08.03.2013

Bagdad, Basra, Kirkuk

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Bagdad, Basra, Kirkuk

Amerikas Krieg ums Öl und warum ihn bislang niemand gewonnen hat von Jean-Pierre Séréni

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Für die Iraker besteht kein Zweifel daran, dass der Krieg vom Frühjahr 2003, dessen Folgen mindestens 650 000 Menschen das Leben kostete und mehr als 3,5 Millionen Iraker vertrieben oder ins Exil geschickt haben, ein Krieg ums Öl gewesen ist. Präsident George W. Bush, sein Vize Richard („Dick“) Cheney, sein Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Washingtons treuer Gefolgsmann, der damalige britische Premierminister Tony Blair, haben das bekanntlich stets vehement bestritten. Doch inzwischen lässt sich auch historisch belegen, dass dieser Krieg nicht zuletzt um Öl geführt wurde. Das geht aus einer Reihe von Dokumenten hervor, die in den USA vor Kurzem zur Veröffentlichung freigegeben wurden.1

Als Bush junior im Januar 2001 ins Weiße Haus einzog, stand er vor einem nicht ganz neuen Problem: Es gab eine wachsende Diskrepanz zwischen der Nachfrage nach Erdöl, die wegen der zunehmenden Wirtschaftskraft aufstrebender Länder wie China und Indien sehr schnell zulegte, und dem entsprechenden Angebot. Die einzig praktikable Lösung bot die Golfregion, wo 60 Prozent der nachgewiesenen weltweiten Erdölvorkommen lagern. Diese Reserven kontrollierten die drei Ölgiganten Saudi-Arabien, Iran und Irak und zwei weitere Großproduzenten, nämlich Kuwait und Abu Dhabi.

Allerdings stagnierte die Produktion, was politische wie finanzielle Gründe hatte. In Saudi-Arabien, Kuwait und Abu Dhabi können sich die Herrscherfamilien angesichts der relativ geringen Einwohnerzahl mit der überaus komfortablen Höhe ihrer Einnahmen begnügen und hüten sich, ihre Ölreserven vorschnell auszubeuten. Theoretisch konnte diese Kluft zwischen Angebot und Nachfrage durch den Iran und den Irak geschlossen werden, die gemeinsam über ein knappes Viertel der weltweiten Öl- und Gasreserven verfügen. Das aber war 2003 nicht möglich, weil beide Länder aufgrund der gegen sie verhängten Sanktionen2 ihre Fördereinrichtungen und Pipelines nicht im nötigen Umfang modernisieren konnten. Und die Aufhebung der Sanktionen wurde damals von der Regierung Bush verweigert, die den Iran wie den Irak als „Schurkenstaaten“ betrachtete.

Wie also konnte man aus der Golfregion mehr Erdöl herausholen, ohne die dortige Dominanz der USA zu gefährden? Die Neokonservativen glaubten die Lösung gefunden zu haben. Viele aus dieser Gruppe von Intellektuellen gehörten in den 1970er Jahren noch dem rechten Flügel der Demokraten an, entpuppten sich aber nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Anhänger eines ungehemmten amerikanischen Imperialismus. Obwohl sie seit der Reagan-Ära (1981–1989) bei den Republikanern engagiert waren, konnten sich diese „Neocons“ nie damit abfinden, dass es Präsident George Bush senior 1991 am Ende des ersten Golfkriegs abgelehnt hatte, Saddam Hussein zu stürzen.

Bereits 1998 empfahlen einflussreiche Neokonservative in einem offenen Brief an Präsident Bill Clinton, im Irak auf einen Regimewechsel hinzuarbeiten, womit sie auf der Linie ihres „Projekts für das neue amerikanische Jahrhundert“ (Project for the New American Century, PNAC) argumentierten. Ihre Position lautete schlicht: Hussein muss aus Bagdad vertrieben, der Irak für die US-amerikanischen Ölunternehmen geöffnet werden.

