07.01.2016

Jordaniens erstaunliche Stabilität

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Jordaniens erstaunliche Stabilität

von Florian Guckelsberger

Hauptstadt Amman: innenpolitischer Burgfrieden ANJA MARTIN
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Explosionen donnern durch die anbrechende Nacht. Qualm steigt auf und behindert die Sicht. Es ist spätabends am Marka International Airport, nur das Geschrei von Hunderten Jugendlichen übertönt die Knallkaskaden. Nein, weder Krieg noch Revolution sind ausgebrochen. Vielmehr spornen die heiseren Rufe die Idole einer Rennsportnation an, die in getunten Autos und mit ohrenbetäubenden Fehlzündungen über die Rennstrecke vor dem Flughafen rasen. Die Szene steht exemplarisch für einen scheinbaren Alltag, der sich in der jordanischen Metropole Amman und auch dem Rest des Landes noch immer bewundern lässt.

Aber wie schafft es das haschemitische Königreich, seine Stabilität zu bewahren, während drumherum die alte Ordnung des Nahen Ostens zerfällt?

Die geografische Ausgangslage Jordaniens ist denkbar ungünstig, denn das Land liegt zwischen „Hammer und Amboss“, wie ein früherer Pentagon-Mitarbeiter formuliert.1 Da ist der Krieg in Syrien, der seit Jahren Hunderttausende Flüchtlinge über die jordanische Grenze treibt. Da ist der Nahostkonflikt, der immer wieder zur Intifada eskaliert und sich jedem diplomatischen Kompromiss entzieht. Da ist der allmählich zerbrechende Irak und das sendungsbewusste, keine Einmischung scheuende Saudi-Arabien. In dieser schwierigen Konstellation gelingt dem kleinen Jordanien unter König Abdullah II. mit der Wahrung seiner Stabilität ein kleines Wunder. Um im Hammer-und-Amboss-Bild zu bleiben: Jordanien erweist sich als erstaunlich harte Nuss.

Natürlich gibt es auch in Jordanien unzufriedene Menschen. Die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei knapp 13 Prozent; mehr als ein Drittel der Jugendlichen hat keinen Job; die Wirtschaft ist kaum konkurrenzfähig und kann – anders als in anderen Ländern der Region – nicht durch Rohstoffexporte querfinanziert werden. Vor allem junge Jordanier vermissen eine Perspektive. Sie haben ihren Sorgen und Ängsten während des Arabischen Frühlings Luft gemacht. Die Demonstrationen waren nicht vergleichbar mit den gigantischen Protestzügen in Kairo oder Damaskus. Aber sie hatten doch eine neue Qualität: Erstmals ging es nicht um ferner liegende Fragen wie den Status Palästinas, sondern um innenpolitische Forderungen.

Der König musste reagieren und versprach politische und wirtschaftliche Reformen, die er seitdem leidlich umsetzen lässt. Dass die Jordanier, obwohl sie dieses Spiel auf Zeit durchschauen, nicht wieder auf die Straße gehen, hat vor allem zwei Gründe. Zum einen ist die Opposition zerstritten. Die Islamische Aktionsfront, die größte Partei des Landes und der jordanische Ableger der Muslimbruderschaft, hat sich im internen Zwist aufgerieben. Und der Hirak-Bewegung, einem losen Bündnis säkularer Interessengruppen, die über ihre Unzufriedenheit hinaus kaum Gemeinsamkeiten haben, fehlt es an Ressourcen und einer effizienten Organisation.

Noch schwerer wiegt jedoch die Tatsache, dass fast alle Umsturzversuche in der Region – ob von außen oder von innen – blutig fehlgeschlagen sind. In Ägypten herrscht das Militär, Syrien versinkt im Krieg, und der Irak zerfällt. Flüchtlinge stellen in Jordanien längst einen bedeutenden Teil der Gesamtbevölkerung und führen den Bürgern plastisch vor Augen, wohin Protest und Revolution im schlimmsten Fall führen.

In dieser Situation können sich viele Jordanier eine Alternative zur Monarchie schlicht nicht vorstellen, sagt André Bank vom Hamburger Giga-Institut. Die minimalen Reformen, die der König bisher eingeleitet hat, hält er lediglich für ein „Bonbon für die Protestler“. Faktisch habe sich nur wenig geändert. Eine gut vernetzte Journalistin, die anonym bleiben möchte, formuliert es so: „Stabilität, Sicherheit und Brot auf dem Tisch sind heute wichtiger als politische Reformen. Die Stimmung hat sich in den letzten Jahren drastisch gewandelt.“

Doch die herrschende Elite Jordaniens ist nicht bloß passiver Nutznießer der Entwicklung in den Nachbarländern. Insbesondere das Königshaus versteht es hervorragend, die diversen ethnischen, religiösen und gesellschaftlichen Kräfte einzubinden. Die Macht konzentriert sich in den Händen von König, Königshof, Militärführung und Sicherheitsdienst.

