08.10.2020

Wie 007 die Welt sieht

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Wie 007 die Welt sieht

von Aliocha Wald Lasowski

Sean Connery in „Thunderball“, 1965 akg-images
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James Bond, eine Ikone der modernen Popkultur, wurde 1953 von Ian Fleming geschaffen. Der 1908 geborene Fleming war zunächst Journalist bei der Nachrichtenagentur Reuters, dann Börsenmakler, während des Zweiten Weltkriegs wurde er vom britischen Geheimdienst angeworben. Ausgehend von seinen eigenen Erfahrungen machte er sich danach ans Schrei­ben von Spionageromanen.

In „Casino Royale“ hat 007, Geheimagent beim britischen Geheimdienst MI6, seinen ersten Auftritt. Fleming greift für die Figur seines Helden auf zwei traditionelle Genres zurück: zum einen auf die amerikanischen Noir-Geschichten der Zwischenkriegszeit mit ihren abgebrühten Ermittlern, für die „Der Malteser Falke“ (1930) von Dashiel Hammett das Paradebeispiel ist; zum andern auf den englischen Abenteuerroman mit geopolitischem Zuschnitt, der, wie etwa John Buchans „Die neununddreißig Stufen“ (1915), die Bedrohung des eigenen Landes durch die Komplotte gefährlicher Geheimgesellschaften heraufbeschwört. In insgesamt zwölf Romanen und zwei Kurzgeschichtensammlungen ließ Fleming seinen Helden 007 als furchtlosen Abenteurer und unwiderstehlichen Verführer auftreten.

James Bond ist das perfekte Symbol des mächtigen Albion, jedenfalls aus Sicht der Upperclass. Er ist Absolvent des Eton College, einer im 15. Jahrhundert von Heinrich VI. gegründeten Eliteschule, und hat den Rang eines Commanders der Royal Navy. Im Film „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ ist auch sein Wappen zu sehen: Er ist demnach ein Nachfahre des 1734 verstorbenen Sir Thomas Bond, Baronets von Peckham, dessen lateinisches Fami­lien­motto „Orbis non sufficit“, die Welt ist nicht genug, lautet. Sein Name setzt sich zusammen aus der Londoner Bond Street, der Straße der teuren Mode und der Kunstgalerien, und der St. James’s Street in Piccadilly, in der sich der älteste Gentlemen’s Club der Hauptstadt befindet.

Jeder Bond-Darsteller bringt jedoch seine persönliche Note mit, je nach seinem eigenen Hintergrund. Beim Schotten Sean Connery, einem Proletarier, der unter anderem als Matrose, Lieferant und Maurer arbeitete, steht 007 für Erfolg und Leistung. Der Engländer Roger Moore verlieh 007 einen aristokratischen Stil, und Timothy Dalton, ein Waliser, amerikanisierte die Figur. Sein Bond entspricht den Codes des Wirtschaftsliberalismus und der Globalisierung der 1980er Jahre. Der aktuelle Darsteller Daniel Craig schließlich zeichnet durch die Verbindung von körperlicher Kraft und Melancholie einen düsteren und zerbrechlichen Helden. Aber in all seinen Variationen bleibt Bond doch die Personifizierung der Integrität des britischen Untertanen und der Loyalität gegenüber der Krone.

Bei seinen Einsätzen führt er immer wieder den britische Union Jack vor, auf einem Fallschirm in „Der Spion, der mich liebte“, einem Heißluftballon in „Octopussy“ oder aus einer U-Boot-Luke in „Im Angesicht des Todes“. Diese Filme spiegelten nicht selten die aktuelle geopolitische Lage wider.

Als der erste Streifen „James Bond – 007 jagt Dr. No“ am 5. Oktober 1962 in die Kinos kam, hatte die Sowjetführung gerade mit der Stationierung von Mittelstreckenraketen auf Kuba begonnen. Im Film schützt der britische Geheimdienst die US-Raketenbasis Cape Canaveral in Florida vor einer von Dr. Nos Karibikinsel ausgehenden nuklearen Bedrohung. Damit kam er der Realität recht nahe: der Kubakrise, die sich im Oktober 1962 zwischen Nikita Chruschtschow und John F. Kennedy abspielte. Allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Im Film kommt der britischen Diplomatie die Hauptrolle zu, tatsächlich aber war London auf der internationalen Bühne im Niedergang begriffen.

Bond agiert überhaupt in einem Universum, in dem Großbritannien sein Ansehen behauptet hat, ganz im Gegensatz zu seiner realen Verdrängung als Weltmacht durch die USA. 1962, im Jahr des ersten Films, besiegelten die Bahamas-Konferenz und die Vereinbarung von Nassau die „Atlantifizierung“ Großbritanniens und die enge Bindung an die Vereinigten Staaten. Ein weiterer Einschnitt war damals, sieben Jahre nach Winston Churchills Rücktritt, die Auflösung der nur kurzlebigen Westindischen Föderation, zu der die meisten britischen Kolonien in der Karibik, Jamaika, die Kaiman­inseln, Trinidad und Tobago gehörten.

Bond und seine Liebe zum KGB

Bond, der ironische Gentleman, tröstete das Vereinigte Königreich über den Einflussverlust hinweg. Über 60 Jahre und 25 Filme transportierte 007 das Traumbild des Erfolgsmodells westlicher Werte. Dabei blieb er immer ein sehr britisches Markenzeichen, worauf insbesondere sein Hut hinweist, den er von Anfang an trug. Aber er folgte auch dem Zeitgeist. 1967, also in der Zeit des Vietnamkriegs und der Hippie-Bewegung, lassen sich folgerichtig ein paar Veränderungen feststellen.

