12.07.2018

Falsche Freunde gegen Trump

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Falsche Freunde gegen Trump

Warum Sonderermittler kein geeignetes Instrument der demokratischen Kontrolle sind

von Michael J. Glennon

Ecaterina Vrana, Closed, 2018, Öl auf Leinwand, 190 x 170 cm
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Man sollte meinen, dass in den USA nach der Wahl von Donald Trump nicht mehr ganz so forsche Lobgesänge auf die Einzigartigkeit seines politischen Systems angestimmt werden. Doch weit gefehlt. Mittlerweile hat sich eine ganz neuartige und merkwürdige Vorstellung von Einzigartigkeit eingenistet. Die Idee nämlich, dass das vor 230 Jahren ersonnene System der „Checks and Balances“, welches in weiser Voraussicht eine wechselseitige Kontrolle der Verfassungsorgane garantiert, zu einer Spaltung zwischen Exekutive und Legislative geführt habe, die bestens geeignet sei, eine drohende autoritäre Entwicklung aufzuhalten.

In Wahrheit jedoch ist das System von Checks and Balances der Verfassungsväter kein taugliches Mittel gegen Rechtsverstöße der Exekutive. Die Schwächen dieses Systems haben es vielmehr nötig gemacht, ein zusätzliches Instrument zu etablieren: den Sonderermittler. Ein solcher „Special Prosecutor“ kann – zumindest kurzfristig – dafür sorgen, dass die Vergehen der Exekutive nicht straflos bleiben. Allerdings gilt auch: Wenn solche nicht gewählten Bürokraten rechtmäßige politische Initiativen von gewählten Amtsträgern blockieren, wird damit ein wichtiges Prinzip geopfert: die Verantwortlichkeit demokratischer Repräsentanten. Und dieses Opfer kommt einem Selbstmord gleich, wenn dieses Blockieren an der Spitze der Sicherheitsbürokratie von Leuten abgesegnet wird, die sich keineswegs immer als verlässliche Wächter der Bürger- und Freiheitsrechte erwiesen haben.

Das Verfassungssystem der Checks and Balances soll für eine Machtbalance zwischen drei widerstreitenden Kräften sorgen, die sich gegenseitig in Schach halten. Wobei die Vertreter der Exekutive, der Legislative und der Justizorgane eifersüchtig darauf bedacht sind, ihr jeweiliges Territorium gegen Übergriffe zu schützen.

Die Bürokratie war in diesem Modell der Verfassungsväter nicht vorgesehen. Als die Republik gegründet wurde, gab es keinen Beamtenapparat. Als Thomas Jefferson 1801 Präsident wurde, bestand die Exekutive in Washington aus 132 Mann und das Personal des Weißen Hauses aus Jeffersons persönlichem Sekretär.

In der Verfassung war als einziges Mittel gegen Verfehlungen der Regierung das Amtsenthebungsverfahren vorgesehen. Aber dieses Impeachment erwies sich im Laufe der Geschichte als ungeeignetes Instrument, um die alltäglichen kleinen Rechtsverstöße und Verfehlungen zu ahnden, die auf das Konto von Freunden und politischen Verbündeten der Exekutive gingen.

Das Problem wurde durch einen Lückenbüßer gelöst: den Special Prosecutor (Sonderermittler). Die verbreitete Annahme, auf diese Lösung sei man erst anlässlich der Watergate-Krise um Präsident Richard Nixon gekommen, ist historisch falsch. Der erste Special Prosecutor wurde 1875 von Präsident Ulysses S. Grant ernannt. Seitdem haben mehrere Präsidenten Beamte mit staatsanwaltlichen Befugnissen ausgestattet, damit sie Fälle von Korruption in höchsten Ämtern untersuchen. Der berühmteste war der Watergate-Sonderermittler Archibald Cox, der nach fünfmonatigen Ermittlungen auf Anordnung von Präsident Nixon gefeuert wurde.1 Am aktuellsten ist natürlich Robert Mueller, den das Justizministerium als Independent Counsel (unabhängiger Anwalt) eingesetzt hat.

