13.12.2018

Frankreichs Großmachtträume in Südostasien

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Frankreichs Großmachtträume in Südostasien

Im Spätsommer absolvierte die französische Luftwaffe ein umfangreiches Besuchsprogramm bei ihren asiatischen Partnern. Paris will damit die französische Waffentechnik bewerben. Aber es geht auch darum, die aufstrebenden Mächte in einer geopolitisch wichtigen Region stärker an sich zu binden – und damit der Vormachtstellung Chinas entgegenzuwirken.

von Romain Mielcarek

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Der Luftwaffenoffizier klingt fast nostalgisch: „Beim letzten Mal, als wir hier waren, haben wir Bomben abgeworfen.“ Jetzt freut sich der französische Pilot über die „historische“ Landung dreier Rafale-Kampfjets am 27. August 2018 in Hanoi. Es war das erste Mal seit 1954, dass französische Kampfflugzeuge im Norden Vietnams landeten.

Wir befinden uns auf der Luftwaffenbasis Noi Bai unweit des Hanoier Flughafens. Die Gebäude wie auch die altmodischen Lackmöbel erinnern an ferne koloniale Zeiten. Die vielleicht zwölfköpfige Gruppe französischer Offiziere wird von ihren vietnamesischen Gastgebern willkommen geheißen. Der Kommandeur des Luftwaffenregiments 921, ein General, stellt den Gästen seinen Mitarbeiterstab vor: zwei Einsatzleiter und ein dritter Mann, dessen offiziellen Titel der Dolmetscher mit „Politkommissar“ übersetzt. Anschließend stellt der französische General Patrick Charaix seine mitgereisten Kameraden vor. Nachdem man das umständliche und etwas hölzerne Protokoll hinter sich gebracht hat, wird von jungen Frauen in traditionellen Gewändern der obligatorische Tee serviert.

Dann bilanziert der vietnamesische General – unter einem Porträt von Ho Chi Minh, dem legendären Vater der Kommunistischen Partei und der Demokratischen Republik Vietnam – die historischen Siege seiner Luftstreitkräfte. In seiner ruhigen, durch die Übersetzung noch verlangsamten Schilderung übergeht er allerdings den Indochinakrieg von 1946 bis 1954, in dem die Vietnamesen gegen die damalige Kolonialmacht Frankreich kämpften. Dagegen spricht er voller Pathos über die militärischen Erfolge im Vietnamkrieg (1955 bis 1975) und insbesondere über den Abschuss „Dutzender amerikanischer Flugzeuge“.

Darauf ergreift ein Rafale-Pilot das Wort und erzählt eine Episode aus dem Zweiten Weltkrieg: Bei einem alliierten Bombenangriff auf Paris habe die Besatzung eines von der deutschen Luftabwehr getroffenen Bombers darauf verzichtet, sich mit dem Schleudersitz zu retten. Weil sie Angst hatten, das Flugzeug könnte auf ein Wohnviertel stürzen, steuerte der Pilot den Bomber in die Seine. Keiner an Bord überlebte. Der vietnamesische Politkommissar würdigt den Opfertod mit einem Neigen des Kopfes.

Zu solchen Begegnungen kam es mehrfach während des Besuchsprogramms, das die französische Luftwaffe zwischen dem 19. August und dem 4. September 2018 im Raum Südostasien absolvierte. Die Stationen dieser Mission Pegase (Projection d’un dispositif aérien d’envergure en Asie du Sud-Est) waren Australien, Indonesien, Malaysia, Vietnam, Singapur und Indien. In jedem dieser Länder wollte Frankreich mit der Präsenz dreier Ra­fale-Kampfjets, eines Militärtransporters vom Typ Airbus A400M Atlas und einer Transportversion des Airbus A310 demonstrieren, wie intensiv man sich um die Partner bemüht.1

