13.08.2010

Im Land des Lächelns

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Im Land des Lächelns

von Barbara Ehrenreich

Denke positiv, dann werden dir auch positive Dinge zustoßen. Du kannst alles haben, wirklich alles, indem du deine Gedanken darauf konzentrierst – grenzenlosen Reichtum und Erfolg, liebevolle Beziehungen, den heiß begehrten Tisch in deinem Lieblingsrestaurant. Das Universum existiert zu dem Zweck, deinen Befehlen zu gehorchen, wenn du nur lernst, die Kraft deiner Wünsche zu nutzen. Stell dir vor, was du möchtest, und du wirst es anziehen. „Fordere, glaube, und dir wird es gegeben“ oder „Name it and claim it“, wie ein Glaubensbekenntnis lautet – du brauchst es nur zu benennen, um Anspruch darauf zu erheben.

Heute gibt es keine Ausrede mehr für den, der noch im Sumpf der Negativität verharrt. Eine ganze Branche hat sich entwickelt, um das positive Denken zu fördern, und das Produkt dieser Branche, verfügbar in allen möglichen Preisklassen, heißt Motivation. Wir können sie als traditionelles Buch kaufen, zusammen mit CDs und DVDs, auf denen der Autor vorgestellt wird, oder uns für die unmittelbare Erfahrung entscheiden und uns einen Coach nehmen oder ein einwöchiges „Seminar“ besuchen. Wer das nötige Geld hat, bucht vielleicht einen Wochenendworkshop an einem exotischen Ort mit einem zupackenden Motivationstrainer. Oder man wählt den passiven Konsum und kauft einen der zahlreichen Fetische – Poster und Kalender, Kaffeebecher und Schreibtischaccessoires, die mit inspirierenden Botschaften versehen sind.

Successories, eine Firma, die ausschließlich solche motivierenden Produkte herstellt, bietet eine Produktlinie namens „Positive Pals“ an (Positive Freunde). Darin findet man Dinge wie den gefüllten Stoffbeutel „Seestern“, auf dem ein Rettungsring mit der Aufschrift „Greif nach den Sternen“ abgebildet ist. Erst kürzlich erfand ein kluger Geschäftsmann die Produktlinie „Life is Good“ mit T-Shirts, Decken, Fahnen, Kofferanhängern, Hundehalsbändern und Schutzhüllen für Autoreifen.

Es ist egal, wo man einsteigt – meist führt ein Produkt unweigerlich zum nächsten. Motivationsgurus schreiben Bücher, die ihnen Einladungen zu Vorträgen verschaffen, und diese bieten dann wieder Gelegenheit, die Bücher und vielleicht auch andere Produkte des Meisters zu verkaufen, darunter gelegentlich auch solche, die auf den ersten Blick nichts mit der Suche nach einer positiven Einstellung zu tun haben. Der Superstar unter den Motivationstrainern Anthony Robbins verkauft zum Beispiel auf seiner Website neben seinen Büchern Nahrungsergänzungsmittel und war auch eine Zeitlang aktiv an der Vermarktung des QLinks beteiligt, eines Kettenanhängers, der den Träger angeblich vor Handystrahlung schützt.

Tausende potenzieller Kunden werden durch die dreißig jährlich in verschiedenen Städten der USA stattfindenden „Motivations“-Messen auf die Produkte aufmerksam gemacht. Dabei kann man zu dem günstigen Eintrittspreis von etwa fünfzig Dollar berühmten Rednern wie Colin Powell oder Bill Cosby lauschen und, wie es in einem Zeitungsbericht hieß, viel erleben: „Plattitüden, aufmunternde Worte, patriotische Floskeln, dumme Witze, fromme Sprüche aus dem Bibelgürtel.“ Im Wesentlichen dienen diese Veranstaltungen jedoch als Schaufenster für Bücher, CDs, persönliches Coaching und andere Übungen in der Kunst des positiven Denkens.1

John La Rosa von Marketdata Enterprises Inc., einem Unternehmen, das die Ratgeberbranche beobachtet, erklärt: „Wie es heißt, wird das Geld eigentlich im hinteren Teil des Saals gemacht“, und zwar durch den Verkauf von „Büchern, CDs und Multimedia-Paketen“.2 Millionen kaufen diese Produkte. Besonders empfänglich sind Menschen, die an einer schweren Krankheit leiden, Arbeitslose und diejenigen, deren Arbeitsplatz gefährdet ist.

