11.06.2020

Oman und der Krieg im Jemen

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Oman und der Krieg im Jemen

Das Sultanat ist nicht ganz so neutral, wie es sich gibt

von Sebastian Castelier und Quentin Müller

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Betäubt von der Hitze, sitzen Männer und Frauen im Schatten spärlich belaubter Bäume. Dutzende Kinder springen herum. Ihre Eltern achten nicht auf sie, sondern starren besorgt hinüber zum Eingang des Krankenhauses, das nach Sultan Qabus ibn Said benannt ist, der bis zu seinem Tod am 10. Januar 2020 den Oman regierte.

Wir sind in Salala, der Hauptstadt des Gouvernements Dhofar im Südwesten des Sultanats, 60 Kilometer von der Grenze zum Jemen entfernt. Westliche Touristen kommen normalerweise in die antike Stadt, um das Grab Hiobs zu besuchen. Aber die vielen jemenitischen Flüchtlinge sind hier, weil sie eine ärztliche Versorgung benötigen.

Abdullah B., ein Omaner um die Fünfzig, wartet in seinem klimatisierten Geländewagen darauf, dass seine Schützlinge aus der Klinik kommen. Er gehört zum Verein White Hands. Dessen Mitglieder übernehmen Patenschaften für jemenitische Familien, die sich im Oman behandeln lassen. Der 2017 gegründete Verein hat über 2000 Ehrenamtliche und Spender.

Endlich taucht die Familie auf. Der 49-jährige Ahmed Yahya Ahmed schiebt den Rollstuhl seines Vaters, der auf eine Nierentransplantation wartet. Abdullah B. bürgt für die Versorgung des Patienten und seiner Angehörigen. Nach jedem Arztbesuch fährt er die Familie 30 Kilometer nach Westen zurück in die Wohnung, die er für sie gemietet hat. Im Wohnzimmer sind Kissen mit goldenen Quasten auf dem Boden verteilt. Ahmed, seine Frau und die fünf Kinder breiten eine Plastiktischdecke aus und bieten uns Datteln, Kaffee und kalte Getränke an.

„Hier respektiert man uns als Menschen“, sagt Ahmed: „Oman ist das einzige Land, das unserem Volk hilft und bereit ist, die Grenzen zu öffnen. Wir kommen aus Hudaida. Auf der Flucht nach Sanaa haben wir alles verloren.“

Hudaida ist ein wichtiger jemenitischer Hafen am Roten Meer und ein Versorgungsstützpunkt für die Huthi-Rebellen. Deshalb hat die von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) geführte Koali­tion gegen die Huthis die Stadt immer wieder bombardiert. Mitunter werden die Krankenhäuser dort von den Rebellen besetzt, weshalb sie kein sicherer Ort mehr sind. Die Familie möchte auf keinen Fall in den Jemen zurückkehren, sondern erst mal ein Jahr in Salala bleiben. Die White Hands zahlen ihnen 350 Omanische Rial (800 Euro) im Monat. Aus seiner eigenen Tasche gibt Abdullah B. 1500 Rial (3400 Euro) für die medizinische Behandlung dazu.

Der Gründer von White Hands, Salem Mohammed, ist Professor für Geschichte an der Universität von Dhofar. Eines Tages baten ihn seine Studenten, die Herzoperation einer jungen Jemenitin zu unterstützen. „Ihre Familie war zu arm, um das zu finanzieren“, erinnert er sich. „Also habe ich eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet und darin einflussreiche Persönlichkeiten aus der Region versammelt. Wir haben 4000 Rial (9000 Euro) gesammelt, damit die Frau behandelt wird. Heute geht es ihr besser, Gott sei Dank.“

Humanitäre Hilfe von unten

Wenn ein neuer jemenitischer Flüchtling im Krankenhaus von Salala ankommt, schicken die White Hands einen Vertreter, der sich über die Si­tua­tion des Flüchtlings und die notwendige Behandlung informiert. „Wir erstellen rasch ein Profil der betreffenden Person und verbreiten es über unsere WhatsApp-Gruppen, um einen Paten zu finden“, erklärt Mohammed. Mehr will er uns über seine Organisa­tion nicht erzählen.

Initiativen dieser Art hatten sich in Oman seit dem Beginn des Bürgerkriegs in Jemen im Juli 2014 zunächst nur zaghaft entwickelt. Nach der Intervention der von Saudi-Arabien angeführten Koalition gegen die Huthi-Rebellen im Frühjahr 2015 gewannen sie jedoch an Zulauf.1 Das Gouvernement Dhofar ist dem Südjemen geografisch und historisch am nächsten. In der Region erinnert man sich gut an die 1960er Jahre, die in Oman von der restriktiven Herrschaft des Sultans Said ibn Taimur geprägt waren. Das Land besaß damals sehr wenig Infrastruktur, und seine Analphabetenquote gehörte zu den höchsten der Welt.

