07.11.2019

Das Ende einer Heuschrecke

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Das Ende einer Heuschrecke

Mit 116 Millionen US-Dollar Startkapital gründete Arif Naqvi 2002 die Private-Equity-Gesellschaft Abraaj. Bald gehörte der Konzern zu den größten Playern der Branche – bis ein Zwischenfall Naqvis gigantischen Betrug ans Licht brachte.

von Ibrahim Warde

Lia Darjes, Billboard mit Aussicht, 2014, Archival Pigment Print, 70 x 70 cm
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Sie nannten ihn den „König der Unternehmensaufkäufe“1 . 2002 begann der pakistanische Geschäftsmann Arif Naqvi Firmen zu kaufen, die nicht an der Börse notiert waren, um sie einige Jahre später wieder zu verkaufen und dabei riesige Gewinne zu machen.

Dieses Investitionsmodell des sogenannten Leveraged Buyout (LBO, fremd(kapital)finanzierte Über­nahme) stammt aus den USA und schien zunächst nicht für Länder geeignet, die wie Pakistan von einer informellen Wirtschaft, dem Einfluss des Staates und der Allgegenwart von Familienunternehmen geprägt sind, die sich ungern fremden Aktionären öffnen. Ein zusätzliches Handicap ist das Misstrauen gegenüber derartigen Praktiken in den Golfstaaten und der gesamten muslimischen Welt, wo das Schuldenmachen als verwerflich gilt.

Naqvi ging also ein beträchtliches Risiko ein, aber seine Erfolge überzeugten die Märkte. Beim Weiterverkauf der 2016 erworbenen 25 Prozent der Investmentbank EFG Hermes in Kairo konnte er in nur 16 Monaten seinen Einsatz verdoppeln. Der Verkauf des acht Monate zuvor erworbenen Unternehmens Egyptian Fertilizers (Stickstoffdüngerprodukte und industrielle Chemikalien) verschaffte ihm 2017 einen Gewinn von 39 Prozent. Damit trug Arif Naqvi erheblich zum Aufschwung von fremdfinanzierten Übernahmen in der von Privatisierung und explodierenden Erdölpreisen geprägten Region bei.

Naqvis Konzern Abraaj (Arabisch für: „Türme“) hatte seine Basis erst im Nahen Osten, dann in der Menasa-Region (Nahost, Nordafrika und Südasien) und breitete sich rasch auf alle Kontinente aus. Mit 20 Regionalbüros kontrollierte der LBO-Konzern eine Vielzahl von Firmen aus allen Bereichen. Das aus den USA stammende Organisationsprinzip, die Fonds nach Regionen und Branchen aufzuteilen, wurde erfolgreich angepasst, und die übernommenen Unternehmen wurden professioneller geführt, was bessere Ergebnisse für alle Beteiligten bedeutete. Abraaj erhielt eine Provision in Höhe von 1,5 Prozent aller Aktiva und eine Beteiligung von etwa 20 Prozent des beim Wiederverkauf erzielten Gewinns. Den Investoren versprach das Unternehmen einen jährlichen Nettoprofit von 17 Prozent.

Neben der überdurch­schnittlichen Performance zeichnete sich der Fonds durch sein Engagement für ökologische und soziale Unternehmensführung (Environment Social Governance, ESG) aus. Naqvi wurde zur globalen Berühmtheit und zu einem Meinungsführer für die Agenda des 21. Jahrhunderts. Seinem Image als visionärer Manager, der versuchte „die Welt zu ändern“, konnte man sich schwer entziehen. Der Slogan: „Doing well by doing good“2 schien ihm wie auf den Leib geschneidert. Als Stammgast beim Weltwirtschaftsforum in Davos, bei den Treffen der Clinton Global Initiative und anderen globa­lisierungsfreundlichen Kreisen präsentierte er überall seinen Idealismus und rühmte unablässig Good Governance, Transparenz und Integrität.