2007 lernte ich die Immobilienmaklerin Sue Goodhart kennen. Bei einer Hausbesichtigung erwähnte ich zufällig, dass ich über Motivationstrainer recherchierte. Darauf lächelte sie etwas gequält und deutete auf den Rücksitz ihres Wagens, der vollgepackt war mit Motivations-CDs. Als ich sie scherzhaft „Motivationsjunkie“ nannte, erklärte sie mir, sie stamme aus der Arbeiterklasse und sei nie ermutigt worden, sich hohe Ziele zu setzen. Irgendwann in den 1990er Jahren habe ihre Agentur beim Pacific Institute ein fünftägiges Seminar zu den Themen „Ziele setzen, positiv denken, visualisieren und ‚wie Sie aus Ihrer Kuschelecke rauskom-men‘ “ gebucht. Damals habe sie sich zum ersten Mal als selbstbestimmtes Individuum wahrgenommen und an Erfolg gedacht. Aber diese erste Erfahrung reiche kaum aus. Und so hört sie bei ihren Fahrten von Haus zu Haus weiterhin Motivations-CDs, einmal, weil „Makeln ein einsames Geschäft ist“, aber auch, weil die CDs ihr helfen, „die nächste Stufe“ zu erreichen.

Aber das Motivationsgewerbe wäre nicht der viele Milliarden Dollar schwere Wirtschaftszweig, der es ist, wenn es ausschließlich von individuellen Konsumenten lebte. Es eroberte sich einen viel größeren und finanziell potenteren Markt, und zwar die Wirtschaft, insbesondere die größten US-Firmen. Unternehmen kaufen Motivationsprodukte en gros – tausende von Büchern etwa –, um sie kostenlos an ihre Angestellten zu verteilen. Und sie verfügen über das nötige Geld für Motivationstrainer, die in der Regel fünfstellige Summen für einen Auftritt verlangen.

Die Verzweiflung managen

In den Referenzen, die Motivationstrainer auf ihren Websites präsentieren, fehlt kaum eines der großen US-Unternehmen; und ein Buch über das Motivationstraining listet unter den Klienten dieses Gewerbes Firmen wie Albertsons, Allstate, Caterpillar, Exxon Mobil und American Airlines auf.3 Die Unternehmen können ihre Mitarbeiter sogar zwingen, an entsprechenden Workshops teilzunehmen, sich DVDs anzusehen oder bei einem Motivationstraining zu erscheinen. Und unter den Besuchern der Motivationsmessen gibt es stets etliche, deren Eintrittskarte der Arbeitgeber bezahlt hat.

In den Händen der Arbeitgeber hat sich das positive Denken in etwas verwandelt, das für einen Arbeitgeber des 19. Jahrhunderts wohl kaum vorstellbar gewesen wäre – von der Ermutigung, sich aufzuraffen und in die Zukunft zu blicken, ist es zum Mittel sozialer Kontrolle am Arbeitsplatz geworden, zum Ansporn, immer höhere Leistungen zu bringen.

Die Verleger von Norman Vincent Peales „Die Kraft positiven Denkens“ gehörten zu den Ersten, die in den 1950er Jahren dieses Potenzial erkannten. „Manager, gebt dieses Buch den Angestellten. Es zahlt sich aus!“, hieß es in der Werbung. Verkäufer gewännen einen „neuen Glauben an die Produkte, die sie verkaufen, und Vertrauen in ihr Unternehmen“, und das Buch werde „zu erhöhter Effizienz beim Büropersonal“ führen, die Angewohnheit, „dauernd auf die Uhr zu schauen, [wird] deutlich abnehmen“.4 Mit der „Motivation“ als Peitsche wurde positives Denken zum Kennzeichen des fügsamen Angestellten schlechthin, und als sich mit den in den 1980ern einsetzenden Rationalisierungen die Arbeitsbedingungen verschlechterten, wurde auch die Peitsche mit strengerer Hand geführt.