Für die 120-köpfige französische Flug- und Wartungsmannschaft war die Mission eine Entdeckungsreise. Die meisten Teilnehmer hatten nie zuvor Kontakt mit asiatischen Piloten und Flugzeugbesatzungen gehabt. Ursprünglich waren für das Reiseprogramm auch die Stationen Südkorea und Japan vorgesehen, die aber aus Kostengründen gestrichen wurden. Das Unternehmen kostete schon so stolze 3,4 Millionen Euro, die laut General Charaix an anderer Stelle des Verteidigungshaushalts eingespart werden mussten.2

Nachdem die protokollarischen Pflichten abgearbeitet waren, kam man meist rasch zur Sache: Kooperation, Diplomatie, Waffengeschäfte. Dabei wurden die Gespräche zuweilen durch die unterschiedlichen Wahrnehmungen erschwert. Etwa als General Charaix in Vietnam nach dem Austausch von Geschichten aus vergangenen Zeiten auf die Konflikte der Gegenwart zu sprechen kommen wollte und vorschlug: „Wir können Ihnen von unseren Erfahrungen mit den Operationen berichten, die wir in den letzten Jahren in der Sahelzone, in Syrien und im Irak gemacht haben.“ Daraufhin meinte ein vietnamesischer Offizier: „Wir haben nicht vor, in einem anderen Land einzumarschieren. Warum erzählen Sie uns nicht lieber von Ihren Erfahrungen mit Friedenseinsätzen?“

Luftwaffengeneral Patrick Charaix, der Leiter der Pegase-Mission, ist 2014 aus dem aktiven Dienst ausgeschieden, kann aber wie alle pen­sio­nier­ten Generäle bei Bedarf vom Generalstab mobilisiert werden. Der relativ junge General a. D. hat eine brillante Karriere vorzuweisen: Als Befehlshaber der strategischen Luftstreitkräfte, der für die atomare Abschreckung zuständig war, engagierte er sich als Vorkämpfer eines entschiedenen geopolitischen Engagements seines Landes. Der gewiefte Kommunikator kommt auch in seinem nachmilitärischen Leben glänzend zurecht und wird regelmäßig zu politischen Talkshows eingeladen.

Bei der neuesten Mission von Charaix, die für die Luftwaffe eine Pre­miere ist, geht es darum, sich an die unbekannte Welt der asiatischen Luftverteidigung heranzutasten. Innerhalb des französischen Militärs war es traditionell die Marine, die sich für ­Asien – auf strategischer und kultureller Ebene – zuständig fühlte. Dagegen ist die Luftwaffe, auch aufgrund der Entfernungen, mehr mit Afrika und dem Nahen Osten vertraut.

In Djakarta und Kuala Lumpur bekamen ranghohe Offiziere der indonesischen und malaysischen Luftwaffe die Möglichkeit, in die Rafale-Jets des französischen Herstellers Dassault zu klettern oder sogar Testflüge mitzumachen. In Indonesien, Malaysia und Viet­nam dagegen führte man den zivilen und militärischen Entscheidungsträgern die A400M von Airbus vor, wobei die Piloten auch im Cockpit der Maschine Platz nehmen durften.

Dieser Flugzeugtyp erregte besondere Aufmerksamkeit, weil er im asiatischen Luftraum eher selten zu sehen ist. Ein Repräsentant des Airbus-Konzerns registrierte hochzufrieden, dass es die A400M auf die Titelseiten der einheimischen Zeitungen geschafft hatte. „Das Wichtigste ist, dass man über uns redet“, kommentierte er und machte damit deutlich, dass gerade im Bereich der Luftfahrt die diplomatischen Ziele eng mit den geschäftlichen Interessen verknüpft sind.

