11.09.1998

Die Marktwirtschaft der algerischen Handelsmafia

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Die Marktwirtschaft der algerischen Handelsmafia

OBWOHL der Ölpreis weiter fällt, erwartet die algerische Wirtschaft für 1998 ein Wachstum von 4 Prozent. Die Regierung hat also unbestreitbare ökonomische Erfolge vorzuweisen. Weniger erfolgreich sind ihre Bemühungen, den zunehmenden Einfluß privater Interessen auf die Wirtschaft des Landes einzudämmen. „Verdeckte Interessengruppen“ – wie die algerischen Medien sie nennen – versuchen, Handelsmonopole zu schaffen und gleichzeitig die Regierung zur baldigen Privatisierung oder Auflösung der besonders profitablen Staatsunternehmen zu zwingen.

Von unserem Korrespondenten FAIÇAL KARABADJI *

„Vor drei Monaten habe ich das Studium aufgegeben. Dabei fehlten mir nurmehr zwei Semester bis zum Ingenieurs- Diplom. Aber ich konnte diese ständigen Bombendrohungen im Zug zwischen Algier und Bab Ezzouar (wo die Universität ist) nicht mehr ertragen. Außerdem sind so viele Lehrveranstaltungen ausgefallen, weil keine Dozenten da waren. Als mein Bruder mir anbot, bei ihm zu arbeiten, habe ich zugestimmt. Er hat ein kleines Export-Import-Geschäft, das gut läuft. Im Durchschnitt verdiene ich 90000 Dinar (3000 Mark) im Monat, soviel bekommt auch der beste Ingenieur nicht. Ich glaube, nicht einmal ein Minister ...“

Hamid, ein junger Algerier mit markanten Gesichtszügen, meint das gar nicht provozierend. So wie er denken viele der „neuen Generation“. Es sind junge Geschäftsleute, die in den Handel investieren, aber auf organisiertere und legalere Weise als ihre Vorgänger, die Schmuggler. Während diese ständig zwischen Europa, Marokko und Tunesien pendelten, um Güter zu kaufen und weiterzuverkaufen, wobei der Erfolg der Unternehmen jeweils stark davon abhing, ob sie Visa bekamen und die Zollbeamten ihnen gewogen waren, haben ihre Nachfolger die Vorteile der Legalität entdeckt: Sie sind im Handelsregister eingetragen, sie zahlen ihre Steuern, sie benutzen Fax und Internet, nehmen Kreditbriefe in Anspruch, und vor allem führen sie ihre Waren in Containern ein.

„Das ganze Theater mit den Einkaufstaschen voller Waren ist vorbei“, meint Hamid. „Wenn man heute ins Ausland fährt, dann nur, um sich mit Lieferanten zu treffen oder mit Banken zu verhandeln. Deshalb genieren sich auch gebildete Leute weniger, Geschäfte zu machen.“

Seit 1994 der Außenhandel liberalisiert und dem Privatsektor geöffnet wurde, sind über 3000 Import-Export-Firmen entstanden.1 Weil der Dinar als Handelswährung konvertierbar ist, konnten die algerischen Privatunternehmen 1997 Waren im Wert von fast zwei Milliarden Dollar einführen. Im Volksmund heißen solche Handelsgesellschaften „Import-Import-Firmen“ – ein Verweis auf die Tatsache, daß die „neuen Unternehmer“ gar nicht in der Lage sind, zu exportieren und sich dem internationalen Wettbewerb zu stellen, und statt essen in der Hauptsache die nationalen Devisenreserven verschleudern.

„Exportieren?“ Hamid zeigt sich erstaunt. „Was soll man denn exportieren? Um etwas ausführen zu können, müßten wir in diesem Land erst mal funktionierende Fabriken haben und mehr als Datteln und Erdöl und Erdgas produzieren. Bisher hat noch niemand Lust, in die Produktion einzusteigen. Wenn man in Algerien zu Geld kommen will, gibt es nichts besseres als den Handel. Sogar diejenigen, die eine Fabrik besitzen, machen lieber dicht und gehen in die Importbranche.“ Abgestumpft durch die Jahre der Gewalt, nehmen die Algerier resigniert zur Kenntnis, daß es „Kriegsgewinnler“ gibt, die ihren Reichtum schamlos zur Schau stellen.

In Algier fahren die neuesten Modelle deutscher Luxuslimousinen herum, noch bevor man sie in Frankreich oder Italien sieht“, entrüstet sich ein Lehrer. „Eine Zeitlang trauten sich die Leute nicht, ihren Reichtum zu zeigen. Aber seit einigen Monaten sind die terroristischen Gruppen in den großen Städten weniger präsent, und seitdem tauchen die schönen Autos wieder auf, und es werden auch wieder prunkvolle Feste gefeiert.“

Die Liberalisierung des Außenhandels, der ganze Stolz des Internationalen Währungsfonds (IWF), ist allerdings weniger gelungen, als es scheint. Im Prinzip kann zwar jeder private Geschäftsmann Waren einführen, aber es gibt Bereiche, von denen man besser die Finger läßt.

