09.11.2012

Blair Inc.

zurück

Blair Inc.

Die äußerst erfolgreichen Geschäfte des britischen Ex-Premiers von Ibrahim Warde

Audio: Artikel vorlesen lassen

Seit seinem Auftritt in New York am 11. Oktober dieses Jahres gehört auch Nicolas Sarkozy zum erlauchten Kreis der gut bezahlten Redner. Seine Amtszeit war kaum beendet, da häuften sich schon die Anfragen, die in der Regel mit Honoraren von um die 100 000 Euro locken, auf dem Schreibtisch des französischen Expräsidenten. Das Wochenmagazin L’Express berichtete am 3. Oktober 2012, Sarkozy habe „seit seinem Auszug aus dem Élysée-Palast im vergangenen Mai bereits 70 Einladungen bekommen.“

Man könnte meinen, dass höchste Staatsämter nur noch als Durchgangsstation dienen und das eigentliche Karriereziel in der Anhäufung eines großen privaten Vermögens liegt. Sarkozy jedenfalls dachte schon 2008 in dieser Weise über seine Zukunft nach: „2012 bin ich 57 Jahre alt, da trete ich nicht noch einmal an. Wenn ich die Milliarden sehe, die Clinton verdient – ich mache das hier jetzt für fünf Jahre, danach gehe ich meiner Wege und stopfe mir die Taschen voll.“1 Der ehemalige US-Präsident, der bei seinem Ausscheiden aus dem Weißen Haus im Januar 2001 etwa 11 Millionen Dollar Schulden hatte, wurde danach zum „Autor und Redner“. Innerhalb eines Jahres stieg das Einkommen des Ehepaars Clinton von 358 000 auf 16 Millionen Dollar, vor allem dank des Vorschusses auf Bill Clintons Memoiren und großzügiger Rednerhonorare.

Eine der beeindruckendsten Erfolgsgeschichten im kleinen Kreis der ehemaligen Staatsoberhäupter ist wohl die Wandlung des früheren britischen Premierministers Tony Blair (1997 bis 2007). Seine ebenso rasante wie akrobatische politische Laufbahn – sie begann im linken Flügel der Labour Party und endete während des Irakkriegs mit demonstrativer Unterwürfigkeit gegenüber der US-Regierung, die ihm den Spitznamen „Bushs Pudel“ einbrachte – eröffnete ihm eine Zukunft, in der ein gutes Gewissen und gute Geschäfte einander nicht unbedingt ausschließen.

Das Gute und das Böse, die schönen Reden und hehren Prinzipien sind allgegenwärtig im „System Blair“. Der Glaube hat ihn „seit jeher mehr begeistert als die Politik“, gesteht Blair in seinen Erinnerungen.2 Kurz nach seinem Rücktritt vom Amt des Premierministers im Juni 2007 berichtete er Papst Benedikt XVI. im persönlichen Gespräch von seinem Wunsch, die anglikanische Kirche zu verlassen und zum katholischen Glauben überzutreten. Womöglich fehlt es in einer Kirche, die ihre Existenz allein der Tatsache verdankt, dass sich Heinrich VIII. gegen den Willen des damaligen Papstes unbedingt scheiden lassen wollte, an theologischer Strenge.

Im Universum der Stiftungen und Hilfsorganisationen, die Blair gegründet hat, finden sich neben der Tony-Blair-Glaubensstiftung auch politisch arbeitende Einrichtungen, etwa die Africa Governance Initiative, die „Regierungen in Afrika zu mehr Effizienz“ verhelfen soll. Sinn und Zweck ist stets derselbe: Es geht darum, die guten Taten des ehemaligen Mieters von Downing Street Number 10 in die Medien zu bringen und ihm indirekt einen ständigen Zustrom von Euros und Dollars zu sichern.

Was seine sonstigen Aktivitäten betrifft, ist Blair eher verschwiegen. Fest steht, dass es ihm gelingt, lukrative Aufträge an Land zu ziehen und zahlungskräftige Kunden zu gewinnen. Zwischen den Konferenzen, auf denen es mal um die Rettung der Wildvögel, mal um die Verbreitung des christlichen Glaubens geht, hat er seine Firma Tony Blair Associates gegründet, die „strategische Beratung zu politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und staatlichen Reformprozessen“ anbietet.

Der ehemalige Arbeiterführer berät außerdem die Investmentbank J.P. Morgan, Zurich Financial Services, die Regierung von Kuwait, den Investmentfonds Mubadala aus Abu Dhabi und weitere Finanzkonzerne und Regierungen in aller Welt. Unter seinen Kunden sind Oligarchen und Kleptokraten aus dem Nahen Osten, Afrika und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion deutlich überrepräsentiert. Schätzungen zufolge hat Blair nach seinem Ausstieg aus der Politik ein Vermögen zwischen 20 und 60 Millionen Pfund angehäuft.

Er empfindet es als „kränkend“, wenn er gelegentlich als raffgieriger Geldhai bezeichnet wird. „Ich widme zwei Drittel meiner Zeit wohltätigen Zwecken und dem Friedensprozess im Nahen Osten, beides unentgeltlich.“ Schließlich könnte er „sehr viel mehr Geld verdienen“,3 wenn er es denn wollte. Der Begründer von New Labour hat sich nie ganz aus der Politik verabschiedet. Am 27. Juni 2007 legte er entsprechend einer Vereinbarung, die er ein Jahr zuvor mit seinem Finanzminister und Nachfolger Gordon Brown getroffen hatte, sein Amt nieder. Noch am selben Tag wurde er zum Sondergesandten des Nahost-Quartetts (USA, EU, Russland und Vereinte Nationen) ernannt.

