12.11.2010

China – Herr über die seltenen Erden

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China – Herr über die seltenen Erden

von Olivier Zajec

Neue Meldungen über die in aller Welt begehrten „seltenen Erden“ hätte man eher aus den Erzgruben der Inneren Mongolei oder den Bergwerken im australischen Busch erwartet. Doch vor wenigen Wochen war es ein Zwischenfall in den Nebelbänken des Ostchinesischen Meers, die das Augenmerk der ganzen Welt wieder auf die Bedeutung jener Metallvorkommen lenkte, die für die Hochtechnologie-Industrie so unentbehrlich sind. Am 7. September umzingelte die japanische Küstenwache ein chinesisches Fischerboot, das sie innerhalb der japanischen Territorialgewässer angetroffen hatte. Das Boot versuchte zu fliehen und rammte dabei ein Schiff der japanischen Marine. Die chinesische Besatzung wurde verhaftet.

Der Zwischenfall spielte sich in der Nähe der Senkaku-Inseln ab, die für die Chinesen Diaoyu heißen. Diese acht fast unbewohnten Inseln liegen 170 Kilometer nordöstlich von Taiwan und gehören völkerrechtlich zu Japan, werden aber seit den 1970er Jahren auch von China beansprucht. Anfangs hatte Peking seine Forderungen noch in gemäßigtem Ton vorgebracht, doch in jüngster Zeit wird der chinesische Anspruch entschiedener formuliert, was auch die veränderten Kräfteverhältnisse in Ostasien widerspiegelt: Die aufsteigende Weltmacht China fühlt sich in ihren – nach dem Internationalen Seerecht 12 Kilometer breiten – Territorialgewässern eingeengt, während Japan immer mehr in die Defensive gerät.1

Die diplomatische Eskalation nach dem Zwischenfall vom 7. September zeigt auch, welch überragende strategische Bedeutung die Chinesen diesen Inseln inzwischen beimessen, deren Besitz ihnen das Recht auf eine „ausschließliche Wirtschaftszone“ auf dem umliegenden Meeresgrund verschaffen würde. Auf die Verhaftung des Kapitäns reagierte der chinesische Außenminister mit der Drohung: „Wenn Japan dieses unkluge Verhalten fortsetzt, wird es erleben, welch bittere Frucht daraus erwächst.“ In ganz China gab es mehr oder weniger spontane „patriotische“ Proteste, bei denen japanische Fahnen verbrannt wurden.

Dysprosium, Europium, Neodym, Lutetium

Am 20. September war dann klar, welche „bittere Frucht“ Peking gemeint hatte: China schränkte den Export „seltener Erden“ nach Japan schlagartig ein. Ohne dass es eine offizielle Mitteilung gegeben hätte, registrierten die Schiffsmakler in Hongkong, London und Tokio, dass die Beladung der Schiffe verzögert und teilweise sogar blockiert wurde.2 Die Wirkung war durchschlagend.

Mit dieser Machtdemonstration Pekings zeigte sich die grundlegende Schwäche Japans und vieler anderer Mächte, die auf diese kostbaren Metalle als wirtschaftsstrategische Ressourcen angewiesen sind. Die seltenen Erden sind eine Gruppe von 17 Metallen mit einzigartigen Eigenschaften3 , die in innovativen und Hochtechnologie-Produkten – wie Lasern, Mobiltelefonen und LCD-Bildschirmen – immer breitere Anwendung finden. Die enorme Leistungsfähigkeit von Touchscreen-Geräten – vom iPhone bis zum Tablet-Computer –, beruht zum Teil auf den Eigenschaften dieser Elemente. Das gilt auch für die neuen, „grünen“ Industrien: Batterien für Hybridfahrzeuge, Solarpaneele, Energiesparlampen und Windkraftturbinen sind auf Dotierungsmetalle4 wie Neodym, Lutetium, Dysprosium, Europium oder Terbium angewiesen, deren herausragende katalytische Eigenschaften auch bei der Erdölraffination genutzt werden sollen. In der Rüstungsindustrie sind die seltenen Erden unentbehrlich bei der Produktion der modernsten Waffensysteme (Marschflugkörper, Lenkmunition, Radar oder Reaktivpanzerungen).

