12.11.1999

Die Vertreibung der Mapuche

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Die Vertreibung der Mapuche

Von JAIME MASSARDO *

HARTNÄCKIG verstärkt die chilenische Regierung den Druck auf Spanien und Großbritannien, um General Pinochet den Prozess zu ersparen, der ihm bevorstehen könnte. Gegenüber sozialen Aktivisten zeigt das Regierungsbündnis nicht die gleiche Besorgnis. Die Mapuche-Indianer in Südchile etwa, die gegen die Zerstörung ihres Lebensraumes durch nationale und internationale Forst- und Elektrizitätsunternehmen kämpfen, finden kein Gehör. Der Kampf der Mapuche für ihr Land, ihre Kultur und Religion und für ein selbtbestimmtes Leben erinnert in manchen Aspekten an denjenigen, den die Zapatisten in Chiapas oder die Landlosen in Brasilien führen.

Schweine“, „Hunde“, „Scheißindi-os“ ... Weder der Sprachgebrauch noch die Methoden der Spezialeinheiten der chilenischen Polizei haben sich seit jenem Septembertag des Jahres 1973 besonders verfeinert, als Präsident Salvador Allende gestürzt und die Aktivisten der Unidad Popular zu Tausenden inhaftiert wurden. Innerhalb von nur zwei Tagen wurden am 18. und 19. Februar 1999 in den südlichen Provinzen Bio Bio und Traiguén dreiundvierzig Mapuche-Indianer, Öko-Aktivisten und mit ihnen sympathisierende Studenten verhaftet. Bei der vorausgegangenen Repressionswelle im Zeichen der Fahndung nach angeblichen „Terroristen“ waren dreißig Menschen verletzt worden, einige davon schwer. Im März verschärfte sich die Lage noch. Das gemeinsame Vorgehen von Polizei und privaten Schutztruppen – mit deren Hilfe die Forstwirtschaftsunternehmen den Anspruch der Mapuche auf das Land ihrer Vorfahren auf ihre Art regeln wollen – führte zu etwa zweihundert Festnahmen, einem Dutzend Verletzten und materiellen Schäden von mehreren zehntausend Dollar. José Ignacio Letamendi, der Vorsitzende des Holzunternehmerverbandes, erklärt kategorisch: „Auf gar keinen Fall und unter keinen Umständen werden wir das Land an die Mapuche abtreten, die sowieso nicht imstande sind, es zu bebauen.“1

Zwischen dem 20. Mai und dem 17. Juni marschierten Tausende dieser Mapuche von der Stadt Temuco im Herzen ihres Territoriums aus in die 637 Kilometer entfernte chilenische Hauptstadt Santiago. Sie wollten öffentlich darauf aufmerksam machen, dass ihre Gebiete besetzt sind, ihre Leute verdrängt werden, ihre Lebensbedingungen sich immer weiter verschlechtern und das ökologische Gleichgewicht der Region, in der sie leben, in höchstem Maße gefährdet ist.

Die Mapuche hatten mit ihren Protesten hauptsächlich die Konzerne Angelini und Matte-Larrain im Visier, die sowohl die Besetzung der Indianergebiete als auch verschiedene Gewaltakte zu verantworten haben – ganz besonders aber die Gesellschaft Forestal Mininco, eine Tochterfirma des zweiten Konzerns, die in Traiguén und Lumako Wälder abgeholzt hat, die seit Urzeiten den indigenen Gemeinschaften gehörten. Auch das Elektrizitätsunternehmen Endesa – dessen Mehrheitsaktionärin die spanische Gesellschaft Conama ist – wird angeklagt: Endesa legt derzeit einen gigantischen Stausee mit einer Fläche von 3 467 Hektar und einer Tiefe von 155 Metern an, um das Wasser des Bio-Bio-Flusses hoch oben in den Anden zurückzuhalten. Dadurch würde nicht nur das ökologische Gleichgewicht der ganzen Region zerstört, sondern der Stausee würde Grund und Boden der indianischen Gemeinschaften dauerhaft unter Wasser setzen.

