10.06.2021

Die Rückkehr der Dienstbotengesellschaft

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Die Rückkehr der Dienstbotengesellschaft

von Timothée de Rauglaudre

Heute steuerlich absetzbar: Kindermädchen am Strand von Biarritz Ölbild von Paul Michel Dupuy, 1913 akg-images
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Am 3. Februar 2019 machte der französische Finanzminister Gérald Darmanin in der Tageszeitung Le Pari­sien der großen Protestbewegung gegen Steuererhöhungen, die das Land seit Monaten in Aufruhr versetzte1, einen bemerkenswerten Vorschlag: Zur Finanzierung ihrer Forderungen sollten diverse Steuervergünstigungen abgebaut werden, wie zum Beispiel die Subventionierung sozialversicherungspflichtiger Haushaltsjobs. Denn dabei handelt es sich keineswegs um Pea­nuts, sondern um den drittgrößten Posten im Bereich der Steuer­sub­ven­tion.2

Drei Tage später ruderte der Minister jedoch schon wieder zurück und betonte in mehreren Interviews, dass man sich dieses Instruments doch nicht entledigen sollte, weil es Arbeitsplätze schaffe und Schwarzarbeit verhindere.3 In haushaltsnahen Dienstleistungen arbeiten überwiegend Frauen, nach einer Studie von 2015 sogar zu 87,3 Prozent.4 Ein Großteil von ihnen ist älter als der Durchschnitt der Erwerbsbevölkerung, hat häufiger eine Migrationsgeschichte und keine abgeschlossene Berufsausbildung.

Da es sich bei ihren Jobs meist um Teilzeitstellen handelt, liegt ihr Einkommen nicht selten unterhalb der Armutsgrenze. Außerdem sind sie kaum gewerkschaftlich organisiert – im Gegensatz zu vielen ihrer Arbeitgeber, die sich dem Verband der privaten Arbeitgeber (Fédération des particuliers employeurs de France, Fepem) angeschlossen haben. Dessen Vorläufer ist die „Familienunion der Hausherren und Hausherrinnen“ (Union familiale des maîtres et maîtresses de maison, UFMMM), die 1938 explizit gegen die emanzipatorischen Ziele der damaligen Volksfront-Regierung gegründet wurde.

Die in der UFMMM organisierten Haus­her­r:in­nen wollten „nicht zulassen, dass sich ihre Dienerschaft emanzipiert, und nutzten dafür althergebrachte wie der neuen Zeit angepasste Führungs- und Kontrollmethoden“, erklärt die Historikerin Margot Beal die damaligen Verbandsinteressen.5 Nur deshalb handelte die UFMMM auch die ersten lokalen Tarifverträge mit den Dienstbotengewerkschaften aus.

Heute zählt die Fepem, die sich seit Mitte der 1980er Jahre verstärkt für die „steuerliche und soziale Situation der privaten Arbeitgeber“ einsetzt, 68 000 Mitglieder. Die ersten Steuererleichterungen, die auf Betreiben der Fepem zustande kamen, wurden im Dezember 1986 unter der Regierung Chirac eingeführt, und zwar für „Steuerzahler über 70, Invalide und Eltern von behinderten Kindern“.

Der ideologische Bruch jedoch erfolgte 1991 auf Initiative der sozialistischen Arbeitsministerin Martine ­Aubry. Fortan kam jeder Steuerzahler in den Genuss dieser Steuersubvention: 50 Prozent der Kosten für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse waren bis zu einer Grenze von 4000 Euro pro Jahr von der Steuer absetzbar. Unter der Regierung Raffarin wurde die Obergrenze 2003 auf 10 000 Euro angehoben. Und heutzutage können Arbeitgeber bis zu 12 000 Euro für Kinderbetreuung, Hilfe im Haushalt oder Gartenpflege von der Steuer absetzen.

Doch wer sind diese Arbeitgeber? 20 Jahre nach der Einführung von ­Aubrys Steuersubvention sah die Situation folgendermaßen aus: Nur 7 bis 10 Prozent der ärmsten Haushalte nahmen solche Dienstleistungen in Anspruch, gegenüber 33,5 Prozent der reichsten 10 Prozent. Und von diesen kamen fast zwei Drittel in den Genuss der Steuererstattung.6

Neben den privaten Arbeitgebern, die 2018 noch 54 Prozent der bezahlten Arbeitsstunden in diesem Sektor abrechneten7 , drängen inzwischen immer mehr neue Dienstleister auf den Markt. Diese Plattformen, die Shiva, Yoopies oder Wecasa heißen, vermitteln alle möglichen haushaltsnahen Dienstleistungen, ohne jegliche soziale Absicherung für die diejenigen, die sie ausführen. Die Privathaushalte, die sie in Anspruch nehmen, hingegen können ihre Verantwortlichkeit als Arbeitgeber auslagern, ohne dadurch auf die Steuervergünstigungen verzichten zu müssen.