Privatisierung zu Schleuderpreisen

DIE staatlichen Monopole sind durch private Monopole ersetzt worden, die den Machthabern nahestehen“, erklärt ein Mitarbeiter der Handelskammer von Algier. „Wer Lebensmittel, Medikamente oder Baumaterial einführen will, hat keine Chance – jeder weiß, daß es in diesen Marktbereichen Leute gibt, an denen man nicht vorbei kommt, und daß man im Interesse der eigenen Sicherheit gut beraten ist, sich aus diesen Geschäften herauszuhalten.“

Den französischen Lieferfirmen etwa ist klar, daß sie nicht beliebig viele Verträge abschließen können, sondern gut beraten sind, sich an einen Verhandlungspartner zu halten. „Ich wette darauf, daß es einem unbekannten algerischen Geschäftsmann nicht gelingt, Zucker oder Zement aus Frankreich zu importieren“, meint der Mann von der Handelskammer. „Bestenfalls erhält er von den Herstellern eine höfliche Absage.“ Im schlimmsten Fall schlagen die Verantwortlichen der großen algerischen „Import-Import-Firmen“ andere Töne an. So mußte ein junger Geschäftsmann aus Oran erleben, daß die Ladung Zucker, die er einführen wollte, von den Hafenbehörden wider besseres Wissen für ungenießbar erklärt wurde. Anderen Importeuren erging es noch schlimmer: Die Algerier sind überzeugt, daß einige der Anschläge, die bewaffneten islamistischen Gruppen zugeschrieben werden, in Wahrheit mit Rivalitäten im Bereich des Außenhandels zu tun haben.

„Es liegt auf der Hand, daß man eine Nische finden muß, für die sich die großen Fische nicht so interessieren“, erklärt Hamid. „Zum Beispiel Computerprogramme, elektronische Bauteile oder Autoersatzteile.“ So einfach ist das allerdings nicht, denn die großen Importeure sind unersättlich, und sie finden besonders leicht heraus, wo gute Geschäfte zu machen sind, weil sie überall in der Verwaltung, vor allem beim Zoll und bei den Hafenbehörden, ihre Informanten haben.

„Flaschenbier aus Europa einzuführen war anfangs ein Geschäft, das jedem offenstand“, berichtet ein leitender Angestellter des Unternehmens, das den Hafen von Algier betreibt. „Aber dann kam der Sohn eines Generals im Ruhestand auf die Idee, diesen Markt allein für sich zu beanspruchen. Und wie zufällig bekamen die anderen Importeure plötzlich ernste Probleme mit der Verwaltung, einige haben ganze Lieferungen verloren – die Botschaft war unmißverständlich.“

Private Interessengruppen versuchen also, die Wirtschaft des Landes in den Griff zu bekommen, und – man kann es nicht oft genug betonen – sie erhalten dabei Rückendeckung von internationalen Institutionen, die so tun, als wüßten sie nicht, was gespielt wird. Die Frage der Privatisierung der Staatsunternehmen gewinnt unter diesen Umständen ganz besonderes Gewicht.

„Wie kann man privatisieren, ohne alles zu Schleuderpreisen zu verkaufen und ohne daß die Unternehmen in kleine Teile aufgespalten werden?“ fragt sich ein hoher Beamter der staatlichen Verwaltung. Bei der Nationalen Vereinigung der öffentlichen Unternehmen (UNEP), einer der wenigen Organisationen, die nach wie vor die Idee einer Mischökonomie vertreten, sieht man es so: „Es ist normal, daß sich der algerische Staat aus Wirtschaftsbereichen zurückzieht, in denen der private Sektor bessere Leistungen erbringen kann, aber die vollständige Privatisierung sollte man nicht anstreben. Es gibt Staatsbetriebe, die auch unter Wettbewerbsbedingungen bestehen können. Man müßte uns dafür nur die Chance geben, unter gleichen Ausgangsbedingungen gegen die Privatunternehmen oder die internationale Konkurrenz anzutreten.“

Es geht um mehr als vierhundert öffentliche Wirtschaftsunternehmen, und viele Beobachter deuten die dürftigen Informationen über die Privatisierungsvorhaben als ein Zeichen für heftige interne Auseinandersetzungen über diese Frage. Auf lokaler Ebene sind bereits öffentliche Unternehmen verkauft oder stillgelegt worden, für manche hat sich aber einfach kein Abnehmer gefunden.

Das gilt zum Beispiel für zahlreiche Hotels (darunter einige, die von dem französischen Architekten François Pouillon entworfen wurden): Die algerischen oder ausländischen Interessenten wollten sie nicht einmal zum symbolischen Preis von einem Dinar übernehmen – zum einen wegen der umfangreichen Instandsetzungsarbeiten, die unvermeidlich anfallen würden, zum anderen, weil die Zukunft des Tourismus in Algerien ganz entscheidend von einer Verbesserung der Sicherheitslage abhängt.