Für die Jugend in Dhofar, die eine Zukunft suchte, war der Jemen der einzige Ausweg aus der damals ärmsten Provinz am Golf. Als sich die Stämme in Dhofar 1965 gegen den Sultan erhoben, wurden sie bald von der kommunistisch geprägten Volksrepublik Jemen (Südjemen) unterstützt. Der Aufstand, der von der Regierung und ihren britischen Verbündeten bekämpft wurde, dauerte fast zwölf Jahre.

Die Aufständischen und die jemenitischen Marxisten unterstützten sich auch deshalb gegenseitig, weil enge Stammesbande zwischen ihnen bestehen. Mahdi Taleb Tahrir Ba Omar, Touristenführer in Salala, bestätigt, dass diese historische Verbindung auch die heutige Solidarität mit den Jemeniten erklärt. „Mein Cousin war mehrmals mit einem Pick-up im Jemen, um Lebensmittel zu verteilen. Die Leute machen das aus eigenem Antrieb, vor allem während des Ramadans.“

Die zivile humanitäre Hilfe im Oman wirkt improvisiert und auf individuellem Engagement basierend. Tatsächlich aber unterstehen in dem scheinbar ruhigen Land, in dem nichts vor dem Geheimdienst verborgen bleibt, auch die Hilfsleistungen der strengen Kontrolle und Überwachung durch die Zentralmacht in Maskat. „Alle Bürgerinitiativen werden von der Regierung beobachtet“, bestätigt uns ein hoher omanischer Beamter, der anonym bleiben möchte. Seine Vorsicht bestätigt, dass die Hilfe für die Jemeniten ein sensibles Thema ist. Denn sie berührt unmittelbar die Beziehungen zu den mächtigen Nachbarn Omans.

Als wir Abdullah Baabood, den ehemaligen Direktor des Center for Gulf Studies der Universität Katar, nach dem Umfang der humanitären Hilfe für den Jemen und die Zahl der jemenitischen Zivilisten in den Krankenhäusern von Maskat und Salala fragen, muss er passen. „Die Regierung macht solche Informationen nicht öffentlich. Sie ist extrem vorsichtig, wenn es um die Beziehung zum Jemen geht.“ Oman wolle nicht der Einmischung oder der Parteinahme in einem Konflikt beschuldigt werden, in dem Saudi-Arabien und die VAE, beide Mitglieder des Golf-Kooperationsrats (GCC), so stark involviert sind, erklärt Baabood.

Das Sultanat rühmt sich, bei Spannungen zwischen den GCC-Mitgliedern stets den Weg der Weisheit und Neu­tra­li­tät zu verfolgen. Deswegen will man auf keinen Fall unter Verdacht geraten, in irgendeiner Weise den Huthi-Aufstand zu unterstützen. Ohnehin gestalten sich die Beziehungen zu Saudi-Arabien und den VAE seit 2015 zunehmend schwierig. Denn Oman hatte es abgelehnt, sich an der Koalition gegen die Huthis zu beteiligen.2

Stattdessen trat Maskat als Vermittler auf und blieb mit dem politischen Arm der Aufständischen im Jemen, Ansar Allah (Helfer Gottes), im Gespräch. Auch westliche Diplomaten treffen sich in der omanischen Hauptstadt mit Vertretern der Huthis, wie am 31. März 2019, als der UN-Sondergesandte für Jemen, Martin Griffith, dort mit einer Delegation von Ansar Allah verhandelte. Oman setzt sich zudem auch dafür ein, dass die Rebellen ausländische Gefangene freilassen.

Dieses eigenständige Handeln gefällt den Saudis und den VAE überhaupt nicht. Beide werfen dem Oman indirekt vor, Waffenlieferungen für die Huthis zu erlauben und zu unterstützen. Sie verweisen auf mehrere Zwischenfälle, die die Neutralität des Sultanats infrage stellen: Im August 2015 beschlagnahmten die Behörden der jemenitischen Provinz Marib, 120 Kilometer östlich der Hauptstadt Sanaa, eine Ladung mit Gewehren und Munition für die Rebellen. Der Provinzgouverneur erklärte, die Ladung komme aus Iran und sei auf dem Landweg über Oman transportiert worden.

Im November 2015 beschlagnahmte die jemenitische Armee eine Waffen- und Sprengstofflieferung im Hafen von Nischtun in der Provinz Mahra, keine 200 Kilometer von der omanischen Grenze entfernt. Jemens Regierung erklärte, es könne unmöglich sein, dass Omans Marine nichts von dem Schiff mit den Waffen mitbekommen habe.

