13.08.2020

König Behanzins geraubte Schätze

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König Behanzins geraubte Schätze

Vor mehr als 40 Jahren rief der Unesco-Generalsekretär Amadou Mahtar M’Bow die ehemaligen Kolonialstaaten zur Rückgabe außereuropäischer Kunstwerke auf. Jahrzehntelang geschah nichts, bis Präsident Macron 2017 in Ouagadougou versprach, Frankreich werde Kulturgüter restituieren. Seit Kurzem gibt es auch in Deutschland eine „Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ – eine halbe Million Objekte hortet allein das Ethnologische Museum in Berlin.

von Philippe Baqué

Büste des Königs Oba Uhumwelao (Benin, 18. Jahrhundert), ausgestellt im Pariser Musée du Quai Branly akg-images
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Ein Auktionssaal in Nantes, 23. März 2019. „Sie bekommen für Ihren Kauf eine Quittung. Die Quittung, die die Erschaffer dieser Objekte bekamen, war der Tod“, ruft Thomas Bouli, Sprecher des Vereins Afrique Loire. „Frankreich hat soeben die Restitution von geraubten und unrechtmäßig erworbenen afrikanischen Kulturgütern angekündigt. Dazu gehören auch die Objekte, die hier angeboten werden.“ Der Auktionator entgegnet, er habe auf Wunsch des Kulturministeriums bereits 30 Objekte aus Benin aus dem Auktionskatalog entfernt. Die beninische Regierung war die einzige gewesen, die eine Restitution verlangt hatte, nachdem sie von den Afrique-Loire-Aktivisten aus Nantes alarmiert worden war.

„Diese Schreihälse sind eine Schande für die Sache, die sie vertreten! Wenn es überhaupt etwas zu vertreten gibt“, schimpft Yves-Bernard Debie, Anwalt des Kunsthändlerverbands Collectif des antiquaires de Saint-Germain-des-Prés, dem die meisten französischen Händler für afrikanische Kunst angehören. Debie ist nicht nur enttäuscht, weil er in Nantes nicht das kaufen konnte, was er haben wollte. Er hält allein schon den Begriff „Restitution“ für falsch, weil damit von vornherein unterstellt werde, es handle sich bei allen versteigerten Objekten aus Afrika um Beutekunst.

Den Anstoß zu einer Wiederaufnahme der Restitutionsdebatte1 hatte der französische Präsident gegeben, als er am 28. November 2017 an der Universität von Ouagadougou (Burkina Faso) eine Rede hielt: „Ich kann nicht hinnehmen, dass ein großer Teil des kulturellen Erbes mehrerer afrikanischer Staaten in Frankreich liegt. Es gibt dafür historische Erklärungen, aber es gibt keine akzeptable Rechtfertigung dafür.“ Das afrikanische Kulturerbe könne nicht allein in europäischen Privatsammlungen und Museen liegen“, so Macron. „Ich möchte, dass in fünf Jahren die Voraussetzungen erfüllt sind, um das afrikanische Erbe zeitweise oder endgültig an Afrika zu restituieren.“

Macron brach damit ein Tabu. Noch im Juli 2016 hatte Außenminister Jean-Marc Ayrault im Namen der Unveräußerlichkeit des französischen Kulturerbes dem frisch gewählten Präsidenten von Benin, Patrice Talon, eine kategorische Absage erteilt, als dieser die Schätze aus der Königsstadt Abomey zurückforderte, die am 17. November 1892 von der französischen Armee aus dem Palast geraubt worden waren. Zwischen 1893 und 1895 hatten General Alfred Amédée Dodds und andere Offiziere 27 Objekte aus dieser Kriegsbeute einem Pariser Museum „geschenkt“, dem heutigen Musée du Quai Branly – Jacques Chirac.

