09.05.2019

Kaum ein Schiff wird kommen

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Kaum ein Schiff wird kommen

Außer auf dem Rhein werden auf deutschen Flüssen nur noch sehr wenig Güter transportiert. Trotzdem fließen Milliarden in die Infrastruktur. Dass die Umwelt dabei großen Schaden nimmt, wird seit Jahrzehnten ignoriert.

von Annette Jensen

Löschen einer Ladung Ziegel an der Spree, Berlin um 1910 akg-images
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Im Prinzip ja, aber …, funkt Radio Eriwan von Bord der deutschen Binnenschiffe. Im Prinzip handelt es sich um ein umweltfreundliches Verkehrsmittel: Ein moderner Kahn kann so viel Fracht transportieren wie 90 Lkws und verbraucht für diese Ladung dabei nur ein Drittel des Sprits. Im Prinzip also grün – aber leider gibt es viele Faktoren, die der Binnenschifffahrt in Deutschland die Umweltbilanz gründlich vermasseln.

Zuständig für den Ausbau und die Pflege von Bundeswasserstraßen ist die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV). Obwohl sich die eifrigen Staatsdiener stets am Vorbild der Autobahnen orientiert haben und mit gigantischen Bauwerken versuchen, die Wasserstraßen schneller, breiter und tiefer zu machen, damit immer größere Kähne und Schubverbände darauf unterwegs sein können, werden immer weniger Güter mit dem Binnenschiff transportiert. Niemand bestreitet, dass es auf den Flüssen inzwischen enorme Überkapazitäten gibt.

1960 teilten sich die drei Verkehrsträger Binnenschiff, Zug und Lkw den Transportmarkt etwa zu gleichen Teilen. Vor allem Massengüter und schwere Lasten wie Steine, Sand und Kohle wurden auf Schiffe verladen. Inzwischen aber dümpelt ihr Anteil an der Transportleistung bei 8 Prozent – während 71 Prozent auf der Straße abgewickelt werden. Sogar in absoluten Zahlen ist der Transport auf Flüssen und Kanälen in den vergangenen Jahren gesunken. Die Gründe sind vielfältig: Schiffe sind langsam, wenig flexibel und vor allem dann im Vorteil, wenn es um den Transport großer Mengen des gleichen Materials geht. Doch der Trend in der Logistik zeigt in die entgegengesetzte Richtung: Angesagt sind schnelle, häufige Lieferungen kleiner, vielfältiger Chargen.

Hinzu kommt, dass gerade einmal 7300 Kilometer Binnenwasserstraßen einem 230 000 Kilometer langen Straßennetz gegenüberstehen – und dabei sind die innerörtlichen Wege noch gar nicht mitgezählt. Die Wasserstraßen sind von natürlichen Zu- und Abflüssen abhängig – und die sind auch aufgrund des Klimawandels in den vergangenen Jahren immer unzuverlässiger ge­worden.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich jedoch eine verschworene Gemeinschaft aus Staatsdienern, Wirtschaftskapitänen der Bauindustrie sowie privaten Planungs- und Forschungsunternehmen gebildet. Gemeinsam haben sie dafür gesorgt, dass Milliarden von Steuergeldern in Schleusen, Schiffshebewerke und Buhnen investiert wurden.

Häufig taucht dabei die Planco Consulting GmbH aus Essen auf, die mit ihren Prognosen immer wieder enorme Transportzuwächse auf den Flüssen in Aussicht gestellt hat, wenn nur bestimmte Wassertiefen ganzjährig erreicht würden. Auf dieser Grundlage wurden dann Bauvorhaben geplant. Später erwiesen sich die vorausgesagten Transportmengen regelmäßig als völlig unrealistisch. So ging der Bundesverkehrswegeplan 2003 von einem Güterverkehrszuwachs von 27 Prozent bis zum Jahr 2015 aus. Tatsächlich geschah genau das Gegenteil: Der Schiffsverkehr reduzierte sich in diesem Zeitraum etwa um diesen Anteil. Diesen Entwicklungen wurde regelmäßig mit der Argumentation begegnet, dass Engstellen und Untiefen eine positive Entwicklung der Binnenschifffahrt behinderten und deshalb mehr Geld für Planungspersonal sowie Ausbau und Erhalt der Infrastruktur benötigt ­würde.