Gegen diese Entwicklung inszeniert sich die Fepem nun als Bollwerk. Als der Verband im Juni 2018 sein 70-jähriges Bestehen mit großem Pomp im alten Kinosaal Grand Rex in Paris feierte, pries die Verbandspräsidentin Ma­rie-­Béa­trice Levaux die Vorzüge des „so­zia­len Dialogs“, um „den Arbeitnehmern ihre sozialen Rechte zu sichern“.

Dagegen spricht allerdings zum Beispiel, dass es für diese oft körperlich und psychisch anstrengenden Dienstleistungen praktisch keine arbeitsmedizinische Begleitung gibt. 2016 unterzeichnete die Fepem zwar eine „bereichsübergreifende Rahmenvereinbarung“ mit den Gewerkschaften, die Abhilfe schaffen soll. Doch gerade die Beschäftigten in der Kinderbetreuung, die in besonderer Weise gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sind, wurden dabei nicht berücksichtigt.

Um die staatlichen Stellen für sich einzunehmen, rückt die Fepem stets soziale Dienstleistung wie die Altenpflege oder die Kinderbetreuung in den Vordergrund. Würde man aber offen darüber reden, „wofür die meisten Arbeitsstunden aufgewendet werden, nämlich Putzen und Bügeln für durchaus gesunde, wohlhabende Menschen, wäre die Diskrepanz viel auffälliger“, bemerkt der Wirtschaftswissenschaftler Clément Carbonnier.

Putzen und bügeln für Gesunde und Wohlhabende

Auf der Leinwand des Grand Rex richteten auch hochrangige Ver­tre­te­r:in­nen aus der Politik eine Videobotschaft an die Fepem. Die ehemalige Arbeitsministerin Myriam El-Khomri erklärte darin: „In 20 Monaten habe ich Marie-Béatrice Levaux bei vielen, vielen Gelegenheiten getroffen. Was sie macht, ist kein Lobbying, sondern Überzeugungsarbeit.“

Ach ja? Um die Jahrtausendwende legte sich die Fepem jedenfalls eine Kommunikationsabteilung zu und schickte zwei als „Interessenvertreter“ akkreditierte Lobbyisten in die Nationalversammlung. In den Jahren 2018 und 2019 gab sie 100 000 beziehungsweise 300 000 Euro allein dafür aus. Auch auf europäischer Ebene versucht der Verband Einfluss zu nehmen. Levaux jedoch wiegelt stets ab: „Wir sind keine Lobbying-Spezialisten. Wir haben nichts zu verkaufen, so einfach ist das.“ Nichts zu verkaufen – aber viel zu gewinnen.

Während des Präsidentschaftswahlkampfs 2017 hatte die Fepem die Gründung eines „Innovationskontrakts für Beschäftigung und Haushalt“ vorgeschlagen, was von den vier wichtigsten Kan­di­da­t:in­nen unterstützt wurde, auch wenn schließlich nur Emmanuel Macron kurz vor dem zweiten Wahlgang unterschrieb.

Verbandsvertreter treffen sich außerdem einmal im Jahr mit Beamten des Wirtschaftsministeriums. Zuletzt kämpften sie vor allem für eine monatliche Auszahlung der Steuergutschrift für haushaltsnahe Dienstleistungen. „Vielen Leuten stellt das Finanzamt immer noch Hürden in den Weg“, bedauert die Abgeordnete Cendra Motin von Macrons Partei La République en Marche (LRM), die sich zusammen mit Levaux beim damaligen Finanzminister Darmanin für diese Idee starkmachte. Im September 2018 kündigte Letzterer an, ab 2019 einen Vorschuss von 60 Prozent auf die Steuererstattung zu gewähren und dann ab 2022 eine monatliche Gutschrift.

Ein großer Erfolg für die Fepem: „Das ist das erste Mal, dass wir in unserer Partnerschaft mit dem Staat so weit gekommen sind“, freute sich Levaux auf der Bühne des Grand Rex. „Wir sind einflussreich genug, um einen Beitrag zur Politik zu leisten und mit neuen Initiativen voranzugehen.“

Allerdings beginnt der Konsens zu bröckeln. Im November 2018 entkräfteten der Wirtschaftswissenschaftler Clément Carbonnier und die Sozialwissenschaftlerin Nathalie Morel in ihrem Buch über „die Rückkehr der Dienstboten“8 das Hauptargument, das von der Fepem stets zur Verteidigung der Steuervergünstigung angeführt wird, nämlich das enorme Beschäftigungspotenzial des Sektors. Anfangs hätte sich zwar ein positiver Einfluss auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze ergeben, schreiben sie. Die starke Anhebung der Obergrenze für steuerlich absetzbare Kosten in den frühen 2000er Jahren habe dann allerdings kaum noch Einfluss auf den Arbeitsmarkt gehabt. Auch der Rechnungshof berichtete 2014 von einer „begrenzten Auswirkung auf die Beschäftigung“.9

