14.11.1997

Das amerikanische Imperium

zurück

Das amerikanische Imperium

Von FRANÇOIS GÉRÉ *

OMNIPRÄSENT, mächtig und selbstsicher, so traten die Vereinigten Staaten in den letzten Monaten auf höchst resolute Weise dem Rest der Welt gegenüber – sei es beim Gipfel der sieben führenden Industrienationen (G7) in Denver, sei es bei der UN- Konferenz über nachhaltige Entwicklung in New York oder auch beim Nato-Gipfel in Madrid. Schon lange nicht mehr hat sich die US-amerikanische Führung gegenüber den Positionen aller anderen Länder derart gleichgültig, um nicht zu sagen feindselig verhalten, und zwar nicht nur gegenüber den Russen, sondern auch gegenüber ihren Alliierten, Partnern und Freunden.

Nachdem der Kongreß mit seiner republikanischen Mehrheit bereits für einen peinlichen Affront gesorgt hatte, indem er Butros Ghali praktisch aus seinem Amt als Generalsekretär der Vereinten Nationen verdrängte, schickt er sich nun an, die Bedingungen für die Reform der Weltorganisation zu diktieren. So wurde der Terminkalender für die Abrüstungskonferenz in Genf den amerikanischen Prioritäten entsprechend abgeändert. Nachdem die Verhandlungen über den Produktionsstopp von nuklearen Sprengkörpern auf unbestimmte Zeit verschoben waren, rückte das Abkommen über das Verbot von Antipersonenminen an die Spitze der Tagesordnung. Aber auch in dieser Sache ging es dem US-Kongreß (und den Chefs des Generalstabs, die ihn darin unterstützten) aus innenpolitischen Gründen darum, die Bestimmungen dieses weltweit bedeutsamen Dokuments zu diktieren. Am Ende könnte es so weit kommen, daß die Lösung von Problemen mit internationaler Tragweite von eigenartigen Faktoren abhängig wird – etwa von kleinlichen Querelen zwischen einzelnen Abgeordneten, von den fixen Ideen eines Jesse Helms, dem Vorsitzenden des außenpolitischen Senatsausschusses, oder eines Strom Thurmond, dem Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Senat, oder aber von Auseinandersetzungen zwischen Weißem Haus und Kongreß.

Viele Regierungen haben geglaubt, die Vereinigten Staaten könnten nach dem Ende des kalten Krieges der isolationistischen Versuchung erliegen. Künftig wird man sich an den Tatsachen orientieren müssen. Angetrieben durch ein außergewöhnlich starkes Wirtschaftswachstum, eine offiziell sehr niedrige Arbeitslosenquote und erfolgreiche Unternehmenszusammenschlüsse, die mit einer Mischung aus Flexibilität und Megalomanie betrieben werden und Fusionen wie die von Lockheed und Martin Marietta, von Boeing und McDonnell-Douglas, von World-Com und MCI zum Ergebnis haben, sind die Amerikaner in der Lage, auf alle Märkte dieser Welt auszuschwärmen. Diese Präsenz geht einher mit einer Ausdehnung der Macht, die auf der außergewöhnlichen Verbindung von technologischer, kultureller und militärischer Hegemonie beruht und durch eine vielschichtig agierende Diplomatie gestützt wird.

Technische Überlegenheit als Strategie

DAS Ziel der militärischen Strategie wurde vom amtierenden Verteidigungsminister William Cohen erneut bestätigt. Ihm geht es darum, auf allen Gebieten eine unschlagbare Überlegenheit („no peer“) zu bewahren. Und zwar mit Hilfe eines enormen finanziellen Einsatzes – das amerikanische Verteidigungsbudget hat sich trotz Kürzungen in den letzten Jahren bei 250 Milliarden Dollar eingependelt –, technischer Überlegenheit und operativer Phantasie. Ausdruck dieses innovativen Bemühens ist die „Revolution auf militärischem Gebiet“, die auf uneingeschränkte Überlegenheit der Amerikaner abzielt. Diese soll durch eine Kombination der Kapazitäten verschiedener Bereiche erreicht werden: der Datenerfassung und -bearbeitung, des Bereichs der Kommunikationsmittel und der Operationsüberwachung, der Entwicklung und Steuerung neuer Waffensysteme mit großer Reichweite. Darüber hinaus setzt eine solche Revolution auch die absolute Beherrschung des Weltraums voraus. Allerdings könnte diese Überlegenheit einen Gegner auf die Idee bringen, die amerikanische Militärmacht ins Leere laufen zu lassen und sich ganz auf eine Guerillataktik zu verlegen, die gezielt mit sogenannten Massenvernichtungswaffen chemischen, biologischen oder nuklearen Typs operiert. Gegen diesen Typ von „Terrorismus“ entwickeln die Amerikaner ihrerseits neue Gegenmittel und neue taktische Einsatzpläne.

Ähnlich wie einst Max Weber den Staat dadurch charakterisierte, daß er die gesetzlich legitimierte Gewalt zu eigenem Nutzen ausüben könne, beanspruchen die Vereinigten Staaten das Monopol auf den Einsatz bewaffneter Streitkräfte überall auf der Welt. Nur mußte man diesem Monopol eine Legitimität verleihen. Bereits 1993 erklärten Präsident Clinton und der damalige Außenminister Warren Christopher, das Außenministerium sei in erster Linie im Dienste amerikanischer Wirtschaftsinteressen im Ausland tätig.1 Die Folgen zeigten sich beim Abschluß des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta), bei den Welthandelsgesprächen (Gatt) und bei der Schaffung der Welthandelsorganisation (WTO), die alle auf einem offensiven Konzept der „wirtschaftlichen Sicherheit“ beruhten. Da der diplomatische Apparat zugleich durch die vom Kongreß beschlossenen Haushaltskürzungen beeinträchtigt wurde2 , entstand der Eindruck, die amerikanische Diplomatie sei geschwächt und flüchte sich deshalb in einen spektakulären, aber wirkungslosen Aktionismus.

