11.06.1999

Auch abgereichertes Uran kann töten

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Auch abgereichertes Uran kann töten

Im Golfkrieg von 1991 setzten die westlichen Verbündeten, insbesondere die USA und Großbritannien, erstmals Granaten, Sprengköpfe, Bomben und Kugeln mit abgereichertem Uran ein. Diese schwach radioaktiven Geschosse wurden von der Nato auch in Jugoslawien eingesetzt. Dabei weiß man inzwischen, daß diese Sprengköpfe über ihre unmittelbare Einschlagwirkung hinaus dramatische Konsequenzen für die Menschen haben – einschließlich derer, die sie einsetzen –, denn sie bewirken eine radioaktive Verseuchung bwirken.

Von CHRISTINE ABDELKRIM-DELANNE *

AM 30. März 1999 kündigte die Nato an, sie werde in Jugoslawien ab sofort amerikanische Kampfflugzeuge vom Typ A10 einsetzen, bekannt auch unter der Bezeichnung „tankbuster“ oder „Panzerknacker“. Wenig später meldete ein Sprecher die Stationierung von Apache- Kampfhubschraubern in Albanien, die mit demselben Beinamen belegt werden. „Panzerknacker“ klingt nach Videospiel. Doch der Name verschweigt, daß die durchschlagende Wirkung der neuen Waffensysteme mit der Art ihrer Munition zusammenhängt, deren Ummantelung abgereichertes Uran enthält. Daß solche Geschosse in Jugoslawien tatsächlich zum Einsatz kommen, hat Nato-Sprecher Giuseppe Marani am 21. April gegenüber der japanischen Tageszeitung Mainichi Shinbun ausdrücklich bestätigt.

Abgereichertes Uran U-238 entsteht bei der Anreicherung von natürlichem Uran zu spaltbarem U-238 und wird für militärische Zwecke (Waffen, atomgetriebene U-Boote), aber auch in zivilen Atomkraftwerken und in der Flugzeugindustrie verwendet. Das dichteste und schwerste aller Metalle durchdringt bei einer Geschoßgeschwindigkeit von 1200 m/s (Mach 5) die Schutzhülle von Panzern und kann eine in drei Meter Tiefe vergrabene Betonplatte durchschlagen. Damit wird die Wirksamkeit der bisher verwendeten Legierung Tungsten bei weitem übertroffen. Das abgereicherte U-238 ist buchstäblich ein Abfallprodukt der Atomindustrie und somit günstiger als das Importgut Tungsten. Der US-Staatshaushalt von 1991 sah für die folgenden zehn Jahre den Kauf von 130000 Tonnen abgereichertem Uran für die „nationalen Verteidigungsreserven“ vor. (Inzwischen wurden die Kauforders aufgestockt.)

Bereits 1979 verwies ein Memorandum des US-Verteidigungsministeriums auf die außergewöhnlichen Eigenschaften von abgereichertem Uran (AU) und befürwortete eine entsprechende Verwendung.1 Der radioaktive und hochgiftige Charakter dieser Waffen wurde seither bewußt ignoriert, obwohl Leonard A. Dietz bereits 1979, als er noch Forscher am Knolls Atomic Power Laboratory in Schenectady im Bundesstaat New York war, AU-Rückstände im Luftfilter mehrerer Luftmeßstationen entdeckte, von denen drei 42 Kilometer vom Labor entfernt lagen.2 Die Partikel stammten aus der National Lead Industries Plant (NL) von Colonie, die vom östlichen Stadtrand von Albany nur 16 Kilometer entfernt ist. NL verwendete damals abgereichertes Uran zur Produktion von Geschoßummantelungen und von Stabilisatoren für zivile Flugzeuge. Unabhängig von den Beobachtungen, die Dietz mitgeteilt hatte, verfügte die Regierung des Bundesstaats New York 1980 die Einstellung der Produktion, da die radioaktive Belastung im Umkreis der Fabrik die gesetzlichen Höchstwerte überschritt. Die Anlage wurde geschlossen und dekontaminiert.

Sechsundzwanzig Partikel, die Leonard A. Dietz aus den Luftfiltern analysierte, enthielten Uran, vier davon reines abgereichertes Uran, die zweiundzwanzig anderen entsprechend angereichertes Uran. Dietz erläutert: „Die vier AU-Partikel erreichten beinahe den Grenzwert für die maximal zulässige Belastung der Luft mit Feinstaubpartikeln. Feinstaubpartikel passieren die oberen Atemwege und lagern sich in verschiedenen Teilen der Lunge ab, wo sie mehrere Jahre lang das Gewebe stark verstrahlen können.“3 In mehreren AU-Waffenfabriken der USA streikten die Arbeiter für bessere Arbeitsbedingungen und die Anerkennung bestimmter Krebsarten als Berufskrankheit.