Bonds Identität öffnet sich, lässt Big Ben und die Themse hinter sich und verwandelt sich in einen postkolonialen Bürger, der insbesondere für die japanische Kultur empfänglich ist. Im fünften Film der Reihe „Man lebt nur zweimal“ reist der nach eigenen Angaben studierte Orientalist Bond nach Tokio. Als Kenner beeindruckt er den Chef des japanischen Geheimdienstes, Tiger Tanaka, mit seinem Expertenwissen über Sake und seiner Vertrautheit mit japanischen Sprichwörtern. Seine Metamorphose vollzieht sich in drei Sta­dien. In einem blumengeschmückten Palast werden sein Körper, sein Haar und seine Augenbrauen modelliert, und als er dann in einen goldfarbenen Kimono schlüpft, hat er sein britisches Wesen hinter sich gelassen und wird gewissermaßen Japaner.

Die zweite Stufe ist sportlicher und mentaler Natur. Der Held gibt die westlichen Hightechgeräte von Q auf und lernt den Umgang mit traditionellen Waffen, Sansetsukon (Dreistock) und Shuriken (Wurfstern). Die letzte Etappe sind Kultur und Liebe. Bond heiratet zum Schein Kissy Suzuki in einem Tempel streng gemäß den Traditionen, mit Gebeten, Gesang und Reinigungsritual. Gekleidet wie ein Fischer zieht er sich mit seiner Frau anschließend auf die kleine Insel Matsu im Herzen eines vulkanischen Archipels zurück.

In „Der Spion, der mich liebte“ (1977) verwandelt sich Bond in einen Beduinen und begibt sich auf eine schweigsame Wüstendurchquerung. In „Der Hauch des Todes“ (1987) reitet er durch die Berge Afghanistans, trägt den Turban der Mudschaheddin, ändert seinen Namen und wird zum Russen Jerzy Bondov.

Fleming ließ sich von berühmten Spionen inspirieren, sein wichtigste Vorbild war dabei wohl ein jugoslawischer Doppelagent. Der 1912 in der Woj­wo­dina geborene Duško Popov war geheimnisvoller Dandy, Liebhaber von Alkohol, Glücksspiel, Luxushotels und Sportwagen, der unter dem Codenamen Tricycle agierte. Während des Kriegs informierte er die Briten über die Aktionen der Deutschen. Er versuchte sogar, John Edgar Hoover vor dem bevorstehenden Angriff auf Pearl Harbor zu warnen, aber der FBI-Chef glaubte ihm nicht.

Fleming traf Popov 1941 im portugiesischen Estoril und war während eines Bakkarat-Spiels von seiner Gelassenheit beim Bluffen so beeindruckt, dass er ihn zum Vorbild für seinen Bond wählte. Was Popov in seiner 1974 erschienenen Autobiografie als eine „Beleidigung meiner Intelligenz“ bezeichnete.

Umberto Eco stellte fest, es sei nicht zu übersehen, dass Fleming in seinen Romanen „einen tiefsitzenden Antikommunismus bekundet“.1 Die Bond-Filme sind in dieser Hinsicht allerdings gelegentlich für eine Überraschung gut. Teilweise zieht es Bond stärker in Richtung des sowjetischen Geheimdiensts als zu seinen US-amerikanischen Kollegen. Mit der Zeit entsteht geradezu eine geopolitische Komplizenschaft zwischen London und Moskau.

So geht 007 über den klassischen Antagonismus des Kalten Krieges hinaus: In „Der Spion, der mich liebte“ kooperiert er mit Major Anya Amasowa vom KGB, in „Im Angesicht des Todes“ (1985) mit der Spionin Pola Iwanowa und in „Octopussy“ (1983) mit General Gogol. Der KGB und der MI6 sind Verbündete, während der scheinbar natürliche Verbündete, die CIA, oft in Person des ungeschickten, indiskreten und etwas törichten US-Agenten Felix Leiter verspottet wird.

Realität und Fiktion prallen hier mitunter in eklatanter Weise aufeinander: 1984 begann Ronald Reagan einen blutigen Krieg gegen die sozialistische Regierung der Sandinisten in Nicaragua. Zur gleichen Zeit bekam James Bond auf der Leinwand in „Im Angesicht des Todes“ den Lenin-Orden verliehen.

In den Bond-Filmen ermöglicht die anglo-sowjetische Freundschaft das gemeinsame Vorgehen gegen den Feind aller Völker, die internationale Verbrecherorganisation Spectre. Indem er die strategische Orientierung seiner Regierung ignoriert und sich im Kampf gegen eine globale, gemeinsame Gefahr mit dem Feind der Freien Welt verbündet, bringt Bond seine Soft Power zur Geltung: Seine britische Größe ermöglicht es, die bloße Verteidigung der eigenen Interessen hinter sich zu lassen und sich zum Verteidiger der gesamten Menschheit aufzuschwingen.

1 Umberto Eco und Oreste del Buono, „Der Fall James Bond. 007 – ein Phänomen unserer Zeit“. München (dtv) 1966.

Aus dem Französischen von Nicola Liebert

Aliocha Wald Lasowski ist Professor für politische Philosophie in Lille und Autor von „Les cinq secrets de James Bond“, Paris (Max Milo) 2020.

Le Monde diplomatique vom 08.10.2020, von Aliocha Wald Lasowski