Während der gesamten Pegase-Mission wiederholten die Repräsentanten der Luftwaffe geradezu gebetsmühlenartig, dass Frankreich auch eine Macht in Asien sei. Diese geopolitische Ambition unterstrich bereits Staatspräsident Emmanuel Macron in seiner Rede vom 5. Mai dieses Jahres in der neukaledonischen Hauptstadt Nouméa: „Es gibt eine Achse Paris–Neu-­Delhi–Canberra, aber diese Achse setzt sich über Papeete bis Nouméa quer durch alle unsere Gebiete fort.“ Dank dieser Achse könne Frankreich auf der geopolitischen Ebene einen indopazifischen Raum der Neutralität errichten, so ­Macron. Und es sei diese vom Horn von Afrika bis nach Nord- und Lateinamerika reichende Achse, die es Frankreich ermögliche, „gemeinsam mit unseren Verbündeten an der Herstellung einer umfassenden Kräftebalance mitzuwirken und damit den freien See- und Luftverkehr zu sichern“.

In das gleiche Horn stieß Macrons Verteidigungsministerin Florence Parly. Ihre Rede vom 3. Juni in Singapur – im Rahmen einer alljährlich stattfindenden internationalen Sicherheitskonferenz namens Shangri-La-­Dialog – begann sie mit dem Satz: „Ich freue mich sehr, hier zu sein, denn diese Region ist auch unser Zuhause.“ Sie erinnerte daran, dass Frankreich im indopazifischen Raum über eine ausschließliche Wirtschaftszone in der Größe von insgesamt neun Millionen Quadratkilometern verfüge und „dass in unseren Überseegebieten anderthalb Millionen Einwohner leben, wozu noch 200 000 ausgewanderte Franzosen kommen“.

Parly betonte auch, dass Frankreich in dieser Weltregion diverse dauerhaft stationierte Militärkontingente unterhalte und dort „vitale wirtschaftliche Interessen“ habe. Mit Verweis auf potenzielle Gefahren – Verbreitung von Nuklearwaffen, Verstöße gegen das internationale Seerecht, terroristische Bedrohungen – erklärte sie sodann, was für ihr Land die höchste Priorität hat, nämlich Kooperation.

Die Pegase-Mission soll diesen geopolitischen Anspruch mit konkreten Angeboten füllen. In allen Gesprächen und Pressekonferenzen erklärte General Charaix mit Blick auf das mitgeführte Fluggerät: „Drei Rafale-Flugzeuge und einen A400M kann ich Ihnen bei Bedarf binnen zehn Stunden aus Frankreich herbringen.“ Es war kein Zufall, dass die französische Delegation die Rafale-Jets vorführen wollte. In Paris denkt man, über die traditionell angebotene Unterstützung bei der Katastrophenhilfe hinaus, auch an mögliche militärische Allianzen. Doch gegen welchen Gegner sollen die gerichtet sein? In Indonesien und Malaysia ist vor allem die dschihadistische Bedrohung ein Thema. Aber in den meisten Ländern der Region machen sich die militärischen Kreise vor allem Sorgen über die Politik Pekings.

„China ist dabei, seine Vormachtstellung in diesem Teil der Welt Schritt für Schritt auszubauen“, konstatierte Präsident Macron in seiner schon zitierten Rede in Nouméa. „Angesichts dessen sollten wir aber keine Ängste schüren, sondern der Realität ins Auge sehen – und da bieten sich viele Chancen.“ Man wünsche zwar, dass China „in dieser Region und darüber hinaus“ zum Partner werde. Aber wenn eine solche Partnerschaft nicht zustande komme, werde man schon bald erleben, „dass diese Vormachtstellung unsere Freiheiten und unsere Chancen beeinträchtigt und zu unseren Lasten geht“. Wofür Macron damit warb, war offensichtlich.

Macrons Entscheidung für die defensive Variante

Frankreich präsentiert sich in Asien auch als Militärmacht, die von Tahiti bis zur Golfregion dauerhafte Stützpunkte mit 7000 Soldaten unterhält. Für die Luftwaffe bietet die Pegase-­Mission dabei eine Möglichkeit, ihre Hardware vorzuführen: Transportflugzeuge und Hubschrauber, die in La Réunion, Nouméa und Tahiti stationiert sind. Diese können auch bei Naturkatastrophen zum Einsatz kommen, die in den umliegenden Regionen immer häufiger geschehen. Deshalb haben die betroffenen Länder einen erhöhten Bedarf an logistischer Unterstützung und Ausbildung für den Ka­tas­tro­phen­schutz.