AU-haltige Geschosse setzen beim Durchschlagen des Zielobjekts radioaktive Partikel und schwermetallähnliche toxische Stoffe frei. Abgereichertes Uran ist pyrophorisch, seine Dämpfe entzünden sich bei hohen Temperaturen selbst. Daß diese Waffen Menschen und Umwelt kontaminieren, wurde von den Militärbehörden lange Zeit bestritten. Dabei veröffentlichte die US-Armee bereits am 28. September 1990 einen umfangreichen technischen Bericht mit detaillierten Anweisungen für Unfälle mit AU-Material.4 Darin steht zu lesen: „Ausrüstungsgegenstände und Materialien, die von dem Unfall/Vorfall betroffen sind, dürfen den Ort des Geschehens unter keinen Umständen verlassen, bevor sie vom Strahlenschutzpersonal überprüft und vorschriftsgemäß dekontaminiert worden sind.“ In der Handlungsanweisung heißt es weiter: „Die Explosivstoffe vermengen sich beim Verbrennen über die Luft und durch Tröpfchenbildung mit dem umliegenden Boden und den Trümmern. Nach Erlöschen des Feuers sind diese Explosivstoffe nur dann ungefährlich, wenn sie vollkommen verbrannt sind. Nicht vollständig verbrannte Reste stellen eine extreme Explosionsgefahr dar. Beim Erkalten nehmen sie wie Metall bizarre Formen an. Sie können Verunreinigungen enthalten, die den Grad ihrer Gefährlichkeit noch steigern.“

Im März 1991 wurde ein mit AU-Waffen bestückter Panzer auf dem atomaren Müllabladeplatz von Barnwell in South- Carolina vergraben, drei weitere verschwanden in Saudi-Arabien und in Deutschland unter der Erde.5 Acht Tage nach Beendigung des Golfkriegs gab die Armeeführung den Soldaten in einem AU-Memorandum erste Anweisungen zum Umgang mit „radioaktiv verseuchten Fahrzeugen“.

Im Gefolge der „friendly fire-Affäre“ (also dem versehentlichen Beschuß eigener Truppenteile) wurden die USA gezwungen, den Einsatz von AU-Waffen im Golfkrieg zuzugeben. Bei den Operationen „Wüstenschild“ und „Wüstensturm“ wurden auf dem Schlachtfeld 29 amerikanische Fahrzeuge mit AU verseucht. 21 von ihnen – 6 Abrams-Panzer und 15 Panzer vom Typ Bradley – wurden von AU- Geschossen durchschlagen. Insgesamt kamen durch AU-Munition fünfzehn Soldaten ums Leben, über sechzig wurden verletzt. Da der Irak diesen Geschoßtyp nicht besitzt, mußte das Militär schließlich einräumen, daß es sich um Fehlschüsse der US-Armee gehandelt hatte.6 Die offizielle Publikation des amerikanischen Heeres Army Times veröffentlichte am 26. Juli 1993 eine detaillierte Aufstellung über die „friendly fire“-Schäden; über die Zahl der Menschen, die an Spätfolgen starben, schwieg sich das Organ aus.

Fünf Jahre nach dem Krieg wurden von den Opfern dieser „Kollateralschäden“ dreißig Soldaten im Rahmen des „Depleted Uranium Program“ am MD VA Medical Center von Baltimore untersucht. Bei fünfzehn von ihnen stellte man im Urin noch immer eine hohe Radioaktivität fest. Professor Leonard A. Dietz schreibt in seiner Studie über die AU-Verseuchung von Golfkriegsveteranen: „Wenn man nach so langer Zeit noch immer AU feststellt, und sei es in geringen Mengen, so zeigt dies, daß die Dosis vor fünf Jahren recht hoch war.“ Dennoch „weigern sich die Armee und die Veteranenbehörde, einen Zusammenhang zu sehen zwischen den entstandenen Krankheitssymptomen und den toxisch-radioaktiven Eigenschaften der eingeatmeten und verschluckten Partikel. Bei den meisten Soldaten wurde eine Untersuchung abgelehnt.“7

Gleichwohl gilt als gesichert, daß die Krankheitserscheinungen, die unter dem Begriff „Golfkriegssyndrom“ zusammengefaßt werden, zum Teil auf abgereichertes Uran zurückzuführen sind. Sara Flounders ist Leiterin am International Action Center, eine vom ehemaligen US-Justizminister Ramsey Clark gegründete Organisation. Sie hat sich gegen den Golfkrieg engagiert und setzt sich heute für die Aufhebung des Iran-Embargos ein. Sie berichtet, daß die für die Kriegsveteranen zuständige US-Bundesbehörde eine Erhebung unter 251 Veteranen-Familien im Bundesstaat Mississippi durchgeführt und dabei herausgefunden hat, daß 67 Prozent der Kinder, die in diesem Familien nach Ende des Krieges geboren wurden, schwere Mißbildungen aufweisen.8

