10.12.2010

Der fragile Frieden

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Der fragile Frieden

In Burundi und Ruanda verbünden sich Hutu und Tutsi gegen ihre autoritären Staatschefs von Colette Braeckman

Am 26. August 2010 trat Pierre Nkurunziza seine zweite Amtszeit als Präsident von Burundi an. Zu seiner feierlichen Vereidigung kam als einziger ausländischer Staatschef Paul Kagame aus der benachbarten Republik Ruanda in die Hauptstadt Bujumbura. Ruanda und Burundi werden oft als Zwillingsstaaten bezeichnet. Beide Länder waren belgische Kolonien, und die Geschichte beider Staaten ist von Spannungen und Massakern zwischen Tutsi und Hutu geprägt. Traditionell definierten sich die beiden Gruppen über ihre soziale Herkunft: Hutu waren meistens Bauern, und Tutsi verdienten ihren Lebensunterhalt als Viehzüchter. Erst die Belgier erklärten die beiden Gruppen offiziell zu Ethnien. Doch trotz der gemeinsamen Geschichte gibt es auf beiden Seiten der Grenze verschiedene Ursachen und Lösungsansätze für die Konflikte.

In Ruanda ist 16 Jahre nach dem Genozid an den Tutsi nach wie vor Kagames ehemalige Tutsi-Miliz (Ruandische Patriotische Front, RPF) an der Macht. Nach der Flucht der Hutu-Regierung im Sommer 1994 ordnete die RPF als Erstes an, den Begriff Ethnie aus allen offiziellen Dokumenten zu streichen und fortan nicht mehr zu verwenden. Von dem Bestreben, auf diese Weise eine nationalstaatliche Identität neu zu begründen, zeugen auch die 2003 angenommene Verfassung und das „Genozid-Präventions-Gesetz“. Amnesty International hatte allerdings die schwammigen Formulierungen in den Gesetzestexten kritisiert, weil sie zu viel Raum für Interpretationen ließen. Die Amnesty-Mitarbeiter befürchteten, dass auf der Basis der Verfassung potenzielle Gegner ausgeschaltet werden könnten.1 So erging es dann auch zwei Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im August 2010. Sie wurden der „genozidalen Ideologie“ bezichtigt und vorläufig festgenommen. Aus demselben Grund verhaftete man auch den Chefredakteur einer Tageszeitung.

Burundi hat genau den entgegengesetzten Weg eingeschlagen: Nach langwierigen Vermittlungsversuchen durch den damaligen südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela unterzeichneten die Konfliktparteien im August 2000 in Tansania einen Friedensvertrag. In dem Abkommen wurde die Existenz von zwei Ethnien nicht nur nicht geleugnet, sondern ausdrücklich anerkannt. Zudem legte man in der am 1. November 2001 gebildeten Übergangsregierung eine paritätische Verteilung fest: In dem 26-köpfigen Kabinett saßen vierzehn Hutu und zwölf Tutsi, der Präsident war Tutsi und sein Vize Hutu. Das Parlament setzt sich seither zu 60 Prozent aus Hutu und zu 40 Prozent aus Tutsi zusammen. Die einstmals „monoethnische“ Tutsi-Armee besteht mittlerweile je zur Hälfte aus Mitgliedern beider Ethnien und hat auch ehemalige Rebellen in ihre Reihen aufgenommen.

Der Präsident verkauft sein Flugzeug

In Burundi spielt sich der politische Machtkampf heute vor allem zwischen den Hutu-dominierten Parteien ab: Dem Nationalrat für die Verteidigung der Demokratie – Kräfte zur Verteidigung der Demokratie (CNDD-FDD) unter dem Vorsitz des Präsidenten, der Front für die Demokratie in Burundi (Frodebu), der auch der 1993 ermordete Hutu-Präsident Melchior Ndadaye angehörte, und der Nationalen Befreiungsfront Palipehutu-FNL, die als letzte Rebellengruppe den bewaffneten Kampf aufgegeben hatte. Letztere war als älteste der Hutu-Bewegungen früher eng verbandelt mit dem ruandischen Regime, das 1994 den Völkermord an den Tutsi verübt hatte.