Das französische Militär will seine Partner dazu bringen, sich auf eine privilegierte Beziehung einzulassen, und macht deshalb alle möglichen Kooperationsangebote. Singapur war einer der ersten Staaten, die auf eine solche Offerte der französischen Luftwaffe eingingen. Das 150. Geschwader des Stadtstaats ist bereits seit 1998 auf der Luftwaffenbasis Cazaux in der ­Gironde stationiert. In den vergangenen 20 Jahren wurden dort 180 Piloten ausgebildet. Heute sind in Cazaux 130 Ausbilder aus Singapur an der Seite ihrer französischen Kollegen tätig. Nach Malaysia hat die französische Luftwaffe 2015 einen Stabsoffizier delegiert, der in Kuala Lumpur den Generalstab der malaysischen Luftwaffe berät und bei der Indienstnahme von vier brandneuen A400M-Transportern behilflich ist. Und für die indonesische Luftwaffe bildet Frankreich Spezialisten für Zielsuchlenkung aus, die Bombereinsätze vom Boden aus steuern können.

Sich zeigen, sich kennenlernen bei ein paar Drinks oder einem gepflegten Essen – so entstehen die Fundamente für langfristige Beziehungen, die in der Konkurrenz um den Einfluss bei den aufstrebenden Mächten Südostasiens den Unterschied ausmachen. Da werden zum Beispiel die Indonesier zu gemeinsamen Manövern mit der französischen Luftwaffe nach Neukaledonien eingeladen. Oder man klärt die Waffenbrüder lang und breit darüber auf, wie notwendig die Militäroperationen in der Sahelzone und im Irak sind und wie präzise sie durchgeführt werden.

Und stets wird dabei die französische Waffentechnik gewürdigt. In den Köpfen der Kollegen soll hängen bleiben: Paris ist ein starker Partner. Wer gemeinsam mit der französischen Luftwaffe Manöver durchführt und seine Offiziere an Frankreichs Militärakademien schickt, bekommt das Kriegshandwerk à la française vermittelt: nach französischem Protokoll und mit französischen Methoden, Werten, Idea­len. Und mit französischen Rüstungsgütern.

Während der gesamten Pegase-Mission waren die Spannungen im Chinesischen Meer allzeit und überall präsent. Vor dem Flug von Malaysia nach Vietnam schlug die Luftwaffe vor, sich während des Transfers dem Luftraum zu nähern, für den Peking Hoheitsrechte beansprucht, die von den benachbarten Staaten bestritten werden. Mit dieser Flugroute wollten die Franzosen demonstrieren, dass sie sich durch die chinesischen Ansprüche nicht einschränken lassen.

Im Élysée-Palast blieb die Entscheidung lange in der Schwebe. Präsident Macron lagen drei Optionen vor. Die offensivste hätte bedeutet, dass der gesamte Verband einschließlich der Rafale-Jets demonstrativ einen umstrittenen Luftkorridor benutzt. Die moderateste Variante hielt sich an die Route des zivilen Luftverkehrs, die fern der Krisenzone verläuft. Die Wahl fiel schließlich auf die defensive Option. Laut General Charaix hatte die französische Botschaft in Peking für eine energische Geste plädiert, aber die chinesischen Diplomaten in Paris machten gegenüber dem Außenministerium ihre Verärgerung deutlich und forderten Frankreich auf, sich nicht „zum Handlanger der Angelsachsen“ zu machen.