Mehrere Unterzeichner des PNAC wurden 2001 auf wichtige Posten in der neuen republikanischen Regierung unter Bush junior berufen. Einer von ihnen war der Jurist Douglas Feith, Rumsfelds rechte Hand im Verteidigungsministerium. Er berief und leitete 2002 einen Arbeitsstab von Experten, die ihre Vision von der Zukunft der irakischen Ölindustrie entwarfen. Feiths erste Entscheidung bestand darin, diesen Bereich nach einem militärischen Sieg dem Ingenieur- und Bauunternehmen Kellogg Brown & Root auszuliefern. KBR Inc., das sich selbst als „größten Militärdienstleister der Welt“ bezeichnet, ist ein Tochterunternehmen des US-Ölkonzerns Halliburton, bei dem Verteidigungsminister Dick Cheney von 1995 bis 2000 als Aufsichtsratsvorsitzender und CEO fungierte. Nach den Vorstellungen von Feith sollte die irakische Erdölproduktion auf dem Niveau von Anfang 2003 (2 840 Barrel pro Tag) gehalten werden, um einen für die Weltwirtschaft bedrohlichen Zusammenbruch zu vermeiden.

Die zweite große Frage, in der sich die Experten allerdings uneins waren, betraf die Privatisierung des irakischen Öls. Seit 1972 wurde die irakische Ölindustrie von der staatlichen Iraqi National Oil Company (Inoc) betrieben, ausländische Konzerne kamen nicht zum Zug. Trotz zweier Kriege – mit dem Iran (1980–1988) und um Kuwait (1990/91) – und trotz der über 15 Jahre andauernden Sanktionen war die Fördermenge im Jahr 2003 noch genauso hoch wie in den Vorkriegsjahren 1979/80.

Die Experten legten den politischen Entscheidungsträgern in Washington und London zwei Optionen vor: eine Rückkehr zur Vergabe von Förder- und Vermarktungskonzessionen wie vor der Verstaatlichung 1972 oder einen Verkauf der Anteile der staatlichen Inoc nach russischem Vorbild, also durch Ausgabe von übertragbaren Gutscheinen (Vouchers) an die irakischen Bürger. Wobei dieses Privatisierungssystem in Russland dazu geführt hatte, dass die staatlichen Ölunternehmen sehr rasch von einer Handvoll Oligarchen aufgekauft wurden, die damit über Nacht steinreich wurden.

Im Januar 2003 zeichnete Präsident Bush den vom Verteidigungs- und vom Außenministerium der USA ausgearbeiteten Plan ab. Jay Garner, ein hochdekorierter, aber längst ausrangierter General, wurde für kurze Zeit mit der Leitung der „Behörde für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe“ betraut, die den Irak nach Hussein regieren sollte. Er beschränkte sich auf kurzfristige Maßnahmen und ließ die von den Experten vorgeschlagenen Optionen in der Schwebe.

Die Invasion – ein Desaster für die Ölindustrie

In dieser Übergangsphase blieben die großen internationalen Konzerne nicht untätig. Aber Lee Raymond, Chef des größten US-Ölkonzerns ExxonMobil und ein langjähriger Freund Dick Cheneys, reagierte auf die kühnen Pläne der Politiker mit dem bedachtsamen Kalkül des Unternehmers. Natürlich erschien das Projekt verlockend und bot die Chance, die gesicherten Reserven von Exxon, die seit Jahren stagnierten, wieder aufzufüllen. Aber ihn plagten Zweifel, ob Präsident Bush die nötige Sicherheit schaffen könnte, die Exxon für ein Engagement im Irak voraussetzte. Niemand im Unternehmen sei bereit, „sich wegen einer Ölquelle umbringen zu lassen“. Die hoch bezahlten Ingenieure von Exxon träumten nicht gerade von einem Bunker im Irak. Und zur Sicherheit gehörte auch die Rechtssicherheit. Exxon zweifelte den Wert von Verträgen an, die lediglich von einer ad hoc eingesetzten Besatzungsbehörde unterzeichnet waren, wenn Milliardeninvestitionen auf dem Spiel standen, die sich erst nach Jahren amortisieren würden? Da übte man lieber vorsichtige Distanz.