Nach den von Tutsi begangenen Massakern 1972 und dem Exodus tausender Hutu nach Tansania rekrutierte die FNL ihre Kämpfer in den Flüchtlingslagern. Später formierte sie sich in den Wäldern der kongolesischen Provinz Südkivu und stand in enger Verbindung mit den ebenfalls im Kongo aktiven ruandischen Hutu der Demokratischen Kräfte für die Befreiung Ruandas (FDLR).2 Noch vor sechs Jahren bekannte sich die FNL zu einem Massaker an Tutsi-Flüchtlingen in Gatumba (im Westen Burundis), das ihre Milizen im August 2004 gemeinsam mit ruandischen Hutu und kongolesischen Soldaten verübt hatten. Erst nach 2008 legten die Rebellenführer ihre Waffen nieder und wurden Politiker. Die meisten ihrer Kämpfer sind erst vor kurzem nach Burundi zurückgekehrt.

In den Nachbarregionen von Südkivu und der burundischen Provinz Bujumbura Rural hat die Palipehutu-FNL zahlreiche Sympathisanten und unterhält nach wie vor eigene Militärstützpunkte. Sie stellt sich gern als die bessere Alternative zu Nkurunzizas CNDD-FDD dar, der sie Korruption vorwirft. Die Präsidentenpartei und frühere Hutu-Bewegung CNDD-FDD versteht sich seltsamerweise bestens mit Kagames Tutsi-dominierter RPF, die wiederum die burundische Frodebu verabscheut und mehr noch die FNL, weil sie eine „genozidale Ideologie“ propagiere.

In Sicherheitsfragen arbeiten die beiden Länder seit einiger Zeit eng zusammen. So hat Burundi ohne zu zögern den oppositionellen Tutsi Deo Mushayidi nach Ruanda abgeschoben. Der Journalist Mushayidi, ein Überlebender des Genozids und Vorsitzender der Partei Bündnis zur Verteidigung des Volks (PDP), ist ein scharfer Kritiker von Kagame. 2000 flüchtete er ins belgische Exil, lebte aber seit 2006 wieder in verschiedenen Nachbarstaaten Ruandas. Am 26. Juli 2010 wurde er in Kigali vor Gericht gestellt und schließlich wegen der „Gründung einer bewaffneten Oppositionsbewegung“ gegen Kagame zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt.

Trotz ihres autoritären Regierungsstils werden beide Regime vom Ausland unterstützt. So gab es von offizieller Seite keinerlei empörte Reaktionen, als Burundi im Dezember 2009 den UN-Sondergesandten Youssef Mahmoud und im Mai 2010 die Human-Rights-Watch-Vertreterin Neela Ghoshal des Landes verwies.

Das mehr als nachsichtige Verhalten lässt sich einerseits durch den verständlichen Wunsch erklären, die Erfolgsgeschichte von der Befriedung beider Länder nicht zu zerstören. Andererseits drängt sich der Verdacht auf, dass die Regierungen von Kagame und Nkurunziza vor allem deshalb unterstützt werden, weil sie sich dem „Kampf gegen den Terrorismus“ angeschlossen haben: Burundi hat im Rahmen der UN-Militäroperation Afrisom ein Kontingent von mehreren tausend Soldaten nach Somalia entsandt. Damit hat es sich, ebenso wie Uganda, den Zorn der mit al-Qaida verbundenen somalischen Islamisten (al-Shabaab) zugezogen. Beide Länder müssen jederzeit mit einer Vergeltungsaktion rechnen. Ruanda hat seinerseits 3 300 Blauhelmsoldaten nach Darfur geschickt, darunter sogar ein Frauenkontingent.

Weil Kagames Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im August 2010 (er bekam 93 Prozent der Stimmen) schon im Vorfeld entschieden schien, hielt es die Europäische Union offensichtlich nicht für nötig, Wahlbeobachter nach Ruanda zu entsenden. Nur in den USA sorgte sich der für Afrika zuständige Staatssekretär Johnnie Carson um das Schicksal der Opposition und die ruandische Meinungsfreiheit.

In Burundi waren die Präsidentschaftswahlen im Juni 2010, die Nkurunziza mit 91 Prozent der Stimmen gewann, nur der Höhepunkt eines Prozesses, bei dem die oppositionellen Parteien ins Abseits gedrängt wurden. Trotz zahlreicher Vorbehalte haben die internationalen Beobachter das Wahlergebnis anerkannt und dem Sieger gratuliert (siehe nebenstehender Text).

