11.01.2018

Vor der Insel Iki

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Vor der Insel Iki

Japanische Fischer kämpfen für den Blauflossenthunfisch

von Yuta Yagishita

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Wenn er über den größten Thunfisch spricht, den er je gefangen hat, wird der 49-jährige Minoru Nakamura ganz ernst: „Er wog 319 Kilo“, erzählt er mit dem singenden Akzent der Insel Iki, die auf halber Strecke zwischen der koreanischen Halbinsel und der Stadt Fukuoka im Süden Japans liegt. „Er war so groß, dass ich ihn nicht in mein Boot bekam. Ich musste ihn ans Heck binden.“

Da so große Fische selten gefangen werden, kam Nakamura damit auf die Titelseite der Lokalzeitung. Auf dem Foto von 2013 sieht man ihn stolz lächelnd neben einem riesigen, silbrigen Thun von 2,7 Metern Länge, der von einem Kran herabhängt.

Trotz dieses enormen Fangs geriet Nakamura nicht aus dem Häuschen; das prekäre Leben der unabhängigen Fischer hatte ihn Demut gelehrt. „Ich habe auch schon zweieinhalb Monate lang gar nichts gefangen“, sagte er damals. Trotzdem ahnte er wohl kaum, dass dies einer der letzten Blauflossenthunfische über 300 Kilo war, die vor Iki gefangen wurden.

Auf der 130 Quadratkilometer großen subtropischen Insel mit 27 000 Einwohnern gibt es grüne Hügel, wogende Reisfelder, heiße Wasserquellen und Strände mit weißem Sand. Doch die Fischer fürchten um ihre Existenz. Die Bestände des von Sushi-Fans geschätzten Pazifischen Blauflossenthunfischs sind eingebrochen. 2005 wurden noch 358 Tonnen gefangen, 2014 waren es weniger als 23 Tonnen. „In unserem Meer gibt es keine Fische mehr“, klagen die Fischer vor Ort. „Erst sind die kleinen zwischen drei und vier Kilo verschwunden, dann die größeren. Und jetzt ist gar nichts mehr da“, sagt Nakamura.

Gemeinsam mit seinen Kollegen alarmierte er mehrfach die Fischereiagentur, die dem Landwirtschafts- und Ernährungsministerium unterstellt ist. Doch die Behörde betrachtet den Rückgang lediglich als Folge des Klimawandels. „Sie haben mir gesagt, die Fische seien zur Koreanischen Halbinsel abgewandert, wo wir nicht fischen dürfen“, erzählt Nakamura, der kein Wort davon glaubt.

Die Fischer sehen die Ursache eher bei den großen Thunfischfängern. Die gehören mächtigen Fischereikonzernen wie Nippon Suisan Kaisha, der 11 000 Mitarbeiter beschäftigt, und laufen vom Hafen Sakaiminato aus, 400 Kilometer westlich von Iki. 2004 begannen die Konzerne mit der Jagd auf erwachsene Thunfische im Japanischen Meer – zur selben Zeit gingen die Fänge der Fischer von Iki zurück.

Die Industrieschiffe spüren die Thunfischschwärme per Echolot auf und kreisen sie mit einer Ringwade ein, einem bis zu 2000 Meter langen Netz. Damit können sie auf einen Schlag bis zu 50 Tonnen fangen; in der Hauptfangsaison im Juni und Juli kommen sie insgesamt auf 1500 Tonnen. In derselben Zeit schaffen die Fischer von Iki selten mehr als 1200 Kilo pro Monat und Boot. Dem Internationalen Wissenschaftlichen Komitee für Thunfisch im Nordpazifik (ISC) zufolge wurden in den letzten 30 Jahren fast 60 Prozent des japanischen Thunfischfangs mit Ringwaden erzielt.

Die meisten Pazifischen Blauflossenthunfische versammeln sich nämlich im Sommer im Japanischen Meer, um dort zu laichen. Die Spezies kennt überhaupt nur zwei Fortpflanzungsorte, der zweite ist die nördliche Philippinensee. Das erleichtert den Industriefischern von Sakaiminato die Arbeit – sie müssen mit ihren Ringwaden nur auf die Fische warten.

Auch Wissenschaftler sehen in dieser Fangmethode den Grund für den starken Rückgang der Bestände. „Wenn man Thunfische in der Fortpflanzungszeit massenhaft fängt, schadet das der Art besonders“, erklärt Toshio Katsukawa von der Meeresforschungsuniversität in Tokio. „Das ist das Gegenteil nachhaltiger Fischerei. Wenn sie so weitermachen, bricht der industrielle Fischfang in der Region zusammen. Der Staat muss diese Fangmethode verbieten.“

Der Rückgang der Bestände ist für den gesamten Pazifikraum nachgewiesen. 2012 waren weniger als 6 Prozent der Fische geschlechtsreif, das heißt zwischen 3 und 5 Jahren alt,1 und 2016 waren es gerade noch 2,6 Prozent. Da drei Viertel der Fänge von Pazifischem Blauflossenthunfisch auf das Konto von Japan gehen, haben Umweltorganisationen und die internationale Gemeinschaft das Land inzwischen aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um den Rückgang zu stoppen.

