10.12.2020

Chinas Spiel in der UNO

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Chinas Spiel in der UNO

In den vergangenen Jahren hat die Weltmacht ihren Einfluss in verschiedenen UN-Institutionen stillschweigend ausgebaut

von Jeanne Hughes

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Bei den Vereinten Nationen ließen sich chinesische Beamte „an den Fingern einer Hand abzählen. Dabei gibt es doch genug verantwortungsvolle Posten!“, beklagte sich 2005 Wang Jingzhang, langjähriger Sekretär des Irak-Sank­tions­ausschusses des UN-Sicherheitsrats, gegenüber chinesischen Medien.1 Die wenigen Funktionäre, die Peking nach New York entsandte, arbeiteten damals größtenteils als Übersetzerinnen und Protokollführer oder in der Technik.

Wang zufolge wurde von den acht Hauptabteilungen des UN-Sekretariats lediglich die Abteilung für Generalversammlung und Konferenzmanagement, die für die Organisation der Plenarsitzungen zuständig ist, manchmal einem chinesischen Beamten überlassen, der sich dann Untergeneralsekretär nennen durfte.

15 Jahre später bietet sich ein deutlich anderes Bild. Chinesinnen und Chinesen bekleiden leitende Positionen, zum Beispiel beim Internationalen Gerichtshof (IGH) oder bei der Internationalen Fernmeldeunion (ITU). Einige besorgte Kommentatoren meinen, selten habe ein Land in so kurzer Zeit so viel an Einfluss gewonnen.

Was aus dieser Entwicklung folgt, lässt sich nur mutmaßen. Die UN-Beamten sind vertraglich an eine Schweigepflicht gebunden, deren Verletzung sie ihren Arbeitsplatz kosten kann, und daher misstrauisch gegenüber Journalistinnen. Auch die UN-Diplomaten halten sich bedeckt, obwohl sie lediglich den Zorn Chinas zu befürchten haben. Praktisch alle hier Zitierten wollten ano­nym bleiben.

„Chinas Handeln ist langfristig angelegt, Peking geht hochgradig organisiert und systematisch vor“, sagt beispielsweise P. F., ein französischer Diplomat in New York. „China ist eine Planwirtschaft, und so agiert das Land auch bei internationalen Angelegenheiten.“

Die Volksrepublik China trat 1971 den Vereinten Nationen bei, blieb jedoch trotz ihres Status als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats lange Zeit im Abseits. Das änderte sich erst 2003, als Shi Jiuyong Präsident des IGH wurde. Danach nahm die Sache Fahrt auf. 2007 übernahm Margaret Chan aus Hongkong mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstmals die Leitung einer UN-Sonderorganisation.

Dabei handelt es sich um eine durchaus einflussreiche Position. Während Chans Amtszeit wurde Taiwan, das 1971 zugunsten Chinas von den UN ausgeschlossen worden war, sein zwischenzeitlicher WHO-Beobachterstatus 2016 wieder entzogen. Und zwar auf Druck Chinas, nachdem die Befürworterin der taiwanischen Unabhängigkeit Tsai Ing-wen von der Demokratischen Fortschrittspartei zur Präsidentin des Landes gewählt worden war. 2019, zwei Jahre nach Chans Mandat, wurde die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) in die Liste der anerkannten Behandlungsmethoden aufgenommen.

Ebenfalls 2007 wurde Sha Zukang Leiter der wichtigen Hauptabteilung für Wirtschafts- und Sozialfragen (­Desa), in der die Fäden der von der Generalversammlung 2015 beschlossenen 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung zusammenlaufen. Ohne damit viel Aufmerksamkeit zu erregen, kon­trol­lierte China damals bereits vier UN-Sonderorganisationen. Dabei ist es bis heute geblieben, aber der Blick darauf hat sich verändert und die Besorgnis nimmt zu.

