08.07.2005

Mehr Afrika im Sicherheitsrat

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Mehr Afrika im Sicherheitsrat

von Delphine Lecoutre

Schon bei ihrer Gründung im Jahre 1963 forderte die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) „mit Nachdruck, dass Afrika als geografische Region in den wichtigsten Organen der Vereinten Nationen angemessen vertreten ist, vor allem im Sicherheitsrat, im Wirtschafts- und Sozialrat und in den Sonderorganisationen“.1 So war 1945 auf der Gründungskonferenz der Vereinten Nationen in San Francisco nicht ein afrikanisches Land dabei – damals gab es gerade einmal vier unabhängige afrikanische Staaten2 . Afrika musste bis zum Jahr 1965 warten, bevor es fünf nichtständige Sitze im Sicherheitsrat erhielt, die es zudem mit Asien teilen muss (s. Kasten).

Schnell nahm die Zahl der unabhängigen afrikanischen Staaten zu. So wurde auch die Forderung nach größerer Verantwortung innerhalb der UNO laut. Seit den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts träumten manche panafrikanische Politiker davon – für die damalige Zeit sicherlich vermessen –, dass ihr Kontinent eines Tages über einen seiner Vertreter einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat erhält.

Mit der Reform der UNO, die seit dem Ende des Kalten Krieges diskutiert wird, könnten diese Träume in Erfüllung gehen. 1997 meldete die OAU in der Erklärung von Harare3 offiziell ihren Anspruch an. In einem demokratisierten, effizienten und transparenten Sicherheitsrat, so die OAU, müssten auch die Länder des afrikanischen Kontinents vertreten sein. Sie forderte mindestens zwei ständige und fünf nichtständige Sitze für Afrika. Nach dieser Formel sollten die afrikanischen Mitglieder ihren Sitz im Sicherheitsrat im Namen von ganz Afrika einnehmen, nach einem Rotationssystem, dessen Kriterien die OAU selbst festlegen wollte. Die Erklärung von Harare forderte auch ein Vetorecht für die Staaten des afrikanischen Kontinents, die über einen ständigen Sitz verfügen, bis dieses Vorrecht für alle Inhaber abgeschafft ist.

Eine Gruppe von fünfzehn Ministern prüfte Anfang dieses Jahres im Auftrag der Afrikanischen Union einen Bericht, den hochrangige Politiker für UN-Generalsekretär Kofi Annan verfasst haben.4 Darin wurden zwei Optionen vorgeschlagen, die beide auf sechs Sitze unterschiedlicher Art in einem reformierten Sicherheitsrat hinauslaufen. Der Hauptunterschied: Das eine Modell sieht zwei ständige Sitze für Afrika und einen zu den drei bereits vorhandenen zusätzlichen nichtständigen Sitz mit je zweijähriger Laufzeit vor. Das andere Modell befürwortet zwei Sitze einer neuen Kategorie mit einem erneuerbaren Mandat für vier Jahre und ebenfalls die Aufstockung der nichtständigen Sitze auf vier.

Gewünscht ist ein Konsens außerhalb der UN

Die Frage ist letztlich: Sollen sich die Afrikaner um einen ständigen Sitz bemühen oder sich lieber für eine Rotation einsetzen? Das Fünfzehner-Komitee konnte sich für keine der beiden Optionen entscheiden und forderte mindestens zwei ständige und fünf nichtständige Sitze für Afrika.5 Dieses Dokument, das so genannte Konsensdokument von Elzuwini – benannt nach dem Namen der Stadt in Swasiland, in der es unterzeichnet wurde –, fordert nun nicht einfach „mehr Sitze für Afrika“, sondern zwei ständige Sitze für den Kontinent. Welche Staaten dann diese Sitze einnehmen würden, soll von der AU bestimmt werden. Die afrikanischen Staaten bestehen auch auf dem Vetorecht, selbst wenn dies eher zur Verhandlungsmasse gehört. Ein Dreizehner-Ausschuss6 soll auf internationaler Ebene eine Unterstützungskampagne für den Konsens von Elzuwini führen, eventuell sogar bestimmte Aspekte der UN-Reform verhandeln.

Auch wenn es den Anschein hat, dass die afrikanischen Staaten in dieser Frage Einigkeit erzielt haben – die Differenzen zwischen den Verfechtern eines ständigen Sitzes und den Verfechtern eines Rotationssystems sind groß. Zu der ersten Kategorie zählen die Staaten, die sich berechtigte oder unberechtigte Hoffnungen auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat machen, etwa Nigeria und Südafrika. In die zweite Kategorie fallen die Staaten, die erst später „aufgewacht“ sind. Dazu gehören Ägypten, Senegal, Kenia und Libyen.

