13.12.2018

Rechtsschwenk in Ecuador

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Rechtsschwenk in Ecuador

Eigentlich sollte Lenín Moreno in die Fußstapfen seines Vorgängers Rafael Correa treten, aber jetzt macht er doch alles anders

von Franklin Ramírez Gallegos

Der Neue hat sich schnell unbeliebt gemacht DANIEL TAPIA/reuters
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Anfang April 2017 ging ein Seufzer der Erleichterung durch die Reihen der lateinamerikanischen Linken: Lenín Moreno wurde zum Präsidenten von Ecuador gewählt. Mit seinem Sieg über den Banker Guillermo Lasso beendete er den allgemeinen Rechtsruck in Südamerika. In Paraguay hatte 2013 Horacio Cartes die Macht übernommen, in Argentinien 2015 Mauricio Macri und in Brasilien Michel Temer, nach der (überaus umstrittenen) Absetzung von Dilma Rousseff im Jahr 2016.1

Im Wahlkampf hatte Moreno versprochen, er werde die „Bürgerrevolution“ seines Vorgängers Rafael Correa (2007–2017) fortsetzen: eine Mischung aus öffentlichen Investitionen, Umverteilung und Stärkung staatlicher Strukturen. Dabei wollte er jedoch nicht den aggressiven und hierarchischen Führungsstil Correas übernehmen. Moreno erklärte, er wolle einen großen nationalen Dialog führen, um das stark polarisierte Land wieder zusammenzuführen und gegen die Politikverdrossenheit in Teilen der Bevölkerung anzugehen. Die Kritik an Correas Modell hatte sich mit der Wirtschaftskrise von 2015/16 und den Korruptionsskandalen im Umkreis des Präsidenten verstärkt. Nach Ansicht Morenos war es Zeit für einen Wandel.

Nach der Wahl merkten die Ecuadorianer, dass dieser nationale Dialog vor allem ein Ziel hatte: die Annäherung der Regierung an die Correa feindlich gesinnten Eliten. Moreno hatte kaum die Präsidentenschärpe umgelegt, da benahm er sich, als hinge seine Legitimation einzig von dieser Versöhnung ab. Sein Wahlprogramm löste sich in Luft auf, und seine ersten Amtshandlungen – Liberalisierung der Märkte und eine außenpolitische Wiederannäherung an die USA – verblüfften die lateinamerikanische Linke. Von der Rechten wurden sie hingegen mit Begeisterung aufgenommen.

Zu seinem Hauptgegner erkor der neue Präsident ausgerechnet jenen Mann, dessen Politik er eigentlich fortsetzen wollte und dem er von 2007 bis 2013 als Vizepräsident zur Seite gestanden hatte: Rafael Correa. Das fortschrittliche politische Programm der Bürgerrevolution, das einen echten Wandel im Land bewirkt hat, brachte also einen Mann an die Macht, der es wieder abschaffen will.

Im Februar 2018 ließ die Moreno-Regierung ein Referendum abhalten, „um die Korruption zu bekämpfen“. Es ging darum, Correa zu schwächen, der nach wie vor sehr beliebt war. Sieben Vorschläge standen zur Abstimmung, darunter die Beschränkung der Amtszeit von Politikern auf höchstens zwei Mandate und die Abberufung von Mitgliedern des Rats für Bürgerbeteiligung und soziale Kontrolle, die dem ehemaligen Staatschef nahestanden. Moreno gewann die Abstimmung mit großer Mehrheit. Correa darf bei der Präsidentschaftswahl 2021 nun nicht mehr antreten.

Die 2006 von Correa gegründete Alianza País (Bündnis für ein aufrechtes und souveränes Vaterland, AP) hatte sich zur größten Partei seit dem Ende der Diktatur 1979 entwickelt. Sie stellte 2017 weiterhin die Mehrheit im Parlament, auch wenn sie nur noch 74 der insgesamt 137 Sitze erringen konnte, 26 weniger als 2013. Auf dem Höhepunkt des Machtkampfes zwischen Correa und Moreno übernahmen die Moreno-Anhänger die Kontrolle der Parteiführung.

Insgesamt 29 Correa-nahe Abgeordnete versuchen seither, eine eigene Partei zu gründen, scheiterten jedoch an den Hürden der Wahlbehörde. Die Spaltung der Partei, von der die Bürgerrevolution getragen worden war, erleichterte Moreno die Annäherung an die Eliten. Im Mai ernannte er den Chef des Unternehmerverbandes Richard Martínez zum Wirtschafts- und Finanzminister und besiegelte damit den Pakt zur Unterstützung seiner Regierung, die durch die Spaltung der AP nicht mehr über eine parlamentarische Mehrheit verfügte.