Anfang März 2018 beauftragte Macron die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und den senegalesischen Wirtschaftswissenschaftler Felwine Sarr mit der Erstellung eines Berichts zur Restitution des afrikanischen Kulturerbes, der ein halbes Jahr später veröffentlicht wurde. Das 230 Seiten starke Dokument ist „das Resultat einer umfangreichen Befragung von Experten und politischen Akteuren in Frankreich und in vier französischsprachigen Ländern (Benin, Senegal, Mali und Kamerun).“2

Die Forscher stellten fest, dass sich hunderttausende Objekte im Besitz europäischer Institutionen und Privatsammlungen befinden, darunter 88 000 in den staatlichen Museen Frankreichs. In afrikanischen Museen hingegen stehen nur wenige tausend. In ihrem Bericht beschreiben Savoy und Sarr die französische Kolonialzeit zwischen 1883 und 1960 als eine Phase „extrem hemmungsloser ‚Beschaffung‘ von Kulturgütern“, in der Offiziere und Zivilisten, Kolonialbeamte und Wissenschaftler ausdrücklich dazu aufgefordert wurden, jegliche materiellen Zeugnisse aus den eroberten Gebieten „ins Mutterland“ zu transferieren.

Betroffen waren nicht nur Kulturgüter, sondern sogar die sterblichen Überreste der getöteten Einheimischen: „Sie haben mich um Schädel aus dem Nigertal gebeten“, schrieb etwa 1883 ein Offizier an den Direktor des Musée d’Ethnographie du Trocadéro, dem Vorläufer des Musée du Quai Branly. „Ich habe zwei von Samory-Kriegern eingesammelt, die in Bamako getötet wurden.“3

Die beiden Wissenschaftler betonen, dass es ihnen nicht darum gehe „die Museen der einen zu leeren, um die der anderen zu füllen“. In ihrem Fazit empfehlen sie stattdessen eine nach den unterschiedlichen Formen der Enteignung differenzierte Rückgabe der Objekte. So fordern sie einerseits eine „zügige Restitution ohne zusätzliche Provenienzprüfung derjenigen Objekte, die in Afrika gewaltsam in Besitz gebracht wurden“. Andererseits sollen jene Stücke in Frankreich verbleiben, bei denen erwiesen ist, dass sie erworben wurden „infolge einer einvernehmlichen Transaktion, die unter freien und fairen Bedingungen stattfand und dokumentiert ist“.

Darüber hinaus empfehlen sie „die Restitution der Stücke, die nach 1960 unter den Bedingungen nachweislich illegalen Handels erworben wurden“. Um die Debatte über das Prinzip der Unveräußerlichkeit der staatlichen Sammlungen zu beenden, schlagen Sarr und Savoy außerdem die Verabschiedung eines Sondergesetzes oder die Modifikation des Kulturerbegesetzbuchs (Code du Patrimoine) vor.

Nach der Übergabe des Berichts verpflichtete sich Macron zur Rückgabe von 26 Objekten an Benin, die teilweise zu den bereits 2016 beanspruchten Gegenständen (Throne, Statuen, geschnitzte Türen, Reliquien und Königsinsig­nien) gehören. Die Empörung ließ nicht lange auf sich warten: „Die Museen dürfen nicht zur Geisel der schmerzhaften Geschichte des Kolo­nia­lis­mus werden“, forderte etwa Stéphane Martin, von 1998 bis 2019 Direktor des Musée du Quai Branly. Und sein Kollege Julien Volper, Konservator am belgischen Musée royale de l’Afrique centrale, das eine der bedeutendsten europäischen Sammlungen afrikanischer Kunst beherbergt, warnte vor dem Schaden für die nationalen Sammlungen.4

Nach der Unabhängigkeit ging der Kunstraub weiter

Obwohl der Bericht von Savoy und Sarr nur öffentliche Einrichtungen betrifft, mischen sich auch Kunsthändler und private Sammler in die Diskussion ein. „Nachdem Frankreich seine Vormachtstellung in Afrika verloren hat, bietet der Präsident die Rückgabe an die afrikanischen Staatschefs nur deshalb an, weil er die Märkte nicht an China verlieren will“, behauptet etwa Bernard Dulon, Präsident des Kunsthändlerverbands von Saint-Germain-des-Prés. „An wen sollen diese Kunstwerke, die zum Menschheitserbe gehören, zurückgegeben werden? Haben die afrikanischen Regierungen dieselbe Vorstellung von der Bewahrung dieses Erbes wie wir? Werden sie womöglich alles sofort weiterverkaufen?“

