10.07.1998

Albanien und Kosovo

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Albanien und Kosovo

DIE sozialistische Regierung Albaniens, seit einem Jahr wieder an der Macht, ist durch Korruption und interne Streitigkeiten bereits schwer angeschlagen. Die von der antikommunistischen Opposition instrumentalisierte Kosovo- Krise und die Flüchtlingsströme aus dem Kosovo setzen Premierminister Fatos Nano einer weiteren Belastungsprobe aus.

Nachdem die konservative Regierung von Präsident Sali Berisha nach dem Zusammenbruch der „Pyramidengesellschaften“1 und den Aufständen im Süden des Landes abdanken mußte, bildete der Sozialist Bashkim Fino am 12. März 1997 eine Übergangsregierung. Drei Tage später kam der ehemalige kommunistische Premierminister und Vorsitzende der Sozialistischen Partei (PSS), Fatos Nano, aus dem Gefängnis frei, wo er seit 1993 eingesessen hatte. Die Wahlen vom 19. Juni und 6. Juli, die unter der Kontrolle der multinationalen Schutztruppe stattfanden, brachten der Sozialistischen Regierung 101 von 165 Parlamentssitzen, nicht zuletzt weil sie den betrogenen Sparern Entschädigungen zugesichert hatte. Rexhep Mejdani wurde neuer Präsident, Fatos Nano Premierminister.

Kaum waren die Neokommunisten wieder an der Macht, nahmen sie Rache an ihren Vorgängern, säuberten alle Ebenen des Verwaltungsapparates und besetzten die verantwortlichen Posten mit eigenen Leuten. Weder existiert eine funktionierende Sicherheitspolitik und Korruptionsbekämpfung, noch gibt es einen Wirtschaftsaufschwung und mehr innere Demokratie. Raubüberfälle und Tötungsdelikte sind an der Tagesordnung. Nehat Kula, ein Bandenchef, der einen Polizisten getötet hatte, wurde mit der Begründung freigesprochen, es habe sich um „legitime Selbstverteidigung“ gehandelt – er hatte Fatos Nano während dessen Gefängnishaft protegiert.

Der Bauboom ermöglicht zwar das Weißwaschen von Geldern aus diversen Geschäften, doch wirtschaftlich scheitert die Regierung: Die Mehrwertsteuer liegt bei 22 Prozent, die Preise haben sich verdoppelt, der Benzinpreis sogar verdreifacht. Infolge des Aufstandes vom Frühjahr 1997 wurden die Investitionsprojekte auf Eis gelegt; über 300 regierungsunabhängige Organisationen versorgen die notleidende Bevölkerung – wie in der schlimmsten Phase von 1991 bis 1992.

Die Korruption ist allgegenwärtig. In der Regierungskoalition2 werden mittlerweile die kritischen Stimmen immer lauter. Heute erscheint der sozialistische Präsident Rexhep Mejdani als letzte moralische Autorität im Lande. Er ernannte kürzlich den ob seiner Korruptionskritik von Nano entlassenen Verteidigungsminister Sabit Brokaj zu seinem persönlichen Berater in auswärtigen Angelegenheiten.

Außenpolitisch hat Nano im Unterschied zu seinem Vorgänger gute Beziehungen zu Athen und Skopje geknüpft und versucht, Belgrad nicht zu verärgern. Doch die gegenwärtige Krise im Kosovo kommt für die Regierung zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt. Sie droht, den ehemaligen Präsidenten Berisha wieder an die Macht zu bringen, denn während die Führung der Sozialistischen Partei fast geschlossen aus den südlichen Landesteilen stammt, ist der Norden eine Hochburg der Demokratischen Partei Berishas, und die Nordalbaner haben enge geographische, historische und familiäre Bindungen zu den Kosovo-Albanern.

Die Zentralregierung hat keine Kontrolle über das nördliche Albanien, und Tropojä, das Dorf von Präsident Berisha, ist zu einem Rückzugsgebiet für die Befreiungsarmee des Kosovo geworden. Während seiner Amtszeit hatte Berisha die Forderungen der Kosovo-Albaner offen unterstützt, doch hält er die Standarte des Nationalismus vor allem hoch, um die Sozialisten zu destabilisieren. Um nicht als „Verräter“ zu gelten, versucht Fatos Nano sich für die Entsendung ausländischer Truppen an die Grenze zwischen Kosovo und Albanien einzusetzen. Damit könnte er diese der Zentralmacht traditionell widerspenstig gegenüberstehende Region in Schach halten. Ein weiterer massiver Ansturm von Flüchtlingen aus dem Kosovo dagegen könnte der Regierung, die bereits verbraucht ist, bevor sie sich bewähren konnte, den Gnadenstoß versetzen.

CHRISTOPHE CHICLET

Fußnoten: 1 Vgl. Ibrahim Warde, „Wo Pyramiden wie Kartenhäuser zusammenfallen“, Le Monde diplomatique, April 1997. 2 Sozialistische Partei, Sozialdemokratische Partei, Demokratische Allianz, Bauernpartei, Union für Menschenrechte (griechische Minderheit).

Le Monde diplomatique vom 10.07.1998, von CHRISTOPHE CHICLET