Auch bei British Petroleum (BP) machte man sich Gedanken über die Rolle, die für den Konzern vorgesehen war. Bereits im Oktober 2002 hatten BP-Vertreter beim US-Handelsministerium vorgesprochen und die Befürchtung geäußert, das Weiße Haus könnte den französischen, russischen und chinesischen Ölkonzernen zu viele Vorteile einräumen, um sich damit den Verzicht ihrer Regierungen auf ein Veto im UN-Sicherheitsrat zu erkaufen.3

Im Februar 2003 hatten sich solche Befürchtungen erledigt: Präsident Jacques Chirac legte sein Veto gegen die von der US-Regierung befürwortete Resolution ein, damit begann der Irakkrieg ohne UN-Mandat und ohne Rückendeckung der Nato. Die Verträge, die Hussein 2002 mit Total und anderen Unternehmen ausgehandelt hatte, wurden damit hinfällig. Sie waren wegen des Embargos ohnehin nie in Kraft getreten, lagen aber nach wie vor in der Schublade.4

Um die angelsächsischen Ölkonzerne zu beschwichtigen, ernannte die US-Regierung kurz vor dem Einmarsch zwei hochrangige Manager zu Beratern der irakischen Ölindustrie. Doch Gary Vogler (ExxonMobil) und Philip J. Carrol (Shell) wurden bereits im Oktober 2003 durch Rob McKee (ConocoPhillips) und Terry Adams (BP) ersetzt. Man wollte damit ein Gegengewicht zu den überaus machthungrigen Neocons schaffen. Die hatten mithilfe des Pentagons fast alle Posten mit ihren Leuten besetzt, waren aber innerhalb der Regierung nicht unumstritten. Aufgrund dieser unklaren Machtverhältnisse pendelten die Bestrebungen der USA ständig zwischen zwei Extremen. Auf der einen Seite entwickelten die Ideologen eine extravagante Idee nach der anderen: Sie planten eine Pipeline, um das irakische Rohöl nach Israel zu befördern; dann wollten sie die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) zerschlagen, dann wieder sollte im „befreiten“ Irak ein neues Ölförderungssystem erprobt werden, das als Modell für den gesamten Nahen Osten gedacht war. Auf der anderen Seite standen die Ingenieure und Geschäftsleute, die für einen pragmatischen Realismus eintraten, weil sie konkrete Resultate und Gewinne erzielen wollten.

Der Schock der Invasion war für die irakische Erdölpolitik ein Desaster. Viel verheerender als die Bomben der US-Luftwaffe wirkten dabei die Plünderungen, die praktisch alle staatlichen Strukturen und Einrichtungen betrafen: Behörden, Schulen und Universitäten, Archive und Bibliotheken, Banken, Krankenhäuser, Museen und Staatsunternehmen wurden systematisch ausgeraubt. Die Ölbohranlagen wurden auf der Suche nach Kupferteilen zerlegt, was sie zu Industrieruinen machte.

Die Plünderungen dauerten vom 20. März bis Ende Mai 2003. Ein Drittel der Zerstörungen in der Ölindustrie ging auf die Kampfhandlungen zurück, zwei Drittel erfolgten danach. Und zwar direkt vor den Augen der Task Force Rio (Restore Iraq Oil) und des US Corps of Engineers, das zusätzlich 500 für den Schutz von Erdölanlagen ausgebildete Spezialkräfte angeheuert hatte. Im Juni begannen dann gezielte Sabotageakte gegen die Ölanlagen durch Saddam-Anhänger.

Das einzige geschützte Gebäude in Bagdad war zunächst der gewaltige Komplex des Erdölministeriums mit seinen 15 000 Funktionären, die 22 Firmen kontrollierten. Warum schützte man nur die Öllagerstätten und das Ministerium, nicht aber zum Beispiel die staatliche Ölvermarktungsbehörde (Somo)? Die Lagerstätten unter der Erde waren in den Augen der Besatzer der eigentliche Reichtum des Irak, sie interessierten sich weder für die technischen Anlagen noch für das Personal. Dass auch das Ministerium bewacht wurde, erklärt sich allein dadurch, dass hier die geologischen und seismischen Daten der 80 bekannten Ölfelder lagerten, deren Reserven auf 115 Milliarden Barrel Rohöl geschätzt wurden. Alles andere, so das damalige Kalkül, war jederzeit durch neuere Anlagen made in USA und das Know-how der internationalen Konzerne zu ersetzen. Und Letztere waren aufgrund der Plünderungen noch unverzichtbarer geworden.