Überraschenderweise ist China den Statistiken zufolge in der UN nach wie vor unterrepräsentiert. 2018 waren von den 37 505 Beschäftigten im Büro des Generalsekretärs (ohne Blauhelme) 546 chinesische Beamte, darunter allein 132 Übersetzerinnen und Übersetzer – schließlich ist Mandarin eine der sechs offiziellen Sprachen der UN. China rangiert damit hinter Indien (571), Irak (558) und Großbritannien (839) und bleibt weit hinter Frankreich (1476) oder den USA (2531) zurück.2

Zwar nahm die Zahl chinesischer Funktionäre in allen UN-Organisationen und -Abteilungen (ausgenommen wiederum die Friedenstruppen) zwischen 2009 und 2019 stetig zu, während die Zahl der US-AmerikanerInnen sank, doch an der Rangfolge änderte sich nichts. China stellt 1,2 Prozent des gesamten Personals (im Vergleich zu knapp 1 Prozent 2009), die USA stellen 5 Prozent (im Vergleich zu 5,8 Prozent).3 Eine chinesische Invasion der Vereinten Nationen lässt sich so jedenfalls schwerlich belegen.

Chinesisches Selbstlob in UN-Berichten

„Im Gegensatz zu anderen Ländern mit breiter, aber nicht besonders starker Präsenz konzentrieren sich die Chinesen auf bestimmte Abteilungen“, erklärt der Diplomat P. F. Dort besetzten sie häufig Schlüsselpositionen, nicht unbedingt immer auf höchster Ebene, jedoch solche, die für das Funktionieren der Abteilung entscheidend sind.

Ein gutes Beispiel dafür ist die ­Desa, die dem Generalsekretär unterstehende Abteilung für Wirtschafts- und Sozialfragen, die in den letzten 13 Jahren von Chinesen geleitet wurde. In der Öffentlichkeit ist die Desa kaum bekannt, obwohl sie sehr viel publiziert. Ihre Berichte und Empfehlungen dienen als Grundlage für die Verhandlungen und die Arbeit der Kommis­sio­nen der Generalversammlung sowie des Wirtschafts- und Sozialrats (Ecosoc), einem UN-Beratergremium. Ihre Jahresberichte zu den Nachhaltigkeitszielen oder ihr „World Economic Outlook“ haben Einfluss weit über die UN-Büros hinaus.

Die chinesische Strategie konzentriere sich auch deshalb auf Publikationen, so der Diplomat P. F., weil es „rechtliche Folgen für die Staaten und für die Herausbildung künftiger Normen hat, wenn in Resolutionen Formulierungen aus diesen Texten übernommen werden“. Unter den Desa-Texten findet man beispielsweise lobende Verweise auf „das wirtschaftliche Erfolgsmodell Chinas“4 oder auf die Belt and Road Initiative (BRI), die als vorbildliche „Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung“5 dargestellt wird.

Heimlich und leise betreibt China seine erfolgreiche Imagepflege, in der sein „Engagement bei gemeinschaftlichen Zielen wie der nachhaltigen Entwicklung nie wirklich infrage gestellt“ wird, kritisiert der Diplomat. „Auch wenn die chinesische Industrie alles andere als sauber ist und Xi Jinpings Engagement im Umweltbereich alles andere als beeindruckend, gilt China überall als großer Kämpfer für den Umweltschutz und den Erhalt der Biodiversität.“

Ein weiterer strategischer Vorteil: Die Desa fungiert auch als Anlaufstelle für NGOs, die einen Beraterstatus beim Ecosoc anstreben. Sie unterstützt den NGO-Ausschuss und berät Organisa­tio­nen, wie sie am besten zur Arbeit des Rats beitragen können. Und weil die Desa auch für die Belange indigener Völker zuständig ist, sind ihre chinesischen Leiter zwecks Abwehr unerwünschter politischer Aktivitäten etwa von tibetischen oder uigurischen Interessenvertretungen hier bestens positioniert.

2017 beispielsweise ließ Desa-Chef Wu Hongbo den uigurischen Aktivisten Dolkun Isa auf dem Weg zur UN-Jahrestagung des Ständigen Forums für indigene Angelegenheiten von Sicherheitskräften ausweisen – der Vorwurf: „Terrorverdacht“. Wu rechtfertigte die Maßnahme anschließend im chinesischen Staatsfernsehen. 2018 wollte es sein Nachfolger Liu Zhenmin ihm gleichtun, doch die diplomatischen Vertretungen Deutschlands und der USA intervenierten.