Beim Treffen der Fischereikommission für den West- und Zentralpazifik (WCPFC), die seit 2004 für den Schutz der wandernden Fischbestände in der Region zuständig ist, haben die Pazifik­anrainerstaaten 2014 ein Abkommen zur Fangbegrenzung geschlossen. Seitdem muss jedes Land eine bestimmte Quote einhalten. Japan, der größte Konsument, versprach, seine Fänge im Vergleich zu den Jahren 2002 bis 2004 zu halbieren: auf 4007 Tonnen Thunfische unter 30 Kilo und 4882 Tonnen größerer Exemplare.

Fischfang mit Echolot und Riesennetzen

Die Weltnaturschutzunion IUCN stufte unterdessen den Pazifischen Blauflossenthunfisch auf der Roten Liste der gefährdeten Arten als „gefährdet“ ein und erklärte, es seien „wirksamere Maßnahmen zur Erhaltung“ nötig, um „einen ausreichenden Bestand an fortpflanzungsfähigen Fischen wiederherzustellen“.2

Die 314 Fischer auf Iki kämpfen auf ihre Weise um den Fisch. Ende 2013 gründeten sie den Verein „Schützen wir die Thunfischbestände im Meer von Iki“, Minoru Nakamura ist der Vorsitzende. Sie beschlossen, bis 2017 freiwillig auf den Thunfischfang im Juni und Juli zu verzichten. „Das Ziel war, Druck auf die Fischereibehörde auszuüben, damit sie in der Laichsaison ein allgemeines Fangverbot verhängt“, erläutert Vereinsmitglied Tominaga To­mo­kazu. „Wir wollten den Leuten klarmachen: Wenn sie weiterhin so viel Thunfisch verbrauchen, können sie bald gar keinen mehr essen“, sagt ein anderer. Nakamuras Team arbeitet mit den Fischern in anderen Regionen zusammen, organisiert runde Tische und führt Verhandlungen mit Behörden und Unternehmen in Sakaiminato. 2016 kamen sie in die Endrunde der Seafood Champions Awards, die ein internationaler Umweltgipfel für Bemühungen zur Erhaltung maritimer Ökosysteme vergibt.

Erreicht haben sie trotzdem nichts. Bis heute fahren die Ringwadenschiffe aus Sakaiminato durchs Japanische Meer, direkt vor der Nase der Fischer von Iki. Und weil die Fangmethode in der neuen Quotenregelung keine Rolle spielt, müssen die traditionellen Fischer von Iki prozentual dieselben Quoten einhalten wie die Industriefischer – was weder logisch noch gerecht ist. „Warum müssen wir unsere Fänge im gleichen Maß reduzieren wie die Fischer aus Sakaiminato, obwohl wir viel weniger fangen und sie eigentlich viel mehr Anstrengungen unternehmen müssten?“, fragt Nakamura.

Zu allem Überfluss verschleudern die Konzerne den Thunfisch für 1000 Yen (8 Euro) pro Kilo. Während der Laichsaison ist es allerdings tatsächlich schwierig, den Thunfisch teuer zu verkaufen, weil er dann weniger fett ist. Bei den Versteigerungen auf dem berühmten Fischmarkt von Tsukiji in Tokio finden manche Ladungen auch gar keinen Abnehmer. Selbst ein derart niedriger Preis für einen Luxusfisch wie den Blauflossenthun vermag die Käufer nicht zu locken, obgleich die meisten Japaner ihr Nationalgericht lieben und 62 Prozent des Thunfischfangs zu Sushi verarbeitet werden.

Für die Japaner, die nach archäologischen Erkenntnissen seit mindestens 7500 Jahren Thunfisch essen, scheint es undenkbar, dass diese Spezies irgendwann wegen Überfischung aussterben könnte. Schließlich gibt es nach wie vor überall die Filets zu kaufen. Zwar liegen keine Einzelstatistiken zum Blauflossenthun vor, aber der gesamte Thunfischverbrauch in Japan ist über die letzten zehn Jahre um ein Drittel gesunken, von fast 1,5 Kilo pro Kopf auf gut ein Kilo 2015.3

Paradoxerweise fürchten manche Japaner, strengere Fangbegrenzungen könnten zu einem Mangel oder einem völligen Verschwinden des hochwertigen Thuns von ihrem Speisezettel führen. Und einige meinen, sie müssten möglichst viel Thunfisch essen, solange es ihn noch gibt.