Zwei Jahre später, im November 2017 zeigte der saudische Fernsehsender al-Arabiya eine kurze Dokumentation, die den Waffenschmuggel für die Huthis nachverfolgte. Auch darin tauchte der Hafen von Nischtun auf. Jeder nachdrückliche Verweis auf die Nähe der Anlandungspunkte zur omanischen Grenze musste dabei als indirekte Anschuldigung gegen das Sultanat verstanden werden. Der omanische Außenminister Youssuf ibn Alawi behauptete 2016 hingegen: „Keine Waffe hat unsere Grenzen überquert.“

Die Frage der Waffenlieferungen hat die jemenitische Provinz Mahra ins Zentrum ausländischer Einmischung in den Bürgerkrieg und von Rivalitäten bei der humanitären Hilfe gerückt. Das Gebiet mit seinen 650 000 Einwohnern pflegt traditionell enge Beziehungen zum Nachbarn Oman. In der Absicht, die Huthi-Rebellen im Rücken anzugreifen, versuchen Saudi-Arabien und die VAE seit 2015 den omanischen Einfluss auf Mahra zu schwächen.

Mit Druck und Überzeugung erreichten die VAE, dass die Ausbildung von 2000 jemenitischen Soldaten ihren Spezialkräften übertragen wurde. Zudem ist der emiratische Zweig des Roten Halbmonds in der Region aktiv, und Abu Dhabi spendierte den Sicherheitskräften der Provinz 41 Fahrzeuge.Schritt für Schritt wurden lokale Entscheidungsträger mit enger Bindung an Oman verdrängt. Doch die Reak­tion aus Maskat ließ nicht lange auf sich warten. Der Oman lieferte Stromgeneratoren nach Mahra. Außerdem reaktivierten die Omaner ihre Stammesnetzwerke im Jemen und zwangen die VAE, auf die Ausbildung jemenitischer Soldaten zu verzichten und schließlich sogar ihre Fahrzeuge wieder mit nach Hause zu nehmen.

Die Saudis waren noch aktiver. Ende 2017 besetzten sie den Hafen von Nischtun, jemenitische Grenzposten gegenüber dem omanischen Ort Sarfait und den Flughafen der Provinz Mahra, al-Ghaida. „Die saudische Strategie besteht darin, die wichtigsten Transportpunkte zu kontrollieren, um Lieferungen an die Huthis oder an proomanische Kräfte in der Region zu verhindern“, erklärt Ryan Bohl, Nahostanalyst bei Stratfor, einem privaten US-Informationsdienst für geopolitische Analysen.

Zivile Flüge – eine der letzten Fluchtmöglichkeiten für Jemeniten – wurden annulliert, und Riad baute den Flughafen al-Ghaida zur Militär­basis aus. Kurz danach wurde der dem Oman nahestehende Gouverneur der Provinz durch einen Jemeniten ersetzt, der auch die saudische Staatsbürgerschaft besitzt. „Die saudische Intervention hat vor allem entlang der dicht besiedelten Küste große Feindseligkeit geweckt“, sagt Elisabeth Kendall, Arabistin und Islamwissenschaftlerin am Pembroke College der Universität Oxford. Die Ablehnung wurde dadurch verstärkt, dass hunderte salafistische Kämpfer, darunter Franzosen und Nigerianer, von den Saudis nach Mahra geschickt wurden; ein Schock für die lokale Bevölkerung, die eher dem Sufi-Mystizismus anhängt.

Als Reaktion darauf intensivierte Oman den Kontakt zum Sohn des letzten Sultans von Mahra, Abdallah al-Afrag, und zu Ali al-Hurayzi, einem ehemaligen Kommandanten der Grenzwachen, der als Symbolfigur im Widerstand gegen die Saudis galt. Beide wurden wiederholt in der omanischen Hauptstadt empfangen, wo sie europäische Diplomaten und westliche Journalisten über die saudische Einmischung in Kenntnis setzten.

„Wir haben die Omaner um Panzer und Waffen gebeten, um gegen die saudische Okkupation zu kämpfen, aber sie haben abgelehnt. Sie liefern lediglich Lebensmittel und Generatoren“, erzählt uns al-Hurayzi. Mitte Februar 2020 versuchte er eine Zusammenkunft der Stämme zu organisieren, um gegen die Besetzung des Al-Ghaida-Airport und des Hafens von Nischtun zu protestieren. Saudische Soldaten eröffneten aus Helikoptern das Feuer und trieben die Menge rasch auseinander.

Der Zwischenfall hat die Spannungen verschärft und könnte zu einer Eskalation zwischen den Kräften der Koalition und den Oman nahestehenden jemenitischen Stämmen führen. Im Jemen, wo sich verschiedene, miteinander verknüpfte Konflikte abspielen, ist der Kampf zwischen den Monarchien der Halbinsel um mehr Einfluss noch lange nicht beendet.

1 Siehe Laurent Bonnefoy, „Kalkül und Katastrophe im Jemen“, LMd, Dezember 2017.

2 Siehe Alain Gresh, „Das vernünftige Sultanat. In einer unruhigen Region betreibt Oman eine Diplomatie des Ausgleichs“, LMd, Mai 2916.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Sebastian Castelier und Quentin Müller sind Journalisten.

Le Monde diplomatique vom 11.06.2020, von Sebastian Castelier und Quentin Müller