Bisher haben sich die afrikanischen Länder noch nicht einmal auf die Kriterien für die Auswahl der Staaten einigen können, die als aussichtsreichste Kandidaten für einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat in Frage kommen. Im Großen und Ganzen wird über drei Kriterien diskutiert. Das wichtigste ist die Frage, inwieweit der Staat bereits Erfahrung mit afrikanischen oder weltweiten Friedensmissionen und -einsätzen hat.7 Das ist auch die Voraussetzung, die für den UN-Sicherheitsrat oberste Priorität hat. Ein zweites Kriterium ist die politische Stabilität, die Einhaltung demokratischer Regeln und die Respektierung der Menschenrechte. Ein drittes Kriterium könnte sein, dass das betreffende Land auch von den anderen Mitgliedstaaten akzeptiert werden kann und über ein gewisses Maß an „Umgänglichkeit“ verfügt. Bliebe noch die Frage: Wie kann man sicherstellen, dass die ausgewählten Länder auch die Sache des afrikanischen Kontinents vertreten und nicht ausschließlich ihre eigenen Interessen?

Was das wirtschaftliche und demografische Gewicht betrifft, so sind sicherlich Nigeria oder Südafrika die aussichtsreichsten Kandidaten für einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat. Der Vorsitzende des Dreizehner-Ausschusses hat die AU-Kommission beauftragt, einen Entwurf für die Festlegung der Kriterien auszuarbeiten, um erstmals eine internationale Vertretung auf die Beine zu stellen, die den gesamten Kontinent repräsentiert und nicht nur die Interessen einzelner afrikanischer Staaten. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass dies nicht gelingt.

Dann muss schließlich doch die Generalversammlung der UNO die Kandidaten für die neuen ständigen Sitze im Sicherheitsrat auswählen. Denn für die Erweiterung des Sicherheitsrates ist eine Änderung der UN-Charta notwendig. Und für diese ist eine Zweidrittelmehrheit der 191 Mitglieder der Generalversammlung erforderlich, insgesamt sind das 128 Stimmen. Die 53 afrikanischen Staaten können ihre Kandidaten also gar nicht allein auswählen.

Eine aktive Lobbypolitik ist bisher nicht in Sicht

Gegen die Wahrscheinlichkeit einer Einigung spricht auch, dass die afrikanischen Staaten keine gemeinsame Strategie haben. Es gibt keine konzertierten Aktionen, um die afrikanische Position gegen die anderen regionalen Gruppen und Ad-hoc-Koalitionen von Staaten zu verteidigen.8 Nigeria ist bemüht, sich der „Vierergruppe“ aus Brasilien, Deutschland, Indien und Japan anzuschließen. Dagegen wollen Länder wie Senegal und Algerien am Konsens von Elzuwini festhalten. Wieder andere haben sogar vorgeschlagen, Sonderbotschafter in die Hauptstädte der fünf ständigen Mitglieder zu entsenden, um deren Meinung zu sondieren. Manche Afrikaner glauben allerdings, dass es hilfreich wäre, wenn der Mann an der Spitze der UNO Afrikaner ist.

Angesichts des ungewissen Schicksals des Konsenses von Elzuwini und des Fehlens einer gemeinsamen afrikanischen Strategie – haben sich die Afrikaner da nicht von vornherein in eine denkbar ungünstige Ausgangsposition hineinmanövriert? Um für ihre Position zu werben, haben die afrikanischen Staaten wenig unternommen; stattgefunden hat nur ein Treffen von drei Mitgliedern des Dreizehner-Ausschusses mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen am 25. März 2005, um ihm den Konsens von Elzuwini vorzulegen.

Eine Frage, über die sich die Teilnehmer ebenfalls einigen müssen, ist die, auf welche Weise am besten Lobbying betrieben werden sollte. Sollen einzige Mitglieder im Namen der gesamten Gruppe versuchen, für die afrikanische Position zu werben? Oder sollen kleine Gruppen mit ganz gezielten Missionen beauftragt werden, zum Beispiel jede der anderen Weltregionen von der afrikanischen Position zu überzeugen und von dort mit neuen Ideen, Informationen und Antworten zurückzukehren? Oder sollte Afrika versuchen, direkt auf die Regierungen und Parlamente der fünf ständigen Mitglieder Einfluss zu nehmen? Und auf die Staaten, die in den anderen Regionen das größte Gewicht haben? Das Hauptproblem für die afrikanische Position ist, den mühsam erreichten Konsens von Elzuwini nicht zu gefährden.