Allerdings bieten Sonderermittler keine Garantie für erfolgreiche Aufklärung. Für ihre Ernennung gibt es keine automatische Regelung, letzten Endes ist dafür allein der Justizminister (Attorney General) zuständig. Ebenso wenig gibt es eine Verfassungsbestimmung, die ihre Abberufung verhindern würde. Ihre Autorität verdanken die Special Prosecutors allein dem Nimbus staatsanwaltlicher Unabhängigkeit.

Diese ungeschriebene Norm beruht zum einen auf dem Grundsatz, dass niemand über dem Gesetz steht, zum anderen aber auf einer simplen Einsicht: Würden die Ermittlungen über Delikte im Bereich der Exekutive vom Weißen Haus kontrolliert, wäre das Ergebnis Straffreiheit für den Präsidenten und seine Mitarbeiter. Hier geht es also um das ehrwürdige rechtsstaatliche Prinzip, dass niemand Richter in eigener Sache sein darf und dass alle – ob mächtig oder schwach – vor dem Gesetz gleich sein müssen.

Das Prinzip der Unabhängigkeit von der Regierung ist allerdings ein zweischneidiges Schwert. Es kommt nämlich auch den Spitzen der staatlichen Sicherheitsorgane sehr zupass, die schon seit Jahren auf größere Autonomie drängen – allerdings ohne dies je direkt und offen zu fordern.

Ihre Opposition gegen unliebsame Präsidentenentscheidungen haben sie passiv betrieben, zum Beispiel indem sie Sand in das Regierungsgetriebe streuten. Doch neuerdings machen diese Sicherheitsorgane ihre Missbilligung auf aktivere Weise geltend, etwa durch gezielte Enthüllungen, öffentliche Rüffel oder unverhüllt feindselige Äußerungen. So hatte FBI-Direktor James Comey keinerlei Skrupel, über die Medien durchsickern zu lassen, dass ihn Trump angeblich zu einer schonenden Behandlung seines Exsicherheitsberaters Michael Flynn aufgefordert habe.2

Die Bemühungen Comeys, sich Trump zu widersetzen, wurden von mehreren seiner früheren Kollegen öffentlich unterstützt. Zum Beispiel erklärte Philip Mudd, Exspitzenbeamter des FBI wie der CIA, am 3. Februar 2018 gegenüber CNN: „Also, die FBI-Leute sind sauer, und sie werden garantiert etwas sagen wie: ‚Mr. President, wenn Sie denken, Sie könnten uns von dieser Sache abbringen, indem Sie etwa versuchen, unseren Direktor einzuschüchtern, dann sollten Sie sich das zweimal überlegen. Sie sind seit 13 Monaten im Amt, uns gibt es seit 1908.‘ Ich weiß, wie dieses Spiel läuft, und wir werden es gewinnen.“

Samantha Power, zu Barack Obamas Zeiten UN-Botschafterin der USA, hat einmal im Hinblick auf den CIA-Chef gesagt: „Es ist keine gute Idee, John Brennan ans Bein zu pissen.“ Damit bezog sie sich auf Brennans verbale Attacken gegen den Präsidentschaftskandidaten Trump. Ähnlich äußerte sich Chuck Schumer, der Vorsitzende der Demokratischen Fraktion im Senat: „Wenn du dich mit den Geheimdienstleuten anlegst, werden sie auf jede erdenkliche Art zurückschlagen.“3

Eine solche Haltung gegenüber der Sicherheitsbürokratie ist auf tragische Weise kurzsichtig. Die Verfassung sieht Institutionen vor, die Schutz vor unklugen politischen Entscheidungen gewählter Amtsträger bieten sollen – die Geheimdienste gehören nicht zu ihnen: Sie sind vertrauenswürdig aufgrund ihrer Expertise, aber vor allem deswegen, weil sie gewählten Funktionsträgern unterstellt und ihnen gegenüber verantwortlich sind. Löst sich diese Verbindung zu gewählten Politikern auf, erlischt auch ihre von der Verfassung verliehene Legitimität.

