13.09.2018

Seehasen und iFarming

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Seehasen und iFarming

Norwegens Lachsproduzenten setzen auf Innovationen, um ihren Imageverlust wettzumachen

von Cédric Gouverneur

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Nahe der Stadt Bergen betreibt Lerøy, zweitgrößter Zuchtlachsproduzent der Welt, die Versuchsanlage Sagen 2. In mehreren Becken werden Seehasen (Cyclopterus lumpus) gezüchtet. Dieser Saugfisch, auch Lumpfisch genannt, ist der neue Verbündete der Aquakulturbetreiber: Er frisst die Lachslaus (Lepeophtheirus salmonis).1 „Wir züchten ungefähr 6 Millionen Seehasen pro Jahr“, erzählt der technische Leiter Harald Sveier. „Dadurch konnten wir den Einsatz von Antiläusemitteln um 90 Prozent reduzieren.“

Ebenfalls zur Bekämpfung der Lachslaus wurde die sogenannte ­Tube entwickelt. Der Prototyp ist ein 50 Meter langer schwimmender Plastikschlauch, in dem 300 000 junge Lachse über mehrere Monate herangezogen werden. Das Wasser in der „Tube“ wird aus der Tiefe hochgepumpt und in Bewegung versetzt, sodass eine künstliche Strömung entsteht. „In 35 Meter Tiefe ist das Wasser zu kalt für die Lachsläuse“, erklärt Harald Sveier. „Weil sie in der Strömung schwimmen, sind die Lachse besser in Form. Ausscheidungen und Abfälle werden aufgefangen und verarbeitet, anstatt den Fjord zu verschmutzen.“

Für Ende 2018 plant Lerøy die Installation einer zweiten „Tube“. Viermal größer als der Prototyp, soll sie ein Fassungsvermögen von 1,2 Mil­lio­nen Lachsen haben. Über die Kosten schweigt das Unternehmen.

Cermaq, der andere große Lachsproduzent in Norwegen (der 2014 von Mitsubishi aufgekauft wurde), setzt bei Bekämpfung der Lachslaus auf Hightech. Das Projekt „iFarm“ setzt auf Gesichtserkennung, um jeden einzelnen Fisch zu identifizieren. „Wir behandeln dann nur die Lachse, die auch tatsächlich befallen sind“, erläutert Wenche Grønbrekk, die bei Cermaq für Nachhaltigkeit und Risiken zuständig ist

Gesichtserkennung für Fische? Das lässt fast vergessen, dass die Lachszucht in ihren Anfängen ein Handwerk war, das den Bauern ein kleines Zubrot verschaffte. Die hypermoderne, automatisierte Aquakultur bietet wenig Arbeitsplätze (nur 7650 in ganz Norwegen), bringt aber riesige Gewinne.

2017 exportierte Norwegen 1,2 Millionen Tonnen Lachs (54,8 Prozent der weltweiten Produktion) im Wert von etwa 6 Milliarden Euro. Die Branche generiert riesige Privatvermögen: Der 25-jährige Gustav Magnar Witzøe, Erbe des Konzerns SalMar, ist einer der jüngsten Milliardäre der Welt.

Wegen der Lachslaus wurden seit 2013 allerdings keine neuen Zuchtfarmen zugelassen. Denn die Aquakultur geht – wie in Chile – auf Kosten der Umwelt: Die Population der norwegischen Wildlachse ist binnen 30 Jahren um mehr als die Hälfte zurückgegangen (von 1 Million auf 470 000 im Jahr 2016). Ein weiteres Problem ist, dass sich entwichene Zuchtlachse mit Wildlachsen paaren, deren Nachkommen für Krankheiten und Schädlinge deutlich anfälliger sind.2

2015 verklagten 17 Organisationen (vor allem Umweltschützer, Fischer und Jäger) die norwegische Regierung bei der Aufsichtsbehörde der Europäischen Freihandelsassoziation (AELE) wegen Verstoßes gegen die EU-Wasserrahmenrichtlinie vom 23. Oktober 2000.

Um einem Imageschaden vorzubeugen, reagierten die Fischproduzenten: Sie bemühten sich, die Verschmutzung der Gewässer zu begrenzen, das Entweichen der Zuchtlachse zu erschweren, den Gebrauch von toxischen Mitteln zu reduzieren und dennoch Viren und Parasiten effektiv zu bekämpfen – zum Beispiel durch den Einsatz von Saugfischen.

Fiskarlaget, der Verband der norwegischen Fischer, wirft der Lachsindustrie dennoch vor, mit ihren neuen Methoden auch Krustentiere wie kleine Krabben und Krill zu töten. Die würden auch in Gebieten ohne Zuchtanlagen absterben, hielten die Fischproduzenten entgegen. Wobei die Industrie, ähnlich wie in Chile, vom staatlichen Institut für Meeresforschung (IMR) in Bergen unterstützt wird.