Der weltweite Bedarf an seltenen Erden wächst jährlich um mehr als 10 Prozent. In den letzten zehn Jahren ist er von 40 000 auf 120 000 Tonnen pro Jahr gestiegen. In einer vom US-Verteidigungsministerium in Auftrag gegebenen Studie schrieb die Analystin Cindy Hurst: „Ohne die seltenen Erden hätte sich ein Großteil der modernen Technologie völlig anders entwickelt, und viele Anwendungen wären überhaupt nicht möglich. Zum Beispiel hätten wir nie die Vorteile von immer kleineren Telefonen und tragbaren Computern kennengelernt.“5 Je innovativer – das heißt je robuster, leichter, kleiner und „öko-kompatibler“ – ein Produkt ist, desto größer ist auch seine Abhängigkeit von seltenen Erden. Allein der japanische Autohersteller Toyota benötigt für die Herstellung der Batterien des Hybridautos Prius jährlich 10 000 Tonnen.6 Das Wachstum der „grünen“ Industrie dürfte den weltweiten Jahresbedarf auf 200 000 Tonnen erhöhen: In der Turbine einer einzigen Windkraftanlage sind mehrere hundert Kilogramm der seltenen Erden verarbeitet.

„Selten“ sind diese Rohstoffe eigentlich nicht. Nach Schätzungen des US Geological Survey (USGS), einer wissenschaftliche Behörde der US-Regierung, lagern in China über 40 bis 50 Prozent der Weltvorkommen dieser Metalle. Über beträchtliche Vorkommen verfügen aber auch viele andere Länder wie die USA, Australien, Kanada, Kasachstan und Vietnam. Wie erklärt sich dann die Nervosität in Japan und anderswo? Die Antwort ist einfach: 2010 stammten von den weltweit geförderten 125 000 Tonnen an Seltenerdoxiden 97 Prozent aus China. Peking besitzt also ein fast absolutes Monopol, das freilich noch gar nicht so lange besteht.

Von der Entdeckung der riesigen Vorkommen von seltenen Erden im nordchinesischen Bayan Obo im Jahr 1927 bis in die 1960er Jahre hinein zeigten die Chinesen kein besonderes Interesse für diesen potenziellen Wettbewerbsvorteil. Bei der Produktion der wertvollen Stoffe lagen die USA einsam an der Spitze. Erst unter Deng Xiaoping beschloss man 1986 mit dem „Programm 863“7 eine langfristige Strategie für die kontinuierliche Ausbeutung der seltenen Erden, das sich von der Förderung über die Trennung und Umwandlung der Rohstoffe bis zur Herstellung von Halbfertigprodukten erstreckte.

Eine entscheidende Rolle spielte dabei Professor Xu Guangxian,8 der „Vater der seltenen Erden Chinas“. Er gründete 1987 das erste chinesische Labor speziell für die angewandte Chemie der seltenen Erden. Zwischen 1978 und 1989 wuchs die chinesische Produktion um jährlich 40 Prozent9 und überholte damit die USA, deren Produktion in diesem Zeitraum ständig zurückging. Den Chinesen kam dabei zugute, dass ihre riesigen Vorkommen in der Inneren Mongolei leicht zugänglich waren, so dass sie ihre seltenen Erden jahrelang billig verkaufen konnten. Nach und nach verdrängte China so die anderen Produzenten, die es vorzogen, auf das Gesetz der komparativen Kostenvorteile zu setzen und im Sinne „wettbewerbsgerechter Deinvestition“ die Produktionsverlagerung nach China zu fördern.

