12.04.2018

Katholiken gegen Kabila

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Katholiken gegen Kabila

In der Demokratischen Republik Kongo führen Bischöfe die politische Opposition an

von François Misser

Von der Kirche organisierte Anti-Kabila-Proteste, Kinshasa, 21. Januar 2018 KENNY KATOMBE/reuters
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Seine Amtszeit endete offiziell am 31. Dezember 2016, und trotzdem amtiert Joseph Kabila weiter als Präsident der Demokratischen Republik Kongo. Zweimal schon hat er die fälligen Neuwahlen verschoben, ungeachtet der an Silvester 2016 erzielten Vereinbarung zwischen Regierung und Opposition, die einen Fahrplan für Wahlen bis Ende 2017 vorsah.

Am 4. Oktober 2016 begründete der Staatschef eine erste Verschiebung damit, dass 10 Millionen Erstwähler nicht registriert seien. Am 7. Juli 2017 kündigte der Vorsitzende der „unabhängigen“ Wahlkommission Ceni, Corneille Nangaa, einer von Kabilas Handlangern, eine erneute Verschiebung an – wegen der schlechten Sicherheitslage in mehreren Provinzen. Die Opposition sprach von Manipulation und erinnerte daran, dass die Gewalt in der Region vor allem nach der Ermordung von Jean-Prince Mpandi eskaliert sei. Sicherheitskräfte hatten den Clanchef am 12. August 2016 erschossen.

Auf Initiative des Laienverbands der katholischen Kirche (CLC) kam es daraufhin in der Hauptstadt Kinshasa und anderen Städten zu einer breiten Mobilisierung. Mehrfach wurden Gläubige aufgefordert, nach der Messe friedlich auf die Straße zu gehen, um Wahlen einzufordern. Am 21. Januar 2018 schwenkten Demonstranten Banner mit der Aufschrift: „Wir, die gläubigen Christen, fordern die volle Umsetzung der Silvester-Vereinbarung vom 31. Dezember 2016.“

Viele oppositionelle Vereine im Kongo haben sich in den vergangenen zwei Jahren über die sozialen Netzwerke organisiert.1 Doch es sind die Katholiken, die zur letzten Hoffnung der Kongolesen geworden sind. Die katholische Kirche, die bei der Silvester-Vereinbarung 2016 als Vermittlerin fungiert hatte, fühlt sich von Kabila betrogen. Sie ersetzt zunehmend die durch Spaltungen und den Tod ihres langjährigen Anführers Étienne Tshisekedi im Februar 2017 geschwächte Opposition, deren letzte Aufrufe zum Generalstreik kläglich gescheitert waren.

Mindestens die Hälfte der Bevölkerung des Kongo gehört der katholischen Kirche an. Deren besondere Rolle rührt daher, dass sie dank ihrer Pfarreien, Gemeindearbeit, Basisgemeinden und Laienbewegung eine der letzten Institutionen ist, die unabhängig agiert und das Vertrauen der Bevölkerung genießt. Der frühere Führer der protestantischen Hauptkirche ­Église du Christ du Congo, Bischof ­Pierre Marini Bodho, hingegen sitzt für die Kabila-Partei im Senat. Zahlreiche Protestanten, Kimbanguisten2 oder Mitglieder obskurer „Erweckungskirchen“ nehmen nun an den von Katholiken ini­ti­ier­ten Demonstrationen teil.

Die katholische Bischofskonferenz (Cenco) und die von ihr eingerichtete Kommission für Gerechtigkeit und Frieden kritisieren auch die Plünderung der Rohstoffvorkommen, die Knebelverträge im Bergbau und die Umweltverschmutzung. Fulgence Muteba, Bischof von Kilwa Kasenga in der Provinz Katanga, verurteilt den Schmuggel mit Rosenholz, an dem offenbar Mitglieder der Präsidentenfamilie beteiligt sind. Dabei beruft er sich auf die Enzyklika „Laudato si!“, in der Papst Franziskus bekräftigt: „Die Erde zu verletzen heißt, sich gegen sich selbst zu versündigen.“ Außerdem konnten Wahlbeobachter der Cenco 2011 belegen, das die Wiederwahl des seit 2001 amtierenden Kabila manipuliert worden war. Auch dies zeugte von einer Unabhängigkeit der Kirche, die in der Geschichte des Landes nicht selbstverständlich war.

Im 16. Jahrhundert war der Katholizismus durch portugiesische Jesuiten auf das Gebiet des heutigen Kongo gelangt. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Kirche eine der Säulen der kolo­nia­len Dreifaltigkeit in Belgisch-Kongo, neben der belgischen Verwaltung und den von der Kolonialmacht konzessionierten Privatunternehmen. Nach der Unabhängigkeit spielte die katholische Kirche eine eher konservative Rolle, in Opposition zu Patrice Lumumba, der die „Sünde“ begangen hatte, um sowjetische Hilfe zu bitten. Noch im Jahr 1985 zeigte die päpstliche Seligsprechung der Nonne Marie-Clémentine Anuarite Nengapeta, die 1964 in den Händen lumumbistischer Simba-Rebellen den „Märtyrertod“ erlitten hatte, dass ein Teil der katholischen Hierarchie in Kongo im Kalten Krieg stehen geblieben war.