Auch mit seriös erscheinenden Studien wurde Stimmung für den Wasserstraßenausbau gemacht. So behaupteten die Planco-Forscher, dass Transporte zu Schiff wesentlich weniger Kohlendioxid verursachen als die Bahn. Wer sich die Daten allerdings genau ansah, konnte feststellen, dass Planco mit gezinkten Karten gespielt hatte: Die Studie unterstellt, dass Züge nur auf der Hinfahrt Lasten transportieren und leer zurückfahren, während Schiffe sowohl flussauf- als auch -abwärts beladen sind.

Das Umweltbundesamt (UBA) kam denn auch in einer eigenen Untersuchung zum gegenteiligen Ergebnis: Die Klimabilanz der Bahn ist besser als die der Binnenschiffe. Trotzdem betont Lars Mönch, der beim UBA für die Energieeffizienz von Schiffen zuständig ist, dass eine Verlagerung von der Straße sowohl auf die Schiene als auch aufs Wasser erstrebenswert ist. „Real aber machen sich die beiden gewünschten Verkehrsträger Bahn und Schiff Konkurrenz, während der Lkw-Verkehr immer weiter zunimmt.“

Viele Versuche, die angepeilten Wassertiefen ganzjährig zu gewährleisten und den Transport über Flüsse und Kanäle anzukurbeln, haben sich als Illusion erwiesen. Dass dabei immense Kollateralschäden entstanden sind, wird geflissentlich ignoriert. Der Grundwasserspiegel in der Umgebung zahlreicher Flüsse ist gesunken, viele ökologisch wertvolle Auenwälder sind verschwunden. Riesige Querbauten schneiden Fischbestände von ihren Laichplätzen ab, auch Insekten, Fischotter, Frösche und Kröten haben zen­tra­le Lebensräume verloren.

Genutzt hat es trotzdem nichts: Abgesehen vom Rhein, wo 80 Prozent der Schiffstransporte stattfinden, sind Flüsse in Deutschland als Transportwege heute so gut wie irrelevant. Das liegt zum Teil sogar am Ausbau selbst. Weil die Flüsse auf immer größere Schiffe mit mehr Tiefgang zugerichtet werden, statt die Schiffe den natürlichen Gegebenheiten anzupassen, wurden kleinere Frachter unwirtschaftlich und deshalb abgewrackt. Schipperten zum Beispiel auf der mittleren und oberen Elbe im Jahr 2000 täglich immerhin noch knapp dreizehn Frachtkähne entlang des Ufers von Sachsen-Anhalts Hauptstadt Magdeburg, so waren es 2010 nur noch neun. In den vergangenen Jahren sank die Zahl der täglich hier gesichteten Frachter auf unter vier. 2018 war ein halbes Jahr lang gar kein Schiff zu sehen.

Kein Verkehr auf der Elbe jenseits von Geesthacht

Bis ins 19. Jahrhundert war die Elbe ein unregulierter Strom. Ihr Bett ist sandig – und die natürliche Dynamik des Flusses verlagert die Sedimente laufend. Immer wieder gibt es Hoch- und Nie­drig­wasserphasen, bis vor 170 Jahren suchte sich der Strom regelmäßig ein neues Bett. An manchen Stellen uferte er weit in die umgebende Landschaft aus: In Dresden war er doppelt so breit wie heute, dafür aber nur knietief. Immer wieder bildete die Elbe auch kleine Inseln, die dann beim nächsten Eisgang oder Hochwasser wieder verschwanden. Das Leben im Fluss und in den artenreichen Auen war an die ständige Veränderungen angepasst.

