12.04.2018

Australien wird chinesischer

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Australien wird chinesischer

Mit Investitionen in Farmen, Wohnungen und Politiker schafft das Kapital aus China Fakten

von Urs Wälterlin

Der Große Sprung nach Down Under DANIEL MUNOZ/reuters
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Es war ein ungewöhnliches Ende für die Karriere eines ungewöhnlichen Politikers. „Ich habe mich immer korrekt verhalten, ich bin ein patriotischer und aufrechter Australier“, sagte Sam Dastyari bei seinem Rückzug aus dem Senat im Dezember 2017. Der gebürtige Iraner, der als Kind nach Australien kam, war ein Hoffnungsträger für viele muslimische Australier gewesen, als er im Jahr 2013 als 30-Jähriger für New South Wales in den Senat einzog. Doch dann hieß es auf einmal, Dastyari sei ein „Agent des Einflusses“ Chinas. Verdächtig oft hatte der Labor-Politiker China im Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer verteidigt. Zudem soll er einem australisch-chinesischen Unternehmer verraten haben, dass er vom Inlandsgeheimdienst abgehört wird.

Für Experten kamen die Enthüllungen wenig überraschend. „Natürlich können sie unsere Telefone abhören, Computer hacken, E-Mails lesen, Nachrichten ent- und verschlüsseln. Aber in Wahrheit wollen sie den direkten Draht zur politischen Führung“, sagt beispielsweise der Exgeheimdienstagent Mark Myers (Name geändert). Dastyari sei ein idealer Kandidat gewesen: „Ein Mann mit einem starken Bedürfnis nach Anerkennung. Einer, der sich beeindrucken lässt von Einladungen, Geschenken – und von Chinas spektakulärem Wirtschaftswachstum.“

Die Stadt Darwin in Nordaustralien ist eher bekannt als Ausgangspunkt für Ausflüge in den Kakadu-Nationalparks denn als Front in einem neuen Kalten Krieg. Doch wer am Ende eines Tages unter tropischer Sonne in einer der vielen Bars ein Bier genießt, dem werden bald die muskulösen jungen Männer mit Kurzhaarschnitt und US-Slang auffallen. Seit einigen Jahren und trotz anfänglicher Proteste aus Peking schicken die USA immer mehr Marinesoldaten nach Nordaustralien. Die Elitekrieger sind Teil des „Gürtels aus Stahl“, mit dem sich die USA und ihre Verbündeten gegen Chinas vermeintliche Expansion abzuschirmen versuchen.

Seit dem Pazifikpakt von 1952 gehört Canberra zu Washingtons treuesten Verbündeten. Australiens früherer Premierminister John Howard hatte sein Land einmal als „Hilfssheriff“ der USA im Pazifik bezeichnet, und dabei dürfte es laut einem jüngst veröffentlichten Weißbuch der Regierung auch bleiben. Als militärische und ökonomische Großmacht werde China für Australien zwar immer wichtiger, doch das Bündnis mit den USA sei unverbrüchlich. Washington werde auch in Zukunft seine schützende Hand über Australien halten.

Nicht alle Experten finden diese Haltung sinnvoll, erst recht, seit in Washington der unberechenbare Donald Trump regiert. Hugh White, ehemaliger Analyst beim australischen Geheimdienst Office of National Assessment (ONA) und Professor für Verteidigungsstrategie an der Australian National University in Canberra, kritisiert schon seit Jahren die angebliche USA-Hörigkeit australischer Politiker. Was sich zwischen Washington und Peking seit gut zwei Jahrzehnten abspiele, sei „Machtpolitik der härtesten Art“. Und Australien stehe dazwischen. White glaubt zu wissen, wie es enden wird: „Die USA werden verlieren, China wird gewinnen.“ Die Frage sei nur, auf welche Seite sich Australien schlägt.

Was die Wirtschaft angeht, hat sich Australien längst entschieden – für China. Ob Kohle oder Eisenerz, das Wachstum der Volksrepublik bescherte Aus­tra­lien einen Rohstoffboom. Außerdem ist China der wichtigste Abnehmer australischer Exporte, nicht zuletzt von Agrarprodukten. Chinesische Verbraucher schätzen nicht nur Butter, Fleisch und Milchpulver „made in Australia“, auch der Wein kommt gut an. China ist der wichtigste Einzelabnehmer von Shiraz und Chardonnay, vor fünf Jahren war das noch Großbritannien.