In Wirklichkeit muß man die Veränderungen als Umstrukturierung wahrnehmen. Während der kalte Krieg die diplomatischen Dienste ins Überdimensionale anwachsen ließ, werden deren Aktivitäten jetzt nach und nach eingeschränkt. Dennoch konnten sie einen beachtlichen Umfang beibehalten und sind immer noch in der Lage – richtig eingesetzt – erhebliche Machtwirkung zu erzielen. Das zeigte sich deutlich bei der Nato-Erweiterung und dem im Mai in Paris unterzeichneten Gründungsakt. Diese öffentliche Ebene wird ergänzt durch die diskreteren Mittel einer privaten Diplomatie. Die großen multinationalen Unternehmen nehmen nicht nur gelegentlich Militärberater aus dem Pentagon in Anspruch, sie verfügen auch über eine Art Para-Diplomatie, die sich aus ehemaligen Regierungsmitgliedern der Republikanischen Partei und aus hohen Beamten rekrutiert, die infolge der staatlichen Budgetkürzungen freigesetzt wurden.

Eine Welt ohne Gegenspieler

DANK guter Verbindungen zu den verschiedenen Entscheidungsträgern können diese Multis künftig leichter den Abbau strategisch wichtiger Erze vorantreiben, ihre Interessen am Erdölgeschäft sichern oder ihre Getreidegeschäfte fördern. Das Zusammenspiel all dieser Elemente sorgt dafür, daß die Vereinigten Staaten auf flexible, vielschichtige, an das jeweilige Umfeld angepaßte Art und Weise die Herrschaft über jede Region in der Welt erlangen, in der sie ihre Interessen verteidigen oder ausbauen wollen.

Man will amerikanische Maßstäbe durchsetzen, über Recht und Unrecht in der Welt bestimmen, Entwicklungsmodelle und Wachstumskriterien vereinheitlichen, neue Modelle für Bevölkerungswachstum, wirtschaftlichen Aufschwung und den Umgang mit Rohstoffen proklamieren – also genau die strategischen Achsen ausbauen, die man bereits in den sechziger Jahren errichtet hatte. In diesem Zusammenhang sei an die Namen einiger Politiker erinnert, die für diese Strategie standen, und die übrigens häufig auch der Demokratischen Partei angehörten: Walter Rostow, Samuel Huntington oder auch Robert McNamara, der aus dem Pentagon zur Weltbank überwechselte. In späteren Jahren warf man den Regierungen Nixon und Reagan vor, ihre Strategie zu stark auf den Kampf gegen die Sowjetunion zu konzentrieren.

Mit dem Ende des kalten Krieges schließlich wurden die neuen Schwerpunkte „Handel“ und „Kultur“ von Eliten in Wirtschaft (Informatik) und Kultur (Hollywood) unterstützt, die sich auch für die Wahl Bill Clintons und seines Vizepräsidenten Al Gore eingesetzt hatten. Dabei steht neuerdings besonders viel auf dem Spiel, weil die Globalisierung eine Dimension erreicht hat, daß man eigentlich von einer „Planetarisierung“ sprechen könnte. Zumal sie heute auch die Interaktion zwischen der Erde und ihrer Umgebung im Weltraum umfaßt. Zu diesem ganzen System haben jedoch nur wenige Länder Zugang. Bereits heute ist die Menge an Informationen, über die die Vereinigten Staaten verfügen, weitaus bedeutender als in den übrigen Ländern. Ziel der amerikanischen Führung ist jedoch die Kontrolle über sämtliche Regeln und Normen auf planetarischer Ebene.

Das Erstaunliche an diesem amerikanischen Imperium ist, daß es nirgends auf eine kohärente und überzeugende Strategie trifft, die als Gegengewicht wirken könnte. So kann es sich ungehindert auf Territorien ausdehnen, die von anderen Mächten aufgegeben werden. Für letztere ist es eine ebenso schwierige wie dringliche Aufgabe, eine Gegenstrategie zu entwickeln. In jedem Fall setzt der Widerstand gegen die Ausbreitung der amerikanischen Hegemonie die Schaffung eines wirklichen Gegengewichts voraus. Ein solcher Widerstand wird dann besonders wirksam sein, wenn er sich bemüht, die Positionen der Amerikaner zu verstehen, und versucht, Informations- und Einflußnetze in den Vereinigten Staaten selbst auszubauen.

Ein so weitreichendes Vorhaben setzt jedoch sehr viel differenziertere und gründlichere Kenntnisse über dieses Land voraus, als wir sie derzeit besitzen. Mit derartigen Bemühungen könnte man die amerikanischen Bürger überzeugen, daß es nicht in ihrem Interesse liegen kann, als unumschränkte Herrscher der Welt zu gelten und damit die Zielscheibe für alle denkbaren Ressentiments abzugeben.

dt. Erika Mursa

* Wissenschaftlicher Leiter der Fondation pour les études de défense, Paris. Autor von „Demain la guerre“, Paris (Calmann-Lévy) 1997.

Fußnoten: 1 Vgl. Jacques Decornoy, „La chevauchée américaine pour la direction du monde“, Le Monde diplomatique, November 1993, und Marie-France Toinet, „Aux Etats-Unis, les croisés du libre-échange“, Le Monde diplomatique, Februar 1995. 2 Vgl. Ibrahim Warde, „Deutliche Kürzungen der Auslandshilfe“, Le Monde diplomatique, November 1995.

Le Monde diplomatique vom 14.11.1997, von FRANÇOIS GÉRÉ