Aus Sicht derjenigen, die die Funktion eines Stroms als Wasserstraße im Blick haben, sind nicht kartierbare Sandbänke und Stromschnellen unakzeptable Hindernisse, die es zu eliminieren gilt: Gewünscht ist eine möglichst gleichmäßige Fahrrinnentiefe mit konstanter Wassermenge. Mitte des 19. Jahrhunderts beschlossen die Elbanrainerstaaten, überall für bestimmte Mindesttiefen zu sorgen. Seither versuchen Ingenieure, das Wasser in der Mitte des Flusses zu konzentrieren. Tausende vom Ufer in den Strom hineinragende Steindämme wurden gebaut, sogenannte Buhnen. In ihrem weichen Sandbett tieft sich die Elbe dadurch immer weiter ein, und der Grundwasserspiegel in den umliegenden Regionen sinkt. Auch das Problem von Niedrigwasserphasen lässt sich durch Buhnen nicht lösen.

Während der deutschen Teilung verfielen viele der Steinschwellen, doch nachdem die DDR von der Geschichte weggespült worden war, begann für die Wasserbauer an der Elbe wieder eine hochaktive Zeit. Mit großem Eifer bemüht sich die WSV, freie Fahrt für freie Binnenschiffe von Geesthacht bis Dresden zu garantieren. Ursprüngliches Ziel war, eine durchgehende Fahrrinnentiefe von 1,60 Metern zu erreichen.

Inzwischen haben Bund und Länder „Leitlinien für das Gesamtkonzept Elbe“ verabschiedet. Diese sehen vor, „dass die Fahrrinnentiefe der Binnen­elbe durch lokale Ergänzungen und Anpassungen des vorhandenen Stromregelungssystems an 345 Tagen im langjährigen Mittel auf mindestens 1,40 Meter unter GlW1 2010 verbessert werden soll“, teilt ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums als Zielmarke mit. Neben dem Bau und Erhalt der Buhnen werden deshalb jedes Jahr etwa 200 000 Kubikmeter Sohlmaterial umgelagert. Die Baggerarbeiten bringen den ausführenden Unternehmen etwa 25 Euro pro Kubikmeter – kein schlechtes Geschäft. 20 bis 30 Millionen Euro gibt der Staat jährlich für solche Maßnahmen an der Elbe aus. Trotz aller Anstrengungen haben die Schiffe dennoch häufig nicht ausreichend Wasser unterm Kiel.

2015 betrug die Wassertiefe an einigen Flussabschnitten mehr als hundert Tage lang weniger als einen Meter, im extrem trockenen Jahr 2018 wurden die angestrebten 1,40 Meter in der Binnenelbe an 240 Tagen verfehlt. „Das ganze Unterfangen ist aussichtslos, zumal sich die Probleme durch Zunahme von Klimaextremen weiter verschärfen werden. Es wird hinter einem Ziel her gebaut, das nicht erreichbar ist. Und gleichzeitig schaden die Baumaßnahmen dem Fluss und den Auen, die immer weiter austrocknen“, urteilt Iris Brunar vom Elbeprojekt des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Doch nicht nur in den Flussausbau fließen Unsummen. Auch die Häfen werden mit Steuergeldern aufwendig hergerichtet. In dem Fall sind die Länder zuständig – und die lassen sich gern mit Geld aus Brüssel helfen, um die angeblich unverzichtbare In­fra­struk­tur zu errichten und während der Bauphase ein paar Arbeitsplätze zu schaffen.

Wer kennt die Namen der vier Elbehäfen in Sachsen-Anhalt? Seit Mitte der 1990er Jahre sind allein in den Ausbau von Aken, Arneburg, Roßlau und Magdeburg 134 Millionen Euro öffentliches Geld geflossen – davon über 52 Millionen Euro Fördergelder aus EU-Töpfen. Das sind stolze Summen angesichts der Tatsache, dass das Statistische Landesamt dem Bereich „Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt“ gerade einmal 201 Personen zuordnet.