Dem „langen Marsch“ der Mapuche auf Santiago folgten zahlreiche Demonstrationen, die jedoch immer nur erneute Repression auslösten. Dennoch wird „die Mobilisierung fortgesetzt, solange die chilenische Regierung sich weigert, unsere Forderungen anzuhören, und sich nicht auf eine politische Lösung einlässt, die für unser Volk günstig ausfällt ...“, so eine Organisation der Mapuche-Gemeinschaften.2

Die Volksgruppen der Huenteche, Huiliche, Labfquenche, Nagche und Pehuenche, die sich auf die Provinzen Arauco, Bio Bio, Cautin, Chiloé, Malleco, Osorno und Valdivia verteilen – also auf den Süden des chilenischen Territoriums –, bilden zusammen mit der Ethnie der Puelche in der argentinischen Pampa das Volk der Mapuche, das sich über seine Beziehung zur Erde definiert (Mapu = Erde, Che = Mensch). Ihr Konflikt mit den Holzwirtschaftsunternehmen ist nur die Fortsetzung der Kämpfe, die diese „ersten Guerilleros Lateinamerikas“3 über fünf Jahrhunderte lang geführt haben, um ihre Gebiete zu verteidigen: zuerst gegen das Inka-Reich, dann gegen das spanische Imperium und seit dem 19. Jahrhundert gegen die chilenische Oligarchie. Ein eigentlicher Wendepunkt war 1641 der Vertrag von Quilin, mit dem 20 der insgesamt 30 Millionen Hektar des Mapuche-Territoriums amputiert und der Kolonialmacht Spanien einverleibt wurden. Seitdem werden die Mapuche auf die Gebiete südlich des großen Bio-Bio-Flusses abgedrängt, der ihrem Gebiet gewissermaßen eine natürliche Grenze setzt.

Kahlschlag in den Mapuche-Wäldern

NACH der Unabhängigkeit von Spanien vereinnahmte die chilenische Oligarchie diese Kämpfe, die teilweise offen und teils verdeckt ausgetragen worden waren; sie schrieb sich den Mut der Mapuche im Kampf gegen die Spanier auf die eigenen Fahnen, während sie sich gleichzeitig der Mapuche-Ländereien bemächtigte und dem Begriff „Indio“ eine sehr abschätzige Bedeutung verlieh. Die Triebkraft dieser doppelten Anmaßung war das Bedürfnis nach neuen Agrarflächen für den Getreideanbau. Im Jahr 1881 schließlich wurde das Mapuche-Territorium militärisch besetzt, und es kam zu einem Genozid an der Bevölkerung, den die offizielle chilenische Geschichtsschreibung heute noch euphemistisch als „Befriedung Araukaniens“ bezeichnet.4

Mit Ausnahme der Regierungen der Frente Popular (1938-1941) und der Unidad Popular von Salvador Allende (1970-1973), die in der chilenischen Geschichte zwei wirkliche Sonderfälle darstellen, hat auch die spätere Entwicklung der Republik an dieser Grundtendenz nichts geändert. Im Gegenteil, während der Diktatur von Augusto Pinochet wurde der Enteignungsprozess der Mapuche-Ländereien noch beschleunigt.5 1974 erließ Pinochet das Gesetz Nr. 701: 300 000 Hektar, die im Rahmen der Agrarreform von Salvador Allende Migliedern der indigenen Gemeinschaften zugeteilt worden waren, wurden diesen wieder abgenommen und verkauft oder Holzfirmen bzw. früheren Großgrundbesitzern dieser Region zur Verfügung gestellt.6 Auch nach 1989 haben die beiden aus Christdemokraten und Sozialisten zusammengesetzten Regierungen der Concertación an diesem Kurs wenig geändert: Sie haben die Struktur des Agrarlandbesitzes reformiert und dabei ganz offen die Niederlassung multinationaler Holzwirtschaftsunternehmen begünstigt.

