08.09.2016

Geschichte einer Trennung

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Geschichte einer Trennung

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Der eritreische Unabhängigkeitskrieg, der ab 1974 mit dem äthiopischen Bürgerkrieg verschmolz, dauerte von 1961 bis 1991. In diesem Konflikt kämpften die Eritreische Volksbefreiungsfront (EPLF) und die äthiopische Volksfront für die Befreiung von Tigray (TPLF) noch Seite an Seite gegen die äthiopische Militärjunta (Derg). Nach ihrem Sieg über den „roten König“ Mengistu im Mai 1991, erfolgte 1993 im beiderseitigen Einverständnis die Abspaltung Eritreas von Äthiopien. In Asmara übernahm die EPLF unter der Führung von Isayas Afewerki die Macht und in Addis-Abeba ist die TPLF bis heute die beherrschende Kraft.

Das Bündnis war auch deshalb naheliegend, weil beide Gruppierungen von Christen aus Tigray angeführt wurden. Die Spannungen in der Zeit danach wurden oft als ein Konflikt „großer Bruder gegen kleinen Bruder“ beschrieben. In der folgenden Auseinandersetzung berief sich die EPLF stets darauf, die ältere Bewegung zu sein und eine Avantgarde-Organisation von internationalem Ruf, während die TPLF nur regional verankert sei. Die EPLF herrschte zwar über deutlich weniger Menschen (6 Millionen Einwohner gegenüber 94 Millionen in Äthiopien), betrachtete sich aber als überlegen.

Die ersten Jahre nach der Unabhängigkeit verliefen dennoch ruhig – trotz des ökonomischen Ungleichgewichts zugunsten von Eritrea. Von 1991 bis 1997 hatten beide Länder eine gemeinsame Währung, den äthiopischen Birr. Doch hatte Eritrea den Wechselkurs so festgelegt, dass ein unverhältnismäßig großer Teil der in beide Länder fließenden Fremdwährungen in Asmara landete. Als Eritrea im November 1997 den Nakfa einführte, druckte Äthiopien ohne Ankündigung neue Banknoten, sodass die eritreische Zentralbank auf Millionen wertloser Birr sitzen blieb.1 Asmara forderte eine Wechselkursparität und verlangte außerdem von der Regierung in Addis-Abeba, die Industrie-Investitionen in der Provinz Tigray einzustellen.

In seiner neuen Rolle als Äthiopiens Regierungschef hatte der Anführer der TPLF, Meles Zenawi, ab 1994 versucht, seinen ehemaligen Verbündeten zur Vernunft zu bringen, indem er sich auf seine politische Verantwortung für sein großes Land berief. Schließlich seien 95 Prozent der Bevölkerung nicht Tigrinya. Doch Afewerki hörte nicht auf zu sticheln, erhob Ansprüche auf winzige Gebiete ohne strategische und wirtschaftliche Bedeutung, und nahm dies schließlich im Mai 1998 zum Anlass, den großen Nachbarn anzugreifen. Der Krieg dauerte zwei Jahre, verschlang zwei Milliarden Dollar und forderte rund 70 000 Todesopfer.

Im Gegensatz zu dem erfolgreichen Guerillakampf, den beide Parteien während des Unabhängigkeitskriegs geführt hatten, war dieser Krieg, der mit seinen Schützengräben und Sperrfeuern an die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs erinnerte, ein sinnloses Blutvergießen. Im Juni 2000 unterzeichneten Eritrea und Äthiopien in Algier einen Waffenstillstand, jedoch keinen Friedensvertrag. Die Verbitterung ist auf beiden Seiten groß, und so kann der latente Konflikt jederzeit wieder eskalieren.

Le Monde diplomatique vom 08.09.2016