Ähnlich sieht es in Sachsen aus, wo 72 Millionen Euro in Häfen geflossen sind und 161 Personen sozialversicherungspflichtig in der Berufsgruppe „Schiffsführer/Binnen/Hafenverkehr“ registriert sind. Auch in den bundesweiten Zahlen spiegelt sich eine starke Unwucht wider: Etwa 7000 Menschen arbeiten in der Branche, die zu einem Großteil aus Ein-Schiff-Gesellschaften besteht und jährlich etwa 1 Milliarde Euro durch Beförderungsleistung umsetzt. Derweil sind bei der WSV 11 000 Personen für den Bau und Erhalt der Infrastruktur zuständig.

Ein besonders krasses Beispiel von Fehlplanung ist der Hafen in Halle an der Saale. Er wurde mit 30 Millionen Euro aus Brüssel saniert, doch seit der Fertigstellung 2000 hat dort so gut wie kein Schiff am Kai festgemacht. Ursprünglich sollte hier ein Verladepunkt vom Wasser auf die Schiene und die Straße entstehen – heute räumen auch die Stadtwerke ein, dass von der Wasserseite nichts kommt und die Container auf dem Landweg nach Hamburg und Bremerhaven rollen.

Bei der Berechnung der Wirtschaftlichkeit des Hafens hatte das Land Sachsen-Anhalt auf die Begradigung der kurvigen Saalemündung durch einen Kanal und eine Schleuse für 134 Millionen Euro durch den Bund gesetzt – nur dann hätten 85 Meter lange Europaschiffe mit einer Transportkapazität von 1350 Tonnen von der Elbe aus hineinfahren können. Nicht mit einkalkuliert wurde, dass auch auf der Elbe nahezu kein Verkehr mehr stattfindet; das Projekt wurde in der neusten Fassung des Bundesverkehrswegeplans in die Kategorie „weiterer Bedarf“ herabgestuft.

„Beim Stand heute könnte man von einer Investitionsruine sprechen. Aber ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Saale für die Schifffahrt eine Zukunft haben kann“, wird Matthias Lux, der Chef der Stadtwerke, in der Mitteldeutschen Zeitung zitiert. Diese Position muss er schon deshalb vertreten, weil aufgrund der EU-Fördermittelbindung noch einige Jahre die Illusion eines Hafens aufrechterhalten werden muss. So sah sich das Wasser- und Schifffahrts­amt noch im Winter 2018 veranlasst, einen Eisbrecher zu schicken, um auf der Saale eine Fahrrinne freizuräumen – nur für den Fall, dass aus dem Nirgendwo doch ein Schiff aufgetaucht wäre.

2013 versuchte der damalige Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), die WSV zu reformieren: Er wollte Dienststellen zusammenlegen und die Verwaltung leistungsfähiger, effizienter und kostengünstiger machen. Künftig sollten die Staatsdiener nur noch dort öffentliche Gelder verbauen, wo es ein relevantes Transportaufkommen gibt. In den Reihen der WSV brach ein Sturm der Empörung los. Bei einem Streik besetzten Beschäftigte wichtige Schleusen und hinderten so 200 Schiffe an der Weiterfahrt. Erst als Ramsauers Nachfolger und Parteifreund Alexander Dobrindt darauf verzichtete, Ämter zu schließen und den Großteil der geplanten personellen Einsparungen zurücknahm, beruhigte sich die Lage.

Je nach transportierter Gütermenge wurden die Flüsse in die Katego­rien A, B und C einsortiert. Im Prinzip sollen Baumaßnahmen dort konzentriert werden, wo der größte verkehrswirtschaftliche Nutzen zu erwarten ist. Die im Umweltbundesamt zuständige Petra Röthke-Habeck wundert sich jedoch sehr über die Planungen des Bundesverkehrsministeriums: „Es gab bei der Entwicklung des Bundesverkehrswegeplans keine unterschiedlichen Szenarien, wie der Güterverkehr gelenkt oder gesteuert werden könnte.“ Die geplanten Investitionssummen für Wasserstraßen widersprechen zudem deutlich der Zielsetzung, was mit der Kategorisierung der Flüsse erreicht werden sollte.