Der jüngste Bericht der Organisa­tion der nicht repräsentierten Nationen und Völker (Unpo)6 beschreibt ausführlich die verschiedenen Blockadetechniken, die Diplomaten und Beamte von Desa, Ecosoc und dem UN-Menschenrechtsrat gegen die Aktivisten nutzen. Die Unpo ist eine bunt zusammengewürfelte NGO, in der unter anderem die provisorische Regierung des Staates Savoyen und der Weltkongress der Uiguren mitmachen. In ihrem Bericht beklagen sie extrakomplizierte Akkreditierungsverfahren, Einschüchterungsversuche und ungerecht verteilte Redezeiten. Dabei wird neben Russland und Iran regelmäßig die Rolle Chinas hervorgehoben.

Im März 2018 wurde eine Verfahrensresolution, für die neun Stimmen ohne Veto erforderlich sind, abgelehnt, die es dem damaligen Hochkommissar für Menschenrechte erlaubt hätte, den Sicherheitsrat über Menschenrechtsverletzungen in Syrien zu informieren. Côte d’Ivoire stimmte dagegen, womöglich auf Druck der chinesischen Regierung.

Im Oktober 2020 erreichte Peking, dass in der Generalversammlung eine Resolution gegen die Unterdrückung und Verletzung der Rechte der Uiguren abgelehnt wurde. 57 Staaten stimmten gegen die Resolution, einschließlich Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate. Dennoch verlor Chinas Verhinderungstaktik an Rückhalt: Inzwischen sind 39 Länder für die Resolution, während es im Vorjahr erst 23 Ja-Stimmen dafür gab.

Postendeal mit Kamerun?

Auch die Wahl von Qu Dongyu 2019 an die Spitze der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) – und das bereits im ersten Wahlgang – wurde als Zeichen des neuen chinesischen Einflusses gedeutet. China soll dabei vom Rückzug des kamerunischen Kandidaten profitiert haben – im Austausch für einen Schuldenerlass in Höhe von 70 Millionen Dollar.7 Der Ökonom Jean-Jacques Gabas, Spezialist für Chinas Agrarpolitik in Afrika, sieht darin aber eher ein Votum afrikanischer Länder gegen den Westen als für China. Auf diese Weise versuchten sie ihre Verhandlungsposition auf der internationalen Bühne zu verbessern und Entwicklungshilfe, chinesische Direktinvestitionen und den Handel zu fördern.

„Bis zum Ausbruch der Pandemie betonte Qu Dongyu immer wieder die Bedeutung neuer Technologien wie 5G“, erklärt Gabas. „Er warb für ein Intensivierungsmodell nach Art der grünen Revolution, wie wir sie in den 1960er Jahren gesehen haben, mit verbessertem Saatgut, Pestiziden und so weiter.“ Fragen der ökologischen Landwirtschaft oder Biodiversität räumt der FAO-Generaldirektor dabei wenig Bedeutung ein und China sieht er natürlich in einer Führungsrolle.

Es sei eine Politik, die weniger aufs Allgemeinwohl abziele und eher für handfeste kommerzielle Interessen eintrete, namentlich die Suche nach Absatzmärkten für landwirtschaftliche Produktionsmittel – China ist immerhin der weltgrößte Produzent von Phosphaten. Seit Beginn der Coronakrise erkennt Gabas allerdings „eine neue Dynamik, die bisherigen Praktiken infrage zu stellen“. Die FAO beschäftige sich in jüngster Zeit auch mit Fragen der sozialen Wohlfahrt und der lokalen Produktion. Qu Dongyu greife damit die Forderungen vieler afrika­nischer Staaten auf, die unter den Aus­wirkungen der Coronapandemie leiden.

Das von Peking propagierte Modell der landwirtschaftlichen Entwicklung ist jedoch alles andere als attraktiv für die rasch wachsenden Bevölkerungen Afrikas, die wohl mindestens bis 2050 noch mehrheitlich auf dem Land leben werden. Ist die Diskursverschiebung also Ausdruck des Willens, diesen Ländern zuzuhören, oder ist es bloß eine PR-Masche? Seit Ausbruch der Pandemie hat China jedenfalls keine besonders gute Presse mehr in afrikanischen Medien. Die Berichte von Afrikanern in Guangzhou, die im April von der Polizei auf die Straße gesetzt wurden, erregten auf dem Kontinent große Empörung und brachten dem chinesischen Botschafter eine Vorladung der nigerianischen Regierung ein.