So haben die beiden Großkonzerne Matte-Larrain und Angelini im Rahmen der weltweit steigenden Nachfrage nach Holz und Holzderivaten das Mapuche-Territorium in ein privates Jagdrevier verwandelt. Ersterer kontrolliert über seine Forstwirtschaftsunternehmen – Asseraderos Miningo, Servicios Forestales Escuadrón, Inmobiliaria Pinares, Sociedad Forestal Crecex S.A., Forestal Rio Vergara und Agricola y Ganadera Monteverde – über 40 Prozent der Ausbeutung und des Exports von Holz im Mapuche-Gebiet. Der zweite besitzt gemeinsam mit dem US-amerikanischen Konzern International Paper und der Neuseeländischen Gruppe Carter Holt Harvey die Unternehmen Celarauco, Forestal Cholguán und Aserraderos Arauco. Diese Firmen wiederum bestreiten mit ihren Filialen Celulosa Arauco und Constitución und mit 107 Millionen Dollar Jahresumsatz 24 Prozent des gesamten Exports von Mapuche-Holz in die Vereinigten Staaten, nach Japan, China und Südkorea.7

Die Standortwahl der Konzerne Matte-Larrain und Angelini wurde durch jenes ökonomische Modell ermöglicht, das die Militärs zwangsweise einführten und die Concertación anschließend perfektionierte: sehr niedrige Löhne, kein Streikrecht, keinerlei Schutzvorschriften für die Arbeiter – die in der Mehrzahl Mapuche sind –, und vor allem gesetzliche Klauseln, die innerhalb kürzester Fristen das Schlagen uralter Baumarten wie Encina, Maieo, Roble und Rauli erlauben, deren Regenerierungsfähigkeit innerhalb relativ kurzer Zyklen keineswegs gesichert ist.8

Diese Politik hat dazu geführt, dass die Fläche, auf der in der Mapuche-Region Holz geschlagen wird, sich zwischen 1976 und 1997 um 53 Prozent ausgedehnt hat – insgesamt sind es 1 677 000 Hektar.9 Im selben Zeitraum schrumpften die Anbauflächen für Weizen und Mais, mit denen der direkte Bedarf der Gemeinschaften abgedeckt wurde, um 29 respektive 21 Prozent.10 Die Katasteraufnahme ursprünglicher Wälder, die die nationale Waldvereinigung Conaf, eine Regierungsbehörde, kürzlich durchgeführt hat, weist ihrerseits darauf hin, dass die natürliche Vegetation im Mapuche-Gebiet „durch chemisch verseuchten Regen sowie durch Waldbrände beschädigt wurde“, ja sogar speziell durch die Auswirkungen von Natriumsulfat, Chlor und Erdöl, die bei der Verarbeitung von Holz in Zellulose zum Einsatz kommen.11

Wenn die natürliche Vegetation verschwindet, hat das wiederum schädliche Auswirkungen auf die Bodenqualität. Die Conaf räumt ein, dass in der Mapuche-Region „75 Prozent der produktiven Böden einen hohen Erosionsgrad aufweisen, der zu 98 Prozent von Menschenhand verursacht ist“. Darüber hinaus stellt die Studie fest, dass „Armut und ländlicher Lebensstil sich auf die Böden negativ auswirken, da ihnen keine Ruhephasen zugestanden werden und nur Produkte für den unmittelbaren Ernährungsbedarf angebaut werden“. Da der Waldbestand nur alle zwanzig Jahre überprüft wird, müssen all diese Zahlen noch nach oben korrigiert werden.

