08.11.2018

Es wird eng im Golf von Bengalen

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Es wird eng im Golf von Bengalen

China, Indien und Japan konkurrieren um die wirtschaftliche Vormachtstellung

von Samuel Berthet

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Seit die chinesische Regierung vor fünf Jahren ihr gigantisches Seidenstraßen-Projekt1 vorgestellt hat, liefern sich China, Indien und Japan einen Konkurrenzkampf um den Zugang zum nördlichen Golf von Bengalen. Im April 2015 beschloss die eigentlich chinafreundliche Regierung von Bangladesch, den Bau des knapp 100 Kilometer südlich von Chittagong gelegenen Tiefwasserhafens in Matarbari (Distrikt Cox’s Bazar) Japan zu überlassen.2 Das chinesische Konglomerat, das zunächst mit einem ähnlichen Hafenprojekt etwas weiter südlich, in Sonadia, hätte beauftragt werden sollen, ging leer aus.3

Für den Bau des neuen Hafens in Matarbari mit vier Kohlekraftwerken, einem Flüssiggas-Terminal und einem kombinierten Industriekorridor für Straßen- und Schienenverkehr wurden 4,6 Milliarden US-Dollar veranschlagt, die mithilfe eines äußerst günstigen Kredits bereitgestellt wurden (0,1 Prozent Zinsen über eine Laufzeit von 30 Jahren für vier Fünftel der Kreditsumme). Das erste 1200-Megawatt-Kraftwerk wird gerade gebaut.

Indien wiederum plant ein multimodales, das heißt für unterschiedliche Verkehrsmittel ausgelegtes Transportprojekt rund um den Fluss Kaladan (Kaladan Multi-Modal Transit Transport Project), zu dem auch eine Autobahn gehört, die Indien, Myanmar und Thailand verbinden soll. Bisher ist das Projekt über die Planungsphase nicht hinausgekommen, genauso wie die Verbindung zwischen dem Hafen Sittwe im Rakhaing-Staat (Myanmar) und dem indischen Bundesstaat Mizoram.

Sittwe liegt in direkter Nachbarschaft des Hafens von einer Freihandelszone unter chinesischer Kontrolle. Auch die Gasvorkommen von Shwe, die eine Gasleitung mit der chinesischen Provinz Yunnan verbindet, sind nicht weit entfernt. Nach Yunnan fließt seit Mai 2017 auch Rohöl durch eine Pipeline, gegen die es lokalen Widerstand gab. Insbesondere die Bauern vom Volk der Shan und der Arakanesen wehrten sich gegen ihre Vertreibung durch den Bau der Pipeline.

Dank Myanmars Unterstützung konnte China in der Region schneller Fuß fassen als Indien. Japan kann mit seinem Hafenprojekt in Bangladesch zwar einen Sieg verzeichnen, doch das wird Peking nicht daran hindern, bei der Neuordnung der Verkehrsströme rund um den Golf von Bengalen die Federführung zu übernehmen. Für die Bevölkerung in den betroffenen Ländern ist es ohnehin egal, ob der Bauherr China, Japan oder Indien heißt: Die Errichtung der neuen Korridore, Hubs und Freihandelszonen geht stets mit großflächigen Enteignungen einher. Die großen Mischkonzerne, die als Auftragnehmer in Bangladesch, Myanmar und Sri Lanka den Ausbau leiten, arbeiten eng mit den staatlichen, von der Armee kontrollierten Behörden zusammen.

Das Militär spielt auch eine Schlüsselrolle bei der Übertragung von Grundeigentum und der Sicherung internationaler Enklaven auf nationalem Territorium; auf internationalem Boden steht etwa die Pipeline der China National Petroleum Corporation (CNPC) in Sittwe.4 Bei der Umsetzung dieser Großprojekte werden Methoden angewandt, die an die britische Kolonialherrschaft in Indien erinnern, als ethnische und konfessionelle Gemeinschaften ohne Rücksicht auf Minderheiten und gemischte Identitäten auseinandergerissen wurden. In Myanmar trifft es vor allem die muslimischen Rohingya, die als „Fremde im eigenen Land“ gelten und im vergangenen Jahr zu Hunderttausenden gewaltsam vertrieben wurden.5

Von der Tragödie der Rohingya ist in erster Linie das Aufnahmeland Bang­ladesch betroffen, das heute schon eine der weltweit höchsten Bevölkerungsdichten hat. In Chittagong und Umgebung sind die Folgen besonders deutlich zu spüren, vor allem in den Bergregionen, wo sich seit der Unabhängigkeit das Kräfteverhältnis zwischen den Stämmen arakanesischer Herkunft und buddhistischer Konfession einerseits und der muslimischen Bevölkerung aus der Ebene andererseits verschoben hat. In dieser Re­gion kontrolliert die Armee die Grenzen. Für die Einrichtung und Sicherung von Stützpunkten an strategisch wichtigen Orten kann das Militär einfach Grundbesitz beschlagnahmen. Auf diese Weise werden manchmal ganze Dörfer umgesiedelt.