Neben der Desa und der FAO konzentriert sich Peking auf die Interna­tio­nale Fernmeldeunion (ITU), die seit 2015 das Hoheitsgebiet von Houlin Zhao ist. Sie befasst sich mit der weltweiten Regulierung der Funkfrequenzen und der Satellitenumlaufbahnen. Jeder, der einen Satelliten in den Weltraum schicken will, muss erst mal einen Antrag bei der ITU stellen. Seit den 2000er Jahren fällt auch die Verwaltung des Internets in ihren Zuständigkeitsbereich – eine Erweiterung ihrer Kompetenzen, die ebenfalls zu Kontroversen geführt hat.8

Denn die chinesische Regierung steht im Verdacht, die Regeln in diesem Bereich nach eigenem Gutdünken zu gestalten. So war der neue Mobilfunkstandard 5G Gegenstand eines anhaltenden Streits um die Zuteilung von Frequenzen, insbesondere zwischen den USA, die höhere Frequenzen, um 28 GHz, bevorzugten, und China, das solche unter 6 GHz präferiert.

„Telekommunikations- und Computernetzwerke erfordern internationale Standards, damit die Geräte miteinander kommunizieren können“, erklärt Marceau Coupechoux, Professor an der Ingenieurschule Télécom Paris und an der École polytechnique. „Je mehr Geräte einen Standard oder eine Norm teilen, desto interessanter ist dieses Netz für seine Nutzer. Der Kampf zwischen den Ländern und zwischen den Unternehmen wird daher hauptsächlich in den Normungsgremien ausgetragen. Es ist nicht überraschend, dass Großmächte, darunter China, versuchen, hier ihren Einfluss geltend zu machen.“

Aber auch hier lässt sich das Ausmaß der Einflussnahme nur schwer messen. Gilles Brégant, Direktor der Agence Nationale des Fréquences (­ANFR), die Frankreich bei der ITU-R vertritt, dem für die Erarbeitung internationaler Funknormen zuständigen Gremium, wiegelt ab: „Es liegt doch im Interesse der Hersteller, sich auf globale Frequenzbänder zu einigen. Die Harmonisierungsarbeit der ITU zielt zum Beispiel darauf ab, dass Ihr französisches Handy in den USA funktioniert und umgekehrt. Es gibt keinen Streit um das gemeinsame Ziel, und es gibt auch keine Versuche, die jeweils von den Amerikanern oder den Chinesen unterstützten Bandbreiten als allgemeinen Standard durchzusetzen.“

Auch bei Satelliten bestünden keine grundlegenden strategischen Differenzen: „Viele Länder betreiben ihre eigenen, und das System ist tendenziell ‚kontinental‘ organisiert. Das heißt, die Frequenzen in Europa sollten die gleichen sein wie in der Türkei, aber es ist nicht so schlimm, wenn sie in Sichuan anders sind.“ Bei den Satellitenkonstellationen sei die Situation zwar komplexer, aber bislang gibt es ohnehin keine chinesischen Megakonstellationen auf dem gleichen Entwicklungsstand, wie sie etwa die US-Unternehmen OneWeb oder SpaceX im All haben. Brégant zufolge wäre allenfalls die für Programme in Entwicklungsländern zuständige Direktion, die ITU-D, in der Lage, chinesische Technologien direkt zu promoten. Doch ihr derzeitiger Direktor ist US-Amerikaner.

Demgegenüber scheint die Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze (DPKO) von der Pekinger Regierung eher vernachlässigt zu werden. Zwar stellt China mehr Truppen als die vier anderen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats9 , was den Chinesen die Überwachung ihrer Auslandsinvesti­tio­nen, insbesondere in Afrika, erleichtert, wo 6 der aktuell 13 Friedensmis­sionen stationiert sind. Doch gleichzeitig macht das chinesische Engagement innerhalb der Organisation selbst einen eher halbherzigen Eindruck.