„Das Krillsterben hat lange vor der Aquakultur eingesetzt“, sagt Rita Hannisdal vom IMR. „Manche wollen eine Kausalität sehen, aber die lässt sich nicht belegen. Wir brauchen Beweise, aber es gibt aktuell keine Forschung zu dem Thema.“ Eine Studie von 1982 hat allerdings aufgezeigt, dass das in der Lachszucht verwendete Pestizid Diflubenzuron Krabbenlarven tötet.3

Das IMR, das im Januar 2018 mit dem Norwegischen Institut für Ernährungs- und Seafood-Forschung (Nifes) fusionierte, untersteht dem Fischereiministerium. Lisbeth Berg-Hansen von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die das Ministerium von 2009 bis 2013 leitete, hatte in Aktien von Fischunternehmen investiert. Ihr Nachfolger Per Sandberg von der rechten Fortschrittspartei (er ist am 13. August zurückgetreten) wollte die Lachsproduktion bis 2050 verfünffachen.4

Sandberg bezeichnete die Kritiker der Aquakultur 2016 im Stile eines Verschwörungstheoretikers als „obskure Kräfte“. Kurz darauf berichteten die Wochenzeitung Morgenbladet und das Internetportal Harvest Magazine, dass in dem Ministerium eine schwarze Liste mit rund einem Dutzend Wissenschaftler existierte, die es gewagt hatten, die herrschende Meinung infrage zu stellen.5 Darunter der französische Toxikologe Jérôme Ruzzin, der an der Universität Bergen zu persistenten organischen Schadstoffen (POP) forscht.

Der Mythos von den Omega-3-Fettsäuren

Fette Fische wie der Lachs sind wegen ihrer Proteine und der für das menschliche Nervensystem wichtigen Omega-3-Fettsäuren sehr begehrt. Nach Ruzzin reichern sich in ihrem Fett allerdings auch Dioxin und polychlorierte Biphenyle (PCB) an. Auch in dieser Frage wiegelt das IMR ab: „Wir überprüfen jährlich die Schadstoffwerte und veröffentlicht sie auf unserer Webseite. Sie liegen unterhalb der von der EU festgesetzten Grenzwerte.“

Auch Wenche Grønbrekk von Cermaq beteuert: „Wir machen regelmäßig Tests und halten uns an die strengen staatlichen Vorgaben.“ Aus ihrer Sicht ist die Schadstoffbelastung sogar ein Argument zugunsten der Aquakultur: „Die jüngsten Forschungen zeigen, dass Zuchtlachse weniger Umweltschadstoffe enthalten als fette Wildfische. Der Vorteil der Aquakultur ist, dass wir die Ernährung der Fische kontrollieren.“

Jérôme Ruzzin hat jedoch Vorbehalte gegenüber den konkreten Grenzwerten: „Im November 2000 hat die EU ein Limit von 7 Pikogramm pro Woche festgesetzt. Weil aber viele Verbraucher diesen Grenzwert überschritten, wurde er sechs Monate später auf 14 Pikogramm erhöht.“ Das wurde damals vom deutsche Umweltbundesamt kritisiert.

Bevor Ruzzin an die Universität Bergen wechselte, arbeitete er für ­Nifes und forschte über die gesundheitlichen Auswirkungen von POP-haltigem Lachs. „Bei Ratten, die mit Lachsöl ernährt wurden, konnte ich schädliche Auswirkungen auf den Stoffwechsel feststellen, die bei einer mit gereinigtem Öl gefütterten Vergleichsgruppe nicht auftraten. Die Tiere entwickelten Diabetes Typ 2 und eine starke Fettleibigkeit.“6 Das Nifes verbot ihm, mit diesen Ergebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen und an wissenschaftlichen Kongressen teilzunehmen. „Das hat mein Forschungstätigkeit erheblich eingeschränkt“, sagt Ruzzin, „alles wurde von A bis Z kontrolliert.“

Der Forscher zweifelt auch an den viel gepriesenen positiven Effekten, die den Omega-3-Fettsäuren zugeschrieben werden: „Die Inuit nehmen viele Omega-3-Fettsäuren zu sich und haben wenig Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Daraus wird abgeleitet, dass Omega-3-Fettsäuren gut für die Gesundheit seien.

Mittlerweile wissen wir aber, dass die Inuit einen spezifischen Genpool haben, der sie weniger anfällig für diese Art von Erkrankungen macht. Dennoch bekommen Herzinfarktpatienten nach wie vor Omega-3-Fettsäuren verschrieben – ohne dass sich eine Besserung einstellen würde.“

Auch Anne-Lise Bjørke-Monsen, Bio­chemikerin und Kinderärztin am Universitätsklinikum Haukeland in Bergen, stand auf der schwarzen Liste der Aquakultur-Kritiker. Im Juni 2013 hatte sie in einem Interview mit der Tageszeitung Verdens Gang Kindern und Schwangeren vom Lachsverzehr abgeraten. Für diese Aussage, die großes Aufsehen erregte, wurde sie von ihren Vorgesetzten öffentlich abgestraft.