Burundis Staatschef Nkurunziza, ein tief gläubiger ehemaliger Sportlehrer, versteht es seine Interessen durchzusetzen. Im Vorfeld der Wahlen wagten sich Zeitungen, Vereine und einzelne Intellektuelle mit Kritik vor. Sie verurteilten die Veruntreuung staatlicher Gelder (darunter beim umstrittenen Verkauf des Präsidentenflugzeugs) und monierten, dass sämtliche Beamtenposten unter der Hand an Gefolgsleute der FDD verteilt werden.

Rebellen sammeln sich im Wald von Kibira

In der Hoffnung, gemeinsam die diskreditierte Regierungsspitze unter Pierre Nkurunziza stürzen zu können, verbündeten sich zwölf Oppositionsparteien (darunter Frodebu, FNL, eine Abspaltung des CNDD und die von dem früheren Journalisten Alexis Sinduhije gegründete Soziale Bewegung für die Demokratie, MSD) zur Demokratischen Allianz für den Wandel (ADC-Kinigi). Allerdings ohne Erfolg, wie sich später herausstellen sollte.

In Burundi leben 80 Prozent der Bevölkerung auf dem Land, eine Klientel, die Nkurunziza seit Jahren umwirbt. In der Hauptstadt machte man sich schon über den häufig abwesenden Staatschef lustig, der diplomatische Empfänge schwänzte und Bujumbura jeden Freitagmittag verließ, um Wahlkampf auf dem Land zu machen. Die Bauern bekamen Avocado- oder Obstbaumsetzlinge geschenkt, und mit der Dorfjugend spielte der Präsident und Kapitän der Amateurmannschaft „Alleluia“ Fußball. Der einstige Widerstandskämpfer übernachtete in den Dörfern und lobte die Bürgermeister und Gemeindeverwalter (allesamt Parteimitglieder von Nkurunzizas CNDD) für ihr Engagement im Bildungs- und Gesundheitswesen. Während Nkurunzizas erster Amtszeit wurden 1 500 neue Schulgebäude gebaut.

Der Landbevölkerung, die immer noch unter den Übergriffen durch Milizen und Militärs leidet, gefällt die Bodenständigkeit ihres Staatschefs. Für sie steht Nkurunziza für die Verbesserung ihre Alltags, den kostenlosen Grundschulunterricht und die freie Gesundheitsversorgung für Kinder und schwangere Frauen. Früher war es durchaus üblich gewesen, dass Frauen, die die Krankenhauskosten nicht bezahlen konnten, nach der Entbindung als eine Art Unterpfand so lange festgehalten wurden, bis die Familie das Honorar beisammen hatte.

Nkurunzizas ländliche Offensive hat sich gelohnt. Während Parteien wie die FNL oder die Union für den Fortschritt der Nation (Uprona) – früher die einzige Tutsi-Partei – in der Hauptstadt gut abschnitten, erhielt der CNDD auf dem Land über 90 Prozent der Stimmen. Die Macht der Partei und ihre starke soziale Kontrolle besorgten den Rest. Bei seiner Antrittsrede versicherte Präsident Nkurunziza zwar, dass sein Sieg ein Sieg aller sei. Doch die Repressalien haben zugenommen, und es wird auch wieder gefoltert. Neben dem Journalisten und beliebten Menschenrechtsaktivisten Jean-Claude Kavumbagu, der zum wiederholten Male inhaftiert wurde, warf man in den vergangenen Monaten insgesamt 240 Oppositionelle ins Gefängnis. Mehrere Anführer der in der ADC vereinten Opposition (Leonard Nyangoma, Alexis Sinduhije und Agathon Rwasa, der charismatische Führer des FNL) sind untergetaucht oder haben das Land verlassen.

Der Rückzug der oppositionellen Allianz, die nach den chaotischen Kommunalwahlen vom Mai alle nachfolgenden Wahlen boykottierte und damit der Präsidentenpartei die absolute Mehrheit bescherte, lässt befürchten, dass die bewaffneten Feindseligkeiten wieder aufflammen. Viele Waffen aus den Kriegsjahren sind immer noch in den Hügeln versteckt. Ehemalige Rebellen, die ihre Gewehre schon abgegeben hatten, vom Reintegrationsprozess aber weitgehend enttäuscht wurden, sammeln sich schon wieder im Wald von Kibira an der Grenze zu Ruanda und Südkivu. Die Reihen der Armee haben sich gelichtet. Sollte es tatsächlich zum Krieg kommen, wäre die Gewalt nicht ethnisch motiviert, sondern vor allem darauf gerichtet, den CNDD zu stürzen.