„Die Forstwirtschaftsunternehmen produzieren auf kommunaler Ebene keine Ressourcen und schaffen auch keine Arbeitsplätze für Menschen aus der Region“, kommentiert der Mapuche-Anführer Adolfo Millabur-Ancuil. „Sie bezahlen keinerlei Steuern. Im Gegenteil, infolge des Gesetzesdekrets Nr. 701 werden sie vom Staat subventioniert, der ihnen proportional zur bewirtschafteten Anbaufläche ihr Investitionskapital zurückerstattet. Ihre Lastwagen und schweren Maschinen zerstören die Wege, ohne dass sie sich in irgendeiner Form um die Anwohner scheren.“12

Die negativen Auswirkungen der Holzwirtschaft auf die Bodenqualität schränken den für die Subsistenzkultur nutzbaren Raum immer mehr ein und zwingen dadurch die Bevölkerung zur Migration in die Städte – 45 Prozent der Mapuche-Bevölkerung, d. h. 500 000 Menschen, leben bereits in Santiago. Die Forstwirtschaft zerstört nachhaltig die Beziehung der Mapuche-Gemeinschaften zur Erde, die nicht nur ihre Lebensgrundlage darstellt, sondern auch die materielle Basis ihres kollektiven Gedächtnisses. Die Erde ist der Ort, wo ihre Vorfahren begraben sind und wo ihre Götter leben, der Ursprungsmythos und Ausgangspunkt ihrer symbolischen Repräsentation, die Grundlage ihrer Riten und ein konstitutiver Bestandteil ihrer Identität.

Der Marsch der Mapuche von Temuco nach Santiago sowie die darauf folgenden Demonstrationen knüpfen einerseits an die fünfhundert Jahre alte Kampfgeschichte an und verdeutlichen andererseits, dass es nicht nur darum geht, den Grund und Boden zu verteidigen, sondern auch die indigenen Gemeinschaften selbst.13 Die Concertación-Regierung tut so, als ginge sie der Konflikt nichts an. Planungsminister Germán Quintana erklärte: „Die Mapuche müssen ihre Probleme mit den politischen Parteien und nicht mit der Regierung diskutieren.“14 Der christdemokratische Präsident Eduardo Frei weigerte sich nicht nur, den Vorsitzenden des Consejo de Todas las Tierras (Rat aller Ländereien), Aucán Huilcamán, zu empfangen, sondern auch eine Delegation, die ihm ein Dokument mit Vorschlägen zur Beilegung des Konflikts überreichen wollte.

dt. Miriam Lang

* Verfasser des Buchs mit dem französischen Titel „Civilisation latino-américaine. Notes de cours“, gemeinsam mit Alberto Suárez, Paris (Ellipse) 1999.

Fußnoten: 1Punto Final, Santiago, März 1999. 2 „Emarichiweu!“ („Zehn Mal werden wir siegen!“), Comunicado Público de la Coordinadora Mapuche Arauco-Malleco, Territorio Mapuche, 27. Juli 1999. 3 Luis Sepúlveda, „Patagonien Express“, aus dem Span. von Willi Zubrüggen, Frankfurt am Main (Fischer Taschenbuch) 1998. 4 Als „Araucanos“ bezeichnen Spanier und Chilenen die Mapuches. 5 Siehe die Gesetze Nr. 2 568 und Nr. 2 750 über die Aufteilung von Gemeindeländereien. 6 Lateinamerikanische Informations-Agentur (alai), Quito, Ecuador, 12. April 1999. 7 Siehe Comisión Económica para América Latina (Cepal), „Forest area“, in: „Statistical yearbook for Latin America and the Caribbean“, UNO 1998. 8 Siehe Nicolo Gligo: „Situación y perspectivas ambientales en América Latina“, Revista de la Cepal, Nr. 55, Santiago de Chile, April 1995. 9 Siehe Cepal, „Forest area“, a. a. O. 10 Siehe Cepal, „Quantum indexes of agricultural production“ und „Maize production“, in: „Statistical yearbook for Latin America and the Caribbean“, a. a. O. 11 „Catastro de Bosque Nativo“, Corporación Nacional Forestal, Santiago de Chile 1999. 12 Siehe Punto final, Santiago de Chile, 14. April 1999. 13 Für mehr Informationen siehe http:// www.soc.uu.se/mapuche. 14La Tercera, Santiago de Chile, 20. Juni 1999.

Le Monde diplomatique vom 12.11.1999, von JAIME MASSARDO