Bislang haben sich die angekündigten Restitutionen kaum auf den Handel ausgewirkt, doch der Kunsthändler Réginald Groux sorgt sich schon jetzt um die mittel- oder langfristigen Folgen. „Ohne die Sammler wären heute 99 Prozent der Objekte, die sich in Europa befinden, in Vergessenheit geraten, den Termiten zum Opfer gefallen oder auf dem Scheiterhaufen religiöser Fanatiker gelandet“, tönt Groux. Auch wenn viele Objekte von Amateuren gerettet wurden, haben diese dennoch von den Kriegen und Hungersnöten profitiert, um sich über Mittelsmänner die Schätze anzueignen.

Bénédicte Savoy beklagt, dass ihr Bericht in Frankreich weniger positiv aufgenommen worden sei als zum Beispiel in Deutschland, wo sie eine Professur an der TU Berlin innehat. Und sie bedauert, dass viele französische Konservatoren anscheinend immer noch nicht begreifen wollen, worum es geht. „Alle Gesprächspartner, die wir in Afrika getroffen haben, sagten uns, dass sie keineswegs alles aus den französischen Museen zurückholen wollen, denn viele Objekte sind hervorragende Botschafter für die Kultur ihrer Länder. Aber sie verlangen, dass ein bedeutender Teil dieses Kulturerbes den jungen Menschen in Afrika, die nicht nach Europa kommen können, zugänglich gemacht wird, damit sie aus der Kreativität ihrer Vorfahren schöpfen, sich davon inspirieren lassen und darauf beziehen können.“

Die Kunsthistorikerin Marie-Cécile Zinsou hat 2013 mit Unterstützung ihrer Eltern Marie-Christine und Lionel Zinsou – der Investmentbanker und kurzzeitige Ministerpräsident Benins ist auch ein Vertrauter Macrons – in Ouidah ein Museum für Gegenwartskunst gegründet. Die Küstenstadt im Süden Benins war im 18. Jahrhundert ein Zentrum des Sklavenhandels. In der schlichten Kolonialvilla in afrobrasilianischem Stil stellen regelmäßig zeitgenössische afrikanische Künstler ihre Werke aus.

Zinsou, die 1982 in Paris geboren wurde und in Frankreich und England aufwuchs, verbindet mit der Restitution eine wiedergefundene Würde und einen neuen Stolz. Inzwischen leitet die junge Frau auch die 2005 gegründete Stiftung ­Fonda­tion Zinsou, zu der unter anderem das Museum in Ouidah gehört. 2006 organisierte die Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Musée du Quay Branly eine Ausstellung in Cotonou, die König Behanzin gewidmet war, der nach der Eroberung von Abomey 1892 in französische Gefangenschaft geriet und deportiert wurde. Innerhalb von drei Monaten besuchten 275 000 Menschen die Ausstellung – ein großer Erfolg. Viele Beniner hätten aber nicht verstanden, warum die Ausstellungsstücke danach wieder nach Frankreich zurückgeschickt werden mussten, erzählt Zinsou.

„Egal ob als Hinterlegung oder Leihgabe, mittel- oder langfristig können wir nur passiv auf die Entscheidung Frankreichs warten“, bedauert Alain Godonou, Vizepräsident des französisch-beninischen Museumskomitees. „Wir wollen, dass Benin das Eigentumsrecht für diese Objekte zurückbekommt. Wenn sie wieder offiziell Benin gehören, können sie in Paris, Abomey oder Dakar gezeigt werden. Aber dann entscheiden wir, was damit geschieht.“

Während die Staaten auf die Restitutionen warten, müssen sie sich Gedanken darüber machen, wo sie die Objekte unterbringen wollen. Denn in vielen afrikanischen Ländern wurden die aus der Kolonialzeit übernommenen Museen, insbesondere die vom ehemaligen Institut français d’Afrique noire (Ifan) gegründeten Häuser, nicht nur nicht gepflegt, sondern oft auch noch geplündert. 2016 zog der Beniner Künstler Romuald Hazoumé eine niederschmetternde Bilanz: „Seit fünfzig Jahren wird unsere Kunst vernachlässigt“, stellte er damals fest.5 Deshalb hält er auch die Restitution der 26 königlichen Kunstschätze heute für „eine falsche gute Idee“. Er fürchtet, die Stücke könnten ein zweites Mal verloren gehen.