Wenig später wurde Thamir Abbas Ghadban, der jüngste Abteilungsleiter des Erdölministeriums, zum zweiten Mann in der Behörde ernannt. Sein Vorgesetzter war Michael Mobbs, ein neokonservativer Bürokrat, der das Vertrauen des Pentagons hatte. Dessen Chef wiederum war der amerikanischer Prokonsul Paul Bremer, der als Zivilverwalter den Irak von Mai 2003 bis Juni 2004 mit unbeschränkter Macht regierte. Bremers Amtszeit war das schlimmste Jahr, das der irakische Ölsektor im Laufe seiner 70-jährigen Existenz erlebt hatte. Der Rückgang der Fördermenge um eine Million Barrel täglich, also um ein Drittel gegenüber dem Vorkriegsniveau, bedeutete Gewinneinbußen von über 13 Milliarden Dollar.

Von Mai 2003 bis September 2004 wurden 140 Sabotageaktionen gegen die Förderanlagen gezählt, die nur von 3 500 unterbezahlten Wächtern beschützt wurden; den entstandene Schaden schätzte man auf 7 Milliarden Dollar. „Alles wurde geplündert, alles Material gestohlen, die Gebäude wurden zumeist angezündet“, erzählt Thamir Abbas Ghadban. Die Raffinerie Daura nahe Bagdad konnte wegen der Schäden an den Pipelines nur noch sporadisch beliefert werden. „Wir mussten das Rohöl in dem beschädigten Abschnitt bis zum letzten Liter ausbrennen lassen; erst danach konnten wir die Pipeline reparieren.“ Dennoch arbeitete Daura weiter: eine Heldentat, zumal das Personal lange Zeit nicht mehr bezahlt worden war.

Am härtesten traf es die Führungsspitze der Ölindustrie. Bis 1952 waren praktisch alle leitenden Mitarbeiter der angloamerikanischen Iraq Petroleum Company (IPC) Ausländer gewesen. Auf den Förderstätten hatte faktisch Apartheid geherrscht: Die eingezäunten und bewachten Wohnanlagen mit ihren Villen und gepflegten Rasenflächen waren den Ausländern vorbehalten, während die irakischen Arbeiter in den umliegenden Barackensiedlungen lebten. 1952 wollte die IPC ihr Verhältnis zur irakischen Regierung verbessern und schlug einen neuen Vertrag vor, der erstmals die Ausbildung irakischer Führungskräfte vorsah. Bis 1972 waren drei Viertel der rund 1 000 qualifizierten Stellen mit Irakern besetzt. Nur so war es möglich, dass in diesem Jahr das staatliche Unternehmen Inoc problemlos sämtliche Ölfelder im Land übernehmen konnte. Danach kletterte die Fördermenge auf ein zu Zeiten der IPC nie erreichtes Niveau.

2003 forderte Washington eine „Entbaathifizierung“ des Irak, die erheblich rigoroser betrieben wurde als die „Entnazifizierung“ im Nachkriegsdeutschland. Allein die Mitgliedschaft in der Einheitspartei, der von 1968 bis 2003 herrschenden Baath, wurde mit Kündigung, Zwangspensionierung und Schlimmerem geahndet. Von den 24 Inoc-Generaldirektoren wurden 17 entlassen. Und darüber hinaus mehrere hundert Ingenieure, die den Betrieb unter widrigsten Umständen seit 25 Jahren funktionsfähig gehalten hatten.