Die Fischer von Iki töten den Thun auf traditionelle Weise und lassen ihn sofort ausbluten. „Mit unseren Angelruten können wir nicht viele Fische fangen, aber wir versuchen, unsere Fänge möglichst aufzuwerten“, unterstreicht Ogata Kazunari, der Generalsekretär des Vereins. Ein traditionell gefangener Thunfisch kostet bis zu 40 000 Yen (300 Euro) pro Kilo und kommt vor allem in den Luxusrestaurants von Tokio auf den Teller.

Als im Juli 2017 die Fischer von Iki wegen eines Sturms nicht aufs Meer hinausfahren konnten, traf man sich spontan im Büro von Minoru Nakamura und sprach über das Wetter, über die Schließung der Schule und natürlich über Thunfisch und die ewigen Verhandlungen mit der Fischereibehörde über ein generelles Fangverbot in den Sommermonaten.

Keine Schonung in der Laichsaison

Doch das wollen die Verantwortlichen in der Behörde nicht. Sie sind überzeugt, dass man vor allem die kleinen Fische schützen muss: „Blauflossenthunfische legen ungeheuer viele Eier, zwischen 10 Millionen und mehr als 100 Millionen, und die allermeisten Jungfische sterben, bevor sie die Fortpflanzungsreife erreichen“, sagt Shingo Ota von der Fischereibehörde. „Für das Überleben der Art ist also entscheidend, in welcher Umgebung die Jungfische aufwachsen. Der Schutz der großen, geschlechtsreifen Fische hat keinerlei Auswirkung auf die Anzahl der Jungtiere.“

Für die Industriefischer von Sakaiminato besteht somit kein Anlass, ihre Aktivitäten im Sommer einzustellen. „Wir halten die Fangquoten seit zwei Jahren ein“, erklärt ein Sprecher der Fischereikooperative. „Die Behörde hat uns versichert, dass der Fang in der Laichsaison keine negativen Auswirkungen auf die Bestände hat, wir haben uns also nichts vorzuwerfen.“

Die Haltung der Fischereibehörde stößt jedoch auch bei Wissenschaftlern auf Kritik. „Die Überfischung führt dazu, dass derzeit fast alle Thunfische gefangen werden, bevor sie fünf Jahre alt sind, das heißt, sie können sich nur ein- oder zweimal in ihrem Leben fortpflanzen“, erläutert Toshio Katsukawa von der Meeresforschungsuniversität Tokio. „Für den Schutz der Bestände ist es sehr wichtig, dass man die Fische laichen lässt.“ Um die Sache eindeutig zu klären und herauszufinden, welche Folgen ihr Fangstopp hat, forderten die Fischer auf Iki die Fischereibehörde auf, Untersuchungen in der betroffenen Meeresregion durchzuführen. Die Behörde weigerte sich mit der Begründung, sie habe dafür kein Geld.

Die Fischer von Iki kritisieren die Bevorzugung der Fischereikonzerne, die pensionierten Beamten der Fischereibehörde nicht selten gute Posten anbieten. In den letzten zehn Jahren wurden mindestens fünf ehemalige Mitarbeiter der Agentur Berater oder Vorsitzende von Fischereikooperativen, die mit den Thunfischkonzernen zusammenarbeiten.

Auf Iki nimmt die Verzweiflung zu. Um zu überleben, weichen die unabhängigen Fischer vor allem auf Tinten- und Schwarzfische aus, die jedoch weniger rentabel sind. Ihr Einkommen ist seit 12 Jahren um mindestens die Hälfte gesunken; damals konnten sie noch 300 Tonnen Thunfisch im Jahr fangen. Derzeit verdienen sie zwischen 1250 und 2500 Euro im Monat, das Durchschnittseinkommen in der Region liegt bei 2800 Euro. Etliche Fischer haben bereits aufgegeben, weil sie ihre Kosten nicht mehr decken oder ihre Familie nicht mehr ernähren konnten.

Nach drei Jahren des freiwilligen Verzichts auf den Fang im Sommer ist die Enttäuschung groß. „Wir dachten, das würde reichen, um die Regierung aufzurütteln. Aber es hat sich nichts getan“, sagt Ogata Kazunari verbittert. Und Nakamura fügt hinzu: „Wenn die anderen den Thun weiter in der Laichsaison fangen, dann wird ein wichtiger Teil der Esskultur unseres Landes verschwinden.“

1 „Report of the fourteenth meeting of the Interna­tio­nal Scientific Committee for Tunaand Tuna-like Species in the North Pacific Ocean“, ISC, 16.–21. Juli 2014, Taiwan, isc.fra.go.jp.

2 „The IUCN red list of threatened species“, 2017-3, International Union for Conservation of Nature, www.iucnredlist.org.

3 Siehe Taro Kawamoto, „Tuna market in Japan“, 14th Infofish World Tuna Trade Conference, 22.–23. Mai 2016, infofish.org.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Yuta Yagishita ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 11.01.2018, von Yuta Yagishita