Die Präsenz der muslimischen Rohingya aus Myanmar erhöht den Druck auf die alteingesessenen Stämme, die 1947 praktisch die gesamte Bevölkerung der Region darstellten. Heute machen sie weniger als 35 Prozent aus. In den angrenzenden, kaum industrialisierten Küstenregionen werden derweil die Ressourcen immer knapper. Infolge von Enteignungen und Vertreibung schotten sich die verschiedenen Religionsgruppen immer mehr voneinander ab.

2010 beschloss die Regierung, in Dhaka 66 Sonderwirtschaftszonen – 55 staatliche und 11 private – vor allem in den Küstengebieten einzurichten.6 Allein sieben entfallen auf die Insel Maheshkhali und angrenzende Inseln und Halbinseln im Distrikt Cox’s Bazar ganz in der Nähe der gleichnamigen Stadt. Im September 2017 überließ der Staat dem privaten Konzern Super Petrochemical Pvt Ltd mit Sitz in Bangladesch 300 Hektar Land für Anlagen zur Verflüssigung und Lagerung von Propangas auf der Insel Dhalghata.7

Was selten thematisiert wird: In der Region von Cox’s Bazar findet auch in großem Stil Menschenhandel statt. In der Trockenzeit werden jedes Jahr mehr als 50 000 Bangladescher und Rohingya zur Sklavenarbeit auf Fischkuttern gezwungen, die Richtung Malaysia und Thailand auslaufen.8 Am stärksten leiden die Menschen, die an der Schnittstelle verschiedener sprachlicher und politischer Sphären leben, wie die Rohingya, die Bergbewohner in der Nähe von Chittagong oder die marginalisierten Küstenbewohner.

Die industriellen Freihandelszonen belasten zudem das fragile Ökosystem und gefährden die Fischbestände. Die Menschen verlieren dadurch nicht nur eine wichtige Nahrungsmittelquelle, sondern auch eine finanzielle Ressource, weil es sonst fast keine andere Arbeit gibt.

Zurzeit stärken die großen Regionalmächte China, Indien und Japan nicht nur die Militärs in Bangladesch und Myanmar,9 sondern auch bewaffnete Splittergruppen, von deren natio­nalistischer Propaganda sie sich Unterstützung für ihre großen Projekte erhoffen. Das Nachsehen haben all jene, die sich für eine politische Lösung der Konflikte einsetzen.

1 Im Rahmen der „Belt and Road Initiative“ (BRI) sollen in 68 Ländern zwischen Asien, dem Nahen Osten, Afrika und Europa neue Schienenwege, Pipelines, Stromleitungen und Telekommunikationsnetze sowie Containerterminals und komplette Häfen gebaut werden. Siehe Sebastian Heilmann und Jan Gaspers, „Die Neue Seidenstraße“, LMd, Juni 2017.

2 Dwaipayan Barua, „Matarbari port to be turned into a deep-sea port“, The Daily Star, Dacca, 7. Januar 2018.

3 Natalie Obiko Pearson, „Japan beating China in ­race for Indian Ocean deep-sea port“, Bloomberg, New York, 23. Juni 2015.

4 Giuseppe Forino, Jason von Meding und Thomas Johnson, „Religion is not the only reason Rohingyas are being forced out of Myanmar“, The Conversation, 12. September 2017.

5 Siehe Marcin Sapinski, „Fremde im eigenen Land“, LMd, Mai 2018.

6 Bangladesh Economic Zones Authority, www.beza.gov.bd.

7 „TK Group to set up refinery, LPG terminal“, The Daily Star, 11. September 2017.

8 Emran Hossain und Mohammad Ali Zinnat in Zusammenarbeit mit Martin Swapan Pandey, „Slave trade booms in Dark Triangle“, The Daily Star, 4. Mai 2015.

9 Saibal Dasgupta, „China’s huge Rakhine investment behind its tacit backing of Myanmar on Rohingyas“, Times of India, Neu-Delhi, 26. September 2017.

Aus dem Französischen von Ursel Schäfer

Samuel Berthet ist Historiker und lehrt als außerordentlicher Professor an der indischen Shiv Nadar University in Dadri (Uttar Pradesch).

Le Monde diplomatique vom 08.11.2018, von Samuel Berthet