Die Gruppe, die jetzt an der Macht ist, umfasst Repräsentanten der Oberschicht sowie als links geltende Intellektuelle und Vertreter von Gewerkschaften und Indigenenverbänden. Manche Linke in Lateinamerika hat das schockiert. Im August 2018 schrieb Adolfo Pérez Esquivel, Friedensnobelpreisträger von 1980, einen offenen Brief an die Konföderation indigener Völker von Ecuador (Conaie). Moreno hatte der Conaie nämlich vorgeschlagen, in die Büros der Union Südamerikanischer Nationen (Unasur) einzuziehen, da er sich aus diesem Staatenbund in seiner derzeitigen Form zurückziehen möchte – wie schon fünf konservativ regierte Staaten vor ihm.

Dazu schrieb Pérez Esquivel: „Lenín Moreno versucht gemeinsam mit anderen Staatenlenkern, die eine neoliberale Politik verfolgen, solche Räume der Zusammenarbeit und Beteiligung zu zerstören.“ Es wäre traurig, so Esquivel, wenn die Conaie diesen Vorschlag annehmen würde. Denn die Unasur habe eine entscheidende Rolle gespielt bei der Verhinderung und Verurteilung von Staatsstreichen wie in Bolivien, Ecuador, Paraguay und Honduras.2 Sein Brief blieb allerdings unbeantwortet.

Eine neoliberale Überrumplungsstrategie

Den Grund für die Wirtschaftskrise im Land sieht Moreno in der „populistischen Verschwendung“. Und sein Wirtschaftsminister Martínez setzt nun klassische Rezepte der Rechten auf die Agenda: Ziele sind ein ausgeglichener Haushalt, die Liberalisierung des Handels und die Aufweichung der Arbeitnehmerrechte. Das im August 2018 verabschiedete Gesetz zur Produktionsförderung verordnete einen radikalen Sparkurs und läutete damit das Ende von Correas staatlicher Investitions- und Umverteilungspolitik ein.

Im Bereich Steuern sieht das Gesetz eine Amnestie für besonders säumige Zahler sowie eine Reihe von Geschenken an Großunternehmen mit der Begründung vor, die Rückkehr von Investoren zu fördern. Das Gesetz soll der Sicherung der Staatsfinanzen dienen, leistet aber der Steuerflucht Vorschub. Zudem wurde der erste Artikel des Gesetzes zum Arbeitsrecht gestrichen. Er erlaubte bislang eine Strafverfolgung von Unternehmern, die berechtigte Ansprüche von Arbeitnehmern nicht erfüllten, indem sie Betriebsvermögen verschleierten oder Maschinen aus Werkshallen entfernten.

Die Regierung Moreno verzichtete auch darauf, den Verkauf von Rohstoffen – deren Preis stark gestiegen ist – oder die Rückführung von Devisen aus dem Ausland zu besteuern. Wie die brasilianische Regierung beschränkte sie die Ausgabensteigerung auf maximal 3 Prozent pro Jahr, ein Haushaltsdefizit ist lediglich zur Bedienung von Staatsschulden gestattet. Öffentliche Investitionen sind nicht länger Werkzeug der Politik; stattdessen werden durch garantierte, mehrjährige Subventionen Privatisierungen erleichtert. Die Regierung verstößt sogar gegen die Verfassung, indem sie die internationale Schiedsgerichtsbarkeit für alle ausländischen Investitionen anerkennt.3

Moreno geht auf Distanz zur Unasur und der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Celac) und will Ecuador in die Pazifik-Allianz führen, eine Freihandelszone der lateinamerikanischen Staaten. Und um Washington zu gefallen, will er WikiLeaks-Gründer Julian Assange aus der ecuadoranischen Botschaft in London hinauskomplimentieren.

Das „populistische Debakel“, das die ecuadorianischen Neoliberalen der Regierung Correa wegen der hohen Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung zuschreiben, hat auch eine andere Seite: Von 2007 bis 2016 sank die Armutsquote von 37 auf 23 Prozent, das Bruttoinlandsprodukt wuchs um 68 Prozent. Heute dient der Slogan vor allem dazu, das Land wieder auf die Erfordernisse der internationalen Märkte zu trimmen. Doch die Grundsätze der neuen Wirtschaftspolitik erinnern an die alte Rentenökonomie, auf die sich die Oligarchie einst stützte.

Wie war eine derartige 180-Grad-Wende in einem Land möglich, in dem so lange die von Correa verkörperte Linke herrschte? Die Politikwissenschaftlerin Susan C. Stokes spricht von einer „neoliberalen Überrumplungsstrategie“.4 Sie beschreibt damit das demokratische Legitimationsdefizit lateinamerikanischer Regierungen, die wie Moreno zunächst mit einem ganz anderen Programm antraten.