Als Verfechter einer nachhaltigen Entwicklung sollten seine Investitionen vor allem in den ärmsten Regionen der Welt Produktions- und Konsumtionsmodelle verändern. Er bekämpfte Vorurteile gegen die Märkte, in denen Abraaj investierte, und bedauerte das geringe Interesse der Private-Equity-Riesen an Investitionen, die seiner Meinung nach nicht riskanter waren als andere. Für ihn „drückt die Bezeichnung ‚Schwellenmarkt‘ Herablassung und geistige Faulheit aus. Das Wort sagt nichts. Man sollte besser von globalen Wachstumsmärkten sprechen.“3

Naqvi, der Machtmensch und Netzwerker, verführte den Privatsektor und die Anhänger der Ergebnisorientiertheit. Da, wo sich andere mit Versprechen begnügten, war der Abraaj-Chef versessen auf wissenschaftliche Bewertungsmethoden und konkrete Ergebnisse. Er stand für Impact Investing (wirkungsorientiertes Investieren) und forderte, die sozialen, menschlichen oder ökologischen Folgen von Investitionen könnten und müssten ebenso gemessen werden wie die finanziellen Ergebnisse.

2015 befasste sich ein Team der Stanford Graduate School of Business mit Abraaj. Die Studie wurde von der erlauchten Harvard Business School weltweit bekanntgemacht und mehrte seinen Ruhm. Sie erklärte den „phänomenalen“ Aufstieg des Unternehmens, sezierte voller Bewunderung seine „best practices“ und seine Methoden der Wertschöpfung und befasste sich besonders mit den Unternehmensaktivitäten in der Gesundheitsfürsorge.4

Tatsächlich hatte Abraaj mit Investitionen auf diesem Gebiet die größten Erfolge. Naqvi beklagte immer wieder, dass die Privatwirtschaft das Gesundheitswesen dem Staat oder karitativen Organisationen überlasse. Der mit 1 Milliarde US-Dollar dotierte Abraaj Growth Markets Health Fund versprach, den Sektor mit einer umfassenden Zusammenarbeit von Privatwirtschaft, öffentlicher Hand, internationalen Organisationen, NGOs und reichen Privatspendern zu dynamisieren. Naqvi stand an der Schnittstelle all dieser Bereiche und präsentierte die Vision eines Netzes „regionaler Exzellenzzentren für Gesundheit“ mit modernster Medizintechnik, um den Versorgungsmangel in den ärmsten Ländern zu beheben.

Naqvi war auch ein Vorreiter der Bewegung für eine nachhaltige Entwicklung. 2012 gehörte er zu den Unterzeichnern des Global Compact der UN, der weltweit größten und wichtigsten Initiative für verantwortungsvolle Unternehmensführung. Im selben Jahr wurde er von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in den Verwaltungsrat des Global Compact berufen, in dem er der einzige Vertreter aus dem Kapital-Investment war. Und Abraaj bekannte sich zu den 17 UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung, die 2015 beschlossen wurden. Das dritte Ziel zeichnet die Vision einer Gesellschaft, in der Gesundheit nicht mehr allein in der Verantwortung des medizinischen Personals liegt.5

Kein Wunder also, möchte man meinen, dass Abraaj alle Schwergewichte der Wirtschaftsförderung überzeugte. Die Internationale Finanz-Corporation – eine Filiale der Weltbank für die Finanzierung des Privatsektors –, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), die Islamische Entwicklungsbank, die US-amerikanische Overseas Private Investment Corporation (Opic), das französische Finanzinstitut Proparco, das zur Agence française de développement gehört, die britische CDC Group, die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) und viele andere, nicht zu vergessen die Bill and Melinda Gates Foundation – sie alle investierten massiv in den Abraaj-Fonds.

