09.04.2015

Was tun die Nachbarn?

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Was tun die Nachbarn?

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In der Nacht vom 25. auf den 26. März begann eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition Stellungen der Huthi-Rebellen im Jemen zu bombardieren. Zudem wurde Ende März auf einem Gipfel der Arabischen Liga die Schaffung einer gemeinsamen militärischen Eingreiftruppe beschlossen. Ist es also nur eine Frage der Zeit, wann die Nachbarstaaten Libyens auch dort massiver intervenieren?

Libyens Nachbar Algerien hat in dieser Frage eine klare Position: „Es steht überhaupt nicht zur Debatte, auch nur die kleinste ausländische Militärintervention in Libyen zu befördern, geschweige denn, sich an einer solchen zu beteiligen. Unser Wille ist es, unseren libyschen Brüdern dabei zu helfen, eine gemeinsame Grundlage zu finden, auf der sie ihre Differenzen beilegen können. Das Gegenteil würde noch mehr Unordnung schaffen und die Zukunft des Landes aufs Spiel setzen.“ Ein hoher algerischer Diplomat, der anonym bleiben möchte, erklärt, dass Algerien Verhandlungen zwischen den rivalisierenden libyschen Fraktionen unter der Ägide der UN unterstütze.

Es heißt auch, Bernardino Léon, der UN-Sondergesandte für Libyen in Algier, sei der „Mann der Stunde“. Bereits 2011 hatte es die algerische Regierung abgelehnt, die Nato-Luftschläge gegen das Gaddafi-Regime zu unterstützen. Wegen dieser Haltung wurde sie lange Zeit von einem großen Teil der libyschen thuwar (Revolutionäre) angefeindet, und zwar sowohl von den Islamisten wie von den Gruppen, die sich jetzt General Chalifa Haftar angeschlossen haben. Heute ist Algier bei der Suche nach einer friedlichen Lösung allerdings für beide Lager in Libyen ein unverzichtbarer Partner.

Das Gleiche gilt für Marokko, Nachbar und Rivale von Algerien. In Rabat kam es Ende März zu indirekten Gesprächen zwischen Repräsentanten der von den westlichen Staaten anerkannten Regierung und Vertretern des Allgemeinen Nationalkongresses, der der Fadschr-Libia-Koalition islamistischer Milizen nahesteht. Hasni Abidi, Politologe an der Universität Genf, meint, Algier und Rabat seien sich darin einig, dass eine erneute Operation der Nato in Libyen verhindert werden müsse: „Die Gefahren für die regionale Stabilität sind gewaltig.“ Diese gemeinsame Position werde heute von mehreren Staaten des Sahel geteilt, die sich darüber im Klaren seien, dass eine Intervention westlicher Truppen zu Folge hätte, dass derzeit in Libyen aktive dschihadistische Gruppen in ihr eigenes Territorium einströmen würden.

In der Region herrscht also eher Zurückhaltung. Ägypten, das sich auch an der Intervention im Jemen beteiligt, hat sich allerdings klar positioniert. Präsident al-Sisi wird militärisch durch die Vereinigten Arabischen Emirate und in geringerem Umfang auch von Saudi-Arabien unterstützt und hat sich in Libyen hinter General Haftar gestellt. Gleichzeitig wirft er Katar vor, Haftars Gegner Fadschr Libia mit Waffen zu beliefern.

Am 16. Februar setzte Kairo seine Luftwaffe gegen die islamistischen Milizen in Libyen und speziell in Derna ein. Inzwischen soll eine umfangreiche Offensive geplant sein, falls die innerlibyschen Verhandlungen scheitern oder ausgesetzt werden. Während die USA allen Interventionsplänen eine Absage erteilt haben, sind die Absichten Frankreichs und seiner europäischen Verbündeten, vor allem Italiens und Großbritanniens, weniger klar.

Noch Ende vergangenen Jahres sprach der französische Verteidigungsminister Le Drian von Libyen als „Refugium des Terrors“ und forderte die Afrikanische Union, die Vereinten Nationen und die Nachbarstaaten Libyens auf, sich dieser „brennenden Sicherheitsfrage anzunehmen“.1 Heute favorisiert auch Paris eine „politische Lösung“, also die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, die besser in der Lage wäre, den Kampf gegen die terroristischen Gruppen zu organisieren.2 Die hat einerseits damit zu tun, dass Algerien sich nicht militärisch engagieren will, andererseits damit, dass Frankreich keine neue Front eröffnen kann, solange bei der Stabilisierung Malis und beim Kampf gegen den IS kein Ende abzusehen ist. Patrick Haimzadeh

Fußnoten: 1 Siehe Le Drian: „Le sud de la Libye ‚est devenu un hub terroriste‘ “, Le Point, 28. Dezember 2014. 2 Offizielle Mitteilung des französischen Außenministeriums, 18. März 2015.

Was wann geschah

16. Februar 2011  Erste Demonstrationen in Bengasi. 27. Februar Gründung des Nationalen Übergangsrats. 19. März Beginn des Nato-Bombardements. 21. August Fall von Tripolis. 20. Oktober Tod Muammar al-Gaddafis. 6. März 2012 Gründung des Nationalrats von Kyrenaika und Proklamation der Autonomie dieser Region. 20. April Zusammenstöße zwischen Milizen in der Region Kufra. 7. Juli Erste Parlamentswahl. 11. September Angriff auf das US-Konsulat in Bengasi, Tod des US-Botschafters in Libyen. 7. Februar 2013 Friedensverhandlungen zwischen den Stämmen Tubu und Suwaja in Tripolis. 10. Oktober Ministerpräsident Ali Seidan wird von Milizen entführt. 16. November Generalstreik in Tripolis gegen die Gewalt der Milizen. 18. Januar 2014 Zusammenstöße zwischen rivalisierenden Milizen in Sabha. Die Regierung verhängt den Ausnahmezustand in der Stadt. 16. Mai Beginn der Offensive von General Haftar gegen das islamistische Lager. 25. Juni Vorgezogene Parlamentswahlen. 28. Juli Eroberung Bengasis durch Ansar al-Scharia. 17. September Installation der Übergangsregierung in al-Baida durch das Gegenparlament in Tobruk. 4. Oktober Eroberung Darnas durch den IS. 14. Januar 2015 Verhandlungen zwischen Vertretern beider libyscher Parlamente in Genf. 15. Februar Bombardierung von IS-Stellungen durch die ägyptische Luftwaffe. 5. März Wiederaufnahme der Verhandlungen in Marokko.

Le Monde diplomatique vom 09.04.2015, von Patrick Haimzadeh