08.06.2017

Pragmatische Außenpolitik

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Pragmatische Außenpolitik

von François-Xavier Bonnet

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Auf seiner Chinareise im Oktober 2016 stellte der philippinische Präsident Rodrigo Duterte seine Außenpolitik vor: „Ich schließe mich Ihrer ideologischen Richtung an und werde vielleicht auch nach Russland reisen, um mit Präsident Wladimir Putin zu sprechen. Ich werde ihm sagen, dass wir drei gegen den Rest der Welt stehen: China, die Philippinen und Russland. Das ist der einzig mögliche Weg.“1

Diese Ankündigung ließ viele Analysten aufhorchen. Sollte Duterte tatsächlich bereit sein, die engen Beziehungen der Philippinen zur früheren Kolonialmacht USA (1898–1946) aufzukündigen, die seit der Unabhängigkeit privilegierter Wirtschafts- und Mi­li­tär­partner des Archipels sind? Vielleicht wollte er auch das Verhältnis zu China wieder ins Gleichgewicht bringen, das seit dem Konflikt um die Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer getrübt ist. Die philippinische Regierung hatte deshalb 2013 das Schiedsgericht in Den Haag angerufen, das den Fall im Juli 2016 zugunsten der Philippinen entschied.

Der Kurswechsel wurde zunächst darauf zurückgeführt, dass Duterte wütend war über die Kritik der USA, der Europäischen Union und der Vereinten Nationen wegen der Menschenrechtsverletzungen im Zuge seines brutalen Antidrogenkriegs. Auf den zweiten Blick offenbaren sich die tiefer liegenden, politischen Hintergründe für Dutertes Stellungnahme. Er sieht sich in der Tradition des Historikers und nationalistischen Diplomaten Renato Constantino (1919–1992), der den Kolonialismus und später die Auswirkungen der Globalisierung auf die Philippinen kritisiert hat.

Nach der Unabhängigkeit 1946 trat der junge Constantino für eine eigenständige Außenpolitik ein. Das bedeutete für ihn mehr Distanz zu den USA und den Aufbau von Beziehungen zu Kontinentalchina und der Sowjetunion. Da ihm eine prokommunistische Einstellung nachgesagt wurde, musste er in den 1950er Jahren sein Amt im Außenministerium niederlegen. In seinen Büchern beschäftigte er sich – aus stark nationalistisch gefärbter Perspektive – mit der Geschichte des US-amerikanischen Kolonialismus auf den Philippinen.

Wenn Präsident Duterte tatsächlich die Ideen Constantinos umsetzen wollte, sollte er jedoch nicht die diplomatischen Beziehungen zu Washington abbrechen, sondern lediglich das Verhältnis zu Peking und vielleicht auch zu Moskau wieder ins Lot bringen. Er drohte aber damit, die jährlichen Militärmanöver mit den USA abzusagen und die 250 auf Mindanao stationierten US-Soldaten nach Hause zu schicken – seit 1991 unterhalten die USA keine Militärbasis auf den Philippinen mehr. Womöglich will er sich mit solchen Äußerungen auch nur mehr Verhandlungsspielraum verschaffen.

Duterte hatte auch überlegt, das Verteidigungsabkommen (Enhanced Defense Cooperation Agreement, ­EDCA) von 2014 aufzukündigen, das den US-Truppen erlaubt, philippinische Militärlager zu nutzen und dort sogar neue Strukturen aufzubauen. Jetzt vertraute er seinem Verteidigungsminister Delfin Lorenzana an: „Wir werden alle Abkommen der Vorgängerregierungen einhalten.“2

Dutertes Pragmatismus basiert auch auf aktuellen Wirtschaftsdaten. 2014 kamen gut 60 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen auf den Philippinen aus den USA, 2015 waren es nur noch 40 Prozent. Der Anteil der EU stieg von 7 Prozent 2013 auf 18 Prozent 2015.3 Zudem erbringen ausgelagerte Dienstleistungen wie Callcenter, die ebenfalls von US-Investoren dominiert werden, 72 Prozent der philippinischen Exporteinkünfte.

Die Philippinen stehen auf Rang 5 der Länder, die vom Generalized System of Preferences (GSP) profitieren, das keine Zollschranken für den Export bestimmter Produkte aus Entwicklungsländern in die USA vorsieht. Dadurch konnten sie 2015 Waren im Wert von 1,4 Milliarden Dollar in die USA exportieren. Und die US-Entwicklungshilfe belief sich zwischen 2012 und 2015 auf immerhin 4 Milliarden Dollar, zu denen noch 140 Millionen Dollar militärischer Unterstützung hinzukamen.

Und doch sind die Investitionen aus Nordostasien (Japan, Südkorea, Taiwan und China) inzwischen höher als die aus den USA. Die neue Vorherrschaft der großen Nachbarn, denen die Menschenrechte ziemlich egal sind, wird dank der verbesserten Beziehungen zu China noch stärker werden.

Dutertes Staatsbesuch in China hat sich bereits ausgezahlt: Es wurden Investitionsverträge über 24 Milliarden Dollar abgeschlossen und Staatskredite in Höhe von 9 Milliarden Dollar bewilligt. Peking will sich am Antidrogenkrieg beteiligen und Entzugskliniken finanzieren, in Infrastruktur, Landwirtschaft und In­dus­trie investieren – auch in den Bergbau, vor allem auf Mindanao, der Hochburg des Präsidenten.

Die Frage ist allerdings, ob Duterte mit seiner Außenpolitik auch seine innenpolitischen Gegner in Schach halten kann. Da ist zum einen José María Sison, der zweite Mentor des Präsidenten und Gründer der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP). Er kritisiert den Pragmatismus Dutertes und fordert, die Beziehungen zu den USA abzubrechen und das gegenseitige Verteidigungsbündnis aus dem Jahr 1951 aufzukündigen.

Auf der anderen Seite stehen die Nationalisten um Senator Antonio Trillanes IV. Sie werfen Duterte vor, er schwäche die Stellung der Philippinen im Südchinesischen Meer, obwohl man doch einen klaren Sieg vor Gericht in Den Haag erstritten habe. Ihrer Meinung nach hat der Präsident für die Milliardenverträge zu viele Zugeständnisse an Peking gemacht: Er versprach, die im April 2016 eingeführten philippinisch-amerikanischen Marinepatrouillen im Gebiet der Spratly-Inseln wieder abzuschaffen, und erwähnte das Urteil des Schiedsgerichts bei seinem Staatsbesuch gar nicht. Sein außenpolitischer Balanceakt zwischen Pragmatismus, Nationalismus und Radikalismus wird bald einer nächsten Belastungsprobe unterzogen, da die Philippinen in diesem Jahr den Vorsitz des Verbands Südostasiatischer Nationen (Asean) übernehmen werden.

François-Xavier Bonnet

1 „Duterte: It’s Russia, China, PH against the world“, ABS-CBN.com, 20. Oktober 2016.

2 Carmela Fonbuena, „EDCA: US set to build facilities in 3 PH military bases“, Rappler.com, 26. Januar 2017.

3 Chris Schnabel, „Duterte’s tough talk and what it could mean for US, EU investments“, Rappler.com, 8. Oktober 2016.

Le Monde diplomatique vom 08.06.2017, von François-Xavier Bonnet