Zwischen 1981 und 2003 verloren etwa dreißig Millionen amerikanische Vollzeitbeschäftigte ihre Stelle durch Rationalisierung. Private und staatliche Einrichtungen konnten den Opfern dieser gewaltigen sozialen Entwurzelung nur wenig Ausgleich bieten. Arbeitslosengeld wird in der Regel nur ein halbes Jahr lang gezahlt, die Krankenversicherung endet mit dem Arbeitsverhältnis. Viele der Entlassenen kamen wieder auf die Beine, fanden eine neue Stelle – wenn auch mit durchschnittlich 17 Prozent weniger Gehalt – oder arrangierten sich mit befristeten Verträgen oder einem Leben als „Berater“ der einen oder anderen Art.5 Doch ohne Absicherung landeten viele Angehörige der Mittelschicht rasch im Niedriglohnbereich oder gar in völliger Armut.

Ich habe etliche Beispiele dieser Abwärtsmobilität – abgestiegene Manager und Akademiker – kennengelernt oder von ihnen gehört: die Frau aus dem IT-Vertrieb in Atlanta, die zwischen verschiedenen Marketingjobs sechs Monate als Pförtnerin arbeitete; den Mietwagenchauffeur aus Minneapolis, der seinen Fahrgästen die alte Visitenkarte aus seiner Zeit als leitender Angestellter im Medienbereich gab – für den Fall, dass sie jemanden wie ihn suchten; den entlassenen Chemieingenieur, der eine Zeitlang in Obdachlosenheimen lebte. Die einst stabile Mittelschicht von Angestellten, die in dem Glauben aufgewachsen waren, mit ihren Fähigkeiten und ihrer Ausbildung auf der sicheren Seite zu stehen, musste plötzlich um ihre Zukunft bangen und hart kämpfen.

Der Personalabbau führte natürlich nicht zu einem Anstieg der Beschäftigten im Verkauf, wohl aber wurde immer mehr Menschen suggeriert, sich als Vermarkter zu begreifen. In der prekären neuen Arbeitswelt stand der Einzelne vor der Aufgabe, sich unablässig selbst an den Mann zu bringen. Der Angestellte war, wie der Anthropologe Charles N. Darrah es formulierte, „ein Bündel von Fertigkeiten geworden … das sich frei zwischen verschiedenen Arbeitsfeldern bewegen kann und seine Fähigkeiten wie einen Berg Gepäck mit sich herumschleppt“.6 Aber er konnte nur auf „freie“ Bewegungsmöglichkeit hoffen, wenn er unablässig an der „Marke namens Ich“ (Tom Peters) arbeitete und sie aufpolierte. Statt als „Angestellter“ sollte man sich nun als „Marke“ sehen, „die Einzigartigkeit, Engagement und Leidenschaft verkörpert“.7 Vom Programmierer bis zum Buchhalter lebten jetzt alle in derselben Ungewissheit wie der „einsame Handlungsreisende“, den Norman Vincent Peale einst vor Augen hatte.

Die Motivationsbranche konnte an diesen neuen Gegebenheiten nichts ändern. Sie konnte den Menschen lediglich helfen, anders darüber zu denken. So wurde betont, dass die Umstrukturierung der Unternehmen eine begrüßenswerte „Wende“ zum Fortschritt sei und der Verlust des Arbeitsplatzes die Chance zur Veränderung der Persönlichkeit biete. Aus den Umwälzungen werde eine neue Generation von „Siegern“ hervorgehen. Und genau dafür wurden die Motivationstrainer von den Firmen bezahlt.

1994 hieß es in der Washington Post: „Große Unternehmen suchen nach innovativen und kostengünstigen Möglichkeiten, die Moral der durch massiven Personalabbau entmutigten Arbeitnehmer zu heben.“8 Einer im Internet veröffentlichten „Geschichte des Coaching“ zufolge hat dieses Gewerbe sein enormes Wachstum in den 1990er Jahren dem „Verlust der lebenslangen Arbeitsplätze“ zu verdanken.9 An dem Tag, als AT & T ankündigte, in den folgenden zwei Jahren 15.000 Mitarbeiter zu entlassen, schickte das Unternehmen sein Personal in San Francisco zu einer Massenveranstaltung mit dem Titel „Erfolg 1994“. Wie Richard Reeves von der Time berichtete, lautete die Botschaft des dort auftretenden Redners – es handelte sich um den fanatischen christlichen Prediger Zig Ziglar: „Ihr selbst seid schuld; macht nicht das System verantwortlich; macht nicht den Chef verantwortlich – ihr müsst euch mehr anstrengen und beten.“10