Während die chinesische Nachfrage nach mineralischen Rohstoffen in den letzten fünf Jahren wieder etwas zurückgegangen ist, legen chinesische Direktinvestitionen in Australien zu. Zwar sind die USA immer noch der größte Investor und China steht auf Platz sieben. Doch chinesische Anleger pumpen – anscheinend oft mit Unterstützung der KP – Milliarden Dollar ins Land.

Seit Jahren fließen große Teile dieses Geldes in den Hauskauf, weshalb der Immobilienmarkt in allen australischen Großstädten inzwischen dramatisch überhitzt ist. Nach Angaben der US-Finanzdienstleistungsfirma CoreLogic sind die Preise in Sydney seit der Finanzkrise 2008 um 98 Prozent gestiegen, in Melbourne um 84 Prozent. Laut Credit Suisse gehen im Bundesstaat New South Wales (NSW) ein Viertel der Neubauten an ausländische Käufer, 87 Prozent davon sind Chinesen. Dass Australier gegen die finanzstarken Bieter aus Fernost oft keine Chance haben, sorgt in der Bevölkerung für wachsenden Unmut. Als normal verdienende Familie kann man sich inzwischen keine Wohnung mehr in einer Großstadt kaufen. Australien, das bis vor zwei Jahrzehnten noch zu den OECD-Spitzenreitern bei selbst genutztem Wohneigentum gehörte, entwickelt sich zu einem Kontinent der Mieter.

Rechtspopulisten warnen vor dem Ausverkauf der Heimat

Selbst nachdem die NSW-Regierung die Grunderwerbssteuern für ausländische Käufer auf das Doppelte anhob, ließ das Interesse chinesischer Millionäre an einer Zweitwohnung in Sydney kaum nach. Daneben investieren ­Chinas Großanleger auch in Rinderfarmen, Molkereien, Getreidesilos, Schlacht­höfe und Verladehäfen. Zwischen 2016 und 2017 sind die Agrar­inves­ti­tio­nen chinesischer Anleger von 300 Millionen auf rund 1 Milliarde US-Dollar gestiegen. Von den ausländischen Unternehmen halten zwar nach wie vor die britischen den größten Anteil an Agrarland. Aber chinesische Investoren holen auf. 2017 kontrollierten sie 14 Millionen Hektar beziehungsweise 2,5 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Australiens.

Ihre Farmen sind den Australiern allerdings heilig. Bei einer Umfrage des Lowy Institute sprachen sich 2016 über 80 Prozent der Befragten prinzipiell gegen die ausländische Übernahme von Agrarland aus. Meinungsforscher stellen immer wieder fest, dass vor allem weiße Australier ein gespaltenes Verhältnis zu China haben. Man schätze zwar die ökonomischen Vorteile, fürchte aber zugleich die Dominanz, meinte der frühere Premierminister Tony Abbott einmal. „Habgier und Angst“ – so nannte er diese ambivalente Haltung.

Die Unsicherheit machen sich rechtspopulistische Parteien wie One Nation zunutze. Sie warnen vor einem vermeintlichen „Ausverkauf der Heimat“, ihre fremdenfeindliche Sprüche kommen gut an. Die Abneigung ist aber nicht neu. Schon 1850, in Zeiten des großen Goldrauschs, wurden die asiatischen „Eindringlinge“ von den Glückssuchern aus Europa zeitweise regelrecht verfolgt. Die wahre Ursache für die Antipathie war nicht selten Neid. Denn die Chinesen arbeiteten nicht nur Tag und Nacht und wurden deshalb oft fündig. Sie entwickelten auch rentable Nebengeschäfte mit dem Anbau von Gemüse oder dem Verkauf von Werkzeug und anderen Gegenständen.

Heute sind 5,6 Prozent der Austra­lier – 1,2 Millionen – chinesischer Herkunft. Neben den überdurchschnittlich qualifizierten Einwanderern kommen tausende Studierende aus der Volksrepublik. Sie alle nehmen, so die Einschätzung vieler Experten, Einfluss auf die öffentliche Meinung in Australien. Laut Clive Hamilton vom Australia Institute werden dutzende chinesische Gemeinde- und Studentenorganisationen in Australien vom United Front Department der KP in Peking gesteuert. Diese von Deng Xiaoping 1979 wiederbelebte Parteiorganisation arbeitet auf Anweisung des ZK an der Beeinflussung von Einzelpersonen im In- und Ausland.