Dass in den letzten zwanzig Jahren die ausländischen Konkurrenten verschwunden sind, hat auch mit der produktionstechnischen Komplexität zu tun. Die Verfahren zur Trennung und Veredelung dieser Verbindungen sind kapitalintensiv und umweltschädlich. Für diese Trennverfahren sind extrem schädliche chemische Substanzen erforderlich, zudem fallen radioaktive Rückstände an.

Eine Macht, die aus der Erde kommt

Nur China hat trotz dieser „negativen externen Effekte“ eine Massenproduktion entwickelt, die natürlich zulasten der Gesundheit der Bergarbeiter von Baotou und der Umwelt geht. Der Abraum der Bergwerke von Baotou Steel im Gelben Fluss ist bereits jetzt ein riesiges Problem, bei den Arbeitern liegt die Häufigkeit von Krebserkrankungen weit über dem Durchschnitt. Christian Hocquart vom Bureau de recherche géologique et minière (BRGM), ein anerkannter Spezialist auf diesem Gebiet, verweist auf „ein gewisses Paradox“, weil seltene Erden, die für die Produktion erneuerbarer Energien unentbehrlich sind, mit umweltschädlichen Verfahren gewonnen werden.10

Dank jener 17 Metalle, die schon Deng Xiaoping in den 1970er Jahren prophetisch als das künftige „Erdöl Chinas“ bezeichnete, kann China seinen Kunden in den USA, in Japan und Europa die Bedingungen diktieren, da diese aufgrund ihrer extrem kurzen Innovationszyklen auf die seltenen Erden angewiesen sind. Wie der Konflikt um die Senkaku-Inseln zeigt, hat Peking keinerlei Skrupel, diese Machtposition für seine Außenpolitik auszunutzen.

Einige Beobachter gehen davon aus, dass China die Abhängigkeit seiner Kunden künftig nicht nur ausnutzen, sondern zu einer Erdrosselungsstrategie übergehen könnte. Nach diesem Szenario wird Peking den Umfang seiner Exporte immer stärker einschränken, um damit zwei Ziele zu verfolgen: Zum einen würde es die Preise in die Höhe treiben und damit seine Monopolprofite steigern (im August 2010 lag der Preis für eine Tonne Neodym bei 32 000 Dollar, was eine Steigerung um 60 Prozent innerhalb eines Jahres bedeutet). Zum anderen kämen die seltenen Erden vornehmlich der eigenen industriellen Produktion zugute. Nachdem sich China mit dem Abbau „roher“ seltener Erden und bei der Produktion von Halbfabrikaten eine Monopolstellung gesichert hat, strebt es jetzt danach, Endprodukte mit höherer Wertschöpfung herzustellen, also eine volle, vertikal integrierte Produktionskette aufzubauen. Die Durchsetzung dieser beiden Ziele mittels eines fast vollständigen Exportstopps für die betreffenden Materialien würden China einen beträchtlichen strategischen Vorteil verschaffen.

Allen Beobachtern zum Trotz, die China eine machiavellistische Industriepolitik zuschreiben, ist diese Entwicklung nicht allein auf den Willen der Funktionäre des Zentralkomitees zurückzuführen. Denn die Strategie erhöhter Wertschöpfung fällt zeitlich mit einer rapiden Beschleunigung des Wirtschaftswachstums und des Massenkonsums zusammen. Damit ist China gezwungen, seine eigene Industrie – schneller und rücksichtsloser als eigentlich gewollt – bei der Versorgung mit den zunehmend nachgefragten Rohstoffen zu bevorzugen.

Es ist also ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren – die zugleich gewollt (machtpolitische Strategien und eine ehrgeizige Industriepolitik) und ungewollt sind (wachsende Binnennachfrage). Das erklärt, warum China seine Exporte seltener Erden in den letzten sieben Jahren um 40 Prozent reduziert und im Juli 2010 angekündigt hat, dass die Ausfuhr im zweiten Halbjahr 2010 erneut um mehr als 70 Prozent (auf 8 000 Tonnen gegenüber etwa 28 000 Tonnen im entsprechenden Vorjahreszeitraum) zurückgehen wird.11 Selbst wenn sie es wollten, wäre es für die Chinesen schwierig, die Produktion dem Wachstum der weltweiten Nachfrage anzupassen. Auch das erklärt die Lieferblockade gegenüber den ausländischen Kunden, die China in Konflikt mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) bringen, im Rest der Welt offizielle Beschwerden auslösen und Verschwörungstheoretiker auf den Plan rufen.

