09.08.2018

Der unaufhaltsame Aufstieg einer Hülsenfrucht

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Der unaufhaltsame Aufstieg einer Hülsenfrucht

Soja gilt als Wunderbohne, doch das Saatgut ist größtenteils gentechnisch verändert

von Dirk Asendorpf

Grace Weaver, winning some / losing some, 2015, Öl auf Leinen, 80 x 70 cm Roman März
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Zufrieden steht Reinhard Bauer zwischen seinen Pflanzen, der Blick geht über die sanften Hügel rund um das niederbayrische Landshut. Die meisten Felder sind schon kahl, doch bis zur Ernte wird es noch zwei, drei Wochen dauern. Bis dahin verwelken die Blätter und fallen ab. Dann stehen nur noch hüfthohe Stängel auf dem Acker, daran Dutzende Hülsen, in jeder stecken bis zu fünf gelbliche Samen: Sojabohnen.

„Als wir vor sechs Jahren eingestiegen sind, habe ich von allen gehört: Soja, das geht doch bei uns gar nicht.“ Doch der Bauer hat getan, was EU, Bundes- und Landesregierung fordern und fördern: mehr Eiweißpflanzen anbauen. Das soll die Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit erhöhen und Importe vermeiden. Denn Ackerbohne, Futtererbse und all die anderen heimischen Hülsenfrüchtler sind fast vollständig aus der deutschen Landwirtschaft verschwunden. Viel zu billig waren die Sojaimporte aus Übersee – und viel zu hochwertig war das darin enthaltene Eiweiß. „Heute gilt: Je weiter etwas transportiert wird, desto billiger ist es“, staunt Reinhard Bauer.

Der Landwirt ist kein Öko, das Unkraut auf dem Sojafeld hat er vor der Aussaat weggespritzt, und wenn es die 120 Euro Zuschuss nicht gäbe, die er aus verschiedenen Töpfen für jeden seiner 18 Hektar Soja bekommt, würde er etwas anderes anbauen.

Zwar hat sich die deutsche Sojaernte zwischen 2013 und 2018 verdreifacht, mit gut 30 000 Tonnen ist sie gegenüber den 4,2 Millionen Tonnen Importsoja aber weiterhin sehr gering. Reinhard Bauer ist Sojapionier, aber er ist auch Realist. Deutsches Soja werde die Importe nie ersetzen können. 75 Prozent des Eiweißes, das er verfüttert, kauft er zu. Und die eigene Ernte verwendet er nur für Muttersauen und Ferkel. Seine 2000 Mastschweine bekommen eine bis aufs Milligramm für schnelles Wachstum optimierte Kraftfuttermischung. Die selbst angebauten Sojabohnen kommen hier nicht in den Futtertrog. „Zu riskant“, meint er, „Qualität und Eiweißgehalt schwanken stark.“

Auf dem Acker würde kaum jemand die unscheinbare Hülsenfrucht erkennen. Und im Laden sind ihre kleinen gelblichen Samen fast nirgendwo zu bekommen, Sojasprossen sind nämlich in Wahrheit Keimlinge der Mungobohne. Trotzdem beträgt der durchschnittliche Jahresverbrauch in Deutschland 60 Kilogramm pro Kopf – mehr als Kartoffeln (56 Kilo) und Brot (54 Kilo).

Wir sind Sojajunkies – ohne es zu wissen. Unsere Sucht befriedigen wir indirekt, vor allem mit dem Konsum von Fleisch, Eiern und Milchprodukten. Tofu, Sojadrinks (Milch dürfen sie in Deutschland nicht genannt werden), Sojawurst und all die anderen veganen Nischenprodukte gibt es heute in jedem Supermarkt. Zugleich gluckert Sojaöl als kleiner Agrodieselanteil in Autotanks oder steckt als Zutat in Mayonnaise, Frittieröl und tausenden industriell erzeugten Lebensmitteln. Doch mehr als 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Sojas landen als Kraftfutter im Tiermagen.