Wenige Tage zuvor hatte das US-Militär, das mit solchen Rangeleien um die Lufthoheit viel Erfahrung hat, eine kühnere Aktion gestartet. Man hatte eine Gruppe CNN-Journalisten eingeladen, in einem Seeüberwachungsflugzeug des Typs P8-A Poseidon mitzufliegen. Die Reporter durften die von den Chinesen aufgeschütteten künstlichen Inseln filmen und dokumentieren, wie das US-Flugzeug von der chinesischen Luftwaffe abgefangen wird. Dabei wurden die amerikanischen Piloten aufgefordert, das Gebiet sofort zu verlassen, um jedes „Missverständnis“ zu vermeiden. Die U. S. Navy antwortete entschieden: „Wir üben mit einem amerikanischen Marineflugzeug militärische Aktivitäten, die nach internationalem Recht zulässig sind – in einem Gebiet, das nicht zum Hoheitsgebiet irgendeines Staates gehört.“

Die Anrainer der umstrittenen Seegebiete – darunter Vietnam, Indonesien und Malaysia – haben zu Peking ein widersprüchliches Verhältnis: China ist zum einen ein übermächtiger Gegner, zum anderen aber ein unverzichtbarer Handelspartner. Deshalb suchen diese Länder Verbündete, die ihnen in den diplomatischen Verhandlungen den Rücken stärken können.

Brisantes Manöver vor den Spratly-Inseln

Die französische Marine hat dies seit langer Zeit erkannt und lässt ihre Kriegsschiffe in den ostasiatischen Gewässern kreuzen. Schon 2002 legte der Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ einen Zwischenstopp in Singapur ein, wo ein Jahr zuvor bereits ein französisches Atom-U-Boot festgemacht hatte. Seither laufen Schiffe der französischen Flotte regelmäßig die Marinestützpunkten der Länder an, die von der französischen Luftwaffe im Rahmen der ­Pegase-Mission besucht wurden.

Auch auf den Marinebasen Japans und Südkoreas ist die Flotte immer wieder zu Gast. Im Frühjahr 2018 zum Beispiel lief das Schulschiff „Jeanne d’Arc“ im Rahmen einer Ausbildungsfahrt für Offiziere der École navale Häfen in Australien, Indonesien, Singapur, Malaysia und Vietnam an. Unmittelbar vor dem Shangri-La-Dialog veranstaltete dieses Schiff eine Übung nahe den Spratly-­Inseln, die bei den Spannungen mit Peking eine Schlüsselrolle spielen. Mit an Bord waren fünf EU-Beobachter, die für den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) die Praktiken der chinesischen Marine unter die Lupe nahmen.

Über den Auftrag und die Erkenntnisse dieser Mission drang wenig nach außen. Aber die künftigen Kommandeure der französischen Marine konnten dabei aus nächster Nähe die Operationen der chinesischen Kriegsflotte beobachten, deren Schiffe rasch zur Stelle waren, um die Aktivitäten der „Jeanne d’Arc“ zu überwachen.

Die OECD prognostiziert für „das aufsteigende Asien“ (Südostasien plus China und Indien) ein jährliches Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 6,5 Prozent.3 Einige der von der ­Pegase-Mission besuchten Länder wecken bei Investoren besonders große Hoffnungen: In Indien dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im kommenden Jahr um weitere 7,5 Prozent wachsen, für Vietnam rechnet man mit 6,6 Prozent, für Malaysia mit 5,4 und für Indonesien mit 5,1 Prozent. Mit fast allen diesen Ländern – aber insbesondere mit Vietnam und Indien – hat Frankreich bislang eine negative Handelsbilanz.

Allerdings nehmen die Investitionen französischer Firmen deutlich zu, weil sich jedes Unternehmen eine gute Ausgangsposition verschaffen will, wenn diese Länder in Zukunft immer mehr Waren importieren. In Indien zum Beispiel sind rund 1000 französische Unternehmen aktiv. Und was die staatliche Entwicklungshilfe für Vietnam betrifft, so liegt Frankreich nach Japan an zweiter Stelle. Auch Indonesien wird von der Französischen Entwicklungsagentur (AFD) in den Bereichen Energie, Verkehr und Seefahrt unterstützt.

