin Murillo betreffen die gewaltsame Reaktion auf die Proteste von 2018. Der geplante Umbau des Rentensystems, mit dem die Bürgerinnen und Bürgern mehr in die Sozialkassen einzahlen und niedrigere Renten ausgezahlt bekommen sollten, löste im April 2018 die ersten Demonstrationen aus. Als im ganzen Land zahlreiche Menschen auf die Straße gingen, griffen die Sicherheitskräfte sofort zur Waffengewalt. Die Proteste hielten an, auch nachdem die Rentenreform zurückgezogen worden war. So forderten die Menschen unter anderem den Rücktritt des Duos Ortega/Murillo. Dabei kamen nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen 300 bis 500 Menschen ums Leben, mehrere tausend wurden verletzt und festgenommen.

William Robinson schreibt, dass durch die gnadenlose Repression mehr als 100 000 Menschen als politisch Verfolgte das Land verließen. Der in Venezuela lehrende Politologe Steve Ellner dagegen bemerkt dazu in einem Kommentar für eine Sonderausgabe der Zeitschrift Latin American Perspectives,6 die linke Kritik an Ortega ignoriere die „Doppelgesichtigkeit“ der Proteste.

Hilfsgelder und ­Kredite ­aus den USA

Gewiss seien „idealistische junge Menschen“ daran beteiligt und solche, die mit der Reform des Sozialsystems unzufrieden seien; aber eben auch „gewaltbereite, rechtsgerichtete Kräfte, die schon lange in Opposition zu Ortega“ stünden und die Proteste nutzen wollten, um ihn aus dem Amt zu jagen. ­Ellner und andere behaupten, Washington unterstütze oppositionelle Gruppen massiv finanziell, und sie stellen die Frage, inwieweit die US-Sanktionen der Bevölkerung Nicaraguas schaden.

Die Regierung Ortega/Murillo hat selbst von Anfang an behauptet, die Protestbewegung sei ausschließlich das Werk der US-Regierung. Dafür gibt es jedoch keinerlei Anhaltspunkte, vor allem die Breite und der spontane Charakter der Proteste sprechen dagegen. William Robinson legt im zweiten Teil seiner Analyse7 dar, dass die Behauptung, die USA hätten Ortega stets zu stürzen versucht, durch ein zentrales Argument zu widerlegen ist: Die Hilfsgelder und Kredite aus den USA gingen in all den Jahren der Präsidentschaft Ortegas bis zu den Ereignissen von 2018 stets direkt an die offiziellen Regierungsstellen.

Auch in den letzten Monaten haben Ortega, Murillo und ihr Gefolge immer wieder die Gefahren des US-Imperialismus beschworen, um ihr erneutes Vorgehen im Vorfeld der Wahlen gegen die politische Opposition und gegen jede Form des Widerspruchs zu rechtfertigen. Im Juni begann eine Welle von Verhaftungen und Festnahmen, die immer noch andauert.

Sieben hochrangige Oppositionspolitikerinnen und -politiker wurden festgesetzt, darunter die aussichtsreichsten Gegenkandidaten bei den Wahlen, und „etliche Dutzend weitere politische Gegner, Journalistinnen, politisch aktive Studierende und Menschenrechtsaktivisten“, schreibt Robinson. Unter ihnen sind auch die Heldenfiguren der sandinistischen Revolution Hugo Torres und Dora María Téllez, die beide seit Juni in dem berüchtigten Gefängnis El Chipote in Managua einsitzen.

Menschenrechtsgruppen haben sich sehr besorgt über ihre Haftbedingungen geäußert, Amnesty International und Human Rights Watch verurteilen grundsätzlich die jüngste Welle der Repressionen in Nicaragua. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Ortega und Murillo wollten die Wahl mit allen Mitteln gewinnen. Und alle innerhalb wie außerhalb der offiziellen sandinistischen Partei sollten das Signal hören: Dieses Regime duldet keinerlei Widerspruch.

Anders als in der Vergangenheit stieß Ortegas Verhalten inzwischen auch bei prominenten Linken auf heftige Kritik. Im Juli unterzeichneten über 500 Personen aus den USA, die in den 1980er Jahren mit und für die Sandinistas gearbeitet hatten, einen offenen Brief an die nicaraguanische Regierung. Darin ist aufgeführt, was diese Personen in der Vergangenheit für Nicaragua geleistet haben. Der US- Imperialismus wird in ihrem Brief eindeutig und scharf verurteilt, „doch die – gegenwärtigen und vergangenen – Verbrechen der USA sind weder der Grund für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die das gegenwärtige Regime von Daniel Ortega und Rosario Murillo begangen hat, noch rechtfertigen oder entschuldigen sie diese.“

Unterschrieben haben Persönlichkeiten wie Noam Chomsky, Alice Walker, Daniel Ellsberg und William Robinson. Der Brief schließt mit drei Forderungen: „Wir verlangen die Freilassung der mehr als 130 politischen Gefangenen, die gegenwärtig festgehalten werden, einschließlich der potenziellen Kan­di­da­t:in­nen, der Mitglieder der Opposition und der historischen Anführer der sandinistischen Revolution; die Aufhebung der drakonischen nationalen Sicherheitsgesetze, aufgrund derer diese Personen verhaftet wurden; und Gespräche über Wahlreformen, die sicherstellen, dass es freie und gerechte Wahlen geben wird, bei denen die potenziellen Kandidat:innen, die aktuell festgehalten werden, kandidieren können und die unter internationaler Beobachtung stattfinden.“

Daniel Ortega und Rosario Murillo, das ewige Herrscherpaar, werden ungeachtet ihrer Taten weiterhin von einem Teil der internationalen Linken als Beweis für die Vitalität des revolutionären Antiimperialismus gefeiert. Aber man sollte Ortegas Sieg besser als Fortsetzung und Höhepunkt einer 15-jährigen autokratischen Herrschaft begreifen, die in den letzten Monaten die Zügel noch einmal drastisch angezogen hat. Linke Kräfte in aller Welt sollten das entschieden verurteilen.