Aber nicht nur Viehzüchter, Vegetarierinnen und Diätratgeber schwören auf Soja, auch im Kampf gegen die weltweite Unterernährung verspricht man sich viel von der Wunderbohne. Angebaut wird Soja vor allem in Brasilien, Argentinien und den USA. In diesen drei Ländern wächst auf 2,7 Mil­lio­nen Hektar – das entspricht laut Statistischem Bundesamt der zehnfachen Kartoffelanbaufläche in Deutschland – Futtermittel für das Vieh in unseren Ställen. In den letzten zehn Jahren ist diese Fläche um 40 Prozent gewachsen, obwohl der deutsche Fleischkonsum im selben Zeitraum leicht zurückging. Der Grund: Deutschlands Fleischexporte haben rasant zugenommen. Bei Schwein und Geflügel haben sie sich glatt verdoppelt.

Es ist das Ergebnis zunehmender Spezialisierung in der globalen Agrarwirtschaft: Dänemark und die Niederlande haben die Zucht optimiert und liefern billige genetisch weitgehend identische Ferkel, in Deutschland werden sie mit billigem Futter aus Süd- und Nordamerika gemästet, von billigen osteuropäischen Arbeitskräften geschlachtet und dann zum Beispiel nach China exportiert. Die Folgen sind bis nach Kumhausen bei Landshut zu spüren, wo Reinhard Bauer mit seiner Familie auf einem idyllischen Vierseithof lebt: an drei Seiten Ställe und Wirtschaftsgebäude, an der vierten das Wohnhaus mit geraniengeschmücktem Holzbalkon.

Üppige Stallbauprämien haben die stetige Erweiterung der Mastschweinehaltung ermöglicht. „Im Vergleich zu anderen sind wir noch langsam gewachsen“, sagt Bauers Sohn Johannes, er studiert Agrarwissenschaften und soll den Hof später einmal übernehmen. „Als wir zuletzt 400 neue Mastplätze geschaffen haben, hat uns die Baufirma blöd angeguckt, so einen kleinen Stall haben sie schon lange nicht mehr gebaut.“ Betriebe mit 5000 Mastschweinen sind in der eigentlich kleinbäuerlich geprägten Region keine Seltenheit.

Wachstum durch weltweite Arbeitsteilung – in vielen Industriebereichen ist das heute normal. Brasilien kann Soja am günstigsten produzieren. Die tropische Pflanze bringt es dort auf zwei Ernten im Jahr, im kälteren Mitteleuropa nur auf eine. Bei uns dagegen bringt Weizen besonders gute Erträge. Warum also Soja pflanzen? Bananen oder Kaffee bauen wir hier schließlich auch nicht an.

„In der Nahrungsmittelproduktion ist die Globalisierung ein Irrweg“, sagt Gerhard Bellof. Auch er ist kein Öko, sondern international anerkannter Experte für Nutztierernährung an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Der Unterschied zur Autoindustrie: Ferkel, Fleisch und Futtermittel können zwar global transportiert werden, der landwirtschaftliche Boden aber nicht. Ein gefährliches Ungleichgewicht ist die Folge: Mit den Sojaimporten gelangen gewaltige Nährstoffmengen nach Europa, die Gülle der damit gemästeten Tiere geht aber nicht wieder zurück. Sie wird in der Nähe der Mastbetriebe verteilt, die enthaltenen Nährstoffe reichern sich im Boden an – und landen als Nitrat im Grundwasser.

An manchen Messstellen im Landkreis Landshut sind die Werte in den vergangenen zwölf Jahren um mehr als 20 Prozent gestiegen. Besonders gravierend ist das Nitratproblem in Niedersachsen, dem Bundesland der Massentierhaltung. Fast die Hälfte des Grundwassers ist in schlechtem Zustand. Im Juni verurteilte der Europäische Gerichtshof Deutschland dafür, zu wenig gegen die Nitratbelastung unternommen zu haben.