In Peru umschiffte Alberto Fujimori in den 1990er Jahren diese Klippe mit dem Sicherheitsargument (damals war die Guerilla Sendero Luminoso noch aktiv). In Ecuador wird die neoliberale Wende von 2018 als Folge der „moralischen Krise des Correismus“ dargestellt. Und der Kampf gegen die Korruption dient als Rechtfertigung dafür, das Land den Märkten zu überlassen.

Die Maßnahmen der Justiz gegen Correa und seine Anhänger befeuern dabei einen Erregungskreislauf, der nicht nur die sozialen Netzwerke und die Titelseiten der Zeitungen mit Nahrung versorgt, sondern auch die Regierungspolitik stützt. Es geht weniger darum, Korruptionsverdächtigen den Prozess zu machen, als darum, die Gerichte zu Institutionen aufzubauen, die beurteilen, ob diese oder jene Politik richtig ist. Der ehemalige Vizepräsident Jorge Glas ist wegen seiner Verwicklung in den Bestechungsskandal um den brasilianischen Konzern Odebrecht nun auch wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt, und gegen Rafael Correa, der mittlerweile in Belgien lebt, wurde wegen der Entführung eines Abgeordneten zwischenzeitlich Haftbefehl erlassen.5

Auf diese Weise zieht die Regierung nach und nach die Erfolge des „Gewinnerjahrzehnts“ (wie die Ecuadorianer die Jahre von 2007 bis 2017 nennen) in Zweifel: das Wirtschaftswachstum und die Verringerung von Armut und Ungleichheit.

Das Narrativ, das die Justiz- und Medienkampagne rechtfertigen soll, setzt sich allmählich durch: Der „schwerfällige und undurchsichtige Staat“, für den die Linke verantwortlich zeichne, befolge nicht einmal grundlegende Regeln des Anstands. Er führe daher unweigerlich zu Verschwendung und in die Krise. Regierung und Me­dien in Ecuador schließen sich den tonangebenden Stimmen Südamerikas an, die erklären, erst die Umverteilungspolitik der Linken habe zur Korrup­tion geführt6 – und sie suggerieren, unter diesen Umständen sei die rigorose Sparpolitik ein moralischer Imperativ.

Es stellt sich die Frage, ob Morenos Wende möglich gewesen wäre, wäre die Bürgerrevolution nicht in eine echte Krise geraten. Die Straflosigkeit derjenigen, die öffentliche Mittel unterschlagen hatten, führte dazu, dass ein Teil der Bürger der Regierung recht gab und den Kampf gegen die Korruption als oberste Priorität ansah – obwohl die Willkür der Anti-Correa-Kampagne offensichtlich war.

Wenn sich die Linke in einer solchen Situation weiterhin darauf beschränkt, ihre Niederlage mit dem „Verrat Morenos“ zu erklären, übergeht sie die berechtigte Forderung nach In­te­gri­tät der Volksvertreter. Und sie schwächt die Argumentation all jener, die nachweisen wollen, dass der Neoliberalismus kein Mittel gegen die vorgeblichen Ausschweifungen der Linken ist, sondern eine Politik, die auf Ungleichheit setzt.

Das linke Lager ist nun gespalten in eine Fraktion, die gegen Correa agitiert, und eine, die ihm weiterhin anhängt, aber geschwächt wird durch die politischen und juristischen Angriffe der Regierung und ihre eigene Unfähigkeit zur Selbstkritik. Die Chancen für eine erneute Linkswende in Ecuador stehen schlecht. Denn Moreno läuft Gefahr – ähnlich wie der scheidende brasilianische Präsident Michel Temer –, beide Lager gleichermaßen zu verprellen: diejenigen, die ihn an die Macht gebracht haben, und diejenigen, die seinen Feldzug gegen die Linke unterstützen. Man weiß, wie die Geschichte in Brasilien ausging.

1 Siehe Anne Vigna, „Waffen für anständige Bürger“, LMd, Dezember 2017.

2 „Carta pública de Adolfo Pérez Esquivel a la Conaie“, TeleSur, 29. August 2018, www.telesurtv.net.

3 Siehe Benoît Bréville und Martine Bulard, „Profit als höchstes Rechtsgut“, LMd, Juni 2014.

4 Susan Stokes, „Mandates and Democracy. Neoliberalism by Surprise in Latin America“, Cambridge (Cambridge University Press) 2001.

5 Er wurde im September 2018 von Interpol wegen des „politischen Charakters“ des Verfahrens zurückgewiesen.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Franklin Ramírez Gallegos ist Politologe an der Hochschule Flacso in Quito.

Le Monde diplomatique vom 13.12.2018, von Franklin Ramírez Gallegos