Motivationsplakate und -kalender konnten den Markt erobern, weil es, wie sich eine Sprecherin von Successories mit taktvoller Abstraktion ausdrückte, „so viel Negativität auf der Welt gibt“. „Wir brauchen Successories-Produkte, weil viele Unternehmen Personal abbauen und andere sich die von ihren Mitarbeitern erwarteten Lohnsteigerungen nicht leisten können“, erklärte sie. Die Artikel ihrer Firma seien „eine Möglichkeit der Kompensation“.11 Und Ralph Whitehead, Journalistikprofessor an der University of Massachusetts in Amherst, stellte fest: „Dieselben Leute, die in den Unternehmen Stellen abbauen und jeden dritten Mitarbeiter feuern, hängen Plakate mit aufmunternden Sprüchen in die Flure, um die seelischen Wunden zuzudecken.“12

Das Ganze wirkt wie ein gigantischer Manipulationsversuch. „Die Situation ist einfach mies“, sagte mir ein Diplominformatiker, der nur noch kurz befristete Stellen ohne Versorgungsleistungen findet. Aber man kann die Situation nicht ändern, zumindest nicht ohne weiteres und mit sichtbarem Erfolg. Man könnte sich einer sozialen Bewegung anschließen, die sich für angemessene Absicherungen oder für eine menschlichere Unternehmenspolitik einsetzt, aber solche Bemühungen dauern oft ein Leben lang. Bis dahin bleibt nur, die eigene Sicht auf die Wirklichkeit zu verändern und, statt negativ und voller Bitterkeit, positiv auf die Welt zu blicken und sie so zu akzeptieren, wie sie ist. Positiv denken – das große Geschenk der Unternehmenswelt an ihre entlassenen Mitarbeiter und die ausgebrannten Beschäftigten, die die neue Geschäftspolitik überlebt haben.

Fußnoten: 1 Steven Winn, „Overcome that gnawing fear of success! at a one-day gathering that’s equal parts boot camp“, San Francisco Chronicle, 24. Mai 2004. 2 Rick Romell, „Selling Motivation Amounts to Big Business“, Milwaukee Journal Sentinel online, 21. Mai 2007. 3 Jonathan Black, „Yes You Can! Behind the Hype and Hustle of the Motivation Biz“, New York (Bloomsbury) 2006. 4 William Lee Miller, „Some Negative Thinking about Norman Vincent Peale“, Reporter, 13. Januar 1955, www.george.loper.org/trends/2005/ Aug/955 html. 5 Henry S. Farber, „What Do We Know about Job Loss in the United States? Evidence from the Displaced Workers’ Survey, 1984– 2005“, Working Paper 498, Princeton University Industrial Relations Section, 5. Januar 2005. 6 Zitiert in Carrie M. Lane, „A Company of One: White-Collar Unemployment in a Global Economy“, unveröffentlichtes Manuskript, S. 131. 7 Zitiert in Gaenor Vaida, „The Guru’s Guru“, Sunday Times (Südafrika), 6. Juli 2003. 8 Lloyd Grove, „The Power of Positive Buying; Feeling Unmotivated? This Mug’s for You“, Washington Post, 31. Dezember 1994. 9 www.workplacecoaching.com/pdf/HistoryofCoaching. 10 „Let’s Get Motivated“, Time, 2. Mai 1994. 11 Siehe Anmerkung 8. 12 William A. Davis, „Stores Cash in on Selling Success“, Boston Globe, 1. August 1994. Aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Barbara Steckhan Gekürztes Kapitel aus: Barbara Ehrenreich, „Smile or Die. Wie die Ideologie des Positiven Denkens die Welt verdummt“, München (Kunstmann) 2010. Wir danken dem Verlag für die Abdruckrechte. Barbara Ehrenreich ist US-Amerikanerin, Publizistin und Autorin zahlreicher Sachbücher. Zuletzt auf Deutsch erschienen: „qualifiziert & arbeitslos. Eine Irrfahrt durch die Bewerbungswüste“, München (Antje Kunstmann) 2006. © Kunstmann Verlag, München und Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 13.08.2010, von Barbara Ehrenreich