Ein passender Ort wäre zum Beispiel das historische Museum von Abomey, das in den beiden einzigen öffentlich zugänglichen Gebäuden auf dem riesigen Areal der Königspaläste von Abomey untergebracht ist. Die zehn Paläste wurden unter der Herrschaft von zwölf Königen zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert errichtet. Nach einer hastigen Restaurierung ist ein Teil der königlichen Ausstellung seit Anfang 2020 wieder zu sehen, doch eine große Vitrine bleibt leer: In ihr befand sich das große heilige Schwert und Symbol der königlichen Zauberkraft, das 2001 gestohlen und nie wiedergefunden wurde.

In dem Museum wurde schon mehrfach eingebrochen, und gebrannt hat es auch. Weil dieses Haus nicht sicher ist, soll für die 26 Objekte aus Paris ein neues Gebäude errichtet werden: Das Mu­sée de l’épopée des amazones et des rois du Danhomè wird unter anderem mit einem 12-Mil­lionen-Euro-Kredit von der französischen Entwicklungsagentur finanziert. Die Arbeiten haben allerdings immer noch nicht begonnen.

„Wir wurden von Macrons Entscheidung überrumpelt, als er anbot, sie sofort zurückzugeben“, gesteht José Pliya, Programmdirektor der Na­tio­nalen Agentur zur Förderung des Kulturerbes und Entwicklung des Tourismus (ANPT). Dabei ist er sich mit Präsident Talon darin einig, dass die Rückgabe dieser Objekte – abgesehen von der symbolischen Reparation – auch ökonomische Vorteile bietet. Denn die restituierten Objekte könnten den Ausbau des Kulturtourismus unterstützen. Diesen bislang wenig entwickelten Sektor hat Talon auch in seinen großen Investitionsplan „Bénin révélé“ integriert. Dadurch sollen auch die Naturschätze des Landes mehr Wertschätzung erfahren. Geplant sind Strand­hotels vom Typ Club Méditerranée, Safaris durch die Wildparks des Landes6 und mindestens vier neue Museen.

Allerdings sind die finanziellen Möglichkeiten des Staates begrenzt und seit im Mai 2019 zwei französische Urlauber im Pendjari-Nationalpark entführt worden sind, kamen noch weniger Touristen ins Land. Die Regierung musste manche Pläne wieder fallen lassen, und zwei Projekte für öffentliche Sammlungen wurden bereits gestrichen. Didier Houénoudé, Direktor des Na­tio­nalen Instituts für Kunsthandwerk, Archäologie und Kultur an der Universität von Abomey-Calavi, findet das problematisch: „Die Regierung hat die Restitution dieser Objekte verlangt, um einen Massentourismus zu entwickeln. Das Ganze droht zu einem rein wirtschaftlichen Projekt zu werden.“

Didier N’Dah hat auf dem Gelände der Königspaläste alte Werkstätten zur Herstellung von Kaurigeld mit einzigartigen Fundstücken entdeckt. Der Dozent für Archäologie und Vor- und Frühgeschichte an der Universität von Abomey-Calavi in Cotonou wünscht sich, dass die Restitution der Königsobjekte auch der Forschung und Lehre zugutekommt, und kritisiert, dass die Politiker die Meinung der Wissenschaftler nicht berücksichtigen.

In seinem winzigen, vollgestopften Büro erzählt er begeistert von den Ausgrabungen, die er trotz fehlender Mittel fortsetzt. Da es keine präventive Archäologie gibt, wurden bei großen Bauarbeiten – teils von der Weltbank finanziert – bereits mehrere Fundstellen zerstört; weitere sind durch ein chinesisches Pipelineprojekt bedroht, weil man sich in der Planungsphase nicht darum gekümmert hat, Archäologen hinzuzuziehen. Bei seinen Reisen durch Benin hat N’Dah auf dem Land noch viele heilige oder profane Kultobjekte entdeckt, die mehrere Jahrhunderte alt sind und offensichtlich von Generation zu Generation weitergereicht wurden.

