07.02.2019

Die dänischen Rentner und das armenische Kupfer

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Die dänischen Rentner und das armenische Kupfer

Europäische Pensionsfonds legen ihr Geld im Tagebau an und fördern damit die Umweltzerstörung im Kaukasus

von Jens Malling

Eriwan, Frühjahr 2018: „samtener“ Revolutionär GLEB GARANICH/reuters
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Eine große weiße Narbe zerfurcht die üppig grünen Berghänge der Provinz Lori im Norden Armeniens. Eine Serpentinenstraße führt hinab in die Mine Teghut. Der Kupfertagebau mit angeschlossener Fabrik wird von einem dänischen Unternehmen betrieben. „FLSmidth“ steht auf den riesigen Maschinen, die seit vier Jahren die Erde umwühlen.

Das Projekt Teghut bekam Kredite von der dänischen Exportkreditagentur EKF, 350 Millionen Kronen (47 Millionen Euro) hat auch der Pensionsfonds Pen­sion­Danmark investiert. Die Erzvorkommen in dieser Gegend werden auf 1,6 Millionen Tonnen Kupfer geschätzt.

Das Zusammenspiel von EKF, PensionDanmark, FLSmidth und der russischen Vneschtorgbank (VTB) mit der armenischen Bergbaugesellschaft Vallex basiert auf einem komplizierten Finanzgeflecht. Letzten Endes wird mit den Ersparnissen und Steuern dänischer Bürgerinnen und Bürger ein armenisches Projekt ermöglicht, das katastrophale ökologische und gesundheitliche Folgen hat.

Die EKF hilft dänischen Firmen, zu günstigen Konditionen im Ausland zu investieren. Sie ist dem Ministerium für Industrie, Handel und Finanzen unterstellt, arbeitet aber auch eng mit dem Außenministerium zusammen. Angesichts der staatlichen Bürgschaft erklärte sich PensionDanmark bereit, Teghut zu finanzieren.1 Man stellte nur die Bedingung, dass Vallex für die 350 Millionen Kronen Geräte von FLSmidth anschafft. An dieser Firma ist der Pensionsfonds mit 45 Millionen Kronen beteiligt.

Auf ihrer Website verspricht die EKF, streng auf die Einhaltung der „internationalen Prinzipien und Standards“ unternehmerischer Verantwortung im Ausland zu achten. Gemeint sind insbesondere die gemeinsamen Regeln (Common Approaches) der OECD „zur Prüfung der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit für Exportkreditversicherer“, die 2016 zuletzt überarbeitet wurden.

Die EKF 2004 hat auch die Äquator-Prinzipien unterzeichnet. Nach diesem Regelwerk zur Risikoabsicherung für Finanzinstitutionen muss sie eine Bewertung „der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit“ abwarten, bevor sie sich an der Finanzierung einer Transaktion beteiligt. 2008 trat die Agentur dem UN Global Compact bei, der ebenfalls Kriterien für verantwortungsvolle Unternehmensführung festlegt.

Umweltorganisationen und Anwohner nahmen die EKF beim Wort. Zu Beginn der Prüfphase im Herbst 2013 forderte die Bürgerinitiative „Rettet Teghut“ das dänische Außenministerium und die EKF müsse dem Pensionsfonds PensionDenmark die Unterstützung für das armenische Projekt entziehen und die Aktivitäten der Firma FLSmidth im Tagebau Teghut beenden. In einem zwanzigseitigen Bericht warnte die Bürgerinitiative vor einer Umweltkatastrophe und prangerte Verstöße gegen das Enteignungsgesetz und den Machtmissbrauch der Behörden an. Als die Arbeiten im Dezember 2014 aufgenommen wurden, schickten 48 Umweltaktivisten aus Teghut erneut eine Petition an die dänische Regierung – ohne Erfolg. Doch die Aktivisten sollten recht behalten.

Der Tagebau hat der Umwelt und Landwirtschaft in Lori nachweislich großen Schaden zugefügt. Hunderte Hektar Wald wurden gefällt, obwohl dort zahlreiche bedrohte Arten lebten, und die Abwässer der Kupferfabrik haben die angrenzenden Gewässer verseucht. „Ich kann mein Feld am Flussufer nicht mehr bebauen“, klagt Levon Alikhanyan aus Schnogh. Nach der Enteignung durch Vallex ist ihm nur noch dieses Stück Land geblieben; seitdem lebt er mehr schlecht als recht von der Imkerei.