Die Gründergeneration des Staatskonzerns wurde von der aus Exilanten bestehenden Entbaathifizierungskommission entfernt. Dieser Kommission gehörte auch der derzeitige Ministerpräsident Nuri al-Maliki an, der nach 24 Jahren im Ausland zurückgekehrt war und die vakanten Posten mit ihm ergebenen, aber völlig inkompetenten Vertrauten besetzte. Rob McKee, der Nachfolger Carrols als Erdölberater von Paul Bremer, stellte bei seinem Amtsantritt im Herbst 2003 fest: „Die Personen, mit denen das Ministerium die Posten besetzt hat, sind unfähig und wurden nur nach Kriterien der Religion, der politischen Gesinnung oder des Nepotismus ernannt. Die Fachkräfte, die unter Saddam Hussein die Ölindustrie im Gang hielten und sie nach der Befreiung des Landes wieder ankurbelten, wurden systematisch hinausgedrängt.“5

Das erste schlimme Jahr unter Paul Bremer

Die Säuberung war die große Chance für ausländische Berater jeglicher Couleur. Sie okkupierten die leitenden Posten im Erdölministerium, wo sie Mitteilungen, Rundschreiben und Berichte verfassten, wie sie es im internationalen Ölgeschäft gelernt hatten, ohne sich darum zu scheren, was im Irak überhaupt umsetzbar war.

Mit der Formulierung der neuen Verfassung und eines Erdölgesetzes bot sich ihnen eine unverhoffte Chance, die Spielregeln zu ändern. Einen Zentralstaat lehnte Washington von Anfang an ab, wobei man sich auf den Kampf gegen totalitäre Bestrebungen berief und an die Verbrechen gegen die Kurden unter Saddam Hussein erinnerte. Die neue Staatsform – eine föderale Republik –, die sogar einer Konföderation ähnelt, war damit so stark dezentralisiert, dass ihr ständig der Zerfall drohte. Zum Beispiel reichte eine Zweidrittelmehrheit in einer der drei Provinzen aus, um jede Entscheidung der Zentralregierung durch ein Veto zu blockieren.

Die Fähigkeit und den Willen zu einem solchen Veto hatte nur das autonome Kurdistan. Die Zuständigkeit für die Ölförderung wurde zwischen Bagdad und Erbil, wo die Regierung der Autonomen Region Kurdistans (Kurdistan Regional Government, KRG) residierte, faktisch aufgeteilt. Wobei die KRG „ihre“ Lesart der Verfassung in einem zentralen Punkt durchsetzte: Nur die bereits ausgebeuteten Ölfelder verblieben in der Zuständigkeit der Zentralregierung, die Vergabe neuer Förderlizenzen wurde dagegen zur Sache der Provinzen.

Das irakische Wunder ist ausgeblieben

Um diese Lizenzvergabe wird mittlerweile heftig gestritten, zumal die KRG den ausländischen Unternehmen wesentlich günstigere Bedingungen gewährt als die Regierung in Bagdad: Die Kurden bieten ausländischen Investoren einen bestimmten Anteil der geförderten Ölmenge, der gerade in den ersten Jahren sehr bedeutend sein kann. Dies ist genau das Modell, das die USA von Anfang an auch in Bagdad durchsetzen wollten.

Aber das haben sie nicht geschafft. Das ansonsten viel geschmähte Parlament war ebenso dagegen wie die Mehrheit der Bevölkerung, die sich noch an das Schicksal der IPC erinnerte. Die technischen Gründe für diese Weigerung hat Tariq Shafiq, einer der Inoc-Gründerväter, im Juli 2007 vor dem US-Kongress dargelegt: Weil die Lagerstätten bekannt und begrenzt sind, besteht für ausländische Unternehmen keinerlei Risiko mehr; Prospektionskosten fallen nicht an, und in puncto Förderkosten gehören die irakischen Ölfelder ohnehin zu den günstigsten der Welt.6

Ab 2008 bekamen die internationalen Konzerne für Serviceleistungen auf bestehenden Förderanlagen wesentlich ungünstigere Verträge angeboten. Vor allem aber gewährte ihnen Bagdad keinerlei Rechte an den Lagerstätten selbst. Dennoch griffen ExxonMobil, BP, Shell, Total, aber auch die russischen, chinesischen, angolanischen, pakistanischen und türkischen Großkonzerne eifrig zu, weil sie hofften, dass sich die irakische Ölpolitik in ihrem Sinne entwickeln würde.

