12.11.2010

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Dubai will Weltflughafen werden von Jean-Pierre Sereni

Wo mag wohl die Fluggesellschaft sitzen, die innerhalb eines Monats 62 Großraumflugzeuge im Wert von 20 Milliarden Dollar ordern kann? Weder in Amerika noch in Europa, lautet die Antwort, sondern in Dubai, dem kleinen Emirat am Persischen Golf.

Am 9. Juni unterschrieb die staatliche Fluggesellschaft Emirates auf der Internationalen Luftfahrtausstellung in Berlin einen Kaufvertrag für 32 Passagiermaschinen des neuesten Airbus-Modells A 380, und stieg damit zum größten Kunden von Airbus auf. Nur gut einen Monat später, am 18. Juli, schlug die Gesellschaft auf der Farnborough Airshow noch einmal zu: Dort bestellte man 30 Flugzeuge vom Typ Boeing 777-300ER, eine „extended range“-Version der 777-300.

Seit ihrer Gründung im Jahr 1985 (siehe Kasten) wird Emirates von einem dreiköpfigen Führungsteam geleitet. Ihr Vorsitzender, Scheich Ahmad Bin Said al-Maktum, ist der Neffe des herrschenden Emirs Mohammed Bin Raschid al-Maktum, der in Personalunion außerdem Premierminister, Verteidigungsminister sowie Vizepräsident der Vereinigten Arabischen Emirate ist.

Bei der Gründung der Gesellschaft war al-Maktum gerade 27 Jahr alt, besaß ein US-Diplom in Politologie und hatte keinerlei Erfahrungen im Luftfahrtgeschäft. Man weiß nur, dass er ein ausgesprochenes Faible für Luxus hat: Feine Wäsche, Einzelbett und Dusche für jeden Passagier – Emirates brüstet sich damit, seinen „Premium“-Passagieren in 9 000 Metern Höhe den größtmöglichen Komfort zu bieten.

Der Scheich verkauft gebrauchte Flieger

Dafür kennen sich die anderen beiden Mitglieder des Führungstrios, zwei Briten, umso besser aus: Generaldirektor Maurice Flanagan, ein Veteran der Royal Air Force und ehemals bei British Airways angestellt, und der Geschäftsführer Tim Clark. Als Chef der Dubai Aerospace Enterprise (DAE) kümmert sich der Scheich ausschließlich um Kauf, Verkauf und Vermietung der Emirates-Flugzeuge; eine zwar riskante, aber auch sehr lukrative Tätigkeit, denn der Markt für gebrauchte Flugzeuge ist hochspekulativ, weil er die Auf- und Abwärtstrends im Luftverkehr ebenso wie auf den Finanzmärkten vorwegnimmt.

Allein in den Jahren 2008 und 2009 kaufte die Gesellschaft für mehr als 2 Milliarden Dollar Flugzeuge auf Kredit. Insgesamt beläuft sich der Wert der Emirates-Bestellungen auf 68,6 Milliarden Dollar1 . Den enormen Aufschwung verdankt das Unternehmen jedoch in erster Linie seiner einzigartigen Wirtschaftsbeziehungen zum Herrscherhaus.

Im Unterschied zu den Scheichs der übrigen Golfemirate entwickelte die Herrscherfamilie al-Maktum schon früh ein kaufmännisches Talent. Bereits im 19. Jahrhundert bauten die Gründer der Dynastie eine kleine Bucht am Eingang der Straße von Hormus zu einem Hafen für Perlenfischerei aus. In der eleganten Damenwelt des alten Europas waren die Muschelperlen aus Dubai besonders begehrt. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 versetzte der Branche den ersten schweren Schlag, und als die Erdölindustrie seit den 1960er Jahren das Meer zunehmend verseuchte, war es mit der Perlenfischerei irgendwann ganz vorbei.

Auf der Suche nach neuen Geschäftsmöglichkeiten verlegten sich die Scheichs seit den 1950er Jahren auf den Goldschmuggel in die Neustaaten Indien und Pakistan. Noch unter britischer Kontrolle – Dubai wurde erst 1971 unabhängig – entwickelte sich das kleine Emirat zum weltweit drittgrößten Käufer des Edelmetalls. Mitten in der damaligen Weltwährungskrise machte der amerikanische Präsident Richard Nixon dem Emirat einen Strich durch die Rechnung: Am 15. August 1971 beendete er die Goldkonvertibilität des Dollars zum Kurs von 35 US-Dollar pro Unze, woraufhin Gold derart im Wert stieg, dass es für die Kundinnen der Juweliere von Bombay bis Lahore unerschwinglich wurde. Die Erdölindustrie in Dubai steckte noch in den Kinderschuhen, und so musste sich das Emirat abermals neu orientieren.

Diesmal war es der Tourismus. Eine auf den ersten Blick unsinnige Idee – außer viel Sand und einer mörderischen Hitze sechs Monate im Jahr hat das Land seinen Urlaubern kaum etwas zu bieten. Doch Dubai fand auch dafür eine Lösung: das Einkaufsparadies.

