09.09.2021

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In Frankreich hat die Werbeindustrie ein progressives Klimaschutzgesetz verhindert

von Marie Bénilde

Weiterhin erlaubt: Werbung für Kreuzfahrten ­­MARY EVANS/ ­Picture Library/­picture alliance
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Ende November 2020 nahm die öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt France Télévisions eine Talkshow mit den Schwergewichten der französischen Werbeindustrie auf: Die Sendung „Les États Généraux de la Communication“ (Große Versammlung der Werbetreibenden) wurde allerdings nicht wie üblich im öffentlich-rechtlichen Sender France 5 ausgestrahlt, sondern nur auf den Websites der beteiligten Werbetreibenden.

In der Runde herrschte eine gewisse Alarmiertheit: Die Ministerin für ökologischen Wandel, Barbara Pompili, hatte ein Klimagesetz angekündigt, das die 149 Empfehlungen des Bürgerkonvents für das Klima (CCC) ganz oder teilweise übernehmen würde. Der CCC war 2019 als Antwort auf die Gelbwestenproteste ins Leben gerufen worden, um sozialverträgliche Maßnahmen zu definieren, die dazu beitragen sollen, die französischen Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren.1

Doch am 7. Dezember erklärte Umweltministerin Pompili auf einmal, das Klimagesetz werde nur etwa 40 Prozent der empfohlenen CCC-Maßnahmen übernehmen. Passé waren die Senkung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets, eine Autosteuer ab 1,4 Tonnen oder eine Steuer von 4 Prozent auf Unternehmensdividenden zur Finanzierung des ökologischen Wandels. Und natürlich war auch die vorgeschlagene Reglementierung von Werbung für klimaschädliche Produkte gestrichen.

Was war geschehen? Eine Diskussionsrunde, die der Agenturverband Udecam (Union des entreprises de conseil et d’achat média) im Oktober 2020 organisiert hatte, vermittelt eine Vorstellung von dem enormen Druck, dem die Ministerin ausgesetzt war.2 ­Matthieu Orphelin, fraktionsloser Abgeordneter in der Nationalversammlung, erwähnte in der Runde die Forderung des Bürgerkonvents, ab 2022 für eine Zeitspanne von zehn Jahren „Werbung für die umweltschädlichsten Produkte“ zu verbieten: „Wir haben bei den größten Geländewagen und SUVs angesetzt. Wir wollten diese Debatte in der Nationalversammlung führen und uns schlug der pure Lobbyismus entgegen“, berichtete Orphelin.

Wie zur Bestätigung konterten die anderen Geladenen mit wenig subtilen Argumenten: „Sie können nicht einfach alles verbieten, wir sind hier schließlich nicht in Nordkorea“, polterte etwa Pierre Calmard, Geschäftsführer von Dentsu Aegis Network France, einer der größten Agenturen für Kommunikations- und Mediaberatung. „Damit treiben Sie die ohnehin geschwächten Medien in den Ruin.“ Und als würden ihm die Bedürfnisse der kleinen Leute am Herzen liegen, behauptete er, die Medien könnten ihre Inhalte nur dank der Werbeeinahmen kostenlos zur Verfügung stellen.

In die gleiche Kerbe schlug Oli­vier Altmann von der Agentur Altmann + Pacreau: „Die sozialen Spannungen werden zunehmen, wenn wir eine grüne Verbotspolitik fahren. Mir ist es lieber, wenn ich durch steuerliche Maßnahmen zum Kauf eines Elektroautos angeregt werde, als wenn man mir verbietet, bestimmte Dinge zu kaufen, zu denken oder zu konsumieren.“

Und in einer anderen Diskussionsrunde von Udecam ereiferte sich der transhumanistische Aktivist und Gründer der Gesundheitswebseite Doctissimo, Laurent Alexandre: „Die Umweltschützer stellen die Marktwirtschaft infrage. Das sind grüngefärbte Sowjets. Was sie wollen, ist eine graue, unmenschliche Welt ohne Konsum. Der nächste Schritt ist, dass Filme und Bücher verboten werden, die nicht ökologisch sind. Die Werbung darf sich nicht auf eine DeGrowth-Logik einlassen.“

Zwei Monate später pries die Abgeordnete Aurore Bergé der Regierungspartei La République en ­Marche (LRM) in der eingangs erwähnten Sendung „Les États généraux de la communication“ die „Wirtschafts-, Anziehungs- und Wirkungskraft“ der Werbung. „Diejenigen, die bestimmte Arten von Werbung verbieten möchten, weise ich auf die damit verbundene Gefahr hin, dass dann nicht mehr alle Franzosen Zugang zur Meinungsvielfalt der Medien haben könnten“, warnte sie und äußerte ihre Sorge um die Unabhängigkeit der Redaktionen – die ja bekanntlich aus der Abhängigkeit von Werbekunden erwächst.

Nachdem Pierre Calmard außerdem behauptet hatte, dass Werbung „ein einzigartiges Instrument für den ökologischen Wandel“ sei, erwiderte Em­manuelle Soin, CEO der Omnicom Media Group, am 17. Juni in einer Aufnahme für die Werbeabteilung des Bezahlfernsehsenders Canal+ ungewöhnlich deutlich: „Wir müssen ehrlich sein: Werbung wird niemals Kohlenstoff binden. Wir werden nicht die Vorreiter des ökologischen Wandels sein.“ Sie versicherte aber, dass sich ihre Branche für den Übergang zu einer CO2-freien Industrie einsetzen werde. Doch selbst diese Randbemerkung war Canal+ anscheinend zu heikel: Der Sender schnitt sie aus dem Video mit Soin heraus.