Levaux wischt Studienergebnisse wie diese mit einer Handbewegung beiseite: „Es kostet immer noch weniger, als wenn wir öffentliche Programme für jedes Bedürfnis, für jeden Haushalt bereitstellen.“ Dies ist aber keineswegs sicher. Fest steht nur, dass solche Steuergeschenke auf der anderen Seite bedeuten, dass weniger Geld für öffentliche Einrichtungen da ist, die üblicherweise bessere Arbeitsbedingungen bieten als Privathaushalte.

Seit 2019 bemüht sich die LRM-­Abgeordnete Émilie Cariou darum, dass wenigstens Luxusdienstleistungen, wie das Engagement einer Fitnesstrainerin oder eines Chauffeurs, nicht mehr subventioniert werden. Doch nicht einmal dieser bescheidene Vorschlag konnte bislang das Veto der ­Fepem überwinden. Deren Präsidentin kündigte bei einer Parlamentsanhörung im Juli 2019 an, sie werde „entschieden Widerstand leisten“, sollten die Steuervorteile infrage gestellt werden. Cariou hat inzwischen die LRM-Fraktion verlassen.

Im Juni 2020 prangerten auch die Abgeordneten Bruno Bonnell (LRM) und François Ruffin (La France insoumise) in einem Bericht über bezahlte Sorgearbeit die Steuerbefreiungen an: „Nach Aussage vieler der befragten Akteure lässt sich das Fortbestehen dieses ineffizienten und ungerechten Systems nur durch die Lobbyarbeit des Verbands der privaten Arbeitgeber erklären“, hieß es darin.10

Im September empfahl ein von der Regierung in Auftrag gegebener Bericht, einen fünften Zweig der Sozialversicherung für ältere Menschen und autonomes Leben einzurichten. Um diesen zu finanzieren, schlug der Bericht vor, die Subventionierung haushaltsnaher Dienstleistungen um 400 Millionen Euro zu kürzen. Seitdem hört man die Stimme der Fepem-Präsidentin wieder häufiger im Radio.

1 Siehe Alexis Spire, „Frankreichs Gelbwesten – woher die Wut kommt“, LMd, Dezember 2018.

2 Nach Angaben des französischen Rechnungshofs sind 2018 mehr als 4,6 Milliarden Euro in die 50-prozentige Rückerstattung der Lohn- und Lohnnebenkosten für Hausangestellte geflossen, siehe „Les dépenses fiscales. Note d’analyse de l’exécution budgétaire 2018“, Cour des comptes, Paris, Mai 2019.

3 Dieses Argument hat auch in Deutschland dazu geführt, dass nach einer einjährigen Aussetzung die Subventionierung sozialversicherungspflichtiger Jobs in Haushalten am 1. Januar 2003 wieder eingeführt wurde – obwohl das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) dieser Maßnahme keine beschäftigungsfördernde Wirkung bescheinigen konnte, siehe Tagesspiegel, 8. August 2003.

4 Éric Kulanthaivelu und Lydia Thiérus, „Les salariés des services à la personne: comment évoluent leurs conditions de travail et d’emploi?“, Dares Analyses, Nr. 38, Paris, August 2018.

5 Margot Beal, „Des champs aux cuisines. Histoires de la domesticité en Rhône et Loire (1848–1940)“, Lyon (END Éditions) 2019.

6 Isabelle Benoteau und Aurélie Goin, „Les services à la personne. Qui y recourt? Et à quel coût?“, Dares Ana­lyses, Nr. 63, Paris, August 2014.

7 Éric Kulanthaivelu, „Les services à la personne en 2018. Légère baisse de l’activité, hausse du recours aux organismes prestataires“, Dares Résultats, Nr. 11, Februar 2020.

8 Clément Carbonnier und Nathalie Morel, „Le Retour des domestiques“, Paris (Seuil) 2018.

9 „Le développement des services à la personne et le maintien à domicile des personnes âgées en perte d’autonomie“, Cour des comptes, 10. Juli 2014.

10 Bruno Bonnell und François Ruffin, „Rapport d’in­for­ma­tion no. 3126 sur les,métiers du lien' “, Assemblée ­Nationale, 24. Juni 2020.

Aus dem Französischen von Nicola Liebert

Timothée de Rauglaudre ist Journalist und Autor von „Premières de corvée“, Paris (LGM éditions) 2019.

Le Monde diplomatique vom 10.06.2021, von Timothée de Rauglaudre