Aber die besorgte Industrie in Japan, Europa und den USA kann auch auf objektive Faktoren verweisen: Seit August 2010 wird in China die ganze Branche um einige große Staatsunternehmen herum restrukturiert. So hat jetzt Baotou Steel, das bisher schon 75 Prozent der nationalen Produktion kontrollierte, auch kleinere Unternehmen im Süden wie etwa Xinfeng Xinli Rare Earth übernommen. Damit will man die Umweltprobleme besser in den Griff bekommen, vor allem aber den illegalen Handel mit seltenen Erden eindämmen, von dem Experten schätzen, dass er nahezu ein Drittel der aus China ausgeführten Mengen ausmacht.

Zentrale Bedeutung für die Rüstungsindustrie

Hinzu kommt der willkommene Nebeneffekt, dass dieses nunmehr lückenlose Monopol sein volles Gewicht auf dem Markt geltend machen kann. Damit bleibt den ausländischen Herstellern gar nichts anderes übrig, als ihre Fertigung nach China zu verlagern, weil sie sich nur so den dauerhaften Zugang zu den unersetzlichen Grundstoffen sichern können. Das haben viele bereits getan. Einige Analysten befürchten noch Schlimmeres: Die Regierung in Peking könnte, um ihr Monopol um jeden Preis zu bewahren, die einheimischen Unternehmen ermutigen, die Kapitalmehrheit in einigen der ausländischen Firmen zu erwerben, die mit der Branche der seltenen Erden mehr oder weniger eng verbunden sind (Ersteres gilt etwa für australische Bergbaukonzerne und kanadische Metallurgiefirmen).

Im Juli 2009 hat die staatliche China Investment Corporation (CIC) 17 Prozent des großen kanadischen Bergbaukonzerns Teck Resources Ltd. übernommen. Als zwei Monate später das Staatsunternehmen China Nonferrous Mining Company (CNMC) bei der australischen Lynas Corporation einsteigen wollten, löste das eine politische Abwehrreaktion aus. Die australische Regierung stellte so harte Bedingungen, dass CNMC den Deal absagte. Allerdings hatte schon im April 2009 ein anderes chinesisches Unternehmen 25 Prozent von Arafura Resources Ltd., einem australischen Produzenten seltener Erden, erwerben können.12 Vier Jahre vorher wäre sogar die größte „schlafende“ Lagerstätte seltener Erden in den USA, Mountain Pass, beinahe unter chinesische Kontrolle geraten: Kurz nachdem die kalifornischen Mine 2005 geschlossen worden war, gab die China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) ein Kaufangebot für die US-Ölgesellschaft Unocal ab, den rechtlichen und faktischen Eigentümer von Mountain Pass. Nach heftigen Diskussionen im Kongress und in der Öffentlichkeit über die bedrohte Erdölautonomie der USA blieb Unocal am Ende dann doch in amerikanischem Besitz. Dass China mit diesem Angebot um Haaresbreite zwei Fliegen (Erdöl und seltene Erden) mit einer Klappe geschlagen hätte, war damals allerdings kaum jemandem aufgefallen.

Insgesamt demonstriert China seit einigen Jahren seine Entschlossenheit – und Fähigkeit –, eine fein abgestimmte Gesamtstrategie zu entwickeln, die auf vier Säulen basiert: seinen eigenen reichen Rohstoffvorkommen, seiner Kaufkraft auf den internationalen Märkten, seinen großen Kapitalreserven und der geballte Entscheidungsmacht der Exekutive. Doch trotz der eigenen Stärke ist Chinas größter Trumpf vielleicht das Fehlen jeglicher politischer Koordination, das sich die westlichen Akteure bei ihrem Bemühen um Energieautonomie leisten.