„Insgesamt erzeugt die deutsche Landwirtschaft inzwischen jedes Jahr einen Überschuss von rund 100 Kilo Stickstoff pro Hektar“, sagt Bellof. Regelmäßig simuliert er mit seinen Studenten den Nährstoffkreislauf der Mastbetriebe. „Der Systemgedanke muss wieder stärker in die Köpfe“, fordert der Wissenschaftler. Der Sojaanbau im Fruchtwechsel mit Getreide und Mais ist ein kleiner Schritt in diese Richtung. Doch die Politik hat die Landwirte in die Massentierhaltung gedrängt, und die vielen neuen Ställe sind noch lange nicht abgeschrieben.

Ähnlich sieht die Lage auf der anderen Seite des Atlantiks aus. Europas Sojahunger beflügelt dort eine milliardenschwere Agrarindustrie. In Brasi­lien nehmen die Sojafelder bereits die Größe Deutschlands ein. Gentechnisch verändert und angesichts wachsender Resistenzen mit immer höheren Herbiziddosen behandelt, breiten sie sich jedes Jahr weiter aus. Hauptabnehmer ist inzwischen China.

Blairo Maggi heißt der Sojakönig aus dem brasilianischen Mato Grosso, sein Unternehmen Amaggi ist der weltweit größte Produzent. Seit mehr als zwei Jahren verteidigt er zudem als Brasiliens Landwirtschaftsminister die Interessen der Sojawirtschaft. Zwar darf sie keine frisch gerodeten Waldflächen mehr nutzen, das gilt aber nicht für andere Agrarprodukte, die durch den wachsenden Flächenbedarf des Sojas verdrängt werden. Fachleute sprechen von „indirekten Landnutzungsänderungen“; der Schaden, den Soja am Regenwald anrichtet, ist groß.

Aber die Versuchung ist noch größer. Denn Soja ist das Multitalent der Nutzpflanzen. Kartoffeln, Weizen oder Reis liefern vor allem Kohlenhydrate. Zuckerrohr und Zuckerrübe enthalten, wie der Name schon sagt, Zucker. Linsen, Erbsen und Erdnüsse sind eiweißreich, und pflanzliche Fette werden aus Raps und Sonnenblumen gewonnen. Doch Soja enthält alles zusammen, und das in einer für Tier und Mensch einmalig günstigen Kombination: 40 Prozent Eiweiß, 25 Prozent Kohlenhydrate, 20 Prozent Fett und 5 Prozent Mineralstoffe. Außerdem sind die Samen reich an Vitaminen und Lecithin, und Sojaöl hat einen besonders hohen Gehalt mehrfach ungesättigter Fettsäuren.

Für die Aufspaltung der wertvollen Inhaltsstoffe sorgt eine – im wahrsten Sinne des Wortes – gut geölte Indus­trie. Die Deutschland-Zentrale von ADM steht mitten im Hamburger Hafen. 1910 als Oelmühle Hamburg gegründet, gehört das Unternehmen seit 1994 zur US-amerikanischen Archer-Daniels-Midland-Gruppe. ADM steht für das A im Abcd der vier weltgrößten Sojaunternehmen: ADM, Bunge, Cargill, Dreyfus. Zusammen erwirtschaften sie mit Agrarrohstoffen (vor allem Getreide und Soja) über 300 Milliarden Euro im Jahr . Es ist eine verschwiegene Branche, eine Betriebsbesichtigung ist unerwünscht.

Rund 3,7 Millionen Tonnen Sojabohnen im Jahr verarbeitet ADM an drei Standorten, Hamburg ist der größte. Die Samen werden gereinigt, zerkleinert und erhitzt. Dann wird der 20-prozentige Ölanteil in aufwändigen Verfahren gewonnen. Ergebnis: 760 Millionen Liter Sojaöl, ein begehrter Rohstoff für die Oleochemie.