Wenn das geschieht, müssen die Sicherheitsorgane, um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren, ihre eigene, autonome Legitimität entwickeln und sich dafür um Rückhalt im gesamten politischen System bemühen. Das dürfte ihnen nicht allzu schwerfallen: Von den zwischen 1974 und 1995 geborenen US-Bürgern („Millennials“) halten es heutzutage nicht einmal 30 Prozent für wichtig, in einer Demokratie zu leben. Und bereits ein Sechstel der Bevölkerung fände es gut, wenn das Militär regieren würde.

Viele Leute verabscheuen Trump. Aber die Klischeevorstellung, in der Politik sei der Feind deines Feindes dein Freund, trifft auch in den USA nicht immer zu. Wer die Geheimdienste und Sicherheitsagenturen, die in den vergangenen Jahrzehnten ihre Macht wiederholt schwer missbraucht haben, für verlässliche Garanten der Bürgerrechte hält, lässt die jüngere Geschichte außen vor.

Einen wichtigen Teil dieser Geschichte hat der berühmte Untersuchungsausschuss des US-Senats dokumentiert, der 1976 unter dem Vorsitz des demokratischen Senators Frank Church einen Bericht über „die Aktivitäten der Geheimdienste und die Rechte der Amerikaner“ vorgelegt hat.4

In diesem Report werden Programme beschrieben, deren hollywoodartige Codenamen nicht über ihre Heimtücke hinwegtäuschen dürfen. Es handelte sich keineswegs um vereinzelte, einmalige Kapriolen von ein paar „lone cowboys“, die sich einen privaten Jux machen wollten, sondern vielmehr um bewusste und durchgeplante Opera­tio­nen der Sicherheitsagenturen, die bei den US-Bürgern das größte Vertrauen genossen. Auf Anweisung ihrer obersten Chefs praktizierten diese Dienste viele Jahre lang „ihre dunklen Künste gegen genau jene Leute, zu deren Schutz man sie gegründet hatte“, wie es der Geheimdienstexperte Loch Johnson formuliert hat.5

Diese Praktiken waren ein Vertrauensbruch gegenüber den Bürgern. Hier zeigte sich, wie leicht unsichtbar agierende Fanatiker die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit langsam und stillschweigend in Richtung Autokratie verschieben können. Wie korrumpierend die Ausübung absoluter Macht wirken kann, lässt sich anhand einiger warnender Beispielen aufzeigen.

In den 1960er und 1970er Jahren betrieb das FBI ein Programm namens „Cointelpro“, das die Aktivitäten angeblich „subversiver“ Organisationen und Personen aufdecken und beenden sollte. Im Visier war die Antikriegs- und Bürgerrechtsbewegung, die ihre verfassungsmäßigen Rechte wahrnahm. Damals hat das FBI religiöse Gruppen, Universitäten und Medien massenhaft unterwandert und zuweilen auch die Steuerfahnder der Bundesfinanzbehörde (IRS) auf sie angesetzt.

Diese Verleumdungskampagne ziel­te auf tausende Gruppen und Einzelpersonen, die zum Beispiel gegen den Vietnamkrieg oder für die Rechte von Minderheiten demonstrierten. Das FBI versuchte, die Gewaltbereitschaft innerhalb der afroamerikanischen Gruppen zu schüren und deren Anführer zu diskreditieren. Zudem verschickte es hunderte anonymer Briefe an Bürgerrechtskämpfer, darunter einen an Martin Luther King, der diesen in den Selbstmord treiben sollte – bevor er im Dezember 1964 den ihm verliehenen Friedensnobelpreis in Empfang nehmen konnte.

Nichts deutet darauf hin, dass Instanzen jenseits des FBI das rechtswidrige Cointelpro-Programm autorisiert hätten. Selbst der Vizedirektor des FBI sagte vor dem Church-Komitee, ihm sei keinerlei Diskussion über irgendwelche Aspekte dieses oder weiterer FBI-Sicherheitsprogramme zur Kenntnis gekommen.