Seit den späten 1980er Jahren schossen die Shoppingmalls mit sagenhaften Attraktionen wie Pilze aus dem Boden: Lotterien lockten mit Millionengewinnen, Goldbarren oder Luxuslimousinen, aber auch Feuerwerke und Skipisten aus Kunstschnee gehörten zum Unterhaltungsprogramm. Als Erstes kamen die russischen bizinesmen, herbeigelockt durch Waren, die sie den Neureichen zu Hause teurer weiterverkaufen konnten. Sie waren auch die ersten Kunden der Emirates-Linie, die sogleich mit dem Slogan „Fly Buy Dubai“ für sich warb.

Inzwischen zieht Dubai so viele Touristen an wie Marokko und Tunesien zusammen: Die meisten kommen aus Saudi-Arabien und vom indischen Subkontinent; aber auch viele Briten sind dabei, vor allem reiche Rentner, die ihr Vermögen in Immobilien anlegen wollen: Seit 2002 können Ausländer in den an den Miami-Chic angelehnten neuen Wohnanlagen entlang der Küste Apartments und Villen erwerben.

Auch multinationale Konzerne haben sich hier niedergelassen. Fünf Sonderwirtschaftszonen bieten ihnen absolute Steuerfreiheit. Der amerikanische Großkonzern Halliburton, der Dienstleistungen im Erdöl- und Bausektor anbietet, verlegte bereits 2007 seinen Firmensitz nach Dubai.

In der Wüste gibt es keine Flughafengegner

Dubai profitiert von seiner geografischen Lage. Auf halbem Weg zwischen West und Ost wetteifert das Emirat mit Singapur um die Rolle des Verbindungsglieds zwischen den europäischen und asiatischen Märkten. Der internationale Flughafen von Dubai, eines der weltweit größten Luftfahrtdrehkreuze mit gigantischem Duty-free-Shop, wird von der Dubai National Air Transport Association (DNATA) betrieben, einer Schwestergesellschaft von Emirates: Dubai wird von 126 Gesellschaften angeflogen und hat ein jährliches Passagieraufkommen von 40 Millionen (2009), genauso viel wie der New Yorker Flughafen John F. Kennedy.

Die Emirates-Gesellschaft und der Flughafen erwirtschaften zusammen 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Dubai. Und weil der Herrscher hofft, dass die beiden Unternehmen seinem von der Finanz- und Immobilienkrise arg gebeutelten Land wieder auf die Beine helfen können, investiert er mächtig in die Branche.

Der gerade eröffnete Terminal 3 kann jährlich 30 Millionen Passagiere aufnehmen, ebenso viele wie der fast gleichzeitig eingeweihte Terminal 5 in London-Heathrow. Ein noch größerer zweiter Flughafen, der Al Maktoum International Airport, wurde im Juli 2010 eröffnet. Nach der endgültigen Fertigstellung im Jahr 2020 sollen hier Kapazitäten für 160 Millionen Passagiere zur Verfügung stehen.2 In Dubai ist Bauland billig, und die Ausdehnung von Großprojekten wird weder von Umweltschutzverbänden noch von renitenten Anwohnern behindert.

Ein weiterer Standortvorteil ist die kafala, ein in allen Golfstaaten geltendes Bürgschaftssystem. 90 Prozent der 1,8 Millionen Einwohner von Dubai sind Ausländer, und für eine Aufenthaltserlaubnis über drei Jahre benötigt jeder zugewanderte Arbeitnehmer eine Bürgschaft seines Arbeitgebers oder eines anderen Emiratis. Wer arbeitslos wird, verwirkt damit automatisch sein Aufenthaltsrecht und muss ausreisen. So etwas wie Abfindungen sind in diesem System nicht vorgesehen, und Betriebsräte oder Gewerkschaften sind sowieso verboten. Wie alle anderen Arbeitgeber in Dubai profitiert auch Emirates von der kafala: Die Gesellschaft beschäftigt Mitarbeiter aus 50 Staaten.3

Den europäischen Fluggesellschaften ist der Erfolg von Emirates ein Dorn im Auge. „Ihr Ergebnis im Geschäftsjahr 2009/2010 ist ein kleines Wunder“, sagt Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber.4 Das habe vor allem mit den Kerosinkosten zu tun, heißt es, die etwa knapp ein Drittel der Ausgaben einer Fluggesellschaft ausmachten. Als staatliche Gesellschaft eines Ölemirats profitiere Emirates daher von versteckten Subventionen. Das sei eindeutig unlauterer Wettbewerb. Air France, die Lufthansa und Air Canada sind daher entschieden dagegen, dass Emirates neue Landerechte (slots) auf europäischen und nordamerikanischen Flughäfen erhält.