Sojaöl hat sich weitgehend unbemerkt in unserem Alltag ausgebreitet. Seine langen Molekülketten eignen sich gut zur Herstellung von Tensiden für Waschmittel oder Weichmacher. Sie finden sich in Vinyltapeten, in Klarsichtfolien, in Lacken und in der Dichtung von Kronkorken. Aus den Schalen, einem Abfallprodukt der Ölherstellung, wird sogenannte Sojaseide gewonnen, eine vegane Alternative zu Wolle, Kaschmir oder Seide. Und auch in bunten Druckerfarben steckt oft ein kleiner Sojaanteil. Trotz dieser Anwendungsvielfalt ist Sojaöl nur ein Nebenprodukt der globalen Futtermittelindustrie.

Das war nicht immer so. Begonnen hatte der Siegeszug des Sojas zunächst als Düngemittel. Im Unterschied zu anderen Pflanzen sind Leguminosen wie die Sojabohne nicht auf Stickstoff im Boden angewiesen. An ihren Wurzeln siedeln Bakterien, die den Stickstoff direkt aus der Luft an die Pflanze weitergeben. Im Fruchtwechsel verbessern Leguminosen die Bodenqualität, sparen Kunstdünger und senken den Ausstoß an Treibhausgas. Reinhard Bauer konnte den Effekt genau beobachten. Ein Weizenfeld, auf dem er im Vorjahr Soja angebaut hatte, lieferte bei gleicher Bewirtschaftung fast 15 Prozent mehr Ertrag als das benachbarte Feld, auf dem zuvor Mais stand. „Das hat mich selber überrascht“, sagt er, „aber die Körner vom Weizen waren wirklich schöner.“

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Soja dann plötzlich nicht mehr nur zur Bodenverbesserung in der Landwirtschaft eingesetzt. Zwischen 1900 und heute ist die weltweite Erntemenge von 6 Millionen auf mehr als 300 Millionen Tonnen im Jahr gestiegen. Kein Agrarprodukt hat jemals ähnlich dramatische Wachstumsraten erreicht.

Bereits vor 1000 Jahren von buddhistischen Mönchen in Ostasien verbreitet, eroberte die Hülsenfrucht im Zuge der Industrialisierung die ganze Welt. Die Fabriken verlangten nach gut und günstig ernährten Arbeitskräften und die Landwirtschaft brauchte Dünger. In den Chemiefabriken stieg der Bedarf nach billigem Öl, Verbrennungsmotoren brauchten Treibstoff. All das konnte die Sojabohne liefern. Besonders wichtig wurde sie im Krieg.

Vom Abfall zum Tierfutter

Nach dem Eintritt in den Ersten Weltkrieg waren die USA von den Sojaimporten aus Asien abgeschnitten. Weil das aus Sojaöl gewonnene Nitroglyzerin für den Bombenbau gebraucht wurde, begann die US-Regierung den heimischen Sojaanbau massiv zu fördern. Als Abfallprodukt entstand billiges Futtermittel. Fleischverzehr wurde zur patriotischen Pflicht. „Es gab damals Anzeigenkampagnen, in denen die Bevölkerung aufgefordert wurde, mehr Fleisch zu essen“, erzählt der Bremer Historiker Joachim Drews.

Es war die Geburtsstunde der modernen Sojawirtschaft. Der Krieg ging zu Ende, die Lust auf Fleisch blieb. Erdöl ersetzte in der Industrie zunehmend das teurere Pflanzenöl, und auch als Dünger wurde Soja nicht mehr gebraucht, seit sich Kunstdünger synthetisch herstellen ließ. Das Mitte der 1930er Jahre von Archer Daniels Midland entwickelte industrielle Toasting-Verfahren ermöglichte die Entfernung der Bitterstoffe aus dem Sojaschrot. Jetzt stand der massenhaften Verwendung als Tierfutter nichts mehr im Wege. Fleisch wurde zum Grundnahrungsmittel der US-Amerikaner – erzeugt mit dem Eiweiß der Wunderbohne.