Die CIA hatte ihr eigenes Programm der Inlandsspionage, das ebenfalls gegen die Antikriegsbewegung gerichtet war. Im Rahmen dieser „Opera­tion Chaos“ wurden 7200 Personen und mehr als 100 Organisationen überwacht, die aufgrund völlig legaler Aktivitäten auf die schwarze Liste kamen. Diesem Zweck diente auch die sogenannte Operation Lingual zur Überwachung internationaler Postsendungen. Jahr für Jahr wurden rechtswidrig tausende Briefe, die US-Bürger verschickt oder empfangen hatten, von der CIA geöffnet und mitgelesen.

„Operation Chaos“ lief über zwanzig Jahre. Keiner der für die Geheimdienstkontrolle zuständigen Kongress­ausschüsse hatte Kenntnis von diesen Aktivitäten, ja nicht einmal der Generalinspekteur, die innere Kontrollinstanz der CIA. 1970 erklärten die Chefs von CIA und FBI gegenüber Präsident Nixon, die „Operation Lingual“ sei eingestellt worden. Das stimmte nicht. Als Nixon seine Zustimmung zurückzog, wurde das Programm trotzdem fortgesetzt. Dass es gegen Gesetze verstieß, war dem CIA- wie dem FBI-Chef bewusst.

Nixon: „NSA, was ist das? Was machen die?“

Mit der „Operation Shamrock“ beschaffte sich der Auslandsgeheimdienst NSA (National Security Agency) die Kopien von Millionen Auslandstelegrammen. Dies war, befand der Church-Ausschuss, „wahrscheinlich das größte jemals durchgeführte staatliche Abfangprogramm zu Lasten von Amerikanern“. Es darf bezweifelt werden, dass je ein Präsident „Shamrock“ genehmigt oder auch nur darüber Bescheid gewusst hat.

Was Nixon betrifft, so war ihm vielleicht nicht einmal die Existenz der NSA bekannt. Als er im Mai 1973 den sogenannten Huston-Plan genehmigt hatte – eine großangelegte, von CIA, NSA und FBI koordinierte Spionageoperation gegen einheimische Oppositionelle –, wies ihn sein besorgter Anwalt darauf hin, dass die NSA damit illegalerweise gegen US-Bürger tätig wurde. Nixon antwortete mit der Frage: „NSA, was ist das? Was machen die?“

Die NSA betrieb noch ein zweites Programm namens „Minaret“. Bei 1500 Personen, die auf einer schwarzen Liste standen, wurde das Telefon abgehört, und zwar ohne richterliche Anordnung. Die gewonnenen Informationen gingen an die CIA, das FBI und andere Geheimdienste. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass man sich bei der NSA jemals Gedanken über die Legalität dieses Programms gemacht hätte.

Während des Vietnamkriegs war auch die US-Armee an den Überwachungsmaßnahmen beteiligt: Sie spio­nier­te Politiker, die Antikriegs- und Bürgerrechtsbewegung und Kirchenvertreter aus und gab die Informationen an FBI, CIA und lokale Polizeibehörden weiter.

Diese und andere Rechtsverstöße liegen schon etliche Jahre zurück. Deshalb argumentieren manche, so etwas würde nicht wieder vorkommen, weil die Geheimdienste heutzutage einer strengeren Aufsicht durch die Justiz wie durch den Kongress unterlägen. Aber wer genauer hinsieht, wie die Gerichte und die gewählten Volksvertreter ihre Aufsicht in nationalen Sicherheitsfragen tatsächlich ausüben, wird diese Zuversicht schnell aufgeben.

Zwar kommt es ab und zu vor, dass die Gerichte einschreiten. Zum Beispiel befand im Mai 2015 ein Berufungsgericht, dass eines der von Edward Snowden aufgedeckten Telefonüberwachungsprogramme illegal war. Aber die Anfechtung von nationalen Sicherheitsprogrammen lehnen die Gerichte fast immer aus verfahrensrechtlichen Gründen ab, ohne in der Sache zu entscheiden.