Der Archäologe wünscht sich ein Programm zur Erforschung dieser Objekte: „Bevor man in den Massentourismus einsteigt, muss man die Menschen für den kulturellen und historischen Wert ihres Eigentums sensibilisieren, sonst werden sie es verkaufen.“ Noch heute werden viele archäologisch bedeutsame Objekte im Auftrag lokaler Antiquitätenhändler gekauft oder gestohlen, um sie an ausländische Sammler weiterzuverkaufen. Besonders begehrt sind Objekte des Voodoo, eine in Benin weit verbreitete animistische Religion. Durch diesen illegalen Handel verliert das Land Stück für Stück sein kulturelles Erbe.7

Für den Künstler Dominique Zinkpè liegt die Verantwortung bei den westlichen Kunstliebhabern, die das Land besuchen oder hier leben. „Die Werke, auf die sie aus sind, finden sie nicht in den Kunsthandwerkszentren, sondern in den Dörfern, und sie wissen, dass sie jemanden bezahlen müssen, der sie stiehlt. Die Menschen haben Hunger; manche sind sogar bereit, bedeutende Objekte vom Hof ihrer Großeltern zu verkaufen.“ Die Sammler suchten vor allem nach heiligen Objekte, erklärt Zinkpè. „Das ist kriminell, denn sie sind feste Bestandteile unserer Religion.“ Die Zwischenhändler nutzen auch den Einfluss der Imame und christlichen Priester, die ihre Gemeindemitglieder dazu drängen, sich von ihren „dämonischen“ Voodoo-Objekten zu trennen.

„Wir wissen ungefähr, wie viele unserer Objekte in den französischen Museen ausgestellt werden“, erklärt Franck Ogou, Direktor der Schule für afrikanisches Kulturerbe (EPA) in der Hauptstadt Porto-Novo. „Aber über die Zahl der Objekte, die von Antiquitätenhändlern und privaten Sammlern bis heute außer Landes gebracht wird, können wir nur Mutmaßen. Die Grenzen sind durchlässig, und die Kontrolle ist schwierig.“ Eigentlich dürfen nur zertifizierte Kopien aus Benin ausgeführt werden. Doch „die Sammler missbrauchen die Zertifikate, um die Kopien durch Originale zu ersetzen“, erzählt der Archäologe N’Dah. „Man müsste die Zöllner besser ausbilden und entschlossen gegen den Schmuggel vorgehen.“

Die Vitrine für das Zauberschwert ist leer

Am 17. Januar 2020 fand im Petit Musée de la Récade am Stadtrand von Cotonou eine ungewöhnliche Zeremonie statt: Der französische Botschafter, ein Vertreter des Beniner Kulturministeriums, Mitglieder der Königsfamilie von Abomey, Vertreter des Auktionärsverbands von Saint-Germain-des-Prés sowie Kunstschaffende und Studierende wohnten der Ankunft von etwa 30 Objekten bei – mehrheitlich Zeptern (récades) der Könige von Danhomè.

Das Museum wurde bereits 2015 durch den französischen Kunsthändler Robert Vallois, einen Sammler zeitgenössischer beninischer Kunst, und mit Unterstützung des Kunsthändlerverbands aus Paris eröffnet. „Für uns ist die Restitution der Werke etwas ganz Konkretes!“, verkündete Vallois. „Ich habe dieses Museum geschaffen, um es mit Objekten aus Benin dem Land Benin zu geben.“ Anwalt Debie betont jedoch, es handle sich um ein „ausschließlich französisches Museum, das eine ausschließlich französische Spende erhalten hat.“

Mit dieser von einigem Medienrummel begleiteten Aktion8 setzen sich die Restitutions­gegner in Szene – und zeigten dem französischen Kulturministerium eine lange Nase: Bei den 2020 überführten Gegenständen handelt es sich nämlich genau um die 30 Objekte, die im März 2019 in Nantes aus dem Auktionskatalog entfernt worden waren. Da Benin sie letztendlich nicht gekauft hat, haben die Kunsthändler sie wie ursprünglich angeboten für 24 000 Euro erworben.