Das böse Erwachen der „Industrieländer“ (um noch einmal diesen deutlich veralteten Begriff zu benutzen) demonstriert am besten eine Geschichte, die den Widerspruch zwischen kurzfristiger kapitalistischer Logik und langfristiger Strategie auf ironische Weise illustriert: Von 1965 bis 1985 befand sich die gesamte Produktionskette der seltenen Erden noch in US-amerikanischer Hand. Auf der „Basis“ des kalifornischen Bergwerks Mountain Pass konnte der industrielle „Überbau“ versorgt werden. Zum Beispiel fertigte die Firma Magnequench in Indiana, eine General-Motors-Tochter, die Permanentmagneten aus Neodym-Eisen-Bor, die heute in der Autofabrikation unverzichtbar sind.

Dann aber begann der Aufstieg der chinesischen Konkurrenz und der Druck auf die Preise. Nachdem die kombinierte Wirkung von chinesischem Preisdumping und zunehmenden Umweltproblemen die Rentabilität von Mountain Pass untergraben hatte, legten zwei chinesische Unternehmen 1995 ein Kaufangebot für Magnequench vor, sie hatten sich zu diesem Zweck mit einem US-Investor zusammengetan. Die US-Regierung genehmigte den Kauf am Ende mit der Auflage, dass die Chinesen die Firma für fünf Jahre in den USA weiterführen. Nach Ablauf dieser Frist wurden die Angestellten entlassen, das Unternehmen buchstäblich demontiert und nach Tianjin in China verpflanzt.13 Seitdem haben auch andere Produzenten, darunter deutsche und japanische, ihre Betriebe in den USA geschlossen und die Fabrikation ebenfalls nach China verlagert. Heute ist dieser Sektor auf amerikanischem Boden praktisch nicht mehr vertreten.

In den jüngsten alarmistischen Berichten der US-Thinktanks über seltene Erden spielt die Geschichte von Magnequench eine zentrale Rolle. Dabei fehlt selten der Hinweis, dass Magnequench zum Teil aus öffentlichen Geldern finanziert wurde und dass die Firma die Magneten lieferte, die Boeing für die Produktion von Lenkbomben (Joint Direct Attach Munition oder JDAM) benötigte. 1995 hatten allerdings nur ein paar Gewerkschafter und Kongress-Abgeordnete die Marktlogik angezweifelt, die einen derartigen strategischen Fehler ermöglich hatte.

Inzwischen sind die seltenen Erden auch deshalb zu einem beherrschenden Thema geworden, weil gegenüber der Situation von 1995 eine neue Dimension hinzugekommen ist: Chinas wachsende Militärmacht. Seit etwa einem Jahr ergießt sich aus den Thinktanks von Washington eine Flut von Studien und Analysen über die „rare earths“, die bereits vor dem Zwischenfall bei den Senkaku-Inseln zunehmend alarmistische Töne anschlagen. Besonders besorgt ist das Pentagon, das Parlamentarier und US-Regierung mit düsteren Zukunftsszenarien aufzurütteln versucht. Und der National Defense Authorization Act für das Haushaltsjahr 2010 enthält mit dem Artikel 843 den expliziten Auftrag an das General Accountability Office (das GAO hat die Funktion eines Rechnungshofs), einen detaillierten Bericht über die Bedeutung der seltenen Erden für die Rüstungsprogramme des Verteidigungsministeriums vorzulegen.14

Die Liste der rüstungstechnischen Anwendungen ist lang und wird ständig länger: Präzisionslenkwaffen, Laser-, Kommunikations- und Radarsysteme, Avionik (Luft- und Raumfahrttechnik), Nachtsichtgeräte, Satelliten. Für fast alle neu entwickelten Verfahren oder Materialien in den Entwicklungslabors der Rüstungsindustrie werden seltene Erden benötigt.15 Das US-Verteidigungsministerium hat festgestellt, dass in den letzten Jahren einige Baukomponenten, die auf seltene Erden wie Lanthan, Cerium, Europium und Gadolinium zurückgehen, nicht ausreichend vorhanden waren, was bei verschiedenen Rüstungsprojekten zu Verzögerungen führte.