Naqvis enge Beziehung zu Bill ­Gates hat seiner Glaubwürdigkeit sowohl in der Geschäfts- als auch in der Wohltätigkeitswelt sehr genutzt. Gates, einer der reichsten Menschen der Welt und Gründer des Microsoft-Giganten, widmet sich heute ganz der Philanthropie und nutzt seine finanziellen Möglichkeiten, um neue Impfstoffe zu entwickeln und Arzneimittelpreise zu senken. Mit seiner Frau Melinda und dem Investor Warren Buffett lancierte er 2010 die Kampagne „The Giving Pledge“ („Das Versprechen, etwas zu geben“), der sich über 200 Superreiche – unter ihnen auch Naqvi – anschlossen, die sich verpflichteten, zu ihren Lebzeiten mehr als die Hälfte ihres Vermögens philanthropischen Zwecken zuzuführen.

Enge Beziehungen zu Bill Gates

Auf diesem Gebiet wie auch als Mäzen hatte sich Naqvi schon zuvor seine Meriten verdient. Seine in Pakistan beheimatete Familienstiftung Aman erklärte, sie verwende 150 Millionen US-Dollar für die „Verbesserung des Lebens der schwächsten Bürger“ Pakistans. Naqvi spendete fast 7 Millionen britische Pfund, um den weltweit ersten Masterstudiengang Finanzen und Kapitalinvestment sowie den Abraaj-Group-Lehrstuhl für Finanzen und Kapitalinvestment an der London School of Economics zu finanzieren, an der er, seine Frau und acht weitere Familienmitglieder studiert hatten.

Er galt auch als großer Kunstsammler und stiftete den üppig dotierten Abraaj-Capital-Preis zur Förderung der Kunst. Aber er verteilte nicht nur Ehrungen, sondern erhielt auch selbst welche. 2015 waren er und seine Frau Preisträger des Prix BNP Paribas für Philanthropieprojekte von Privatpersonen.6

Im September 2017 schien Naqvi auf dem Gipfel seines Ruhms angelangt zu sein. Gerade hatte in Singapur der Asiengipfel der Milken-Stiftung stattgefunden, benannt nach dem einstigen König der Junk Bonds (Schrottanleihen) Michael Milken, der eine Gefängnisstrafe abgesessen und sich zum Philanthropen und Zukunftsforscher gewandelt hatte. Naqvi hatte dort über Langzeitinvestitionen referiert.7 Sein Konzern stand kurz vor der größten und ehrgeizigsten Kapitalbeschaffung seiner Geschichte in Höhe von 6 Mil­liar­den US-Dollar, um die soziale Lage in 30 Entwicklungsländern zu verbessern.8

Sein Geschick im Umgang mit Menschen fand immer neue Bestätigung. Bei der letzten Investorenkonferenz war kein Geringerer als der frühere US-Außenminister John Kerry als Ehrengast aufgetreten. Abraaj verstärkte sein Leitungsteam mit der Einstellung von Kito de Boer, früherer Nahostchef der bekannten Beratungsfirma McKinsey und als Nachfolger von Anthony Blair Sondergesandter des Nahostquartetts. De Boer machte keinen Hehl aus seinem Stolz, für ein Unternehmen zu arbeiten, das „die größten Investoren der Welt“ zu gewinnen vermochte und „dessen Gesundheitsfonds den inspirierten Kapitalismus in seiner aufgeklärtesten Form verkörpert“.9

Ein scheinbar harmloser Zwischenfall markierte dann den Anfang vom Ende. Am 27. September 2017 warnte ein anonymer Hinweisgeber per E-Mail die Vermögensverwaltung Hamilton ­Lane (und zweifellos auch andere Investoren), man möge sich bei der laufenden Kapitalbeschaffung vorsehen. Die Unternehmenskultur bei Abraaj sei nicht, was sie vorgebe, die Mitarbeiter hätten Angst, sich zu äußern, und die Investoren sollten höchst wachsam sein. Naqvi, mit diesen Vorwürfen konfrontiert, leugnete alles. Er schwor bei allen Göttern, es handle sich um ein politisches Manöver, jemand versuche, ihn zu „meucheln“.