„Der Staat Benin hätte die Sachen kaufen können, was sind 24 000 Euro schon für einen Staat?“, schimpft Bouli vom Verein Afrique Loire. „Allmählich zweifeln wir an dem Willen der afrikanischen Staaten, ihr kulturelles Erbe zu bewahren.“ Bouli verweist etwa auf das Beispiel Dakar, wo tausende Objekte aus der Kolonie Französisch-Westafrika noch in den Räumen des Ifan lagern, ohne dass die senegalesische Regierung auf die Idee kommt, sie den Ländern zurückzugeben, aus denen sie stammen.

Drei Jahre nach Macrons Rede in Ouagadougou gibt es weder eine wie von Sarr und Savoy empfohlene Inventarliste der zu restituierenden Objekte noch eine Änderung des Code du Patrimoine. Am 17. November 2019 übergab der damalige französische Ministerpräsident Éduard Philippe dem senegalesischen Präsidenten Macky Sall vor der Unterzeichnung eines bedeutenden Waffenkaufvertrags das Schwert von al-Haddsch ’Umar Tall, einem Kämpfer gegen die Kolonialmacht, als fünfjährige Leihgabe an das Musée des civilisations noires in Dakar.

Mitte Juli 2020 prüfte die neue französische Regierung einen Gesetzentwurf, der möglicherweise die Rückgabe von einem Säbel und weiteren 26 Objekten an Benin erlaubt. Wie wohl die Lobbyisten des Kunsthandels darauf reagieren werden? 2002 lobbyierten sie jedenfalls erfolgreich gegen die französische Ratifikation einer Konvention gegen den illegalen Handel. Das „Ich will“ des französischen Präsidenten erregte 2017 viel Aufsehen – aber es ist bis heute ein frommer Wunsch geblieben.

1 Als der Generalsekretär der Unesco, Amadou Mahtar M’Bow, am 7. Juni 1978 zur Restitution außereuropäischer Kunstwerke aufrief, kam es in Frankreich und anderswo zu einer heute nahezu vergessenen breiten öffentlichen Debatte, die darin mündete, dass damals eine Regierung nach der anderen die Restitutionsforderungen erst mal ablehnte.

2 Felwine Sarr und Bénédicte Savoy, „Restituer le patrimoine africain“, Paris (Philippe Rey-Seuil) 2018, www.restitutionreport2018.com. Eine gekürzte Fassung wurde von Daniel Fastner ins Deutsche übersetzt: „Zurückgeben: Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter“, Berlin (Matthes & Seitz) 2019. Sofern nicht anders angegeben, stammen alle folgenden Zitate aus diesem Bericht.

3 In ihrem Abschlussbericht zur Konferenz „Beyond Collecting. New Ethics for Museums in Transition“ vom März 2020 forderten kürzlich internationale Museumsexperten endlich ein Verbot der Forschung an aus Afrika stammenden menschlichen Überresten und deren proaktive Restitution durch Europa.

4 Siehe Nicola Truong, „Restitutions d’art africain: ‚Au nom de la repentance coloniale, des musées pourraient se retrouver vidés‘“, Le Monde, 28. November 2018.

5 „Romuald Hazoumé: ‚Cela fait cinquante ans que la culture béni­noise est à l’abondan‘“, Télérama, Paris, 17. September 2016.

6 Siehe Jean-Christophe Servant, „Naturschutz mit Sturmgewehr“, LMd, Februar 2020.

7 Siehe Philippe Baqué, „Räuber und Sammler“, LMd, Januar 2005.

8 Siehe „Retour au Bénin de vingt-huit objets appartenant aux an­ciens rois d’Abomey“, Le Monde, 18. Januar 2020.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Philippe Baqué ist Journalist und Filmemacher und Autor von „Un Nouvel Or noir, pillage des œuvres d’art en Afrique“, Paris (Agone) 1999 (Neuauflage 2021).

Le Monde diplomatique vom 13.08.2020, von Philippe Baqué