Im Zweiten Weltkrieg ließ auch die deutsche Wehrmacht den militärischen Nutzen von Soja erforschen – nicht für den Bombenbau, sondern für die Versorgung der Soldaten. Backwaren, Kakaogetränke und Wurstkonserven wurden mit Sojamehl gestreckt, sogenannte Pemmikan-Landjäger auf Sojabasis sollten den vorrückenden Truppen die nötigen Nährstoffe in hochkonzentrierter Form liefern. „Soja für den Blitzkrieg“ hieß es in den Medien, in den USA war bald von der „Nazi-Bohne“ die Rede. Als nach dem Überfall auf die Sowjetunion die Sojalieferungen aus der Mandschurei ausblieben, versuchte Deutschland den Anbau in den verbündeten Ländern Südosteuropas zu forcieren.1 Die zuvor aus Asien importierten Mengen konnten jedoch nicht ersetzt werden, geeignete Sorten für das europäische Klima fehlten.

Anders in den USA. Schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg hatte Amerika beim Anbau von Soja Japan und Korea überflügelt, etwas später auch die Mandschurei und China. 1948 waren die USA bereits der weltgrößte Produzent, 1956 erzeugten sie sogar mehr Soja als alle asiatischen Länder zusammen.

Inzwischen hat Brasilien zu den USA aufgeschlossen, beim Export liegt es sogar deutlich vorn. In den vergangenen 15 Jahren hat Brasilien seine Anbaufläche glatt verdoppelt und produziert heute über 100 Millionen Tonnen Soja im Jahr, zwei Drittel davon für den Export. China hingegen, einst Wiege des Sojas, ist heute größter Importeur, fast 100 Millionen Tonnen Soja wurden 2017 eingeführt, um den Fleischhunger der neuen kaufkräftigen Mittelschicht zu befriedigen.

Eine Bohne namens Obelix

Zu diesem Höhenflug hat die Gentechnik entscheidend beigetragen. Das Saatgut für vier Fünftel der weltweiten Anbaufläche stammt heute aus den Laboren US-amerikanischer Gentechnik-Konzerne. 1997 brachte Monsanto in den USA, Kanada und Argentinien die erste gentechnisch veränderte Sojabohne (Roundup Ready) auf den Markt, die gegen das ebenfalls von Monsanto gelieferte Breitbandherbizid Roundup resistent ist, was deutliche Einsparungen bei der Unkrautbekämpfung ermöglicht hat. Hauptbestandteil von Round­up ist das umstrittene Glyphosat, das die WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ einstuft; die EU hat ein Verbot vorerst vertagt. In den Hauptanbaugebieten liegt der Anteil gentechnisch veränderter Sojabohnen inzwischen bei mehr als 90 Prozent.

Nur in Europa darf Gensoja nicht angebaut und auch nicht als Lebensmittel verwendet werden. Als Tierfutter ist es aber zugelassen und weit verbreitet. In Deutschland liegt sein Anteil an verfüttertem Soja bei über 80 Prozent, obwohl 70 Prozent der Deutschen die grüne Gentechnik strikt ablehnen. Eine Ausnahme sind Bioprodukte: Für ihre Erzeugung darf kein Futtermittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen verwendet werden. Bei dem von der Bundesregierung 2009 eingeführten Label „Ohne Gentechnik“ bezieht sich das Verbot gentechnisch veränderter Futterpflanzen – anders als im Biobereich – nur auf einen bestimmten Zeitraum vor der Verwertung. Bei Schweinen sind das die letzten vier Monate vor der Schlachtung, bei Milch die letzten drei Monate vor dem Melken.

Nachdem das Label „Ohne Gentechnik“ zunächst wenig Resonanz erfuhr, nimmt der Lebensmitteleinzelhandel seit 2014 immer mehr Produkte ins Sortiment. Weit über 5000 sind inzwischen zertifiziert. Mit Verbraucherschutz hat das wenig zu tun. Dahinter steckt der großflächige Rapsanbau in Deutschland mit mehr als 1 Million Hektar Anbaufläche. Das ausgepresste Öl landet im Diesel, übrig bleibt der sogenannte Rapskuchen, ein eiweißhaltiges Futtermittel. Es ist so billig, dass Rinder und Milchkühe fast kein Sojaschrot mehr zu fressen bekommen.