„Das ist etwas, was sich hier jeder fragt“, meint B. S., ein afrikanischer Mitarbeiter des DPKO. „Aber eines ist sicher, China versucht nicht, eine Rolle als internationale Macht zu spielen.“ Diese Hauptabteilung, mit dem bei weitem größten Budget innerhalb der UNO, bleibt die Domäne Frankreichs, das seit 1997 die Führungsspitze stellt. „Als António Guterres 2016 Generalsekretär der UN wurde“, so B. S. weiter, „kursierte tatsächlich das Gerücht, dass ein Chinese an die Spitze berufen werden sollte, aber das war womöglich nur von den westlichen Ländern lanciert worden, um die Reihen gegen Peking zu schließen.“ Letztlich wurde, wenig überraschend, der Franzose Jean-Pierre Lacroix zum Leiter ernannt.

Finanzielle Hebel setzt China bislang ebenfalls nicht ein. Machten seine Pflichtbeiträge vor 15 Jahren gerade einmal 2 Prozent des UN-Haushalts aus, ist China heute mit 12 Prozent neben den USA (22 Prozent) das einzige Land mit einem zweistelligen Anteil.10 China ist außerdem der größte Beitragszahler für die UN-Organisation für industrielle Entwicklung (Unido), zu der es 19,8 Prozent des Haushalts beiträgt, und für die Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) mit 15,5 Prozent.11 Es handelt sich dabei um zwei Organisationen, aus denen die USA 1996 respektive 2018 ausgetreten sind. Darüber hinaus zahlt Peking stets pünktlich: Im Frühjahr hatte China bereits seine vollen Beiträge für 2020 entrichtet.

Aber die bloße Höhe dieser Beiträge sagt wenig über Chinas Strategie aus. Schließlich sind sie zum größten Teil durch die UN-Charta verbindlich geregelt und richten sich nach dem nationalen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Sie werden pauschal entrichtet und können nicht an einen spezifischen Verwendungszweck gekoppelt werden. So geben lediglich die freiwilligen Beiträge einen Hinweis auf die chinesischen Präferenzen. Im Gefolge von Donald Trump haben viele die chinesische Regierung beschuldigt, die WHO finanziell in ihrer Gewalt zu haben. Doch während Chinas WHO-Pflichtbeitrag seinem BIP und seiner Bevölkerungsgröße entsprechend tatsächlich hoch ist (12 Prozent der Gesamtsumme), sind seine freiwilligen Einlagen mit 1,5 Prozent relativ gering. Die größten freiwilligen Beitragszahler sind die USA, die Bill & Melinda Gates Foundation, Großbritannien, Deutschland und Japan.12

Pünktlicher Zahler, aber knauserig

Mao Ruipeng, Wissenschaftler am Schanghaier Institut für Internationale Studien, hat die Beitragszahlungen an das Entwicklungssystem der Vereinten Nationen (UNDS) untersucht, das für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele verantwortlich ist.13 Ihm zufolge halfen sie China bei der Anerkennung seiner Belt and Road Initiative. Tatsächlich ist das UNDS das erste UN-Gremium, das 2016 ein Memorandum of Under­standing (MoU) zur Neuen Seidenstraße unterzeichnete und damit dem Projekt die Legitimität verlieh, von der die Regierung in Peking immer geträumt hat.

Das Besondere an dem UNDS-Gremium ist, dass es zu praktisch jeder UN-Organisation Zugang hat. Mao Ruipeng mutmaßt daher, dass China es dazu benutzt, um im Tausch gegen kleine Gefälligkeiten 13 UN-Organisationen und -Programme dazu zu bewegen, die Belt and Road Initative zu unterstützen, darunter die FAO, die Desa, die WHO, UN-Aids und das Hohe Flüchtlingskommissariat. Allerdings räumt der Forscher auch ein, das „Chinas Finanzierung des UNDS relativ gering ist im Vergleich zu den traditionellen Gebern“, insbesondere dem Industrieländerklub OECD.