Abraaj ließ vom bekannten Wirtschaftsprüfer KPMG einen „unabhängigen“ Bericht erstellen, der das Unternehmen reinwusch. Später sollte man erfahren, dass es sich um einen Gefälligkeitsbericht handelte und KPMG enge Beziehungen zu Abraaj unterhielt.10 Hamilton Lane schien beruhigt und bestätigte, man werde 100 Millionen Dollar in den nächsten Abraaj-Fonds investieren. Alles schien wieder in Ordnung.

Im Januar 2018 saß Naqvi in Davos bei einem Gespräch über das Gesundheitswesen neben Bill Gates und zwei Medizinern auf dem Podium. Er äußerte seine Begeisterung und Selbstzufriedenheit: „Ich bin, wie Bill, ein Optimist. Deshalb glaube ich, dass das Glas halbvoll ist. Ich bin mir sogar sicher. Ich glaube nicht, dass es halbleer ist.“11

Das Publikum wusste nicht, dass die Gates Foundation sowie drei weitere Investoren – die Internationale Finanz-Corporation, die CDC-Gruppe und Proparco – zuvor eine Buchprüfung verlangt hatten, um zu erfahren, was aus ihren Beiträgen geworden war. Andere waren ihrem Beispiel gefolgt. In den folgenden Wochen bestätigte eine Flut von Prüfberichten, was alle bereits vermuteten: Naqvi hatte 230 Millionen US-Dollar veruntreut, die dazu bestimmt waren, Krankenhäuser in Nigeria, Pakistan, Kenia oder Indien zu bauen.

Das Abraaj-Imperium beschränkte sich nicht auf Fonds und karitative Organisationen. Naqvi kontrollierte auch Unternehmen, die ihm selbst gehörten, und andere, die auf die Namen von Familienmitgliedern oder engen Vertrauten eingetragen waren. Zu seinem fürstlichen Lebensstil gehörten eine Jacht und ein Privatjet.

Als Anhänger undurchsichtiger Finanzoperationen und großzügiger Regulierungen hatte Naqvi Abraaj und weitere Fonds auf den Kaimaninseln registriert. Andere Teile des Konzerns unterstanden der Gesetzgebung von Dubai, Mauritius, London oder New York. Deshalb konnte sich kein Prüfer ein Bild von den Gesamtaktivitäten des Konzerns machen.12 Wie bei zahlreichen anderen Betrugsfällen war das Ideal, das Abraaj verkörpern wollte, leichter zu inszenieren als umzusetzen. Naqvi schmeichelte den Mächtigen, die es ihm mit Wohlwollen vergalten und allein damit als Bürgen für seine Aktivitäten herhielten. Mit dem so angehäuften Vertrauenskapital konnte er die Verpflichtungen der Due-Diligence-Prüfung (sorgfältigen Prüfung) umgehen und die größten Investoren der Welt an der Nase herumführen.

Nun folgte eine Enthüllung auf die andere, das Kartenhaus fiel in sich zusammen. Der Nebel, der den Schuldenberg von mehr als 1 Milliarde US-Dollar und fiktive Gewinne von fast 500 Millionen US-Dollar verborgen hatte, löste sich auf. Die US-Justiz trat in Gestalt von Geoffrey Berman auf den Plan, dem gefürchteten Staatsanwalt für den Südbezirk New Yorks und Spezialisten für Wirtschaftskriminalität. Die Securities and Exchange Commission (SEC), die die Finanzmärkte kontrolliert, lieferte auf der Basis von E-Mails und internen Aufnahmen erdrückende Beweise.