Viele Investoren versuchen daher, die Regierung zum Verkauf der wirtschaftlich gesunden Unternehmungen zu bewegen, etwa der staatlichen Fluggesellschaft Air Algérie oder gar der Erdölfirma Sonatrach. Gleichzeitig versucht man, bestimmte rentable Staatsbetriebe in Bedrängnis zu bringen. Ein Beispiel dafür ist das Pharmazieunternehmen Saidal, das versucht, eine algerische Pharmaindustrie wiederaufleben zu lassen, die in heftiger Konkurrenz zu den privaten Import-Firmen steht. „Diese Erfolge erregen Mißfallen“, meint ein leitender Angestellter von Saidal: „Auf den Direktor unseres Unternehmens sind mehrere Attentate verübt worden, und unsere Produktionsanlagen werden immer wieder sabotiert, so daß wir eine Werkschutz-Abteilung einrichten mußten. Niemand kann uns erzählen, daß diese Anschläge von islamistischen Gruppen durchgeführt wurden.“

Man geht also davon aus, daß hinter den Anschlägen jene Interessengruppen stehen, die nicht wünschen, daß der Arzneimittelimport aufgrund von Eigenproduktion zurückgeht. Destabilisierung durch Gewaltakte – die man unschwer den Terroristen zuschreiben kann – ist nicht das einzige Mittel der Lobbies, die Algerien zu einem riesigen Handelshaus machen möchten. Eine weniger riskante und häufig angewandte Methode besteht in heftiger Kritik an der Betriebsführung der staatlichen Unternehmen. Das beste Beispiel bietet die Metallgesellschaft Sider, zu der auch das bedeutende Stahlwerk El- Hadjar im Osten des Landes gehört.2

Konkurrenzkampf mit Hilfe der Justiz

AM 21. Februar 1996 wurde die Unternehmensspitze verhaftet und im Oktober 1997 zu harten Gefängnisstrafen verurteilt – die Manager hoffen noch, daß das Urteil durch den obersten Gerichtshof aufgehoben wird oder daß der Staatspräsident eine Begnadigung ausspricht. Inzwischen hat sich eindeutig herausgestellt, daß zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung nichts gegen sie vorlag. Erst nachträglich schickte die Justiz eilends Wirtschafts- und Finanzprüfer in die Firma, um nach Material für die Anklagepunkte zu fahnden, und die Ergebnisse der Buchprüfung blieben umstritten. Die Affäre, die ein großes Medienecho hatte, machte zugleich deutlich, daß Algerien sich zwar offiziell zur Marktwirtschaft bekennt, eine Reform der algerischen Wirtschaftsverfassung jedoch noch aussteht.

„Es gab keine Anhaltspunkte für Vergehen dieser Führungskräfte“, versichert ein früherer Sider-Manager, der inzwischen in Frankreich lebt. „Die verschiedenen Anklagepunkte der Ermittlungsbehörden beriefen sich auf die Vorschriften für sozialistische Unternehmensführung. Wie kann man für die Marktwirtschaft eintreten und gleichzeitig einen Generaldirektor vor Gericht stellen, weil er bei einer beruflichen Auslandsreise die Kreditkarte seines Unternehmens benutzt?“

Nun soll nicht etwa behauptet werden, daß keiner der leitenden Mitarbeiter der Sider sich etwas zuschulden kommen ließ. „Es gibt ganz bestimmt ein paar schwarze Schafe unter den Beschuldigten“, räumt ein Mitglied des inoffiziellen Unterstützerkomitees für die Angeklagten ein. Aber die Mehrzahl der Beobachter ist der Ansicht, daß die Großhändler, die Betonpfeiler für das Baugewerbe importieren, ein Interesse daran haben, daß das Unternehmen in die Krise gerät oder gar wegen ungenügender Leistung geschlossen wird.

Der Wirtschaftsexperte Amar Ouahad zieht folgenden Schluß: „Den zehn Managern, die jetzt die Führungsspitze von Sider bilden, und allen anderen, die sich bemühen, ihr Unternehmen über Wasser zu halten, ist jetzt klar, daß sie ins Gefängnis kommen können, weil sie moderne Methoden der Unternehmensführung anwenden, die juristisch immer noch untersagt sind. Diese starke Verunsicherung wird natürlich negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistung dieser Unternehmen haben. Wenn die Regierung etwas gegen den Einfluß der Interessengruppen tun will, die gegen die öffentlichen Unternehmen arbeiten, dann muß sie rasch neue gesetzliche Regelungen schaffen, damit es nicht mehr möglich ist, eine Führungsmannschaft zu destabilisieren, indem man sich auf völlig veraltete Regeln der Unternehmensführung beruft.“

dt. Edgar Peinelt

* Journalist

Fußnoten: 1 Vgl. A. Ellyas, „Wirtschaftlicher Aufschwung in Algerien“, Le Monde diplomatique, Mai 1997. 2 Vgl. N. Bouzeghrane „Insel des Friedens in einem unruhigen Land“, Le Monde diplomatique, Oktober 1997.

Le Monde diplomatique vom 11.09.1998, von FAIÇAL KARABADJI