Das Department pflegt Kontakte mit einflussreichen Organisationen und Personen aus Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft, „inklusive der Rekrutierung von Agenten aus der chinesischen Diaspora“. Den Ablauf haben die Kanadier Fabrice de Pierrebourg und Michael Juneau-Katsuya bereits vor Jahren ausführlich beschrieben.1 Mit seiner aktuellen Untersuchung bestätigt auch Clive Hamilton, wovor der damalige Geheimdienstchef des chinesischen Konsulats in Sydney schon 2005 warnte, nachdem er sich in den Westen abgesetzt hatte. In seinem Buch „Silent Invasion: How China Is Turning Australia into a Puppet State“2 zählt Hamilton 37 Studenten- und Akademikerorganisationen, über die Peking Einfluss auf Australiens Universitäten ausübt.

Aus einer Eingabe an das australische Parlament, die Hamilton in seinem Buch zitiert, geht hervor, dass auch Australiens Wirtschaft für den wachsenden Einfluss Pekings verantwortlich ist. Sie ermögliche chinesischen Organisationen, enge persönliche Beziehungen zu australischen Geschäftsleuten aufzubauen und deren Einstellung in eine Richtung zu drängen, die den Interessen der KP diene. Ziel der Bemühungen sei es, das Verständnis für das Denken und die Politik Chinas zu fördern.

Der Skandal um Dastyari hat die konservative Regierung aufgerüttelt. In Canberra wird eine Gesetzesvorlage diskutiert, die unter anderem die Unterstützung von Parteien und Aktivistengruppen durch Ausländer beschränken soll. Den Journalistenverbänden und Verlagen geht die Vorlage allerdings zu weit, weil man allein durch den Besitz gewisser Informationen in Konflikt mit dem Gesetzgeber geraten könnte, was die unabhängige, kritische Berichterstattung gefährde. Deshalb hegen manche sogar den Verdacht, dass das Gesetz in Wahrheit dem Zweck dient, legitimer Kritik Steine in den Weg zu legen. So verweist Paul Oosting von der Gruppe GetUp! auf den deutlichen Mehraufwand, den das neue Gesetz für die Verwaltung von Spendengeldern verlangt – und den sich kleine Organisationen nicht leisten könnten.

Spenden chinesischer Geschäftsleuten – auch solchen mit offensichtlichen Verbindungen zur KPCh – sind für die beiden großen Parteien sowie für einzelne Politiker längst zu einer wichtigen Geldquelle geworden. Derartige Zahlungen sind legal, solange sie eine bestimmte Summe nicht überschreiten und vorschriftsgemäß deklariert werden. Wobei es natürlich Mittel und Wege gibt, die Regeln zu umgehen.

Für manche Beobachter kommt die ganze Debatte ohnehin zu spät. Schließlich habe China seinen Einfluss auf die politische und wirtschaftliche Elite Australiens schon seit Jahren ausgebaut. Inzwischen vertreten mehrere ehemalige australische Spitzenpolitiker Chinas Interessen. So steht etwa der frühere sozialdemokratische Außenminister Bob Carr als Vorsitzender des chinafreundlichen Thinktanks Australia China Relations Institute (Acri) auf der Liste der Peking-Lobbyisten.

Prominentestes Beispiel ist der ehemalige Handelsminister Andrew Robb. Kurz nach der Unterzeichnung eines bilateralen Handelsabkommens mit China war der Konservative von seinem Amt zurückgetreten – um wenig später als Berater in Pekings Dienste zu treten. Laut einem Brief, der australischen Gerichten vorliegt, bekommt er dafür pro Jahr umgerechnet mehr als eine halbe Million Euro. Seither kämpft der Exminister vehement gegen die Pläne der Regierung, den Einfluss ausländischer Interessen auf Australiens Politik und Wirtschaft zu unterbinden.

1 „Nest of Spies: The startling truth about foreign agents at work within Canada’s borders“, Toronto (Harper Collins Canada) 2009.

2 Das Erscheinen des Buchs war vom Verlag Allen & Unwin für Herbst 2017 angekündigt. Der Verlag verschob die Veröffentlichung aber, offenbar aus Angst vor Ärger mit Peking; siehe: Jaqueline Williams, „Australian Furor Over Chinese Influence Follows Book’s Delay“, The New York Times, 20. November 2017.

Urs Wälterlin ist Australien-Korrespondent für deutschsprachige Medien in Sydney.

© Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 12.04.2018, von Urs Wälterlin