Es stellte sich heraus, dass Abraaj schon seit mindestens fünf Jahren Mühe gehabt hatte, über die Runden zu kommen, und dass Arif Naqvi den systematischen Betrug höchstpersönlich dirigiert hatte. Von den beschwichtigenden Sätzen des Idealisten, der die Welt verändern wollte, war nichts mehr übrig. Naqvi erschien als zynischer, erbarmungsloser Mafioso, für den illegale Praktiken nichts anderes waren als eine „Pokerpartie“.13

Als Naqvi 2016 über die beste Art diskutiert hatte, eine Bestechungssumme von 20 Millionen US-Dollar für den damaligen pakistanischen Ministerpräsidenten Nawaz Sharif und seinen Bruder Shehbaz zu „strukturieren“ („ein Teil für die Wahlkampfkasse, der andere für karitative Organisationen“), warnte er, das Dokument sei „explosiv“ und man dürfe nur „ganz allgemein darüber reden“.

Haftbefehl wegen ungedeckter Schecks

Und als ihn 2017 der Geschäftsführer von Abraaj mahnte, Geld zu beschaffen, um die Gehälter der Angestellten zu bezahlen, ignorierte er das einfach und verlangte stattdessen von ihm, unverzüglich zwei Zahlungen von je 300 000 US-Dollar an seinen Sohn und seine Ex-Assistentin Ghizlan Guenez anzuweisen, die The Modist, eine zu Naqvis Imperium gehörende Onlineboutique für Prêt-à-porter-Mode, führte. In einer E-Mail mit dem Betreff „Atmen Sie tief durch, beten Sie zu Gott und machen Sie weiter“ drängte er: „Beide sind pleite und brauchen das Geld bis morgen.“14

Im April 2018 erließen die Justizbehörden der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) einen Haftbefehl wegen ungedeckter Schecks in Höhe von 48 Mil­lio­nen US-Dollar gegen Naqvi, was ihm dort drei Jahre Gefängnis hätte einbringen können. Eine außergerichtliche Einigung führte zur Einstellung des Verfahrens. Wenige Tage später präsentierte jedoch die US-Justiz einen Haftbefehl für Naqvi und fünf seiner Mitarbeiter. Er wurde am Londoner Flughafen verhaftet und verbrachte mehrere Wochen im Gefängnis, bis er die Kaution von 19 Millionen US-Dollar zusammengebracht hatte, die höchste, die in der britischen Justizgeschichte je verlangt wurde. Gegenwärtig steht er unter Polizeiaufsicht in seiner Londoner Wohnung und wartet auf die mögliche Auslieferung in die USA, wo er durchaus den Rest seiner Tage hinter Gittern verbringen könnte.

Die Schwellenmärkte und das Finanzwesen im Nahen Osten sind durch den Skandal diskreditiert. Nach Aussagen mehrerer Spezialisten haben die Buyout-Fonds für die Region nur noch ein Drittel des Jahresdurchschnitts der letzten fünf Jahren eingesammelt.15 Das Internationale Finanzzentrum Dubai, dessen Vorzeigeunternehmen Abraaj war, gibt sich alle Mühe, die Investoren zu beruhigen. Das Insolvenzgesetz von 2016 wurde Ende September nachgebessert.

Auch Pakistan ist stark betroffen: Die Geldgeber haben die Bank of Credit and Commerce International (­BCCI) noch nicht vergessen, die ebenfalls von einem „visionären“ Pakistaner, Agha Hasan Abedi, gegründet und mit arabischem Kapital finanziert wurde, bis sie 1991 unterging.16

Und wie steht es um den Abraaj-­Kon­zern? Am 18. Juni 2018 verkündete ein Gericht der Kaimaninseln die vorläufige Liquidation. Die noch vorhandenen Filetstücke weckten den Appetit der Leichenfledderer. Einige Kapital­investmentfirmen aus dem Nahen Osten unterbreiteten Angebote, aber die Investoren zogen Unternehmen vor, die nicht aus den „Wachstumsmärkten“ stammten. Die größten Gewinner des Rückkaufs der Fonds sind bis ­heute die US-amerikanische Colony Capital, die dem Trump-Vertrauten Thomas Barrack gehört, sowie die auf Schwellenmärkte spezialisierte britische ­Actis.