In der Stellungnahme des UBA von April 2016 ist zu lesen: „Nur 37 Prozent der Investitionen fließen in das A-Kernnetz, nur 12 Prozent in das B-Netz , aber 51 Prozent fließen in sechs Projekte der Wasserstraßenkategorie C. Damit besteht weiterhin ein erheblicher Ausbaudruck auf Wasserstraßen der Netzwerkkategorie C, also auf einen Netzbereich mit nur untergeordneter schifffahrtlicher Bedeutung.“

Explodierende Kosten beim Schleusenbau in Brunsbüttel

Tatsächlich ist beispielsweise der Neubau des Kanals an der Saalemündung immer noch unter „weiterer Bedarf“ verzeichnet, und es sind weiterhin 134 Millionen Euro offiziell dafür eingeplant. Dabei geht aus den Zahlen hervor, dass selbst das Bundesverkehrsministerium das Projekt lediglich mit einem Nutzen-Kosten-Faktor von 0,3 bewertet. Dahinter steht die Annahme, dass jeder ausgegebene Euro innerhalb von 80 Jahren einen volkswirtschaftlichen Nutzen von 33 Cent bringt. Zwar soll das Projekt erst einmal auf die lange Bank geschoben werden. Doch warum taucht es überhaupt noch im Bundesverkehrswegeplan auf?

„Die Länder halten an solchen Projekten fest, weil Geld reinkommt, denn 100 Prozent der Kosten übernimmt der Bund“, interpretiert Iris Brunar die Zahlen. Das Bundesverkehrsministerium äußert sich ausweichend: Das Projekt werde nicht vor 2030 realisiert. Die Antwort aber, wofür dann beispielsweise zwischen 2017 und 2022 jeweils knapp 1,4 Millionen Euro ausgegeben werden, bleibt das Ministerium ebenso schuldig wie die Auskunft, welches Amt zuständig ist und wie viele Menschen dort beschäftigt sind.

Summa summarum 24,5 Milliarden Euro Steuergelder sieht der „Bundesverkehrswegeplan 2030“ für den Erhalt, Aus- und Neubau von Wasserstraßen vor. Unter dem Motto „Wir stärken die Bundeswasserwege“ steigen die vorgesehenen Mittel im Vergleich zum Vorgängerplan um satte 110 Prozent. Als Grund dafür wird angeführt, dass viele Bauwerke „in die Jahre“ gekommen sind und dringend saniert werden müssten. Das gelte auch dann, wenn dort das Verkehrsaufkommen gegen null tendiert – denn sonst drohten unkalkulierbare Risiken. Das Bundesverkehrsministerium zeichnet ein geradezu apokalyptisches Bild: „Das Versagen nahezu aller wasserbaulichen Anlagen kann zu Szenarien mit hohen volkswirtschaftlichen Schäden bis hin zu Gefahr für Leib und Leben führen.“

Die Arbeit der WSV ist also dauerhaft gesichert. Allerdings scheint es für viele junge Ingenieure nicht sonderlich attraktiv zu sein, in einer solchen Behörde anzufangen. Freiwerdende Stellen können oft monatelang nicht besetzt werden, über die Hälfte der Beschäftigten hat ihren 50. Geburtstag schon hinter sich.

Immerhin bekam die WSV 2010 ein paar neue Aufgaben. Mit der Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes ist sie nun erstmals auch für umweltpolitische Aspekte zuständig. Inzwischen gibt es 50 Stellen für Menschen, die sich um den Bau und Erhalt von Fischtreppen kümmern. Außerdem legten Verkehrs- und Umweltministerium zusammen das Projekt „Blaues Band Deutschland“ auf. „Ziel des Programms ist, die verkehrlich nicht mehr genutzten Wasserstraßen ökologisch weiterzuentwickeln und für Freizeit und Erholung aufzuwerten“, beschreibt WSV-Sprecherin Claudia Thoma die Aufgabenstellung.