Ein Beispiel für den guten Krieg

Die US-Luftwaffe, die besonders stark auf geheime Entwicklungen und neue, disruptive Technologien16 (etwa die Tarnkappentechnologie) setzt, artikulierte schon 2003 in einem internen Bericht ihre Besorgnis über die Abhängigkeit von starken Magneten auf der Grundlage von Neodym. Und das Industrial College of the Armed Forces hat in ihrer „Industry Study“ für 2009 einen Überblick über die Verwendung von seltenen Erden in den Bereichen Schiffbau, Waffenproduktion17 und Luftfahrt geliefert. Auch das Army Research Laboratory und das Naval Surface Warfare Center untersuchen die Abhängigkeit von seltenen Erden und wie ihr zu begegnen ist. Vor einiger Zeit soll die US-Marine sogar erwogen haben, eine Wiederaufnahme der Arbeiten von Mountain Pass zu finanzieren.

Eine vom Pentagon in Auftrag gegebene umfassende Studie über die Abhängigkeit der USA von seltenen Erden, in der 24 unterschiedliche Waffensystemen untersucht werden, soll vor Ende 2010 abgeschlossen sein.18 Das ist ein bisschen spät. Und man kann getrost davon ausgehen, dass die Chinesen eine entsprechende Untersuchung längst durchgeführt haben. Sie dürften daher abschätzen können, auf welche Weise sie die Versorgung mit dem einen oder anderen Element beeinträchtigen können, die für die disruptiven Technologien unverzichtbar sind, auf denen der militärtechnologische Vorsprung der USA beruht. Nach den Lehren des altchinesischen Militärtheoretikers Sunzi wäre dies ein klassisches Beispiel für einen „guten Krieg“.

Die Entscheidungsträger in Washington sehen in einer künftigen Beschränkung der chinesischen Exporte ein großes Problem für die Wettbewerbsfähigkeit der USA. Im Kongress wird die Forderung diskutiert, den Abbau von seltenen Erden auf US-Territorium zu fördern, damit das Land in Zukunft nicht mehr zu hundert Prozent von chinesischen Importen abhängig ist. Im März 2010 präsentierte der republikanische Abgeordnete von Colorado, Mike Coffman, einen Gesetzentwurf, der einen Neuaufbau der ganzen Branche und die Anlage strategischer Reserven vorsieht.

Aus dieser Initiative ging der „Rare Earths and Critical Materials Revitalization Act“ hervor, der gegenwärtig im Kongress beraten wird. Aber trotz all der einschlägigen Analysen und Diskussionen über strategische Reserven und Reaktivierungsprogramme, wird die Abhängigkeit der USA noch einige Jahre andauern. Man schätzt, dass der Wiederaufbau einer eigenen Produktion von seltenen Erden 15 Jahre in Anspruch nehmen und erhebliche Investitionen erfordern wird.

Zwar werden die USA den Bergbau von Mountain Pass bis 2011 wieder in Gang bringen. Zwar kauft Toyota seine seltenen Erden jetzt – mittels langfristiger Partnerschaftsverträge – in Vietnam und anderswo, und das japanische Industrieministerium investiert in die Minen von Kasachstan und Kanada. Zwar baut die französische Firma Rhodia ihre Beziehungen zu australischen Produzenten aus, die zunehmend als Ersatzlieferanten einspringen, um das chinesische Monopol zu umgehen. Doch es stellt sich die Frage, ob die Wirtschaftskrise diesen Ländern und auch privaten Unternehmen den nötigen Spielraum lässt, um ein langfristiges Investitionsprogramm zu schultern. Das ist alles andere als sicher. Tatsächlich sind die großen Unternehmen der USA, Japans und Europas – unabhängig von den politisch-strategischen Planungen ihrer Regierungen – immer stärker von diesen Materialien abhängig, und damit von den „chinesischen“ Grundstoffen, aus denen sie sich großenteils zusammensetzen.