Auch im Irak ist eine alarmierende Zunahme bestimmter Krebsarten und bisher unbekannter erblicher Mißbildungen zu verzeichnen. Wieviel AU-Munition im Irak, in Kuwait und in Saudi-Arabien verschossen wurde, ist schwer abzuschätzen. Die US-Streitkräfte feuerten nach eigenen Angaben 14000 AU-Geschosse ab, davon 7000 während ihrer Manöver in Saudi- Arabien vor Beginn des Krieges; außerdem sind 3000 AU-Geschosse, die in einem Munitionslager der US-Armee in Doha (Kuwait) lagerten, durch einen Brand zur Explosion gekommen. Hinzu kommt die AU-Munition der Briten und wahrscheinlich noch anderer Staaten.

Nach einem im November 1991 bekannt gewordenen Geheimbericht der britischen Atomenergiebehörde haben die Streitkräfte der westlichen Verbündeten 40 Tonnen abgereichertes Uran in der Wüste zurückgelassen. Das in Kuwait und im Irak lagernde Uran würde ausreichen, um „500000 Tote“ zu verursachen. Neun Jahre nach Beendigung des Konflikts erkranken nach Angaben irakischer Ärzte noch immer ungewöhnlich viele Kinder an Leukämie. Bei den Erwachsenen sind überdurchschnittlich viele Tumor- und Krebserkrankungen zu verzeichnen, und die Zahl der Neugeborenen und abgetriebenen Föten mit fürchterlichen Mißbildungen erreicht erschreckende Ausmaße.

Zu dem ganzen Problemkreis wurden in Bagdad 1994 und 1998 zwei Symposien mit ausländischen Spezialisten und Golfkriegsveteranen veranstaltet. Die Teilnehmer des Symposiums vom Dezember 1998 forderten nachdrücklich eine gründliche Untersuchung aller Krankheitsfälle, um Genaueres über die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung herauszufinden. Angesprochen wurde auch das vorerst unlösbare Problem, die betroffenen Gebiete insbesondere im südlichen Landesteil zu identifizieren und zu dekontaminieren. „Das Verbot dieser Waffen ist eine Frage, die uns alle angeht“, unterstrich Sami al-Aradji, Leiter der Irakischen Umweltschutzorganisation.10

dt. Bodo Schulze

* Journalistin

Fußnoten: 1 „Anti-armour ammunition with depleted uranium penetrators“, Memorandum des US-Verteidigungsministeriums, März 1979. 2 Leonard A. Dietz, „Contamination of Persian Gulf War veterans and others by depleted uranium“, Bulletin of the Atomic Scientist, New York, 19. Juli 1996. Nach Angaben des Verfassers enthielt der Rumpf der El-Al-Maschine, die am 4. Oktober 1992 über Amsterdam abstürzte, 279 Kilogramm abgereichtes Uran, das „sich entzündet und das umliegende Gebiet verseucht hat“. 3 „Investigation of excess alpha activity observed in recent air filler collections and other environmental centers“, DLA Chem-434-LADD, Knolls Atomic Power Laboratory, 24. Januar 1980. 4 „Guidelines for safe response to handling, storage, and transportation accidents involving army tank munitions or armor which contain depleted uranium“, Departement of the Army, Technical Bulletin, TB 9-1300-278. 5 Wall Street Journal, New York, 10. Juni 1991. 6 Dan Fahey, „Collateral Damage: how U.S. troops were exposed to depleted uranium during the Persian Gulf War“, Depleted Uranium Network of the Military Toxics Project, San Francisco, 20. September 1996. 7 Leonard A. Dietz, siehe Fn. 2. 8 Sara Flounders und Ramsay Clark, „Metal of Dishonour... Depleted Uranium“, International Action Center, New York 1998. E-Mail: www.iacenter@iacenter.org; Web-Seite: www.iacenter.org. 9 Nick Cohen, „Radioactive waste left in Gulf by Allies“, Independent on Sunday, London, 10. November 1991. Dazu: „Armes radioactives contre l'ennemie irakien“, Le Monde diplomatique, April 1995. 10 Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat den Nato-Einsatz von Streubomben in Jugoslawien scharf kritisiert und verurteilt. 5 bis 10 Prozent der „bomblets“ explodieren beim Ausstoß knapp über dem Boden nicht. Sie wirken dann wie Antipersonenminen, die das Leben der Zivilbevölkerung noch Jahre nach Beendigung des Krieges bedrohen. (Human Rights Watch, „Nato use of cluster bombs must stop“, New York, 11. Mai 1999)

Le Monde diplomatique vom 11.06.1999, von CHRISTINE ABDELKRIM-DELANNE