Seine Mission besteht darin, den israelisch-palästinensischen Friedensprozess zu begleiten und für eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den besetzten Gebieten einzutreten. Tatsächlich wurde er in der Region aber nur selten gesehen, und die Bilanz seines bisherigen Engagements als bescheiden zu bezeichnen, wäre reine Schönfärberei. Im Wesentlichen beschränkt es sich auf die stets etwas weinerlich vorgebrachte Ermahnung an beide Seiten, doch bitte etwas mehr guten Willen zu zeigen.

Dieses Amt ist Teil eines Systems, in dem sich das Ehrenamt lohnen soll. Das Nahost-Quartett versammelt die Größen der internationalen Politik und Wirtschaft. Blair hat damit Zugang zu allen wichtigen Staatsoberhäuptern, nicht zuletzt zu den Machthabern am Persischen Golf, die die Hauptfinanziers der palästinensischen Autonomiebehörde sind.

Auch die vielen anderen Kontakte, die er in den zehn Jahren in der Downing Street Number 10 geknüpft hat, kann er unter einem Vorwand, den ihm seine gemeinnützigen Einrichtungen liefert, jederzeit aktivieren. Die „Marke Blair“ gründet auf der Verwischung der Grenzen zwischen Engagement und einem durch Beziehungen perfektionierten Kapitalismus.

Unlängst hat Blair mit seinen Vermittlerdiensten bei der Übernahme des schweizerischen Minenbetreibers Xstrata durch den ebenfalls in der Schweiz beheimateten Rohstoffriesen Glencore geholfen. Der staatliche Fonds Qatar Holding war der zweitgrößte Aktionär von Xstrata. „Ich flehe Sie an, tun Sie etwas, um Qatar zu überreden“, bettelte Glencore-Chef Ivan Glasenberg. Daraufhin rief Blair seinen Freund Hamad Ben Jassim al-Thani an, den Ministerpräsidenten des Emirats und Eigentümer der Qatar Holding. Nach dem Gespräch trafen sich die beiden Parteien in London und machten den Deal perfekt. Und was hatte Tony Blair davon? Mehr als eine Million Pfund für drei Stunden Arbeit.

Tony Blair hat zwar nie in der Privatwirtschaft gearbeitet. Doch auf seinen Beistand hoffen inzwischen nicht nur Unternehmen, die auf schwierigen Märkten dicke Geschäfte machen wollen, sondern auch spekulative Fonds, die auf der Suche nach Insiderwissen sind. Ein weiterer Widerspruch: Die Kapitalisierung der Marke Blair verbirgt die Arbeit von gut hundert Zuarbeitern, von denen einige schon während Blairs Zeit als Premierminister zum engeren Mitarbeiterstab gehörten. Andere kommen aus der Londoner City, von der Wall Street oder von den großen Thinktanks.

Bei einem solchen Drahtseilakt kann nicht immer alles gut gehen. Als Premierminister hatte sich Blair für die „Bekehrung“ von Muammar al-Gaddafi zum salonfähigen Staatschef verbürgt – mit dem bekannten Resultat. Später, in seiner neuen Rolle als Vermittler, hielt sich Blair häufig in Tripolis auf – einerseits als Finanzberater der Familie des ehemaligen libyschen Revolutionsführers, andererseits als Berater der J.P. Morgan Bank, die ihm dafür jährlich ein geschätztes Honorar von 2 Millionen Pfund überweist.

Vor Kurzem ist Blair auch mit Nursultan Nasarbajew, dem zuletzt mit 95 Prozent der Stimmen im Amt bestätigten autoritären Präsidenten Kasachstans, ins Geschäft gekommen. Es sei für einen guten Zweck, schwört Blair, der für 8 Millionen Pfund im Jahr Nasarbajew dabei hilft, „die Verwaltung des Landes aufzubauen“ und die Regierung zu reformieren.4

Man fragt sich bei all dem schon, ob die republikanischen Tugenden nicht doch Schaden nehmen, wenn öffentliche Ämter kein Ziel für sich mehr sind, sondern nur noch eine Stufe auf der Karriereleiter, und das Amt zum Mittel einer in die nahe Zukunft verschobenen persönlichen Bereicherung wird. Vom tief gefallenen Starlobbyisten Jack Abramoff war zu erfahren, dass man einen Politiker am besten korrumpiert, indem man ihm einen lukrativen Posten in Aussicht stellt.5 Kürzlich erklärte Blair in einem Podiumsgespräch, dass die Arbeit ohne die Beschränkungen des Regierens überaus bereichernd und anregend sei und er jetzt manchmal mehr Möglichkeiten der Einflussnahme habe als in seiner Zeit als Politiker.

Fußnoten: 1 Le Point, Paris, 3. Juli 2008. 2 Tony Blair, „A Journey: My Political Life“, New York (Knopf) 2010, S. 654. 3 The Daily Telegraph, London, 30. September 2011. 4 The Daily Telegraph, 22. Oktober 2011. 5 Jack Abramoff, „Capitol Punishment: The Hard Truth About Washington Corruption From America’s Most Notorious Lobbyist“, New York (WND Books) 2011. 6 Huffingtonpost.com, 16. April 2012. Aus dem Französischen von Herwig Engelmann Ibrahim Warde ist außerordentlicher Professor der Fletcher School of Law and Diplomacy in Medford, Massachusetts, USA, und u. a. Autor von „Propagande impériale & guerre financière contre le terrorisme“, Marseille und Paris (Agone) 2007.

Le Monde diplomatique vom 09.11.2012, von Ibrahim Warde