Ein typischer Fall war die Klage eines deutschen Staatsangehörigen, den die CIA 2004 in Mazedonien gekidnappt und anschließend nach Afghanistan geflogen hatte, wo er in einem CIA-Gefängnis brutal gefoltert wurde. Wie sich herausstellte, beruhte die Festnahme von Khaled El Masri auf einer Verwechslung. Nachdem die CIA ihn wieder freigelassen hatte, verklagte er die CIA in den USA.

Doch das Gericht ließ seine Klage nicht zu. Begründung: Bei einer Verhandlung würden Staatsgeheimnisse zur Sprache kommen.6 Anderen Klägern erging es ähnlich. Tatsächlich gibt es kaum Fälle, in denen ein Opfer vor einem US-Gericht dagegen klagen konnte, dass er von Agenten einer US-Antiterroreinheit schwer misshandelt worden ist; geschweige denn, dass Entschädigungen zugesprochen worden wären.

Nun wird behauptet, der Senat habe dann ja doch wieder politisches Rückgrat gezeigt, wie etwa der Folterbericht beweise, den der Geheimdienstausschuss des Senats im Dezember 2014 veröffentlicht hat.7 Darin wird festgestellt, die CIA habe den Kongress wie das Weiße Haus systematisch über den Umfang und die Art der „erweiterten Verhörtechniken“ getäuscht, die sie bei ihren Gefangenen anwandte.

Der Report machte aber weder den Versuch, über die Rechtmäßigkeit der Misshandlungen zu befinden noch die Verantwortlichen zu benennen. Und er empfahl auch keine Reformen, die eine Wiederholung verhindern könnten. Dafür enthält er aufschlussreiche Informationen: Zum Beispiel war dem Senatsausschuss nicht bekannt, dass die CIA geheime Gefängnisse in anderen Nato-Ländern (Polen, Litauen, Rumänien) eingerichtet hatte oder dass sie die Foltertechnik des „Waterboarding“ praktizierte und Videoaufzeichnungen von den Verhören vernichtet hatte. Und all das gegen die Anordnungen des Weißen Hauses.

In einer der vielen Fußnoten findet sich der Hinweis versteckt, dass dem Senatsausschuss der Zugang zu 9400 Dokumenten verweigert worden war, die er als relevantes Material für seine Ermittlungen angefordert hatte. Die Ausschussvorsitzende Dianne Feinstein bat Präsident Obama dreimal, die Dokumente zugänglich zu machen. Sie erhielt nie eine Antwort – worauf der Ausschuss die Forderung einfach fallen ließ. Weder lud er CIA-Leute vor noch gab es eine Strafandrohung wegen Missachtung des Ausschusses: So sieht sie aus, die schärfste Waffe des Kongresses.

Und diesen Sicherheitsagenturen sollen wir also vertrauen, weil angeblich sie die letzten echten Wächter der Freiheit Amerikas sind. Aber wie kann man im Ernst annehmen, dass diese Agenturen, wenn sie auf einen nationalen „Notstand“ verweisen können, nicht wieder ruckzuck zu ihren alten Methoden zurückkehren?

Die Verfassung verteilt die Staatsmacht auf Bundesebene auf drei Gewalten, damit die sich gegenseitig kontrollieren und kontrollieren lassen. Sie verleiht keiner nicht gewählten Bürokratie die Macht, diese drei Bereiche zu kontrollieren. Das großartige Prinzip der demokratischen Verantwortlichkeit, das die Grundstruktur der US-Verfassung ausmacht, setzt voraus, dass am Ende die Wähler entscheiden, wer die letzte Verantwortung trägt.

Als Präsident Trump dem FBI nach dem Schulmassaker in Parkland, Florida, schwere Versäumnisse vorwarf, lag die Frage nahe: Aber warum unternehmen Sie nichts, Mr. Trump? Schließlich arbeitet das FBI für die Exekutive, ist also keine unabhängige Behörde, sondern ein Teil des Justizministeriums. Es untersteht also in all seinen Funktionen dem Justizminister, und sein Direktor kann vom Präsidenten abberufen werden.