Das US-Magazin Newsweek brachte am 24. Mai 2010 einen Aufmacher über das „irakische Wunder“, mit dem Kernsatz: „Dieses Land hat das Potenzial, das nächste Saudi-Arabien zu werden.“ Vier Jahre später, nachdem die Fördermenge 2012 auf über 3 Millionen Barrel täglich angestiegen ist, sind die Erdölkonzerne über die ihnen auferlegten Bedingungen sauer: Bei hohen Investitionskosten bleibt die Rentabilität mittelmäßig, und die noch im Boden lagernden Ölmengen können nicht als Eigenreserven verbucht werden, was die Aktienkurse drückt.

Vom Erlass der föderalen Regierung, die den Unternehmen mit Entzug ihrer Lizenzen droht, falls sie sich von der kurdischen Regionalregierung mit Verträgen ködern lassen, die ihnen einen Teil der Fördereinnahmen zusichern, sind weder ExxonMobil noch Total beeindruckt. ExxonMobil hat auf die Drohung sogar mit einer zusätzlichen Provokation reagiert, indem es seinen Fördervertrag für Westkurna, die größte Öllagerstätte des Landes, verkauft hat. Hier sollte der Konzern 50 Milliarden Dollar investieren, mit dem Ziel, die irakische Förderung zu verdoppeln.

Damit steht Bagdad unter Druck: Wenn die Zentralregierung hart bleibt, gehen die ausländischen Unternehmen nach Kurdistan, auch wenn die dortigen Ölvorkommen auf allenfalls ein Drittel der Reserven im Süden des Landes geschätzt werden. Die Türkei stellt zudem eine direkte Pipeline zwischen Kurdistan und dem Mittelmeer in Aussicht.

Kann man von Erpressung sprechen? In gewisser Weise schon. Allerdings hätten die ausländischen Unternehmen die Iraker kaum gegeneinander ausspielen können, wenn es den Krieg nicht gegeben hätte. Und dennoch: Die Ziele, die sich die USA gesteckt hatten, haben sie bei Weitem nicht erreicht. Auch was die Ölfrage betrifft, war dieser Krieg für die USA eine krachende Niederlage.

Kaum jemand könnte die Bedeutung des Erdöls für die Weltwirtschaft besser einschätzen als Alan Greenspan, der langjährige Chef der US-Zentralbank (1987–2006). Von ihm stammt eine Aussage, die der Wahrheit in dieser blutigen Angelegenheit vermutlich am nächsten kommt: „Leider ist es politisch nicht angebracht, öffentlich zuzugeben, was alle Welt weiß: Beim Irakkrieg ging es neben anderem ganz wesentlich um das Öl der Region.“7

Fußnoten: 1 Die für diesen Text ausgewerteten Dokumente (Bücher, Berichte) sind unter www.monde-diplomatique.fr/48797 zu finden. 2 Die Sanktionen gegen den Iran waren von den USA verhängt, die gegen Bagdad waren UN-Sanktionen. 3 Siehe Greg Muttitt, „Fuel on the Fire. Oil and Politics in Occupied Iraq“, London (Bodley Head) 2011. 4 Die erst später bekannt gewordenen Verträge von Total (und Elf-Aquitaine) bezogen sich auf die Erschließung neuer Ölfelder im Süden des Irak: siehe The Observer, 10. Oktober 2004. 5 Muttitt, siehe Anmerkung 3. 6 „Reconstruction in Iraq’s oil sector: Running on empty?“, Aussage von Tariq Shafiq vor einem Unterausschuss des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses, Washington, 18. Juli 2007; siehe auch: www.c-spanvideo.org/program/199969-1. 7 Alan Greenspan, „Mein Leben für die Wirtschaft. Autobiografie“, Frankfurt am Main (Campus Verlag) 2007. Aus dem Französischen von Barbara Schaden Jean-Pierre Séréni ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 08.03.2013, von Jean-Pierre Séréni