Ruanda wird oft als Vorbild zitiert: Das Wirtschaftswachstum liegt bei 7 Prozent, ein Fünftel des Staatshaushalts fließt ins Gesundheitswesen, Beamte und viele Angestellte aus der Privatwirtschaft sind krankenversichert, 90 Prozent aller Kinder besuchen die Grundschule, und nicht nur in den Schulklassen sitzen mehr Mädchen als Jungen, auch unter den Abgeordneten im Parlament sind Frauen in der Mehrheit. Im Gegensatz zu Burundi und zur Demokratischen Republik Kongo ist Ruanda im Kampf gegen Korruption ziemlich erfolgreich. Kigali orientiert sich am Vorbild der asiatischen Metropole Singapur. Ruandas Hauptstadt soll ein Handels- und Dienstleistungszentrum für die gesamte Region werden.

Seit 2004 ist Ruanda Mitglied im Gemeinsamen Markt für das Östliche und Südliche Afrika (Comesa), Ende 2009 nahm das Land die diplomatischen Beziehungen zu Frankreich wieder auf, und das Verhältnis zur Demokratischen Republik Kongo hat sich normalisiert. Am 15. August 2010 nahm Präsident Kagame an den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit in Kinshasa teil, wo er sogar mit Beifall begrüßt wurde, obwohl die ruandische Armee vier Jahre lang (von 1998 bis 2002) einen Teil des Landes besetzt hatte.3

Die unbestrittenen Erfolge haben großen Anteil an Kagames Wahlsieg. Auch unter den Hutu ist man ihm dankbar für die Sicherheit, die im Land herrscht. Wie sein burundischer Amtskollege war Kagame lange vor Beginn des Wahlkampfs viel auf dem Land unterwegs, hatte zahlreiche Veranstaltungen und Bürgerversammlungen besucht und mit den Dorfvorstehern konkrete Entwicklungsziele vereinbart. Wie bei Nkurunziza hat sich die Politik der Nähe bezahlt gemacht. Aber Kagame hat vor allem deshalb so gut abgeschnitten, weil genauso wie in Burundi die Opposition außen vor blieb und die Wähler eingeschüchtert wurden.

In Burundi war eine der großen Errungenschaften des Wandels seit 2000 die Einführung der Presse- und Meinungsfreiheit. Heute fürchten viele Organisationen der Zivilgesellschaft, dass sie nach dem Rückzug der Oppositionsparteien der Regierung bald allein gegenüberstehen werden. Die Ermordung von Ernest Manirumva, dem Vizepräsidenten der Antikorruptionsorganisation Olucome (Observatory for the Struggle against Corruption and Economic Embezzlement), am 9. April 2009 war für viele ein Schock.

In Ruanda wurden internationale und nationale Nichtregierungsorganisationen entweder ausgewiesen oder gleichgeschaltet. Die Presse wird kontrolliert, und die Bevölkerung hat zunehmend das Gefühl, in einem Polizeistaat zu leben. Dabei hätte Präsident Kagame seine zweite Amtszeit aufgrund seiner innen- und außenpolitischen Erfolge durchaus gestärkt antreten können. Stattdessen macht sich Unbehagen breit, insbesondere seitdem Ende August 2010 die Vorabversion des UN-Berichts zu Menschenrechtsverletzungen in der Demokratischen Republik Kongo zwischen 1993 und 2003 in den internationalen Medien kursiert – darin werden die ruandischen Truppen stark belastet.4

Wie in Burundi ist die Regierung in Kigali nicht durch die Spaltung zwischen Hutu und Tutsi bedroht, und auch die Kritik aus dem Ausland macht ihr kaum etwas aus. Viel gefährlicher für das Regime sind die oppositionellen Kräfte, die sich – über ethnische Grenzen hinweg – in den Wäldern von Nord-Kivu verbünden: einzelne von der FDLR abgespaltene Hutu-Gruppen, Anhänger von General Laurent Nkunda – der als kongolesischer Tutsi lange ein Verbündeter der ruandischen Machthaber war und derzeit in Kigali unter Hausarrest steht – und die heutigen Gegner Kagames aus den einst regierungsnahen Tutsi-Kreisen.

