14.03.1997

Die Justiz entscheidet

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Die Justiz entscheidet

DIE Fortschritte der Genetik und die Entstehung von Firmen, die sich auf die Bestimmung der Gene spezialisiert haben, welche das Erbe des Menschen ausmachen, haben rasch zu Rechtsproblemen geführt, die mit der Patentierbarkeit des Genoms zu tun haben. Im Namen der Ethik vertraten viele europäische Wissenschaftler und Politiker lange Zeit die Auffassung, Bestandteile des menschlichen Körpers dürften nicht patentiert werden. Die Vereinigten Staaten akzeptierten jedoch solche Patente. Die Entdeckungen der europäischen Wissenschaftler konnten über den Begriff des industriellen Eigentums nicht geschützt werden, während die US-amerikanischen Forscher, besonders in Privatfirmen, alle ihre Entdeckungen patentieren ließen.

Diese ethische Diskussion scheint nun leider nicht mehr aktuell zu sein, doch sind deswegen nicht schon alle Rechtsfragen beantwortet. Sie wurden jüngst wieder durch den Streit um das Gen des Leptin-Rezeptors verdeutlicht.1 Dieses als OBR bezeichnete Gen hatte einen besonderen kommerziellen Stellenwert, da es angeblich eine wichtige Rolle bei Gewichtsproblemen spielt, einem sehr zukunftsträchtigen Markt. Im Dezember 1995 gaben die Forscher von Millenium und Hoffmann-LaRoche bekannt, das Gen des Leptin-Rezeptors geklont zu haben, nachdem sie mit Gensequenzbanken von Menschen und Mäusen gearbeitet hatten, und veröffentlichten die Sequenz, nachdem sie sie als Patent angemeldet hatten.

DANACH wurde festgestellt, daß eine andere Firma, Progenitor, bereits eine ganz ähnliche Sequenz hatte patentieren lassen, diese aber mit anderen Stoffwechselfunktionen in Zusammenhang gebracht hatte. Gewichtsprobleme wurden lediglich in einer Presseerklärung erwähnt, aber nicht im Patent selbst. Wie sollten nun die jeweiligen Rechte voneinander abgegrenzt werden? Ist es wichtiger, das Gen sequenziert und identifiziert, oder aber, seine Funktion bestimmt zu haben?

Interessant ist an diesen Meinungsverschiedenheiten, daß sich dabei zwei verschiedene Vorstellungen von der Genforschung gegenüberstehen. Die erste Strategie besteht darin, systematisch das gesamte menschliche Genom zu sequenzieren und dann die Funktionen der Gene zu erfassen. Der zweite Ansatz besteht in der Untersuchung einer Reihe von Krankheiten, um danach ihre genetischen Grundlagen zu erfassen.

Von der Reaktion der Juristen auf den Streit zwischen Millenium und Progenitor und auf andere ungelöste Auseinandersetzungen wird es abhängen, für welche Strategie sich die pharmazeutischen Labors und die Biotechnologiefirmen entscheiden und welche Fortschritte die Forschung machen wird. Sicherlich sollten die Erfinderrechte so aufgeteilt werden, daß die Entdecker der Funktionen eines Gens gestärkt werden im Vergleich zu jenen, die seine Sequenz festgestellt haben. Denn inzwischen ist die Sequenzierung zu einem fast automatischen Vorgang geworden, der somit eigentlich nicht mehr in den engeren Bereich der Forschung fällt. Ebenso wichtig ist es, daß die staatlich finanzierten Sequenzierungszentren möglichst rasch viele Sequenzen für die Allgemeinheit sichern.

Bei der Patentierung geht es nicht nur um Streitigkeiten zwischen Erfindern. Nicht Juristen sollten über die Möglichkeiten entscheiden dürfen, mit denen die Erforschung neuer Medikamente möglichst effizient durchgeführt werden kann. Entscheiden müssen die Wissenschaftler, und die Umsetzung obliegt den Politikern.

Fußnote: 1 „Structure and function in gene patenting“, Nature Genetics, New York, Februar 1997.

Le Monde diplomatique vom 14.03.1997