Allmählich aber wandte sich die Kirche von Joseph-Désiré Mobutu, Präsident von 1965 bis 1997, und der von ihm erfundenen Ideologie der „Authentizität“ ab. Mobutus proklamierte Rückkehr zu den vorkolonialen Wurzeln führte Anfang der 1970er Jahre dazu, dass alle christlichen Vornamen aus den Melderegistern getilgt werden mussten. Der Bruch zwischen dem Staat und den Katholiken war damit eine Frage der Zeit. Allerdings war die Kirche des damaligen Zaire auch nicht immer eine gefügige Schülerin Roms. Sie beanspruchte eine eigene afrikanische Identität, etwa indem sie das zairische Ritual der getanzten Messe entwickelte, das Rom erst 1986 anerkannte.

Hunger nach Brot und gutem Regieren

Im Verlauf von Mobutus Diktatur vergrößerte sich der Riss. Auf Initiative der Basisgemeinden, die für die Theologie der Befreiung aufgeschlossen sind, machte sich die Kirchenführung die Forderung nach mehr Freiheit und Gerechtigkeit zu eigen. 1978 erschien „Wege der Befreiung“ von Martin Bakole, in dem sich der Erzbischof von Kananga mit dem Mobutu-Regime, der Rolle der Kirche während der Kolonialzeit und dem Wirtschaftsmodell des Landes kritisch auseinandersetzt.3 José Mpundu, Pfarrer und Gründer der Amos-Gruppe, die sich für gewaltlosen Widerstand gegen Menschenrechtsverletzungen einsetzt, ist ein weiterer wichtiger Vertreter dieser Strömung. Aber die Entwicklung war keineswegs einheitlich. So genoss der Katholik Mobutu (im Gegensatz zum Protestanten Kabila) noch lange die Unterstützung der kirchlichen Würdenträger seiner Heimatregion Équateur.4

Am Ende waren es aber die katholischen Bischöfe, die Mobutus Regime den Todesstoß versetzten. Ihr Memorandum vom 9. März 1990 war eine Majestätsbeleidigung. Es konstatierte – entgegen dem damaligen Ein­par­teien­system –, „die Partei ist nicht die Nation“, und forderte, „alle notwendigen rechtlichen Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass eine Minderheit oder eine kleine Gruppe die Macht an sich reißt und allein zum eigenen Vorteil ausübt“.

Einen Monat später kündigte Mobutu die Einführung eines Mehr­par­teien­systems an. Der Erzbischof von Ki­san­gani, Laurent Monsengwo, leitete die Souveräne Nationalkonferenz von 1990 bis 1992, die die Demokratisierung einleiten sollte. Mobutus Versuch, die Konferenz zu beenden, provozierte am 16. Februar 1992 einen Marsch der Christen, der blutig unterdrückt wurde. Angesichts eines Sturms der Empörung sahen sich die Behörden gezwungen, die Wiedereröffnung der Konferenz zu erlauben. Dies trug zu einem Klima bei, in dem der Sturz des Regimes nur noch eine Frage der Zeit schien.

Die katholische Kirche war in der Spätphase Mobutus nicht nur eine kritische Stimme gegen das herrschende „Schmarotzertum“. Sie war damals wie in späteren Bürgerkriegszeiten auch die einzige Institution, die in der Gesellschaft Aufgaben übernahm, aus denen der Staat sich vollständig zurückgezogen hatte, vor allem im Bildungs- und Gesundheitsbereich, und sogar nach dem Bankrott des Bankensystems die Rolle der Sparkassen übernahm.

Dazu gehörte auch der Versuch der Bischofskonferenz von 2016, eine Vereinbarung über Wahlen auszuhandeln. Läutet die Unterdrückung der katholischen Demonstrationen, die seit dem Scheitern der Vereinbarung Ende 2017 stattfinden, nun auch das Ende von Kabila ein? Die Empörung über die Schändung von Gotteshäusern und die Verhaftung von Messdienern hat zu einer Welle der Solidarität innerhalb der Weltkirche geführt. In der Vorstellung der Christen im Kongo und anderswo übernimmt das Staatsoberhaupt die Rolle des Herodes oder des Pharaos, der das auserwählte Volk daran hindert, ins gelobte Land der Demokratie zu ziehen. Diese Analogien mögen überzeichnet sein, doch wenn sie von Millionen als Realität wahrgenommen werden, werden sie lebendig und „machen“ Politik.