Die Abgänge des ehemaligen Generalstabschefs Faustin Kayumba Nyamwasa und des früheren Geheimdienstleiters Patrick Karegeya, die beide seit März 2010 im südafrikanischen Exil leben, hat die RPF-Führungsspitze tief gespalten. Beide Generäle gehörten früher zu dem harten Kern der Tutsi-Flüchtlinge in Uganda und hatten Ende der 1980er Jahre die Ruandische Patriotische Front mitbegründet.

Paul Kagames frühere Weggefährten, die der anglofonen Elite Ruandas angehören (eine Folge des Exils in der ehemaligen britischen Kolonie Uganda), werfen dem Präsidenten heute seinen autoritären Regierungsstil vor. Doch Kagame, der seine Militäruniform schon lange gegen den Anzug des smarten Staatschefs eingetauscht hat, betont stets, es gehe ihm allein um den Kampf gegen die Korruption. Selbst auf die Gefahr hin, sich von den alten Gefährten zu entfremden, müsse der Missbrauch von Privilegien auch in den eigenen Reihen geahndet werden: „Wenn wir die Korruption nicht gnadenlos bekämpfen, wird sie womöglich das Land zerstören“, versichert er jedem, der es hören will.

Als im Februar 2010 in der belebten Innenstadt von Kigali mehrere Granaten einschlugen, wurde Faustin Kayumba in Abwesenheit zum Drahtzieher der bis heute ungeklärten Anschläge erklärt. Kayumba, der zuvor schon vom Armeechef zum Botschafter in Indien degradiert worden war, flüchtete daraufhin nach Südafrika, wo er Ende Juni bei einem Mordanschlag schwer verletzt wurde. Ruandas Regierung dementierte natürlich jegliche Mittäterschaft, doch in Exilkreisen hieß es, dass Kagame hinter dem Anschlag steckte.

Heute gibt es in Sicherheitsfragen eine enge Kooperation zwischen Ruanda, Burundi und der Demokratische Republik Kongo: 2009 beteiligten sich ruandische Soldaten an der Seite der kongolesischen Armee an der Verfolgung von Hutu-Rebellen, und erst im September 2010 besuchte der ruandische Verteidigungsminister, General Kababere, die kongolesische Hauptstadt Kinshasa.

Doch eine Garantie für dauerhaften Frieden in der Region ist das noch lange nicht. Die Erfolge von Paul Kagame und Pierre Nkurunziza könnten sich als trügerisch erweisen und die Entstehung neuer Gewalt lediglich verschleiern. Eine Gewalt, die sich nicht auf die Gegnerschaft zwischen Hutu und Tutsi beschränken wird.

Fußnoten: 1 Amnesty International, „Le silence est plus sûr: L’effet intimidant des lois rwandaises sur l’idéologie du génocide et le sectarsime“, 31. August 2010. 2 Siehe Mwayila Tshiyembe, „Kein Staat, viele Feinde“, Le Monde diplomatique, Dezember 2008. 3 Zwei Jahre nach dem ruandischen Genozid operierten Kagames Truppen 1996 auf kongolesischem Territorium, um die Hutu-Flüchtlinge zu zwingen, nach Ruanda zurückzukehren. Außerdem unterstützten Ruanda und Uganda den langjährigen Mobutu-Gegner Laurent-Désiré Kabila, der im ersten Kongokrieg (1996–1998) nach 35 Jahren das Regime des Diktators Mobutu stürzte. 4 Insbesondere empörte die Kagame-Regierung der Vorwurf, Ruandas Armee habe sich 1996/97 bei der Verfolgung ruandischer Völkermordtäter im Osten Kongos möglicherweise Verbrechen in „genozidaler Absicht“ schuldig gemacht. Die meisten Presseberichte betonten damals die Vorwürfe gegen Ruanda, obwohl in dem UN-Dokument auch Uganda, Burundi, Angola und die DRK selbst kritisch unter die Lupe genommen wurden. Nach einer Beschwichtigungsreise von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erschien am 1. Oktober 2010 die Endfassung des Berichts. Siehe zum UN-Bericht: www.ohchr.org/EN/Countries/AfricaRegion/Pages/RDCProjetMapping.aspx.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Colette Braeckman ist Journalistin bei Le Soir (Brüssel) und Autorin von „L’enjeu congolais, l’Afrique centrale après Mobutu“, Paris (Fayard) 1999.