Heute sagt Bjørke-Monsen: „Die Forschung ist von der Lachsindustrie gekauft.“ Und sie verweist darauf, dass eine 2006 durchgeführte Nifes-Studie von Marine Harvest, dem größten Zuchtlachskonzern der Welt, finanziert wurde. „Ich habe junge Wissenschaftler getroffen, die sich von einem prekären Vertrag zum nächsten gehangelt haben. Inzwischen arbeiten sie in der Lachsindustrie und führen ein komfortables Leben.“

Beunruhigendes ergab auch die Untersuchungen der Nifes-Forscherin Victoria Bohne. Sie fand 2008 heraus, dass das dem Lachsfutter beigegebene Antioxidationsmittel Ethoxyquin (E 324) die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann.7 Die Blut-Hirn-Schranke schützt das Gehirn vor im Blut zirkulierenden Krankheitserregern. Nach diesem Befund setzte das Nifes die Wissenschaftlerin vor die Tür.

E 324 wurde ursprünglich von der Kautschukindustrie entwickelt, um die Rissbildung in Reifen zu verhindern. Wegen seiner stabilisierenden Wirkung auf fettlösliche Vitamine wird es heute als Konservierungsmittel verwendet. In den 1960er Jahren wurde E 324 von Monsanto zur Behandlung von Obst und Gemüse produziert, bis der Einsatz durch die Europäische Union verboten wurde. In Brüssel wurde auch ein Verbot für die Verwendung in der Tiernahrung beschlossen, das 2019 in Kraft tritt. Dazu hat das Unternehmen Cermaq erklärt: „Wir haben in den letzten Jahren mit unseren Lieferanten vereinbart, den Einsatz von Ethoxyquin zu reduzieren und es in unseren Betrieben in Norwegen durch das natürliche Antioxidans Tocopherol (Vitamin E) zu ersetzen.“

Das Futter für die Zuchtlachse besteht großenteils aus Fischmehl. Damit wird das Hauptargument entkräftet, das zur Verteidigung der Aquakultur immer wieder vorgebracht wird: der Schutz der Wildfischbestände. Die Lachszüchter versuchen deshalb, die Zusammensetzung ihres Futters zu diversifizieren.

„Der Anteil von Meeresprodukten liegt in unseren Betrieben heute bei 30 Prozent und wird immer geringer“, erklärt Wenche Grønbrekk von Cermaq. „Die pflanzlichen Zutaten müssen aus nachhaltigen Quellen kommen. Und es laufen Forschungen zum Einsatz von Algen und Insekten. Laut UN sind 30 Prozent der Wildfischbestände von Überfischung betroffen, das ist nicht tragbar.“ Ihr Fazit lautet: „In Zukunft müssen wir das Meer mehr wie Landwirte und nicht wie Jäger nutzen.“ Dabei beruft sie sich auf den berühmten französischen Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau (1910–1997), der die Aquakultur schon früh als Alternative zum Fischfang betrachtete.

Einen anderen Weg schlägt offenbar Kanada ein. 2017 konnte das US-Biotechunternehmen Aqua­Bounty heimlich, still und leise 4,5 Tonnen genveränderten Lachs nach Quebec verkaufen. Damit ist Kanada „das einzige Land, das ein genetisch verändertes Tier zum menschlichen Verzehr akzeptiert“, wie es die Verbraucherschutzorganisation Vigilance OGM formuliert.

Der Genfisch von AquaBounty wird in Panama gezüchtet und erreicht sein volles Gewicht doppelt so schnell, wie das Biotechunternehmen behauptet. Das hindert AquaBounty allerdings nicht, auf seiner Website vom „nachhaltigsten Lachs der Welt“ zu schwärmen.

1 Siehe Manfred Kriener, „Fette Fische“, LMd, Oktober 2017.

2  Bericht des wissenschaftlichen Beratungsgremiums zum Atlantischen Lachs von 2017, Norwegische Um­welt­agentur, www.vitenskapsradet.no.

3 Marit Ellen Christiansen und John D. Costlow, „Ul­tra­structural study of the exoskeleton of the estuarine crab (Rhithropanopeus harrisii). Effect of the insect growth regulator Dimilin (Diflubenzuron) on the formation of the larval cuticle“, Marine Biology, Bd. 66, Nr. 3, Berlin 1982.

4 Per Sandberg, „The future is bright blue“, in: „Blue growth strategy“, The European Files, Brüssel, Juni 2017.

5 „De forbannede lakseforskerne“, Morgenbladet, Oslo, 9. Juni 2017, und Harvest Magazine, 16. Januar 2018.

6 Jérôme Ruzzin u. a., „Persistent organic pollutant exposure leads to insulin resistance syndrome“, in: Environmental Health Perspectives, Bd. 118, Nr. 4, April 2010.

7 Durch die Beigabe von E 324 wollen die Produzenten der Futtermittel verhindern, dass ihr Produkt ranzig wird oder sich selbst entzündet.

Aus dem Französischen von Uta Rüenauver

Le Monde diplomatique vom 13.09.2018, von Cédric Gouverneur