Alles in allem sind die freiwilligen Beiträge Chinas so gering, dass sich kaum darauf schließen lässt, Peking „kaufe“ die UN. „Deutschland zahlt auf freiwilliger Basis sehr viel mehr ein als China“, erklärt ein hoher Beamter im für Haushaltsfragen zuständigen Fünften Ausschuss der Generalversammlung. „Gegenwärtig ist der Haushalt für die chinesische Regierung ein Instrument, Präsenz zu zeigen und an Legitimität zu gewinnen, aber nicht um Einfluss auszuüben. Das schließt aber nicht aus, dass sich dies in einigen Jahren ändern könnte.“

Der chinesische Diplomat und ehemalige Unesco-Mitarbeiter Xu Bo ist sogar der Ansicht, dass die Anhebung der chinesischen Pflichtbeiträge von der Regierung eher zähneknirschend hingenommen werde: „Es liegt in der chinesischen DNA, knauserig zu sein. Wir behalten das Geld lieber selbst, um damit China aus der Armut zu befreien.“

Dass Chinesinnen und Chinesen unter den UN-Mitarbeitern unterrepräsentiert sind, Peking nur begrenzt Einfluss nimmt, wenn es um seine wirtschaftlichen Interessen geht, und sein finanzielles Schwergewicht nicht deutlicher ausnutzt, könnte den Eindruck erwecken, „dass China seine Präsenz in der UNO als komplett losgelöst von seiner Wirtschaft und Bevölkerung betrachtet“, stellt Diplomat P. F. fest.

„Aber wir dürfen nicht vergessen, dass China oft bei der G77 spricht, einer Gruppe von Entwicklungsländern mit einem Gewicht von 150 Stimmen. Die chinesische Regierung führt oft Entscheidungen nicht selbst herbei, aber sie ist die treibende Kraft, wenn die anderen Staaten über Themen, die sie nicht direkt betreffen, abstimmen.“

Die ständige diplomatische Vertretung Chinas am UN-Hauptsitz in New York hat auf unsere Anfragen nicht reagiert. Xu Bo streitet jedoch ab, dass sich China durch andere Länder vertreten lässt: „Sobald es konfrontativ wird, wird das Gerede von einem chinesischen Angriff auf die bestehende Weltordnung laut. Doch das stimmt nicht. Während die Amerikaner die Rolle der Weltpolizei übernehmen, zahlt China seine Beiträge und profitiert in hohem Maß von der Existenz einer Institution wie der UNO.“ Diese Darstellung entspricht der von Präsident Xi Jinping, der am 22. September vor der UN-Generalversammlung wieder einmal den „Multilateralismus“ verteidigte – sprich: die chinesische Version des Multilateralismus, die sich für Peking so bewährt hat.

1 Wan Jingzhang, „La vie secrète des employés chinois de l’ONU“, Radio China International, 20. Dezember 2005.

2 „Composition of the Secretariat: staff demographics“, Bericht des Generalsekretärs A/74/82, New York, 22. April 2019.

3 „Chief Executives Board for Coordination“, UN, 31. Dezember 2009 und 2019.

4 „The Chinese model of economic success“, UN Desa, 23. Februar 2012.

5 „Jointly building the ‚Belt and Road‘ towards the Sus­tain­able Developments Goals“, UN Desa, 16. August 2016.

6 „Compromised space: Bullying and blocking at the UN Human Rights Mechanisms“, Unrepresented Di­plo­mats Project, 15. Juli 2019.

7 Valérie Segond, „Les étranges pratiques de la Chine pour conquérir la FAO“, Le Figaro, 21. Juni 2019.

8 „European Parliament warns against UN Internet control“, BBC News, 22. November 2012.

9 „Troop and police contributors“, UN-Friedenstruppen, 31. August 2020.

10 Resolution der Generalversammlung A/RES/73/271, 22. Dezember 2018.

11 „Scale of assessments for the fiscal period 2020-2021“, Unido, 15. April 2019, sowie „Contribution to Unesco’s regular budget: China“, Unesco, 1. Januar 2020.

12 www.open.who.int/2018-19/contributors.

13 Mao Ruipeng, „China’s growing engagement with the UNDS as an emerging nation: Changing rationales, funding preferences and future trends“, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Bonn 2020.

Aus dem Französischen von Nicola Liebert

Jeanne Hughes ist Journalistin.

Le Monde diplomatique vom 10.12.2020, von Jeanne Hughes