Zur Erweiterung der Perspektive und des Zuständigkeitsbereichs bei der Schifffahrtsverwaltung sah man sich gezwungen, nachdem die EU die Qualität der deutschen Gewässer überwiegend als schlecht klassifiziert hatte. Das ist einerseits auf die Folgen intensiver Landwirtschaft und die Belastung durch Mikroplastik zurückzuführen, andererseits aber auch auf den Umbau der Flüsse zu Wasserschnellstraßen. Bereits 2000 hatten sich die EU-Länder darauf verständigt, dass alle Gewässer in der Union bis 2015 in „gutem“ Zustand sein sollten. Doch in Deutschland passierte lange Zeit erst einmal nichts. Um sich mehr Zeit zu verschaffen, machte die Bundesregierung irgendwann zusammen mit anderen in Brüssel Druck. Mit Erfolg: Die Frist zur Umsetzung der Wasserrahmenricht­linie wurde von 2015 auf 2027 verschoben.

Es gibt in Deutschland aber auch Wasserstraßen, für die ein reger Schiffsverkehr nicht nur behauptet werden muss, sondern real existiert. Dazu zählt ohne Zweifel der Nord-Ostsee-Kanal, den etwa 30 000 Schiffe im Jahr durchqueren. Vor allem wenn eine der Schleusenkammern repariert werden muss, stauen sich hier die Pötte. In Brunsbüttel soll deshalb eine fünfte Vorrichtung zum Heben und Senken von Schiffen entstehen. Mittlerweile ist allerdings klar, dass sich der Bau um mindestens vier Jahre verzögern wird und die Kosten völlig aus dem Ruder laufen. 260 Millionen Euro zusätzlich sind bereits jetzt prognostiziert.

Das Bundesverkehrsministerium rechtfertigt die Kostenexplosion vor allem damit, dass viel mehr Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg im Untergrund gelegen hätten als erwartet. Das Hauptproblem aber liegt in einer neuen Bautechnik, die hier erprobt wurde. Schon früh hatte sich das Bundesverkehrsministerium auf die Verankerung der Schleuse im Untergrund mit sogenannten Düsenstrahlpfählen festgelegt. Bei dem Verfahren wird ein Zementgemisch in ein Bohrloch gespritzt, das sich mit dem Untergrund verbinden soll.

Die Probepfähle, die das WSV im Vorfeld hatte anfertigen lassen, wiesen allerdings deutliche Qualitätsschwankungen auf, kein einziger erreichte die Festigkeit, die für eine hundertjährige Nutzungsdauer erforderlich ist. Statt auf eine bewährte Methode der Grundverankerung umzuschwenken, setzte die WSV die Arbeiten fort, während das Ministerium weitere Untersuchungen in Auftrag gab.

Schließlich senkte das Verkehrsministerium einfach die Anforderungen an die Stabilität der Pfähle. „Damit nimmt das Ministerium in Kauf, dass die fünfte (Schleusen-)Kammer, gemessen an der angenommenen Nutzungsdauer des Bauwerks von 100 Jahren, vorzeitig saniert werden muss oder nicht mehr betrieben werden kann“, kritisierte der Bundesrechnungshof im Herbst 2018 gegenüber dem Haushaltsausschuss des Bundestags.

Der Zustand des Bauprojekts sei „bedenklich“. Die Autoren raten den Abgeordneten dringend, eine „substanzielle Berichterstattung“ beim Verkehrsministerium einzufordern und den Fortgang des Schleusenbaus intensiv zu kontrollieren.

1 Gleichwertiger Wasserstand.

Annette Jensen ist freie Journalistin und Autorin. Zuletzt veröffentlichte sie zusammen mit Ute Scheub „Glücksökonomie: Wer teilt, hat mehr vom Leben“, München (Oekom) 2014.

© LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 09.05.2019, von Annette Jensen