Afrika könnte von der Unterstützung Chinas profitieren, da afrikanische Länder zu den ersten Staaten zählten, die die Volksrepublik China in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts anerkannten. Außerdem hat China starke wirtschaftliche Interessen in Afrika.9 Allerdings könnte sich diese Unterstützung in Luft auflösen, weil China große Vorbehalte gegen die Reform des Sicherheitsrates hat, vor allem weil auch Japan einen ständigen Sitz anstrebt. Kann Afrika auf die Unterstützung Europas zählen – aus historischen wie pragmatischen Gründen –, weil der afrikanische Markt interessante wirtschaftliche Aussichten für Europa bietet?

Darauf deutet im Augenblick nichts hin, ganz abgesehen davon, dass Frankreich entschlossen zu sein scheint, keinerlei Vorliebe für einen der Kandidaten zu zeigen, und sich hinter dem Grundsatz „Afrika den Afrikanern“ verschanzt. Und was die Unterstützung der USA anbelangt, so sind die meisten afrikanischen Kommentatoren der Meinung, dass die Vereinigten Staaten sich nur deshalb für eine Reform der UNO einsetzen, weil sie Japan einen Sitz im Sicherheitsrat verschaffen wollen.

Die Position Washingtons wird auf jeden Fall den Ausschlag geben. Sicher scheint, dass sich die Vereinigten Staaten, die nur eine mäßige Ausweitung des Sicherheitsrates wünschen, jedem Vetorecht für die neuen ständigen Mitglieder widersetzen werden.10 Und bis jetzt sind die Bemühungen der Afrikaner um eine wohlwollende Haltung der USA wenig dezidiert, kaum sicht-, kaum wahrnehmbar.

Fußnoten: 1 Konferenz der Staats- und Regierungschefs, 22. bis 25. 5. 1963, zitiert nach Lucien Manokou, „L’Afrique et le Conseil de sécurité de l’ONU (1946–1990)“, in: „Guerres mondiales et conflits contemporains“ Nr. 196, Dezember 1999, S. 10 f. 2 Äthiopien (das Land war nie Kolonie), Liberia (1847 unabhängig), Ägypten (1922 unabhängig) und Südafrika (1910 unabhängig). 3 OAU, Déclaration de Harare sur la réforme du Conseil de sécurité, Harare, 2.–4. Juni 1997. 4 Die „Fünfzehner“-Gruppe auf Ministerebene wurde im Januar 2005 von den Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union (AU, seit 2002 die Nachfolgerin der OAU) eingesetzt. Der Bericht, mit dem sie sich befassten, wurde Annan im Dezember 2004 von der von ihm beauftragten „Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel“ vorgelegt. 5 UA, Position commune africaine sur la réforme des Nations unies: „Le consensus d’Elzuwini“, Addis Abeba (Äthiopien), 7. bis 8. März 2005, S. 10. 6 Vertreter von zehn Ländern sowie die „geschlossene Dreiergruppe“: die Präsidenten des AU-Exekutivrates und der AU-Kommission sowie der Konsensverhandlungen von Elzuwini. 7 Jean Emmanuel Pondi, L’ONU vue d’Afrique, Paris (Maisonneuve et Larose) 2005. 8 Bardo Fassbender, „Pressure for Security Council Reform“, in: David M. Malone (Hg.): „The UN Security Council. From Cold War to the 21st Century“, Boulder/London 2004 (Lynne Rienner Publishers), S. 342–355. 9 Jean-Christophe Servant, „Weiße Elefanten in der Grauzone. Chinas gewissenlose Geschäfte in Afrika“, „Le Monde diplomatique“, Mai 2005, S. 14–15. 10 Brian Knowlton, „US Supports Japan for UN Council“, „International Herald Tribune“, Paris, 17. 6. 2005. Aus dem Französischen von Sonja Schmidt Delphine Lecoutre ist Doktorandin am Institut für Politische Wissenschaften der Universität Paris I und arbeitet am Institut d’études éthiopiennes der Universität Addis Abeba sowie am dortigen Centre français des études éthiopiennes.

Le Monde diplomatique vom 08.07.2005, von von Delphine Lecoutre