All diese Länder könnten eines Tages eine ähnliche Entwicklung wie Singapur nehmen, mit dem Frankreich 2016 seinen drittgrößten bilateralen Handelsüberschuss erzielt hat: Die französischen Exporte überstiegen die Importe aus Singapur um 4 Milliarden Euro. Dieser Überschuss wurde vor allem im Bereich der zivilen Luftfahrt erzielt, weil Singapore Airlines 2016 zehn Flugzeuge vom Typ Airbus A350 im Wert von 1,4 Milliarden Euro geordert hat.

Diese wirtschaftlichen Aussichten wecken Begehrlichkeiten, lösen aber auch Spannungen aus. Im Zen­trum dieser Spannungen steht eine verkehrsstrategisch wichtige Schiffspassage: die Straße von Malakka zwischen Singapur, Malaysia und Indonesien, die jährlich von mehr als 80 000 Schiffen passiert wird. Im Jahr 2000 lag diese Zahl noch bei knapp 50 000. Wenn die Zahl der Durchfahrten auf 100 000 steigt, dürfte es zu ersten Staus kommen.

Schon seit Beginn dieses Jahrhunderts ist die Straße von Malakka wegen der Piratenüberfälle für die weltweite Schifffahrt eine mindestens ebenso sensible Krisenzone wie der Suezkanal oder der Panamakanal. Da die zehn größten Containerhäfen der Region in Singapur, Malaysia, Vietnam und Indonesien liegen, ist es kein Zufall, dass die Pegase-Mission gerade diese Länder zum Ziel hatte.

Der Verband der französischen Luft- und Raumfahrtindustrie (GIFAS) hat in seinem letzten Jahresbericht die aufstrebenden Volkswirtschaften aufgelistet, die einem wachsenden Sicherheitsrisiko ausgesetzt sind. Deshalb werden gerade diese Länder intensiv umworben: mit Seminaren für kleine und mittlere Unternehmer, mit gezielten Kontakten zu örtlichen Ent­scheidungsträgern oder zu lokalen Medien.

Im Zeitraum von 2008 bis 2017 ­gehörten mehrere Länder, die im ­Rahmen der Pegase-Mission besucht ­wurden, zu den wichtigsten ­Abnehmern französischer Rüstungsgüter. Wenn man alle relevanten Be­reiche ­zusammenrechnet (also Luft- und Raumfahrt, Marinetechnik, Waffensysteme für das Landheer und Elektronik) liegt Singapur auf Rang 8, Malaysia auf Rang 11 und Indone­sien auf Rang 15. Unangefochten an der Spitze liegt Indien mit einem Auftragsvolumen von zwölf Milliarden Dollar innerhalb der letzten zehn Jahre.4 Dabei sind die legendären, aber noch unbezahlten Rafale-Flugzeuge nicht mit eingerechnet.

1 Auf der letzten Etappe nach Indien kam noch ein Tankflugzeug der französischen Luftwaffe vom Typ Boeing C-135 hinzu.

2 Auch ein Land in Südostasien wurde bei der Planung des Projekts aussortiert: Ein Besuch auf den Philippinen war für die französische Seite wegen der Person des Präsidenten Rodrigo Duterte nicht vorstellbar.

3 Siehe „Economic Outlook for Southeast Asia, China and India 2018“, OECD, Paris 2018.

4 An zweiter Stelle folgt Saudi-Arabien, siehe „Rapport au Parlement 2018 sur les exportations d’armement de la France“, französisches Verteidigungsministerium, Juli 2018.

Aus dem Französischen von Andreas Bredenfeld

Romain Mielcarek ist Journalist, Informations- und Kommunikationswissenschaftler und Autor des Buches „Marchands d’armes. Enquête sur un business français“, Paris (Tallandier) 2017.

Le Monde diplomatique vom 13.12.2018, von Romain Mielcarek