Bei Schweinen und Hühnern geht das nicht so leicht. Anders als Wiederkäuer sind sie in der Mast auf hochwertiges Sojaeiweiß angewiesen. Doch gentechnikfreies Soja ist auf dem Weltmarkt extrem knapp. Zwar wird es in Brasilien wieder etwas häufiger angebaut, doch die Trennung über die gesamte Transportkette sicherzustellen, ist schwierig und teuer. „Und es gibt keine Versicherung, die das Risiko einer Verunreinigung übernimmt“, klagt Hermann-Josef Baaken, Geschäftsführer des Verbands Tiernahrung.

Die einzige Alternative ist Soja aus Europa. Tatsächlich wächst die Anbaufläche, vor allem in Südosteuropa. Rund 10 Millionen Tonnen werden inzwischen jährlich geerntet, fast ein Viertel des europäischen Bedarfs. Eingerechnet ist allerdings Soja aus der Ukraine, das Land liefert mehr als die Hälfte der in Europa verbrauchten Menge. Auch in der Ukraine ist der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen verboten, trotzdem ist er weit verbreitet.

Hier kommen Reinhard Bauer und die deutschen Pioniere ins Spiel. Sie haben gezeigt, dass Soja auch hierzulande wächst – obwohl es seit vielen Jahren praktisch keine Zucht mehr gibt. Die findet woanders statt. Merlin, Sultana, Viola oder Obelix – die aus Österreich, der Schweiz, Frankreich oder Kanada importierten Sojasorten wachsen auf den Versuchsfeldern süd- und ostdeutscher Landwirtschaftsanstalten, zum Beispiel im thüringischen Großenstein.

Zuständig in Großenstein ist Sabine Wölfel, sie hat schon zu DDR-Zeiten Soja­zucht­ver­suche betreut. Damals kam das Saatgut aus China, in Ostdeutschland fühlte es sich nie wirklich wohl. Noch heute ist der stark schwankende Ertrag eines der Hauptprobleme beim Anbau in Deutschland. „In guten Jahren sind es vier Tonnen pro Hektar, in schlechten ist es aber nur eine“, sagt Wölfel. Ein weiteres Problem ist die Verarbeitung. Bevor Soja verfüttert werden kann, muss es getrocknet, erhitzt und geschrotet werden. Solange die Anbauflächen klein und verstreut sind, führt das zu hohen Kosten und weiten Transportwegen.

Um Abhilfe zu schaffen, hat ADM vor zwei Jahren im bayrischen Straubing eine großindustrielle Ölmühle eröffnet, in der ausschließlich gentechnisch saubere Bohnen aus der EU und Serbien verarbeitet werden. Über Mengen schweigt Geschäftsführer René van der Poel, doch angesichts der steigenden Nachfrage von Lebensmittelhändlern hält er eine Vervierfachung der bayrischen Erntemenge für möglich.

Reinhard Bauer schaut auf sein fast erntereifes Sojafeld und macht sich Sorgen. Es gibt Probleme mit der Genehmigung seines erweiterten Stalls. Nachbarn haben sich über den Gestank beschwert, sie können sich auf die Emissionsschutzauflagen berufen. „Die Zuchtsauen werden wohl aus­laufen“, sagt Bauer. Und dann hat sich das mit dem Sojaanbau wohl auch erledigt.

1 Siehe Joachim Drews, „Die ‚Nazi-Bohne‘. Anbau, Verwendung und Auswirkung der Sojabohne im Deutschen Reich und Südosteuropa (1933–1945)“, Münster (LIT Verlag) 2004.

Dirk Asendorpf ist freier Journalist und auf Forschung, Technik und Umwelt spezialisiert.

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Le Monde diplomatique vom 09.08.2018, von Dirk Asendorpf