Von hier aus durchzieht ein Netz von Patronagebeziehungen das Land. Wichtige transjordanische Großfamilien und einflussreiche palästinensische Geschäftsmänner werden eingebunden. Ihre Bedeutung für den Machterhalt spiegelt sich im Zugang zu entsprechenden Ämtern. Die Politik des Königs wird so mehrheitsfähig, und allzu scharfe Kritik an ihr wird als Angriff auf die nationale Einheit gewertet. Man kann das für undemokratisch oder korrupt halten, aber das Ergebnis ist ein innenpolitischer Burgfrieden, der anderen, vergleichbar heterogenen Gesellschaften in der Region fehlt.

Die auf Kooptierung beruhende Machtsicherung im Innern ergänzt das Königshaus durch eine eher pragmatische Außenpolitik. Amman hat sich eindeutig prowestlich positioniert und arbeitet geräuschlos mit der israelischen Regierung zusammen. Ein diplomatischer Drahtseilakt, wenn man bedenkt, dass mehr als zwei Drittel der Bevölkerung palästinensische Wurzeln haben. Wohl auch deshalb reagiert man in Tel Aviv auf die teils harsche Rhetorik von König Abdullah II. recht milde, etwa wenn es um den Tempelberg geht, der von den Muslimen al-Haram asch-Scharif (Das edle Heiligtum) genannt wird.

Beide Seiten wissen, was man aneinander hat. Für diese Politik wird Amman von den USA ab 2015 mit rund 1 Milliarde US-Dollar im Jahr belohnt. Damit erhöht Washington seine Hilfe um mehr als 50 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren.2 Darüber hinaus gewährt die Regierung Obama ihrem „guten Freund König Abdullah“, so der ehemalige Sprecher des US-Abgeordnetenhauses John Boehner, Zugriff auf US-Militärtechnik.

Korrupt, friedlich und undemokratisch

Erst im Sommer vermeldete der US-Rüstungskonzern Raytheon einen 80-Millionen-Dollar-Deal über die Lieferung von Technik zur Grenzüberwachung. Kurz darauf schenkte Israel Jordanien mit Washingtons Genehmigung 16 ursprünglich für die nigerianischen Streitkräfte vorgesehene Kampfhubschrauber. Auch dank solcher Geschäfte kann Jordanien eine gut ausgestattete und ausgebildete Armee unterhalten, die viele Beobachter zu den schlagkräftigsten im Nahen Osten zählen und die dazu beiträgt, das Einsickern radikaler Kräfte aus Syrien und dem Irak zu verhindern.

Überhaupt: Die Angst vor Terrorismus sitzt tief, seit im November 2005 in Amman mehrere Bomben explodierten.3 Heute sind Metalldetektoren am Eingang von Supermärkten und Panzersperren vor den großen Hotels der Stadt den Jordaniern ständige Mahnung. Umso größer war die Erleichterung, als der Fastenmonat Ramadan 2015 ohne Zwischenfälle endete, obwohl der „Islamische Staat“ (IS) zuvor zu Anschlägen aufgerufen hatte.

Doch es bleibt eine fragile Stabilität, die der König verwaltet. Da ist zum einen die Angst vor zurückkehrenden Dschihadisten, die zu Hunderten für radikale Gruppen in Syrien kämpfen. Ein einziger Anschlag könnte ausreichen, um die Unzufriedenen wieder auf die Straße zu treiben. Unruhen drohen außerdem, sobald die Situation am Jerusalemer Tempelberg erneut eskaliert und Zehntausende palästinensischstämmige Jordanier von ihrem König eine härtere Gangart gegenüber Israel verlangen. Stabilität statt Umbruch: Dieser unausgesprochene Deal zwischen König und Volk könnte dann platzen.

Terror in Amman wäre das Horrorszenario und für die Kritiker des Königs die Bestätigung, dass die Monarchie gescheitert ist. Den iranischen Schiiten wäre das, so der Verdacht vieler Jordanier, gerade recht. Teheran sieht in Jordanien vor allem einen traditionellen arabischen Verbündeten des saudischen Königshauses. Und für die sunnitischen IS-Terroristen wird Amman sowohl wegen seines militärischen Engagements in Syrien als auch wegen seiner engen Verbindungen zu den USA und Israel zur Zielscheibe. Sollte der IS tatsächlich eines Tages Jordanien angreifen, könnte es in den USA schnell eine Mehrheit für eine direkte Unterstützung Ammans geben.