Europas Regierungen verprellen hingegen höchst ungern einen derart wichtigen Kunden ihrer Luftfahrtindustrie. Den Vorwurf, er ziehe die Dubaier Fluggesellschaft seinen europäischen Konkurrenten vor, konterte EADS-Chef Louis Gallois im Juni 2010 lapidar: „Mir sind alle meine Kunden gleich lieb.“5

Der Erfolg von Emirates und dem Dubai International Airport hat in den Golfstaaten einige Nacheiferer auf den Plan gerufen: Mindestens acht regionale Fluggesellschaften machen Emirates inzwischen Passagiere und Fracht streitig – ohne Rücksicht auf die Kosten. Die Unternehmen in Staatsbesitz schreiben alle rote Zahlen. Qatar Airways und Etihad (Abu Dhabi), die besonders aggressiv expandieren, bieten Qualitätsservice und ein rasant wachsendes, weltweites Streckennetz. Sie drängen bei den Flugzeugherstellern auf eine schnellere Auslieferung, fordern die Entwicklung neuer Modelle und bauen neue Flughäfen, die wie Dubai früher oder später zu globalen Drehkreuzen werden sollen.

Man fragt sich, ob der regionale Markt mit dem schwindelerregenden Wachstum überhaupt mithalten kann. Glauben wollen es alle. Die International Air Transport Association (IATA) prophezeite den Golf-Gesellschaften für 2010 ein Nachfragewachstum von bis zu 20 Prozent, das wäre das Doppelte der Vorjahresrate und würde auch die Steigerung der realen Kapazitäten von 2009 (15,9 Prozent) noch übertreffen. Der Ertrag pro Reisekilometer (yield) – das Barometer, auf das die gesamte Branche unverwandt starrt – sollte also steigen, und damit der Gewinn.

Aber das Wunder von Dubai könnte sich auch als Fata Morgana entpuppen und den Erfolg ins Gegenteil verkehren, so wie die Immobilienkrise das Emirat 2009 an den Rand des Abgrunds brachte. Damals musste sich Dubai von seinem reichen Nachbarn und Rivalen Abu Dhabi 10 Milliarden Dollar leihen, um die Investmentgesellschaft Dubai World zu retten. Die hoch verschuldete Holding war nach dem Zusammenbruch des Dubaier Immobilienmarkts auf tausenden von Villen, Wohnungen und Büroflächen sitzen geblieben und konnte ihre Kredite nicht mehr tilgen.6 Es bleibt also abzuwarten, ob die ohnehin hoch verschuldete Luftfahrtbranche am Golf nach dem Bausektor zum nächsten Opfer der eigenen Überkapazitäten wird.

Fußnoten: 1 Middle East Economic Digest (MEED), London, 6.–12. August 2010. 2 Nathalie Gillet, „Dans les sables de Dubaï s’érige le plus grand aéroport du monde“, Les Échos, Paris, 17. August 2010. 3 Siehe Syed Ali, „Dubai Gilded Cage“, Yale University Press (New Haven & London) 2010. 4 Siehe Aviationweek & Space Technology, 14.–21. Juni 2010. 5 Fernsehsendung „Le Grand Jury“ LCI/Le Figaro/RTL, 18. Juni 2010. 6 Siehe Ibrahim Warde, „Das beste Dubai der Welt. Geschichte einer Pleite der Superlative“, Le Monde diplomatique, März 2010.

Aus dem Französischen von Barbara Schaden

Jean-Pierre Sereni ist Journalist und zusammen mit Pierre Péan Autor von „Les Emirs de la République. L’aventure du pétrole tricolore“, Paris (Seuil) 1982.

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Am 26. Juni 1985 gründete der Emir von Dubai, Scheich Mohammed Bin Raschid al-Maktum, per Dekret die Emirates Airline, was weitgehend unbeachtet blieb. Das Startkapital der Fluggesellschaft war bescheiden, knapp 10 Millionen Dollar. Im Oktober 1985, zum Start der Linie Dubai–Karatschi, stellte der pakistanische Diktator Zia ul-Haq zwei Maschinen zur Verfügung, damit zweimal täglich die Hauptstadt der Provinz Sindh angeflogen werden konnte. Ein Jahr später kamen Bombay und Delhi als Zielflughäfen hinzu; in den ersten Fliegern saßen tausende von Einwanderern vom Subkontinent, die in Dubai ihr Glück versuchen wollten.

Ende der 1980er Jahre sicherte sich die Gesellschaft Landerechte in Hongkong, Singapur, Deutschland und Großbritannien. 1994 flog Emirates bereits 33 Ziele an, heute sind es über 60. Seit ihrer Gründung hat die Gesellschaft in keinem einzigen Jahr Verluste geschrieben. Und sie hat bis heute ihre Unabhängigkeit von den großen transatlantischen Luftfahrtallianzen wie Sky Alliance (United Continental, Air Canada, Lufthansa) und Sky Team (Delta, Air France, KLM, Tarom) gewahrt.

Le Monde diplomatique vom 12.11.2010, von Jean-Pierre Sereni