In der dänischen Tageszeitung Ar­bej­deren berichtete Claus Primdal Sørensen, Leiter der Abteilung für Corporate Social Responsibility bei der EKF, wie ihm Leute aus Lori erzählt haben, dass sich bei der Bewässerung ihrer Felder und Gärten eine Staub- oder Schlammschicht auf den Pflanzen absetzt.2 Zudem ist der Damm, der Mil­lio­nen Tonnen giftiger Abfälle aus dem Tagebau zurückhält, nicht erdbebensicher. Sollte er brechen, würden die Schlamm- und Wassermassen das 3600-Seelen-Dorf Schnogh komplett zerstören.

Erst nachdem im Oktober 2017 in dänischen Medien mehrere kritische Artikel erschienen waren, kündigte die EKF ihren Vertrag mit Vallex. In der Pressemitteilung hieß es, dies „bedeute keinerlei Verlust, weder für die EKF noch für PensionDanmark, die gemeinsam den Kredit für die Bank des Bergbaukonzerns bereitgestellt haben“. Daraufhin konfiszierte die Vnesch­torg­bank die Mine, um ihre dänischen Gläubiger auszuzahlen. Die russische VTB will auch die alte Kupferschmelze im Nachbarort Alawerdi übernehmen, die Vallex als Garantie eingebracht hatte.

Obwohl die Investition von Pen­sion­Danmark aus dänischen Steuergeldern aufgebracht wurde, gibt der Pensionsfonds keine Auskunft über seine Gewinne: „Über die Rückzahlung einzelner Kredite“ werde man nichts sagen, erklärte Pressesprecherin Ulrikke Ekelund.

Die Exportkreditversicherer (Export Credit Agencies, ECAs) sind für ihren Mangel an Transparenz berüchtigt (siehe nebenstehenden Text). Laut dem European Network on Debt and Development (Eurodad) behandeln sie alle Finanztransaktionen als Geheimsache und informieren lediglich über die ­Gesamtsumme der Bürgschaften und der abgelösten oder ausstehenden Kredite.

EKF-Pressesprecher Mogens Agger Tang verweigerte detaillierte Auskünfte über das Armenien-Geschäft, mit der Begründung, seine Agentur sei zur Verschwiegenheit verpflichtet: „Unsere Kunden und Partner müssen uns über ihre wirtschaftliche und finanzielle Lage informieren können, ohne Angst zu haben, dass diese sensiblen, für ihr Geschäft und ihre Wettbewerbsfähigkeit wichtigen Daten an die Öffentlichkeit kommen. Deshalb ist die EKF auch vom Gesetz ausgenommen, das den freien Zugang zu öffentlichen Dokumenten in Dänemark regelt.“

Um die Exportkreditversicherung zum Rückzug aus dem Tagebau zu zwingen, wandten sich „Rettet Teghut“ und die armenische „Front zur Verteidigung der Umwelt“ an die für Mediation und Beschwerdemanagement zuständige Nationale Kontaktstelle (NKS) der OECD in Kopenhagen. Eine solche Stelle, die Beschwerden über Verstöße gegen die Leitlinien für multinationale Unternehmen sammelt und weiterleitet, gibt es in jedem OECD-Mitgliedsland.

Der OECD-Verhaltenskodex ist Teil der Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen und wurde zuletzt 2011 erweitert und überarbeitet. Nach einer vorläufigen Untersuchung befand die dänische NKS im Mai 2018, die vorgelegten Fragen bedürften keiner eingehenderen Prüfung.