In der Demokratischen Republik Kongo kommt es derzeit zu einer modernen Variante der Kreuzzüge. Für die Aktivisten ist es nicht mehr nur Bürgerpflicht, sondern auch religiöse Verpflichtung, Kabila zum Rücktritt zu bewegen. In seiner Rede vom 2. Januar meldete sich der inzwischen 78-jährige und zum Kardinal aufgestiegene Monsengwo als Mahner zurück: „Es ist höchste Zeit, dass die Wahrheit über systemische Lügen siegt, dass die Mittelmäßigen sich zurückziehen und dass Frieden und Gerechtigkeit in der Demokratischen Republik Kongo herrsche.“ Er verurteilte all diejenigen, die „die Religionsfreiheit, die die Grundlage aller Freiheiten ist, mit Füßen treten“, sowie die „Barbarei“ der „sogenannten tapferen Männer in Uniform“.

In einem Brief an die Bischöfe vom 5. Januar unterstrich der Apostolische Nuntius Luis Mariano Montemayor, ein Vertrauter des Papstes, „die breite Unterstützung für die Kundgebungen vom 31. Dezember“. Die Würdenträger sollten sich auf Zulauf zu künftigen Demonstrationen einrichten.

Kurz darauf rief die Laienorganisation CLC zum „ausdauernden Wider­stand“ auf. Am 8. Januar 2018 begann die Erzdiözese Bukavu mit einer Gebetsreihe für freie und transparente Wahlen. Im ganzen Land läuteten die Pfarrer jeden Donnerstag um 21 Uhr die Glocken, um die Einhaltung der Silvester-Vereinbarung zu fordern. Immer mehr Menschen unterstützten die Proteste. Seit der ersten Kundgebung vom 31. Dezember 2017 kamen zu den Katholiken auch Demonstranten anderer Religionen oder Konfessionen hinzu.

Die kongolesische Kirche ist zweifellos das Flaggschiff des Katholizismus in Afrika, doch ist sie nicht die einzige katholische Kirche, die eine wichtige politische Rolle auf dem Kontinent spielt. So verfügte die katholische Kirche in Ruanda früher über beträchtlichen Einfluss – und unternahm 1994 nichts gegen den Völkermord an den Tutsi, weil die Kirchenspitze mit den Präsidenten Grégoire Kayibanda und Juvénal Habyarimana, beide Vorreiter der Ideologie der Hutu-Vorherrschaft, unter einer Decke steckte. Und als in Burundi Missionare vertrieben und die religiösen Basisgemeinschaften (Inama Sahwanya), die die Diskriminierung der Hutu-Mehrheit durch das Tutsi-Regime kritisiert hatten, verfolgt wurden, führte das mit zum Staatsstreich von Major Pierre Buyoya im Jahr 1987.

In mehreren Ländern Afrikas hat die katholische Kirche mit Nationalkonferenzen das Ende von Ein­par­teien­sys­temen eingeläutet. Die erste fand 1990 in Benin unter Vorsitz von Erzbischof Isidore de Souza statt. In Burkina Faso machte sich Kardinal Phi­lippe Ouédraogo 2014 für die Einhaltung der Verfassung stark, die dem Langzeitherrscher Blaise Compaoré eine erneute Kandidatur untersagte. Compaoré wurde wenig später durch einen Volksaufstand gestürzt (siehe den Artikel auf Seite 16/17). Im Senegal engagierte sich Kardinal Théodore-Adrien Sarr für den Frieden in der Region Casamance, während in Nigeria Kardinal Anthony Olubunmi Okogie 2016 den „Hunger der Menschen nach Brot und guter Regierung“ aufgriff.

Dreißig Jahre zuvor war in Südafrika der Dominikaner Albert Nolan gemeinsam mit evangelischen Pastoren Urheber des 1985 veröffentlichten Kairo-Dokuments, eines mächtigen theologischen Instruments im Kampf gegen die Apartheid. Es verkündete die prophetische Botschaft des Evangeliums gegen den Machtmissbrauch Cäsars – genau wie es die kongolesischen Katholiken heute tun.

1 Siehe Sabine Cessou, „Countdown in Kinshasa“, Le Monde diplomatique, Dezember 2016.

2 Eine 1921 von Simon Kimbangu, der von den belgischen Kolonialherren zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, gegründete Kirche mit mehreren Millionen Mitgliedern in Kongo. Bis 2004 gehörte sie dem (mehrheitlich protestantisch geprägten) Weltkirchenrat an.

3 Bakole wa Ilunga, „Chemins de libération“, Zaire (Éditions de l’archidiocèse de Kananga) 1978.

4 Ignace Ndongala Maduku, „Religion et politique en RD-Congo. Marches des chrétiens et paroles des évêques catholiques sur les élections“, Paris (Karthala) 2016.

Aus dem Französischen von Nicola Liebert

François Misser ist ein belgischer Journalist.

Le Monde diplomatique vom 12.04.2018, von François Misser