Und wie reagieren die Europäer? Am 17. Juni 2010 veröffentlichte die EU-Kommission einen alarmierenden Bericht, der auf die kritische Versorgungslage der europäischen Wirtschaft bei 14 Rohstoffen aufmerksam machte – zuvorderst bei den seltenen Erden. Ebenso scheint die Bundesregierung die Zeichen der Zeit erkannt zu haben: Am 2. November forderte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle den Aufbau eines „Rohstoffkartells“ der deutschen Industrie, um dem chinesischen Monopol besser begegnen zu können. Auch für Europa stellt sich also mittlerweile die Frage, wie man die Fehler der Vergangenheit vermeiden, eine relative Versorgungsautonomie erreichen und verhindern kann, dass man in diesen strategischen Bereichen den Anschluss verliert.

Fußnoten: 1 Siehe Barthélémy Courmont, „Geopolitique du Japon“, Perpignan (Artège) 2010. Siehe auch Olivier Zajec, „Admiral Zheng He kehrt zurück“, Le Monde diplomatique, Oktober 2008. 2 Keith Bradsher, „Amid tensions, China blocks vital exports for Japan“, The New York Times, 23. September 2010. 3 Zur Gruppe der seltenen Erden gehören die 15 sogenannten Lanthanoide, darunter Lanthan (La, 57) und Lutetium (Lu, 71) sowie Yttrium und Scandium. 4 Bei der Produktion von Halbleitern werden kleinste Mengen eines Dotierungsmetalls in ein Germanium- oder Siliziumkristall eingebaut. 5 Cindy Hurst, „China’s rare Earth Elements Industrie: What can the west learn?“, Institute for the Analysis of Global Security (IAGS), März 2010. 6 Siehe Makiko Kitamura und Jason Scott, „Toyota forms task force on rare earth metals amid China export ban reports“, 29. September 2010, www.bloomberg.com. 7 „Forschungs- und Entwicklungsprogramm für die nationale Hochtechnologie“. 8 Xu, der von 1946 bis 1951 an der Columbia Universität studierte, gilt als Nationalheld. Ihm wurde im Januar 2009 der höchste Staatspreis für Wissenschaft und Technologie verliehen. 9 Cindy Hurst, siehe Anmerkung 5. 10 Interview mit Christian Hocquard, veröffentlicht auf Actu-Environnement.com, 2. Juni 2010. 11 Chinesisches Handelsministerium (www.mofcom.gov.cn) und Bloomberg News, „China cuts rare earth export quota 72 percent, may spark trade dispute with US“, 9. Juli 2010. 12 Es war die Arufa Jiangsu Eastern China Non-Ferrous Metals Investment Co. Siehe das Informationsportal www.australianrareearth.com. 13 Jeffrey St. Clair, „The saga of Magnequench“, The Bloomington Alternative, 23. April 2006. Zu den aktuellen Plänen und Produkten der Firma siehe www.magnequench.com. 14 „Rare earth materials in the defense supply chain“, 14. April 2010, www.gao.gov. 15 Bericht des National Defense Stockpile von 2009, zitiert in der erwähnten GAO-Studie. 16 Technologische Umwälzungen, durch die bestehende Technologien nicht verbessert, sondern durch neue ersetzt werden. 17 www.ndu.edu/icaf/programs/academic/industry/reports/2009. 18 Siehe Financial Times vom 16. September 2010 sowie: RareMetalBlog vom 29. September 2010: www.raremetalblog.com/2010/09.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Olivier Zajec ist Berater der Consultingfirma Compagnie Européenne d’Intelligence Stratégique (CEIS).

Le Monde diplomatique vom 12.11.2010, von Olivier Zajec