Bürgerinitiative für sauberes Trinkwasser

Für Barbara Linder ist das keine große Überraschung. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ludwig-Boltz­mann-Institut für Menschenrechte in Wien forscht seit Jahren zum Thema Exportkreditversicherungen.3 Ihre Kritik lautet: „Die Agenturen müssen sich gegenüber den direkt von ihren Projekten betroffenen Menschen bislang nicht verantworten, und wenn sie Menschenrechtsverletzungen begehen, gibt es keine Sanktionsmechanismen.“

Die Kopenhagener Kontaktstelle ist wie die EKF dem Wirtschaftsministerium unterstellt: „Das ist ein typischer Interessenkonflikt“, befindet Barbara Linder: „Das gilt auch für die Kontaktstellen in anderen Ländern. Deren Unabhängigkeit ist nicht gesichert.“

Die armenischen Bürgerinitiativen haben auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg angerufen.4 „Die Enteignungen für den Kupferabbau in Teghut waren nicht rechtmäßig“, erklärt die Anwältin Karen Rumanjan, die acht betroffene Dorfbewohner vertritt. „Es gab kein faires Verfahren für meine Klienten, das verstößt gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention.“5

Die Initiativen wiesen auch auf die Gefahren des Dammbruchs hin. Damit sei das „Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit des Einzelnen“ gefährdet, das in Artikel 3 der Universellen Erklärung der Menschenrechte verankert sei.

Die Verschmutzung des Flusses durch den Tagebau beeinträchtigt auch das Recht der Dorfbewohner auf sauberes Trinkwasser, das von der UN-Vollversammlung 2010 als Grundrecht anerkannt wurde. Im Oktober 2018 verkündete der EGMR das erste Urteil in einem Enteignungsfall.

Für das Grundstück von weniger als einem Hektar setzte das Gericht eine Entschädigungssumme von 10 000 Euro fest, während die armenische Regierung nur 409 Euro vorgesehen hatte. Dennoch kam der EGMR zu dem Ergebnis, die örtlichen Behörden seien „am besten geeignet“, um einzuschätzen, welches Vorhaben von öffentlichem Interesse sei. Damit akzeptierte er das Kriterium der „wirtschaftlichen und Infrastruktur-Entwicklung“, mit dem die armenische Regierung die Enteignung gerechtfertigt hatte.6

Dänemarks Rückzug aus Teghut schreckte jedenfalls weder die ausländischen Investoren ab noch die sie unterstützenden Exportkreditversicherer. Ähnlich wie die Dänen investierte auch die schwedische Versicherung EKN im Südosten Armeniens in ein Rohstoffprojekt (Dschermuk, Region Wajoz Dsor). Beteiligt sind weiter das Inge­nieur­büro Sandvik und das Bergbauunternehmen Lydian International, das in Colorado ansässig ist und im Steuerparadies Jersey registriert ist.

Die Schweden interessieren sich nicht wie die Dänen für Kupfer, sondern für Gold. Nach einem langwierigen Genehmigungsverfahren nahm Lydian International 2016 die Arbeit auf; noch vor Ende 2018 wollte man das erste Gold fördern.

Das Vorhaben wird von der US-amerikanischen und der britischen Regierung unterstützt. „Der Bergbau bietet Armenien die Chance, seine nationale Wirtschaft zu diversifizieren und mehr gut bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen, unter der Bedingung, dass der Abbau gemäß den allgemeinen internationalen Prinzipien zum Schutz der Umwelt geschieht.“ Das behauptet der US-amerikanische Botschafter in Armenien allen Ernstes – obwohl die armenischen Exporte schon zu über 50 Prozent aus Buntmetall und Gold bestehen.

Und dann wiederholte sich die bekannte Geschichte: Wieder legten Bürgerinitiativen eine vollständige Dokumentation über die negativen Umweltauswirkungen der Goldmine vor. Und wieder ignorierte auch der schwedische Exportkreditversicherer sämtliche Beschwerden und bewilligte 33 Millionen US-Dollar.

Doch dann bekam die Umweltbewegung in Armenien plötzlich Rückenwind. Im Frühjahr 2018 begann die „Samtene Revolution“.7 Nach dem Sturz von Präsident Sersch Sargsjan wurde am 8. Mai Nikol Paschinjan zum Ministerpräsidenten gewählt, seine Partei gewann seitdem auch die Wahlen vom 9. Dezember.

Der Schwung dieser Protestbewegung und einige kleine Siege über die Bergbauindustrie – vor allem der Finanzierungsstopp und die Schließung von Teghut – gaben den Gegnern der Goldmine Jermuk neue Hoffnung. In den Tagen nach der Revolution begannen sie erneut zu mobilisieren. Und nun zogen sie nicht vor Gericht, sondern gingen auf die Straße.