Was wann geschah

RUANDA

1959 Aufstand von Hutu-Bauern gegen die Tutsi-Vorherrschaft. Viele Tutsi flüchten.

1. Juli 1962 Ruanda wird unabhängig. Erster Präsident der Republik wird der Hutu Grégoire Kayibanda.

1973 Militärputsch von General Juvénal Habyarimana, der die Anti-Tutsi-Politik etwas lockert.

1987 Paul Kagame baut im Exil in Uganda eine Tutsi-Miliz auf, die spätere Patriotische Front Ruandas (RPF).

1. Oktober 1990 Kagames RPF greift im Nordosten an. Ruandas Regierung erhält Militärhilfe von Frankreich und dem damaligen Zaire (ab 1999 Demokratische Republik Kongo, DRK).

4. August 1990 Präsident Habyarimana und die RPF unterzeichnen Friedensverträge in Arusha (Tansania).

6. April 1994 Das Flugzeug von Habyarimana, in dem auch der damalige Präsident Burundis, Cyprien Ntaryamira, saß, wird abgeschossen; Beginn des Völkermords: Innerhalb von drei Monaten werden 800 000 bis eine Million Tutsi umgebracht. Während sich die Massaker auf das gesamte Land ausdehnen, beschließt der UN-Sicherheitsrat, die Blauhelme größtenteils abzuziehen. Ruandas Hutu-Regierung erhält weiter französische Militärhilfe.

Juni/Juli 1994 Die RPF erobert Kigali, die frühere Regierung flieht unter französischem Schutz nach Zaire und nimmt die Staatskasse, die Armee und 1,1 Millionen Hutu-Zivilisten mit.

Februar 1995 Einsetzung des Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda durch den UN-Sicherheitsrat.

2002 In Arusha unterzeichnen Ruanda und die DRK einen Friedensvertrag.

26. Mai 2003 Verfassungsreferendum in Ruanda, das in ein beschränktes Mehrparteiensystem mündet. Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen siegt die RPF, Paul Kagame wird Präsident.

9. August 2010 Kagame wird zum zweiten Mal Präsident.

BURUNDI

1. Juli 1962 Burundi wird unabhängig. Bis 1965 sind in den aufeinanderfolgenden Regierungen etwa gleich viele Tutsi und Hutu vertreten.

1966 Der Tutsi-Hauptmann Michel Micombero stürzt den letzten burundischen Monarchen und installiert eine Einparteienherrschaft der Union für den nationalen Fortschritt (Uprona).

1972 Nach der Niederwerfung eines Aufstands werden laut UN-Angaben 250 000 Hutu umgebracht. Tausende flüchten.

September 1987 Der Tutsi-Offizier Pierre Buyoya putscht sich an die Macht.

1992 Ausarbeitung einer neuen Verfassung mit Mehrparteiensystem.

Juni 1993 Erste freie Präsidentschaftswahlen in Burundi. Der Hutu Melchior Ndadaye wird Präsident.

Oktober 1993 Ermordung von Präsident Ndadaye. Zahlreiche Massaker zwischen Hutu und Tutsi, 300 000 Hutu flüchten. Die Koalitionsregierung unter dem Interimspräsidenten Sylvestre Ntibantunganya ist machtlos.

25. Juli 1996 Erneuter Staatsstreich von Pierre Buyoya.

August 2000 Unterzeichnung der Friedensverträge von Arusha zwischen der Regierung Buyoya und dreizehn politischen Parteien und Rebellengruppen.

1. November 2001 Der Tutsi Buyoya wird Chef einer Übergangsregierung, sein Stellvertreter und Nachfolger wird Domitien Ndayizeye, Generalsekretär von Burundis größter Hutu-Partei Frodebu (Front für Demokratie in Burundi). Eine Quotierung der Macht soll das Land befrieden.

Oktober 2003 Afrikanische Union schickt Friedenstruppe nach Burundi.

November 2003 Erstmals treten Hutu-Rebellen in die Regierung ein. Pierre Nkurunziza vom CNDD-FDD wird Minister für „Good Governance“ in der Übergangsregierung des Präsidenten Domitien Ndayizeye.

21. Mai 2004 Einsatz der UN-Friedenstruppe Onub.

19. August 2005 Nkurunziza gewinnt Präsidentschaftswahlen.

28. Juni 2010 Nkurunziza wird zum zweiten Mal Präsident.

Le Monde diplomatique vom 10.12.2010, von Colette Braeckman