Augenmaß ist deshalb bei allen strategischen Überlegungen gefragt. Immer wieder wird etwa mit dem Gedanken gespielt, eine militärische Pufferzone in Südsyrien einzurichten. Dort könnten syrische Zivilisten Schutz finden und bereits in Jordanien gestrandete Flüchtlinge könnten dorthin zurückkehren. Eine interessante Vorstellung für ein Land, das trotz aller finanzieller Hilfen die Belastung durch die Hunderttausenden Syrer kaum verkraftet.

Nach jordanischen Angaben stellen die syrischen Flüchtlinge derzeit rund 20 Prozent der Bevölkerung4 – und das in einem armen Land mit wenig Bodenschätzen und einer kaum wettbewerbsfähigen Wirtschaft. Die Kriege in der Region haben zudem den extrem wichtigen Tourismus zum Erliegen gebracht. Allerdings dürfte Syriens Machthaber Assad eine solche Pufferzone als direkten Angriff auf die staatliche Souveränität seines Landes auffassen, und islamistische Rebellengruppen könnten einen solchen Vorstoß nutzen, um in Jordanien Anschläge zu verüben und das Land weiter in einen Krieg hineinzuziehen, der kaum zu gewinnen ist.5

Unter diesen Umständen war es ein kluger Schachzug von König Abdullah II., mit einer forcierten „Westbindung“ an die Politik seines 1999 verstorbenen Vaters anzuknüpfen. Heute ist Jordanien ein wichtiger Partner für die USA und Europa, aber auch für Israel und die saudische Monarchie, die aus ersichtlichen Gründen keine stürzenden Könige sehen will.

Die trotz aller Probleme enorme Gastfreundschaft Ammans gegenüber flüchtenden Syrern hat das Ihre dazu beigetragen, dass der Westen Jordanien als einen Partner in der Region betrachtet. Spätestens seit dem letzten Sommer und der aufkommenden Flüchtlingsdebatte in Europa ist man in Brüssel überzeugt, dass die Situation ohne massive finanzielle und politische Unterstützung von Ländern wie der Türkei, dem Libanon und eben auch Jordanien nicht unter Kontrolle gebracht werden kann.

Die finanziellen Hilfen für Jordanien wurden wieder hochgefahren und die diplomatischen Beziehungen intensiviert. Gegenüber den Schwergewichten in der Region vollführt Amman indes einen außenpolitischen Spagat: Man bekundet Solidarität mit den Golfstaaten, begrüßt den Atomdeal mit Teheran, fordert eine „politische Lösung“ für Syrien und fädelt gleichzeitig Rüstungsdeals mit Israel ein. Bloß niemandem auf die Füße treten, ist die Devise. In einer Weltgegend, in der sich alle ständig auf die Füße treten, scheint das ein brauchbares Rezept zu sein.

Jordanien mag also zwischen Hammer und Amboss liegen, doch womöglich verleiht genau dieser Druck dem Land seine Stabilität. Die gescheiterten Umstürze in der Region haben den moderaten Jordaniern die Lust auf Revolution genommen und gleichzeitig die internationale Gemeinschaft in ihrer bedingungslosen Unterstützung Jordaniens bestärkt.

Dass Krieg und Revolten in der Nachbarschaft an Jordanien nicht spurlos vorbeiziehen, wird auch beim Autorennen vor dem Marka Airport deutlich. Während die jungen Leute ihren Rennfahrern zujubeln, zeichnen sich auf dem dunklen Rollfeld hinter der Rennstrecke die Umrisse von US-Militärtransportern und Geländewagen ab. Der friedliche Alltag ist auch in Amman keine Selbstverständlichkeit mehr.

1 Siehe „IS Iran seeking to foment chaos in Jordan“, Jerusalem Post, 7. August 2015.

2 Siehe „Jordan: Background and U.S. Relations“, Congressional Research Service, 10. September 2015: www.fas.org/sgp/crs/mideast/RL33546.pdf.

3 Zu den Anschlägen auf drei Hotels, bei denen 60 Menschen starben, bekannte sich al-Qaida im Irak.

4 „Jordan supports efforts to reach political solution in Syria“, Jordan Times, 14. Juli 2015

5 Siehe „Jordan’s Danger Zone“, Foreign Affairs, 24. Juli 2015.

Florian Guckelsberger ist freier Journalist und derzeit IJP Middle East Fellow bei der Jordan Times.

© Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 07.01.2016, von Florian Guckelsberger