Vor der endgültigen Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes im Juli 2021 war im Exposé noch versichert worden, es gehe darum, „die Konsum­anreize durch eine Regulierung des Werbesektors einzudämmen“ und ein Werbeverbot „für fossile Energien, die unmittelbar für den Klimawandel verantwortlich sind“, durchzusetzen.

Im Entwurf allerdings, der dann der Nationalversammlung vorgelegt wurde, ist Werbung für umweltschädliche Produkte weiterhin erlaubt. Lediglich für Autos mit CO2-Emmissionen über 95 Gramm pro Kilometer darf ab 2028 nicht mehr geworben werden. Kreuzfahrtunternehmen und Fluggesellschaften dürfen weiterhin für sich werben3 , und Mineralölkonzerne brauchen ihren Treibstoff nur als „grün“ anzupreisen, um für ihr Tankstellennetz zu werben. Digitalanzeigen in Schaufenstern werden nicht untersagt, müssen jedoch von den lokalen Behörden genehmigt werden.

SUVs, die 38 Prozent der französischen Autoverkäufe und 63 Prozent der Autowerbung in Printmedien ausmachen und laut dem World Wide Fund For Nature (WWF) die zweitwichtigste Ursache für die Zunahme der Treib­haus­gase sind, bleiben bis zu einem Gewicht von 1,8 Tonnen höhere Steuern erspart. Dank der Finessen des Greenwashing werden sie noch lange lukrative Werbeobjekte sein: Der Hybrid wird als Ökomodell verkauft, obwohl er nach wie vor ein Kraftstofffresser ist, dessen Benzin-Elektro-Motor den Wagen auch noch schwerer macht.

Die Werbelobby konnte triumphieren. Um das Wohlwollen der Medien zu gewinnen, brachte sie abenteuerliche Zahlen in Umlauf. So behauptete Antoine Ganne vom Syndicat National de la Publicité Télévisé (SNPTV), dem Verband der französischen TV-Werber, dass die Medien, sollten die Klimavorschläge des Bürgerkonvents beschlossen werden, 20 bis 30 Prozent weniger Einnahmen hätten.4 Und das Marktforschungsunternehmen Kantar hat errechnet, dass die Autoindustrie 2019 in Frankreich allein für die SUV-Werbung 1,8 Milliarden Euro ausgegeben hat.

Aus Angst, die Presse, den Rundfunk und das Fernsehen gegen sich aufzubringen, beließ es die Regierung schließlich bei einem „Verhaltenskodex“ und Selbstverpflichtungen. Unter der Aufsicht des Conseil supérieur de l’audiovisuel (Hoher Rat für audiovisuelle Medien) sollen die Werbeagenturen zukünftig „Klimaverträge“ mit ihren Kunden abschließen.

„Es ist weder eine echte Kontrolle vorgesehen noch sind Sanktionen geplant für den Fall, dass gegen diese Verpflichtungen verstoßen wird“, kritisiert Greenpeace und erinnert daran, dass die gesamten Änderungsanträge zur Eindämmung der von Unternehmen emittierten Treibhausgase als unzulässig abgeschmettert worden seien.5 Und der französische Rechnungshof und die nationale Gesundheitsbehörde Santé publique konnten bereits am Beispiel der Anti-Junkfood-Initiative zeigen, dass solche „Verträge“ wenig bringen.

Der Staatsrat kam am 1. Juli übrigens zu dem Schluss, dass die vorgesehenen Maßnahmen nicht ausreichen, um die französischen Emissionen um 40 Prozent zu reduzieren, wie es das Pariser Klimaabkommen vorschreibt. Die Parteigänger Macrons trösten sich derweil mit dem Blick in den Himmel. Ihr Strandurlaub wird in Zukunft nicht mehr von Flugzeugen gestört werden, die Werbebanner hinter sich herziehen: Das zumindest ist durch das neue Klimagesetz nun verboten.

1 Claire Lecœuvre, „Macrons Bürgerkonvent“, LMd, Juni 2021.

2 „Les rencontres de l’Udecam“, Altmann + Pacreau, Facebook Watch, 7. Oktober 2020.

3 Nur Werbung für Inlandsflüge, deren Ziel auch innerhalb von zweieinhalb Stunden mit der Bahn zu erreichen ist, sind ab 2022 verboten.

4 Die Werbeeinnahmen der privaten Sender TF1 und M6 sind 2020 um 10,2 bzw. 11,5 Prozent zurückgegangen.

5 „Loi climat: le rendez-vous manqué du quinquennat Macron“, Greenpeace, 17. April 2021.

Aus dem Französischen von Uta Rüenauver

Marie Bénilde ist Journalistin und Autorin des Buchs „On achète bien les cerveaux. La publicité et les mé­dias“, Paris (Raisons d’Agir) 2007.

Le Monde diplomatique vom 09.09.2021, von Marie Bénilde