Als FBI-Direktor James Comey vor dem Senatsausschuss aussagte, Trump habe ihn gebeten, seinen Nationalen Sicherheitsberater Mike Flynn nicht zu hart anzufassen, gestand er aus gutem Grund ein, dass Trump dieses Recht durchaus zustehe. Seine Begründung: „In der Exekutive sind wir alle letztlich dem Präsidenten unterstellt.“

Natürlich ist in die Verfassungsordnung auch eine gewisse Kontrolle der Regierung eingebaut. Die Kontrolle durch eine unabhängige Justiz, die bestimmte Vergehen verfolgt – was allerdings der Kongress explizit per Gesetz festlegen muss –, verleiht der Verfassung zusätzliche Stabilität. Wenn jedoch gesetzmäßige Entscheidungen blockiert werden, die demokratisch gewählte politische Repräsentanten getroffen haben, wird diese Struktur untergraben. Eine vollständig unabhängige Staatsanwaltschaft ist, wie die absolute Unabhängigkeit in anderen Bereichen der Bürokratie, mit dem Prinzip demokratischer Verantwortlichkeit grundsätzlich unvereinbar.

Vor 200 Jahren haben die Verfassungsväter die Wirksamkeit der Checks and Balances überschätzt. Heute überschätzen viele US-Bürger die Wirksamkeit von Sonderermittlern. Doch damit unterschätzen sie zugleich die Gefahr, die entsteht, wenn die Autonomie von Bürokraten an die Stelle demokratischer Verantwortlichkeit tritt. Das mag zwar kurzfristig ein autoritäres Regime verhindern, aber die langfristigen Kosten dieses Paradigmawechsels haben sich historisch als katastrophal erwiesen. Denn wenn man die Verantwortlichkeit gegenüber den Wählern beseitigt, beseitigt man am Ende die Demokratie, die man gerade retten wollte.

1 Das „Saturday Night Massacre“ vom 20. Oktober 1973 war der Anlass für die Forderung nach einem Impeachment-Verfahren, dem Nixon am 10. August 1974 mit seinem Rücktritt zuvorkam.

2 Flynn musste bereits nach zwei Wochen wegen seiner (zunächst geleugneten) Kontakte zu russischen Kreisen zurücktreten. Comey hatte während des Präsidentschaftswahlkampfs auch Hillary Clinton offen vorgeworfen, sie sei mit geheimen Informationen „grob fahrlässig“ umgegangen. Siehe auch James Comey, „Größer als das Amt. Auf der Suche nach der Wahrheit – der Ex-FBI-Direktor klagt an“, München (Droe­mer Knaur) 2018.

3 The Rachel Maddow Show, MSNBC, 4. Januar 2017.

4 Siehe den Report des Senate Select Committee to Study Governmental Operations, „Intelligence Activities and the Rights of Americans“, Book II (1976), www.intelligence.senate.gov/sites/default/files/94755_II.pdf.

5 Loch K. Johnson, „Spy Watching: Intelligence Accountability in the United States“, Oxford (University Press) 2017, S. XI.

6 Die US-Gerichte beriefen sich dabei auf die von der damaligen Bush-Administration erfundene Doktrin vom „Staatsgeheimnis-Privileg“; demnach dürfen Fälle, die Belange der nationalen Sicherheit berühren, nicht vor Gericht verhandelt werden. Der Supreme Court ist dieser Rechtsauffassung gefolgt. Siehe den Bericht in der New York Times, 10. Oktober 2007; und Giulietto Chiesa, „CIA im rechtsfreien Luftraum über Europa“, Le Monde diplomatique, August 2006.

7 Senate Select Committee on Intelligence, „Study on CIA Detention and Interrogation Program“ (2014), www.feinstein.senate.gov/public/index.cfm/senate-intelligence-committee-study-on-cia-detention-and-interrogation-program.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke

Michael J. Glennon ist Professor an der Fletcher School of Law and Diplomacy der Tufts University (Medford, Massachusetts) und Autor von „National Security and Double Government“, Oxford (University Press) 2014.

Le Monde diplomatique vom 12.07.2018, von Michael J. Glennon