1 Vgl. Sandra Weiss, „Nicaraguas Herrscherdynastie“, LMd, Oktober 2016

2 Die Iran-Contra-Affäre wurde 1986 publik: Die Reagan-Administration hatte Erlöse aus geheimen Waffen­lieferungen an Iran unter Missachtung des US-Kongresses an die Contra-Rebellen in Nicaragua weitergeleitet. Es kam zur Verurteilung hochrangiger Militärs.

3 Yorlis Gabriela Luna, „The Other Nicaragua“, Council on Hemispheric Affairs, 2. Oktober 2019.

4 Siehe Toni Keppeler, „Sie nannten ihn Carlos Vanzetti. Erinnerungen eines deutschen Guerillakämpfers und Arztes an die Revolution in Nicaragua“, LMd, März 2016.

5 William Robinson, „Crisis in Nicaragua: Is the Ortega-Murillo Government Leftist? (Part I)“, Nacla.org, 19. August 2021.

6 Steve Ellner in einem Kommentar in: Latin American Perspectives, 17. September 2021.

7 „Crisis in Nicaragua: Is the US Trying to Overthrow the Ortega-Murillo Government? (Part II)“, Nacla.org, 20. August 2021.

Aus dem Englischen von Ursel Schäfer

Gabriel Hetland ist Soziologe mit dem Forschungsschwerpunkt Lateinamerika.

Was wann geschah

1979 Nach 43 Jahren Diktatur endet die Somoza-Dynastie. Die einstige Guerilla FSLN übernimmt die Macht, Daniel Ortega wird einer der fünf Mitglieder der Regierungsjunta. Die von den USA finanzierten Contras beginnen den Kampf gegen das neue Regime.

1982 Die USA beenden offiziell die Finanzhilfen für die Contras.

1984 Die CIA vermint die Pazifikhäfen Nicaraguas. Ortega wird zum Präsidenten gewählt.

1985/86 Geldflüsse aus heimlichen Waffengeschäften der USA mit Iran werden an die Contras umgeleitet

1987 Die Iran-Contra-Affäre kommt ans Licht.

1990 Die bürgerliche Kandidatin Violeta Chamorro gewinnt die Präsidentschaftswahl. Sandinistische Funktionäre bereichern sich noch kurz vor der Machtübergabe („Piñata“). Der Bürgerkrieg wird offiziell beendet. Ortega baut eine schlagkräftige Oppositionsorganisation über Bürgerräte auf.

1995 Prominente Weggefährten brechen mit Ortega und gründen die neue Partei MRS.

1999 Ortega organisiert einen Pakt zwischen der FSLN und der Regierungspartei Partido Liberal Constitucionalista (PLC) unter Präsident Arnoldo Alemán. Dem korrupten Alemán soll damit die Immunität und Ortega politischer Einfluss gesichert werden.

2006 Nach einem Bündnis mit der katholischen Kirche und Versprechen an die Privatwirtschaft gewinnt Ortega die Präsidentenwahl. Abtreibung wird auch bei Vergewaltigung und Gefahr für Leib und Leben der Mutter unter Strafe gestellt.

2007 Umfangreiche Sozialprogramme werden nach und nach umgesetzt.

2010 Das Verfassungsgericht hebt das Verbot der Wiederwahl des Präsidenten auf.

2011 Ortega wird wieder Präsident.

2012 Das Gesetz zum Bau eines Schifffahrtskanals durch Nicaragua wird verabschiedet, das u.a. großflächige Enteignungen in indigenen Gebieten ermöglicht.

2016 Ortega wird wieder Präsident, Rosario Murillo Vizepräsidentin.

2018 Die Proteste gegen Sozialabbau werden blutig niedergeschlagen. Kirche und Unternehmerverband distanzieren sich von der Regierung.

2019 Nicaragua ist mit zwölf Morden das im Verhältnis zur Bevölkerungszahl gefährlichste Land der Welt für Umweltaktivisten.

2020 Ein Gesetz gegen ausländische Agenten („Putin-Gesetz“), das sich u.a. gegen zivilgesellschaftliche Organisa­tio­nen richtet, die Gelder aus dem Ausland erhalten, wird erlassen. Ebenso ein Gesetz gegen Cyberkriminalität, das Falschnachrichten unter Strafe stellt und gegen missliebige Medienberichte und Jour­na­lis­t:in­nen eingesetzt wird.

2021 Zahlreiche Oppositionelle werden verhaftet, darunter ehemalige Weggefährten sowie sieben potenzielle Ge­gen­kan­di­da­t:in­nen.

9.September Gegen den Schriftsteller Sergio Ramírez ergeht während eines Aufenthalts in Spanien ein Haftbefehl.

21. Oktober Der Chef des Unternehmerverbands und sein Stellvertreter werden verhaftet.

1. November Facebook erklärt, dass es 937 Accounts, 140 Seiten und 24 Gruppen einer Trollfarm der Regierung Ortega wegen Desinformation geschlossen hat.

7. November: Ortega wird wieder Präsident.

Le Monde diplomatique vom 11.11.2021, von Gabriel Hetland