Ende August machte ein VAE-Gericht Arif Naqvi für Verluste der Billigfluggesellschaft Air Arabia verantwortlich und verurteilte ihn in Abwesenheit zu drei Jahren Haft. Und Dubai verhängte wegen Irreführung der Investoren und Unterschlagung die Rekordstrafe von 315 Millionen US-Dollar gegen Abraaj.

Rückblickend wundert man sich über die Leichtgläubigkeit der Investoren und Prüfer. Zahlreiche Indizien hätten ihren Verdacht wecken müssen. Sie hätten über die pharaonischen Ausgaben, die Undurchsichtigkeit, die Interessenskonflikte und die zu engen Beziehungen Arif Naqvis zur Politik stolpern müssen. Auf dem Papier war das Abraaj-System zu perfekt, um glaubwürdig zu sein. Vor allem Naqvis demonstrative Tugendhaftigkeit hätte nach einer strengeren Kontrolle verlangt.

Vielleicht hätte man an den Satz des Philosophen Ralph Waldo Emerson (1803–1882) denken sollen, der eines Tages erzählte, er habe einen Heuchler am Tisch gehabt: „Je länger einer von seiner Ehre spricht, desto schneller zähle man seine Löffel.“

1 David Lanchner, „The Gulf’s buyout king“, Institutional Investor, New York, 16. Juli 2008.

2 Anand Giridharadas, „Winners Take All: The Elite Charade of Changing the World“, New York (Random House) 2018.

3 Preeti Dawra, „Asian Conversation – Redefining emerging markets: Arif Naqvi of The Abraaj Group“, Livemint, 7. Oktober 2017, www.livemint.com.

4 William F. Meehan und Ali Gara, „The Abraaj Group: Making of a global private equity firm“, Stanford Graduate School of Business, 2015, www.gsb.stanford.edu.

5 „Gesundes Leben für alle – ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern“, Ziele für nachhaltige Entwicklung, UNO, 2015.

6 „BNP Paribas prize for individual philanthropy 2015 grand prize – Naqvi family (Aman Foundation)“, The Economist, London, 17. Mai 2015.

7 „Framework for investing for the long term“, Milken Institute, Santa Monica, September 2017.

8 Landon Thomas Jr., „Leading private equity firm accused of misusing funds“, The New York Times, 3. Februar 2019.

9 Simon Clark, Nicolas Parasie und William Louch, „Private-equity firm Abraaj raised billions pledging to do good – then it fell apart“, The Wall Street Journal, New York, 16. Oktober 2018.

10 Javier Espinoza, „Abraaj scandal a “wake-up call” for advisory industry: KPMG’s ties with private equity firm raise alarms for sector“, Financial Times, London, 26. Juni 2019.

11 Tracy Alloway, Dinesh Nair und Matthew Martin, „The downfall of Dubai’s star investor“, Bloomberg Busi­nessweek, New York, 14. Juni 2018.

12 Simon Clark, „How Abraaj slipped between global regulators“, The Wall Street Journal, 1. April 2019.

13 Massoud A. Derhally, „Abraaj executives fleeced firm in deception founder said was ‚like playing poker‘ “, The National, Abu Dhabi, 19. Juni 2019.

14 Simon Clark u. a. (siehe Anmerkung 9).

15 „The biggest collapse in private-equity history will have a lasting impact“, The Economist, 18. Mai 2019.

16 Farooq Tirmizi, „The heir to Agha Hasan Abedi“, Profit, 5. November 2018.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Ibrahim Warde ist Professor für International Business und Direktor des Fares Center for Eastern Mediterranean Studies an der Fletcher School of Law and Di­plo­ma­cy an der Tufts University.

Le Monde diplomatique vom 07.11.2019, von Ibrahim Warde