Seit über sechs Monaten blockieren Bewohner der Nachbardörfer und Umweltaktivisten die Zufahrtsstraßen zu dem Bergwerk . Damit konnten sie verhindern, dass die Förderung aufgenommen wurde. Im Dezember 2018 wurde der Regierung eine Petition mit 3000 Unterschriften übergeben, die sich auf einen Verfassungsartikel zu Bürgerbegehren stützte. Darin hieß es: „Lydian und die Vorgängerregierungen haben uns ignoriert, sie haben versucht, uns Fehler nachzuweisen oder uns einzuschüchtern. Wir verlangen von der neuen Regierung, den Willen des Volkes zu achten, und in dieser Hoffnung übergeben wir unsere Petition.“

Seit Nikol Paschinjan Ministerpräsident wurde, hat er es allerdings strikt vermieden, die Bergbau­in­dus­trie frontal anzugreifen. Im Juli 2018 fuhr er zur Mine Amulsar, wo er bei einer Pressekonferenz forderte, eine „auf Fakten und nicht auf Emotionen gegründete“8 Entscheidung über die Zukunft der Goldmine zu fällen.

Die Regierung selbst ließ ein eigenes Gutachten erstellen und hoffte damit Zeit zu gewinnen. Und Paschinjan warnte: „Wenn wir in dieser Angelegenheit Schritte vollziehen, die in unseren Augen gerechtfertigt erscheinen, die aber vom Standpunkt der internationalen Beziehungen illegal sind, dann könnten wir in große Schwierigkeiten geraten.“

Lydian hat bereits durchblicken lassen, dass sich das Unternehmen an ein internationales Schiedsgericht wenden wird, falls die Regierung das Bergwerk wieder schließen lässt. „Das ist nicht das Vorgehen, das wir uns wünschen“, erklärte Geschäftsführer Hayk Aloyan im Sommer 2018 auf einer Pressekonferenz vor armenischen Journalisten. „Es ist ein Notfallszenario, aber wir müssen bedenken, dass wir zahlreiche Aktionäre haben.“9

Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit fürchtet die armenische Regierung die Folgen einer solchen Entscheidung. Sie müsste gegebenenfalls hohe Strafen zahlen, und die ausländischen Investoren könnten sich nach anderen Zielen umsehen.

In Dänemark sorgen die Leute weiterhin für ihr Alter vor, indem sie ihre Beiträge an PensionDanmark abführen, an der sie zugleich als Aktionäre beteiligt sind. Und auf der Website des staatlichen Eportkreditversicherers EKF liest man nach wie vor: „Die EKF nutzt nicht allein den Unternehmen, die sie unterstützt, sondern auch der gesamten dänischen Wirtschaft.“ Generationen von Armeniern müssen derweil mit einer zerstörten Umwelt leben.

1 Die Investitionssumme sollte innerhalb von zehn Jahren an den Pensionsfonds zurückfließen.

2 Arbejderen, Kopenhagen, 18. bis 20. August 2017.

3 Barbara Linder, „Human Rights, Export Credits and Development Cooperation: Accountability for Bilateral Agencies“, Edward Elgar Publishing, 2018.

4 Die armenischen Bürger konnten sich an das Gericht wenden, da Armenien am 25. Januar 2001 dem Europarat beigetreten war.

5 Arbejderen, 25. bis 27. August 2017.

6 Case of Osmanyan and Amiraghyan vs. Armenien, Application No. 71306/11 (englischer Text zu finden unter: www.hudoc.echr.coe.int).

7 Siehe Tigrane Yegavian, „Gute Nachrichten aus Eriwan“, LMd, Juni 2018.

8 Radio Azatutyun, 6. Juli 2018, www.azatutyun.am.

9 Peter Liakhov und Knar Khudoyan, „How citizens battling a controversial gold mining project are testing Armenia’s new democracy“, Open Democracy (Russia and beyond), 7. August 2018, www.opendemocracy.net.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Jens Malling ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 07.02.2019, von Jens Malling